Entscheidungsstichwort (Thema)
Ende des Krankengeldanspruchs. Forderungsübergang. Leistungen nach dem GAL
Leitsatz (redaktionell)
Anwendung des RVO § 183 Abs 3 und 4 bei Zubilligung von Altersgeld, vorzeitigem Altersgeld und Landabgaberente nach dem GAL:
Wird einem bei einem nichtlandwirtschaftlichen Träger der Krankenversicherung Versicherten Altersgeld, vorzeitiges Altersgeld oder Landabgaberente von einer landwirtschaftlichen Alterskasse zugebilligt, gilt RVO § 183 Abs 3 entsprechend.
Orientierungssatz
RVO § 183 enthält insoweit eine Lücke, als dort nicht auch das vorzeitige Altersgeld, das Altersgeld und die Landabgaberente nach dem GAL einbezogen sind. Diese Lücke ist durch entsprechende Anwendung des RVO § 183 Abs 3 mit Hilfe einer wiederum entsprechenden Anwendung des KVLG § 20 Abs 3 S 2 zu schließen.
Normenkette
RVO § 183 Abs. 3 Fassung: 1961-07-12; KVLG § 20 Abs. 3 S. 2 Fassung: 1972-08-10; RVO § 183 Abs. 4 Fassung: 1961-07-12; GAL § 2 Abs. 2, § 41
Verfahrensgang
Gründe
I.
Streitig ist ein Anspruchsübergang.
Die Klägerin (AOK) zahlte an die Beigeladene wegen einer seit dem 10. Januar 1977 angenommenen Arbeitsunfähigkeit Krankengeld für die Zeit vom 1. Juni 1977 bis zum 28. Oktober 1977. Sie machte gegenüber der Beklagten (Landwirtschaftliche Alterskasse) einen "Ersatzanspruch" nach § 183 Abs 3 Reichsversicherungsordnung (RVO) geltend, da die Beigeladene dort Altersgeld nach dem Gesetz über eine Altershilfe für Landwirte (GAL) beantragt hatte. Die Beklagte billigte der Beigeladenen vorzeitiges Altersgeld für die Zeit ab 1. Juni 1977 zu, behielt jedoch die Nachzahlung für die Zeit vom 1. Juni 1977 bis zum 30. November 1977 in Höhe von 1.623,60 DM ein, da die Klägerin einen Ersatzanspruch geltend gemacht habe (Bescheid vom 15. November 1977). Diese erhob im Februar 1979 Klage und begehrte von der Beklagten die Erstattung des gezahlten Krankengeldes in Höhe von 1.334,90 DM.
Das Sozialgericht (SG) hat mit Urteil vom 29. März 1979 die Klage abgewiesen. Das SG meint, die Klage sei als reine Leistungsklage zwar zulässig, aber unbegründet. Der kraft Gesetzes eintretende Forderungsübergang nach § 183 Abs 3 RVO erfasse nicht das von einer landwirtschaftlichen Alterskasse gezahlte vorzeitige Altersgeld. Dieses sei in § 20 Abs 3 des Gesetzes über die Krankenversicherung der Landwirte (KVLG) nur für den Bereich der landwirtschaftlichen Krankenversicherung den in § 183 Abs 3 RVO genannten Leistungen gleichgestellt. Einer derartigen Regelung hätte es nicht bedurft, wenn § 183 RVO ohnehin auf die Leistungen der Altershilfe anzuwenden wäre. Eine unterschiedliche Behandlung der Leistungen der Rentenversicherung im engeren Sinne und der Altershilfe sei gerechtfertigt, da der Gesetzgeber in der landwirtschaftlichen Altershilfe bewußt von einer Vollversorgung abgesehen und nur einen Bargeldzuschuß vorgesehen habe.
Das SG hat nach dem Wortlaut der Urteilsformel nur die Sprungrevision und nicht auch die Berufung wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zugelassen.
Mit der von der Klägerin eingelegten Sprungrevision beantragt diese,
das Urteil aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, der Klägerin 1.334,90 DM zu zahlen.
Die Klägerin rügt unrichtige Anwendung des § 183 RVO. Dieser gelte auch für das landwirtschaftliche Altersgeld. Die Altershilfe gehöre zur Rentenversicherung. Das Altersgeld entspreche den in § 183 Abs 3 RVO genannten Leistungen der Rentenversicherung, so daß eine unterschiedliche Behandlung beim Zusammentreffen mit Krankengeld nicht gerechtfertigt sei.
Die Beklagte beantragt,
die Revision der Klägerin zurückzuweisen.
Die Beigeladene ist im Revisionsverfahren nicht vertreten.
Die Beteiligten haben einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.
II.
Auf die Revision der Klägerin war das angefochtene Urteil aufzuheben und der Rechtsstreit zurückzuverweisen, damit das SG noch Feststellungen zur Höhe des vorzeitigen Altersgeldes trifft, das der Beigeladenen für die Zeit vom 1. Juni bis zum 28. Oktober 1977 zusteht.
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1. |
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Die Revision ist zulässig. Zwar darf die Sprungrevision nicht zugelassen werden, wenn die Berufung nicht an sich oder kraft Zulassung statthaft ist (BSG SozR 1500 § 161 Nr 15). Im vorliegenden Fall war die Berufung nach § 30 Satz 2 GAL iVm § 145 Nr 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) unzulässig, da sie vorzeitiges Altersgeld für rückliegende Zeit betrifft, wie der Senat in dem zur Veröffentlichung bestimmten Urteil vom gleichen Tage - 11 RK 2/79 - näher ausgeführt hat. Ist jedoch die Berufung nicht ohnehin zulässig, so liegt in der Regel in der Zulassung der Revision auch die Zulassung der Berufung (vgl auch hierzu das Urteil des Senats vom gleichen Tage - 11 RK 2/79 - mwN). |
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2. |
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In der Sache hat das SG die Klage zu Unrecht abgewiesen. |
Der von der Klägerin angenommene Forderungsübergang läßt sich allerdings entgegen ihrer Ansicht nicht schon aus dem § 183 Abs 3 RVO unmittelbar entnehmen. Die Vorschrift setzt voraus, daß "Rente wegen Erwerbsunfähigkeit oder Altersruhegeld von einem Träger der Rentenversicherung" zugebilligt bzw gewährt wird. Dieser Tatbestand ist nicht erfüllt, wenn eine landwirtschaftliche Alterskasse vorzeitiges Altersgeld, Altersgeld oder Landabgaberente nach dem GAL gewährt. Derartige Leistungen sind in ihrer gesetzlichen Benennung und ihrer Herkunft - überdies auch in sonstiger Beziehung - andere als die in § 183 Abs 3 RVO bezeichneten. Die Versuche der Klägerin, sie diesen unter Berufung auf Vorschriften des Sozialgesetzbuches (§§ 4, 23 SGB 1) dennoch unterzuordnen, wirken konstruiert. Sie werden zusätzlich vom Inhalt des § 20 Abs 3 KVLG her widerlegt. Dort hat der Gesetzgeber für die landwirtschaftliche Krankenversicherung in Satz 1 angeordnet, daß für sie § 183 Absätze 3 bis 8 RVO entsprechend gilt. Das bedeutet (ua), daß auch in der landwirtschaftlichen Krankenversicherung die Regelungen des § 183 RVO über das Zusammentreffen von Krankengeld mit einer vom Rentenversicherungsträger zugebilligten Rente wegen Erwerbsunfähigkeit oder einem von ihm zugebilligten Altersruhegeld anzuwenden sind.
§ 20 Abs 3 KVLG ordnet aber in dem folgenden Satz 2 eine weitere entsprechende Anwendung des § 183 Abs 3 RVO für den Fall an, daß "Altersgeld, vorzeitiges Altersgeld oder Landabgaberente von einer landwirtschaftlichen Alterskasse zugebilligt" wird. Damit hat der Gesetzgeber klar zu erkennen gegeben, daß er diese Leistungen nicht schon zu den unmittelbar von § 183 Abs 3 RVO erfaßten zählt. Soweit die Klägerin in § 20 Abs 3 Satz 2 KVLG nur eine Klarstellung sehen will, fehlt es hierfür an jedem Anhalt.
Der § 183 Abs 3 RVO ist jedoch für die hier streitigen Zeiten nach dem Inkrafttreten des KVLG entsprechend anzuwenden, zumal von da an ebenfalls eine entsprechende Anwendung des § 20 Abs 3 Satz 2 KVLG im Bereich der allgemeinen Krankenversicherung möglich ist. Dabei ist zunächst hervorzuheben, daß die Rechtsprechung auch früher schon Vorschriften des § 183 RVO bei Lücken im Gesetz entsprechend angewandt hat. So war eine Lücke ua beim Zusammentreffen von Krankengeld mit nachträglich gezahltem Übergangsgeld gefunden worden (BSGE 25, 6). Die damalige Entscheidung sah sich an der entsprechenden Anwendung des § 183 Abs 3 Satz 2 RVO nicht dadurch gehindert, daß sich das Übergangsgeld von den in § 183 Abs 3 RVO genannten Leistungen in mehrfacher Hinsicht unterscheidet; der entscheidende Gesichtspunkt für die Gleichstellung im Rahmen des § 183 Abs 3 Satz 2 RVO sei die allen diesen Leistungen zukommende Lohnersatzfunktion (aaO S. 8). Diese Funktion stellen noch viele andere Entscheidungen als maßgebend heraus; sie haben es als wesentlich bezeichnet, daß § 183 Abs 3 RVO über das dort festgelegte Ende des Krankengeldes hinaus Doppelleistungen mit jeweils voller Lohnersatzfunktion verhindern soll (SozR Nrn 6, 17, 24, 25, 51 zu § 183 RVO). Solche Doppelleistungen können aber auch beim Zusammentreffen von Krankengeld mit vorzeitigem Altersgeld, Altersgeld oder Landabgaberente nach dem GAL erfolgen; denn hierbei handelt es sich insgesamt ebenfalls um das Arbeitsleben (Erwerbsleben) abschließende Leistungen, die frühere Arbeitseinkünfte (Erwerbseinkünfte) ersetzen sollen. Daß die Leistungen nach dem GAL - weil als Zuschüsse zu Altenteilsleistungen gedacht - allgemein niedriger sind als die Erwerbsunfähigkeitsrenten und Altersruhegelder aus der Rentenversicherung, steht dem nicht entgegen; entscheidend ist, daß der Gesetzgeber neben den Leistungen nach dem GAL zwar Altenteilsleistungen, nicht aber weitere Erwerbseinkünfte voraussetzt, so daß auch das vorzeitige Altersgeld, das Altersgeld und die Landabgaberente nach dem GAL eine volle Lohnersatzfunktion (Verdienstersatzfunktion) haben.
Daß der "Zuschußfunktion" dieser Leistungen keine Bedeutung beizumessen ist, bestätigt § 20 Abs 3 Satz 2 KVLG. Aus dieser Bestimmung ergeben sich darüber hinaus weitere gewichtige Anhaltspunkte für die hier zu treffende Entscheidung. Sie ist eine Folge davon, daß in die landwirtschaftliche Krankenversicherung mitarbeitende Familienangehörige mit Anspruch auf Krankengeld einbezogen worden sind (vgl BT-Drucks zu VI/2508 auf S. 3). Deren Krankengeld ist in der Höhe unterschiedlich, je nachdem, ob sie zugleich rentenversicherungspflichtig sind oder nicht (§ 19 KVLG). Im ersteren Falle sind die mitarbeitenden Familienangehörigen den in der allgemeinen Krankenversicherung pflichtversicherten Arbeitnehmern gleichgestellt, zumal sie ohne das KVLG zu ihnen gehören würden und vor dem KVLG zu ihnen gehört hatten. Gleichwohl erfaßt § 20 Abs 3 KVLG die krankengeldberechtigten mitarbeitenden Familienangehörigen ohne Unterschied. Bei allen endet das Krankengeld in entsprechender Anwendung des § 183 Abs 3 RVO beim Zusammentreffen mit Erwerbsunfähigkeitsrente oder Altersruhegeld aus der Rentenversicherung. Es endet aber außerdem beim Zusammentreffen mit dem in § 20 Abs 3 Satz 2 KVLG genannten Leistungen nach dem GAL. Wie sich aus der Entstehungsgeschichte des § 20 Abs 3 KVLG ergibt (BT-Drucks VI/2508, Begründung S. 6 zu § 18b), wollte der Gesetzgeber des KVLG auf die Vorschriften der RVO über die Abgrenzung der Leistungen bei Anspruch auf Krankengeld und Gewährung von Rente verweisen; zugleich wollte er aber, daß die Regelung über das Ende des Krankengeldes bei Zubilligung von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit oder Altersruhegeld "auf die entsprechenden Fälle" der Zubilligung von Altersgeld, vorzeitigem Altersgeld oder Landabgaberente aus der landwirtschaftlichen Altershilfe "erstreckt" wird. Das zeigt, daß der Gesetzgeber diese Leistungen nach dem GAL in der für die Anwendung des § 183 Abs 3 RVO maßgebenden, oben bereits dargelegten Interessenlage den dort genannten Leistungen gleich bewertet hat, und, daß diese "Erstreckung" auch für diejenigen mitarbeitenden Familienangehörigen gelten sollte, die ohne das KVLG in der allgemeinen Krankenversicherung versicherungspflichtig waren bzw wären.
Hält man sich das vor Augen, so erhebt sich die Frage, warum bei ihnen die Zahlung von Krankengeld bei Bewilligung von Altersgeld, vorzeitigem Altersgeld oder Landabgaberente begrenzt sein soll, bei den nach der RVO krankenversicherungspflichtigen Arbeitnehmern dagegen nicht. Ohne analoge Anwendung der §§ 183 Abs 3 RVO, 20 Abs 3 Satz 2 KVLG würde zB der Krankengeldanspruch eines früheren landwirtschaftlichen Unternehmers mit der nachträglichen Bewilligung von Altersgeld oder vorzeitigem Altersgeld bei einer Beschäftigung im landwirtschaftlichen Betrieb eines Angehörigen enden, während er bei einer anderweitigen krankenversicherungspflichtigen Beschäftigung Krankengeld für 78 Wochen zu beanspruchen hätte. Für eine solch unterschiedliche Behandlung von Arbeitnehmern lassen sich keine sachlich einleuchtenden Gründe finden. Die unterschiedliche Regelung kann nicht damit gerechtfertigt werden, der Gesetzgeber des KVLG habe lediglich eine doppelte Inanspruchnahme landwirtschaftlicher Kassen vermeiden wollen; denn für eine solche Absicht finden sich keine Anhaltspunkte; dagegen spricht auch, daß der Gesetzgeber seine Regelung in § 20 Abs 3 KVLG nicht auf den Bereich des landwirtschaftlichen Sozialrechts beschränkt, den landwirtschaftlichen Krankenkassen vielmehr den Zugriff auf die Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung gestattet hat. Es ist deshalb nicht anzunehmen, daß er umgekehrt den allgemeinen Krankenkassen den Zugriff auf funktionsgleiche Leistungen nach dem GAL verwehren wollte. Auch aus der Lage des betroffenen Arbeitnehmers läßt sich eine Differenzierung nicht begründen. Der Anspruch auf die Leistungen nach dem GAL ist jeweils aus einer selbständigen Tätigkeit, der auf das Krankengeld jeweils aus einer unselbständigen Beschäftigung (Mitarbeit) erworben. Richtig ist zwar, daß ein mitarbeitender Familienangehöriger an der Beitragszahlung nicht beteiligt ist (§ 64 Abs 2 KVLG); deshalb läßt sich aber nicht sagen, der außerhalb der Landwirtschaft beschäftigte "Nebenerwerbslandwirt" habe sich das Krankengeld durch Beteiligung an den Beiträgen zur Krankenversicherung gewissermaßen in einer Weise erdient, daß es ihm bei Bezug von Leistungen nach dem GAL unangetastet verbleiben müßte. Im übrigen kennt auch die allgemeine Krankenversicherung eine alleinige Beitragszahlung durch den Arbeitgeber (§ 381 Abs 1 Satz 2 RVO). Der Senat ist daher aufgrund aller dargelegten Erwägungen zu der Auffassung gekommen, daß § 183 RVO insoweit eine Lücke enthält, als dort nicht auch das vorzeitige Altersgeld, das Altersgeld und die Landabgaberente nach dem GAL einbezogen sind. Diese Lücke ist durch entsprechende Anwendung des § 183 Abs 3 RVO mit Hilfe einer wiederum entsprechenden Anwendung des § 20 Abs 3 Satz 2 KVLG zu schließen.
Für den vorliegenden Fall bedeutet dies, da die Arbeitsunfähigkeit vor Beginn des vorzeitigen Altersgeldes eingetreten ist, daß die Beigeladene für die Zeit ab Zubilligung des vorzeitigen Altersgeldes zum 1. Juni 1977 keinen Anspruch auf Krankengeld mehr hatte (§ 183 Abs 3 RVO) und daß für die Folgezeit, in der ihr dennoch das Krankengeld weitergezahlt wurde, der Anspruch gegen die Beklagte auf vorzeitiges Altersgeld auf die Klägerin bis zur Höhe des weitergezahlten Krankengeldes übergegangen ist (§ 183 Abs 3 Satz 2 RVO). Da den Feststellungen des SG nicht zu entnehmen ist, in welcher Höhe der Beigeladenen für die Zeit vom 1. Juni bis zum 28. Oktober 1977 vorzeitiges Altersgeld zustand, ist dem Senat eine abschließende Entscheidung verwehrt.
Das SG wird die ausstehenden Feststellungen zur Höhe des vorzeitigen Altersgeldes zu treffen und über die Kosten auch des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.
Fundstellen