Entscheidungsstichwort (Thema)

Berufsunfähigkeit eines Hilfslokheizers. Verweisbarkeit eines Facharbeiters. konkrete Benennung einer Verweisungstätigkeit

 

Orientierungssatz

1. Ein Facharbeiter darf nur auf ungelernte Tätigkeiten, die sich durch besondere Qualifikationsmerkmale deutlich aus dem Kreis der sonstigen einfachen Arbeiten herausheben verwiesen werden, wenn sie wegen ihrer Qualität - nicht aber wegen etwaiger Nachteile oder Erschwernisse - tariflich wie sonstige Ausbildungsberufe eingestuft sind und von daher ihre Gleichstellung mit der qualitativen Wertigkeit eines sonstigen Ausbildungsberufes gerechtfertigt ist (vgl BSG 1981-12-09 1 RJ 124/80 = SozR 2200 § 1246 Nr 86).

2. Das Gebot der konkreten Benennung wenigstens einer Verweisungstätigkeit gilt ua dann, wenn der bisherige Beruf des Versicherten zur Gruppe der Arbeiterberufe mit dem Leitberuf des Facharbeiters gehört, und bedeutet inhaltlich, daß zumindest eine tarifvertraglich erfaßte oder jedenfalls auf dem Arbeitsmarkt vorkommende Tätigkeit benannt werden muß (vgl BSG 1980-12-03 4 RJ 83/79 = SozR 2200 § 1246 Nr 72).

3. Eine pauschale Verweisung auf eine ganze Gruppe von Tätigkeiten für die Verneinung von Berufsunfähigkeit ist nicht ausreichend. Mit der Pflicht zur "konkreten Benennung" der Verweisungstätigkeit soll der Gefahr begegnet werden, daß der Versicherte mit pauschalen Behauptungen auf eine Arbeit verwiesen wird, die in der Wirklichkeit der Berufswelt nicht oder kaum aufzufinden ist, daß also soziale Wirklichkeit und soziales Leistungsrecht bei Anwendung des § 1246 Abs 2 S 2 RVO auseinanderfallen (vgl BSG 1983-05-19 1 RJ 52/82).

 

Normenkette

RVO § 1246 Abs 2 S 2 Fassung: 1957-02-23

 

Verfahrensgang

LSG für das Saarland (Entscheidung vom 28.01.1982; Aktenzeichen L 1 J 16/79)

SG für das Saarland (Entscheidung vom 11.07.1977; Aktenzeichen S 10/14 J 137/76)

 

Tatbestand

Streitig ist ein Anspruch auf Versichertenrente wegen Berufsunfähigkeit (BU-Rente).

Der am 11. September 1921 geborene Kläger erlernte das Schmiedehandwerk und war bis 1941 in diesem Beruf als Geselle tätig. Nach Kriegsdienst und Gefangenschaft war er erneut zwei Monate lang als Schmied bei den Saarbergwerken und danach bis 1947 in der Brückenmeisterei bei der Deutschen Bundesbahn beschäftigt. Sodann schlug er die Laufbahn des Lokomotivführers ein. Er erlernte zunächst das Reparieren von Lokomotiven und war später Hilfsheizer im Arbeiterverhältnis. Mit Wirkung ab 1. November 1954 wurde er zum Beamten ernannt und als solcher mit Ablauf des Monats Januar 1977 vorzeitig in den Ruhestand versetzt.

Seinen Antrag vom 29. September 1976 auf Gewährung einer Versichertenrente lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 15. November 1976 unter Berufung auf ein Gutachten der Bahnärztin Dr. T. vom 18. Oktober 1976 ab, wonach die Erwerbsfähigkeit des Klägers durch die bei ihm bestehenden Gesundheitsstörungen zwar gemindert, er jedoch noch imstande sei, mittelschwere Arbeiten in dem vor Übernahme in das Beamtenverhältnis hauptsächlich ausgeübten Beruf des Schmiedes auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vollschichtig zu verrichten.

Das Sozialgericht (SG) für das Saarland hat nach Einholung eines internistischen Fachgutachtens die Klage abgewiesen (Urteil vom 11. Juli 1977). Das Landessozialgericht (LSG) für das Saarland hat ein orthopädisches Fachgutachten erhoben und sodann die Berufung des Klägers zurückgewiesen (Urteil vom 1. Dezember 1977). Diese Entscheidung hat der erkennende Senat aufgehoben und den Rechtsstreit an das Berufungsgericht zurückverwiesen (Urteil vom 14. März 1979; BSG SozR 2200 § 1246 Nr 41). Das LSG hat Auskünfte der Bundesbahndirektion Saarbrücken und des Landesarbeitsamts (LAA) Rheinland-Pfalz-Saarland eingeholt und mit Urteil vom 28. Januar 1982 die Berufung des Klägers wiederum zurückgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt:

Der Kläger sei nicht berufsunfähig. Zwar sei nach den ärztlichen Gutachten seine Erwerbsfähigkeit in gesundheitlicher Hinsicht eingeschränkt. Er könne nur noch leichte bis mittelschwere Tätigkeiten vollschichtig verrichten. Bei der Beurteilung der Berufsunfähigkeit und insbesondere für die Abgrenzung der zumutbaren Verweisungstätigkeiten sei von dem vor der Ernennung zum Beamten ausgeübten Beruf eines Hilfslokheizers auszugehen. Dabei habe es sich nach der damaligen tariflichen Einstufung und den für sie maßgeblichen beruflichen Voraussetzungen um die Tätigkeit eines Facharbeiters gehandelt. Als solcher dürfe der Kläger auf andere Lehrberufe und auf sonstige Ausbildungsberufe (angelernte Tätigkeiten) sowie auf ungelernte Arbeiten dann verwiesen werden, wenn sie wegen der ihnen anhaftenden Qualitätsmerkmale aus dem Kreis der ungelernten Tätigkeiten herausragten und ebenso wie sonstige Ausbildungsberufe bewertet würden. Tätigkeiten dieser Art erhielten ihre Qualifikation in der Regel dadurch, daß sie nur verrichtet werden könnten, wenn vom Versicherten besondere Zuverlässigkeit, Verantwortung und geistige Wendigkeit verlangt würden. Zu derart qualifizierten Tätigkeiten gehörten die sogen Revisions- und Überwachungsarbeiten, die Anlagenkontrolle sowie Meß-, Schalttafel- und Apparatewärtertätigkeiten. Sie seien als leicht zu bezeichnen und könnten vom Kläger noch vollschichtig verrichtet werden. Auch sei eine besondere Ausbildung nicht erforderlich und eine in der Regel am Arbeitsplatz vorzunehmende Einweisung in den Betriebsablauf genügend. Arbeiter, welche diese Tätigkeiten ausübten, nähmen im Betrieb eine ebenso angesehene Stellung wie ausgebildete Facharbeiter ein. Dieses vergleichsweise hohe Ansehen führe zu einer entsprechend hohen tariflichen Einstufung. Dieses Ergebnis stehe im Einklang mit den Auskünften der Bundesbahndirektion Saarbrücken, wonach der Kläger noch die Tätigkeit eines Meßwartes ausüben könne, und des LAA Rheinland- Pfalz-Saarland, wonach es in der Gruppe der qualitativ abgesetzten angelernten und ungelernten Tätigkeiten mit Sicherheit Arbeitsplätze gebe, welche der geminderten Leistungsfähigkeit des Klägers entsprächen. Zwar handele es sich hierbei im wesentlichen um Einzelarbeitsplätze, die zudem noch üblicherweise innerbetrieblich besetzt würden. Dies stehe aber der Verweisung eines Versicherten auf eine bestimmte Tätigkeit nicht entgegen. Hinsichtlich des Erfordernisses einer genügenden Anzahl von Arbeitsplätzen reiche die Bezeichnung einer zumutbaren Verweisungstätigkeit aus. Die genannten Verweisungstätigkeiten fielen nicht unter die typischen Schonarbeitsplätze für leistungsgeminderte Betriebsangehörige.

Mit der vom Senat zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 1246 Abs 2 Satz 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO). Seine (des Klägers) Verweisung auf die vom LSG für zumutbar erachteten einfachen und ungelernten Tätigkeiten sei unter Berücksichtigung seines verminderten Leistungsvermögens, der Dauer und des Umfanges seiner Ausbildung sowie seines bisherigen Berufes unzulässig. Er könne mit seiner medizinisch festgestellten verminderten Leistungsfähigkeit die Verweisungstätigkeiten nicht mehr verrichten. Bei ihnen handele es sich außerdem nicht um sozialadäquate Tätigkeiten. Das LSG habe versäumt, den qualitativen Wert der für zumutbar erachteten Tätigkeiten festzustellen. Vielmehr habe es lediglich abstrakt festgestellt, daß Arbeiter, welche diese Beschäftigungen verrichteten, im Betrieb eine ebenso angesehene Stellung wie ein Facharbeiter einnähmen. Seine Ansicht stehe auch nicht im Einklang mit den Auskünften der Deutschen Bundesbahn und des LAA Rheinland-Pfalz-Saarland. Insbesondere letztere Auskunft genüge dem Konkretisierungsgrundsatz nicht. Vielmehr hätte durch Einholung weiterer Auskünfte bzw berufskundlicher Gutachten zumindest eine zumutbare Verweisungstätigkeit ermittelt und mit nachprüfbaren Feststellungen bezüglich der beruflichen Anforderungen konkret geschildert, ihr Anforderungsprofil durch Heranziehung des maßgeblichen Tarifvertrages zum vorhandenen Leistungsvermögen und zu seinen (Klägers) beruflichen Fähigkeiten in Beziehung gesetzt und ferner durch geeignete Auskünfte berufskundlicher Art der Schweregrad der ermittelten Verweisungstätigkeit und außerdem geklärt werden müssen, ob bei der konkret benannten Verweisungstätigkeit die qualitativen Funktionseinschränkungen im Arbeitsablauf Berücksichtigung finden könnten. Derart konkrete Feststellungen enthalte das angefochtene Urteil nicht. Im übrigen erforderten die vom LSG genannten und für ihn (Kläger) zumeist berufsfremden Verweisungstätigkeiten angesichts dessen, daß er wegen der in der Zeit von 1954 bis 1977 ausgeübten versicherungsfreien Beamtentätigkeit auf eine mehrjährige Erfahrung als qualifizierter Facharbeiter nicht mehr zurückgreifen könne, eine längere und jedenfalls mehr als dreimonatige Einarbeitung und Bewährung insbesondere im speziellen Arbeitsbereich. Auf Tätigkeiten mit einer Ausbildung oder betrieblichen Einweisung und Einarbeitung von mehr als drei Monaten Dauer dürfe jedoch vor Abschluß der Einweisung und Einarbeitung nicht verwiesen werden.

Der Kläger beantragt

die Urteile des Landessozialgerichts für das Saarland vom 28. Januar 1982 und des Sozialgerichts für das Saarland vom 11. Juli 1977 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 15. November 1976 zu verurteilen, ihm ab Antragsmonat Versichertenrente wegen Berufsunfähigkeit zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie trägt vor, der Kläger könne die bisher genannten Verweisungstätigkeiten verrichten. Diese Tätigkeiten seien konkret benannt worden und würden zumindest teilweise vom Lohntarifvertrag für die Arbeiter der Deutschen Bundesbahn erfaßt. Sie erforderten angesichts der vom Kläger erworbenen Kenntnisse lediglich kurze und drei Monate keinesfalls übersteigende Zeiten der Einarbeitung.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-) erklärt.

 

Entscheidungsgründe

Die durch nachträgliche Zulassung statthafte Revision des Klägers ist zulässig und im Sinne einer Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht begründet.

Gegenstand des Rechtsstreits ist ein Anspruch des Klägers auf BU-Rente. Rechtsgrundlage dieses Anspruchs ist § 1246 RVO. Danach erhält Rente wegen Berufsunfähigkeit der Versicherte, der berufsunfähig ist, wenn die Wartezeit erfüllt ist (§ 1246 Abs 1 RVO). Berufsunfähig ist ein Versicherter, dessen Erwerbsfähigkeit infolge von Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte auf weniger als die Hälfte derjenigen eines körperlich und geistig gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten herabgesunken ist. Der Kreis der Tätigkeiten, nach denen die Erwerbsfähigkeit eines Versicherten zu beurteilen ist, umfaßt alle Tätigkeiten, die seinen Kräften und Fähigkeiten entsprechen und ihm unter Berücksichtigung der Dauer und des Umfanges seiner Ausbildung sowie seines bisherigen Berufes und der besonderen Anforderungen seiner bisherigen Berufstätigkeit zugemutet werden können (§ 1246 Abs 2 Sätze 1 und 2 RVO).

Bei der Frage, ob ein Versicherter berufsunfähig ist, ist von seinem "bisherigen Beruf", dh regelmäßig von der zuletzt und nicht nur vorübergehend vollwertig ausgeübten versicherungspflichtigen Tätigkeit auszugehen. Kann der Versicherte auch nach Eintritt der angeblich zur Berufsunfähigkeit führenden Umstände seine bisherige Berufstätigkeit weiter ausüben, so schließt allein dies die Annahme von Berufsunfähigkeit aus. Einer Verweisung auf andere Tätigkeiten und einer Erörterung ihrer beruflichen Zumutbarkeit bedarf es dann nicht mehr. Aber auch wenn eine Verweisung auf andere Tätigkeiten in Betracht kommt, muß der "bisherige Beruf" des Versicherten festgestellt werden. Er ist im Rahmen des § 1246 Abs 2 Satz 2 RVO von entscheidender Bedeutung für die Bestimmung des Kreises derjenigen Tätigkeiten, auf die der Versicherte unter Verneinung von Berufsunfähigkeit zumutbar verwiesen werden darf. Dabei bestimmt sich der Kreis der zumutbaren Tätigkeiten hauptsächlich nach dem qualitativen Wert des bisherigen Berufes des Versicherten im Betrieb. Dieser qualitative Wert spiegelt sich relativ zuverlässig in der tariflichen Einstufung der jeweiligen Tätigkeit wider. Sie ist daher ein gewichtiges - wenn auch keineswegs das einzige - Hilfsmittel zur Feststellung des qualitativen Wertes des bisherigen Berufes und damit zugleich zur Bestimmung des Kreises der nach § 1246 Abs 2 Satz 2 RVO dem Versicherten beruflich zumutbaren Verweisungstätigkeiten. Dabei lassen sich in der Arbeitswelt auf der Grundlage der tariflichen Bewertung mehrere Gruppen von Arbeiterberufen auffinden, welche durch verschiedene "Leitberufe" - nämlich diejenigen des Vorarbeiters mit Vorgesetztenfunktion bzw des besonders hoch qualifizierten Facharbeiters, des Facharbeiters, des angelernten Arbeiters und des ungelernten Arbeiters - charakterisiert werden. Grundsätzlich darf der Versicherte lediglich auf Tätigkeiten der jeweils niedrigeren Gruppe verwiesen werden, soweit sie ihn weder nach seinem beruflichen Können und Wissen noch bezüglich seiner gesundheitlichen Kräfte überfordern. Darüber hinaus darf ein Facharbeiter auf ungelernte Tätigkeiten, die sich durch besondere Qualifikationsmerkmale deutlich aus dem Kreis der sonstigen einfachen Arbeiten herausheben, jedenfalls dann verwiesen werden, wenn sie wegen ihrer Qualität - nicht aber wegen etwaiger Nachteile oder Erschwernisse - tariflich wie sonstige Ausbildungsberufe eingestuft sind und von daher ihre Gleichstellung mit der qualitativen Wertigkeit eines sonstigen Ausbildungsberufes gerechtfertigt ist (vgl zu alledem zB Urteile des erkennenden Senats in BSG SozR 2200 § 1246 Nr 86 S 267f und Nr 90 S 283f mwN).

Unter Anlegung dieser in ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) entwickelten Grundsätze ist dem erkennenden Senat eine abschließende Entscheidung des Rechtsstreits abermals nicht möglich. Vielmehr bedarf es hierzu weiterer tatsächlicher Feststellungen durch das Berufungsgericht.

Das LSG ist zutreffend und im Einklang mit dem in dieser Sache ergangenen Urteil des erkennenden Senats vom 14. März 1979 (BSG SozR 2200 § 1246 Nr 41 S 124) davon ausgegangen, daß "bisheriger Beruf" des Klägers derjenige des Hilfslokheizers gewesen ist. Hierbei hat es sich um die vor der Berufung in ein versicherungsfreies Beamtenverhältnis vom Kläger zuletzt ausgeübte versicherungspflichtige Beschäftigung gehandelt. Das LSG hat sich ferner der Beurteilung des gesundheitlichen Leistungsvermögens des Klägers im Gutachten des Sachverständigen Prof Dr. F. vom 20. Oktober 1977 angeschlossen und damit festgestellt, daß der Kläger seine frühere Tätigkeit des Hilfslokheizers nicht mehr ausüben kann. Diese tatsächliche Feststellung ist mangels dagegen vorgebrachter Revisionsrügen für den erkennenden Senat bindend (§ 163 SGG). Das Berufungsgericht hat schließlich die Tätigkeit des Hilfslokheizers unter Zugrundelegung ihrer zur Zeit der Ausübung maßgeblichen Einstufung in die Lohnkategorie 7 einer aus 9 Lohnkategorien bestehenden Tabelle nach der Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über die Rechts- und Besoldungsverhältnisse der Beamten, Angestellten und Arbeiter der Eisenbahn des Saarlandes vom 11. Juli 1951 der Gruppe der Arbeiterberufe mit dem Leitberuf des Facharbeiters zugeordnet. Das ist rechtlich nicht zu beanstanden und von der Revision auch nicht beanstandet worden.

Keinen Bestand haben kann das angefochtene Urteil hingegen insoweit, als es eine Berufsunfähigkeit des Klägers wegen dessen Verweisbarkeit auf andere Tätigkeiten verneint hat. Mit seinen Ausführungen hierzu (S 11 ff des angefochtenen Urteils) hat das Berufungsgericht gegen das nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung bestehende Gebot der konkreten Benennung von Verweisungstätigkeiten verstoßen. Hiernach müssen entweder schon im Verwaltungsverfahren der Versicherungsträger oder jedenfalls in einem anschließenden Rechtsstreit das Tatsachengericht das Vorhandensein von Verweisungstätigkeiten von Amts wegen prüfen und wenigstens eine von ihnen im Bescheid bzw im Urteil konkret benennen. Zwar kann im Einzelfall von der Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit ausnahmsweise dann abgesehen werden, wenn es für den Versicherten offensichtlich geeignete Tätigkeiten gibt. Hingegen ist die konkrete Benennung nicht entbehrlich bei Vorliegen besonderer Umstände in der Person des Versicherten, welche die Ausübung beruflich zumutbarer Verweisungstätigkeiten erschweren. Zu diesen besonderen Umständen zählt ua seine Zugehörigkeit zu den Gruppen der Arbeiterberufe mit den Leitberufen des Vorarbeiters mit Vorgesetztenfunktion bzw des besonders hoch qualifizierten Facharbeiters und des (einfachen) Facharbeiters (vgl zB Urteile des erkennenden Senats in BSG SozR 2200 § 1246 Nr 75 S 238 und Nr 90 S 284 mwN). Inhaltlich bedeutet das Gebot der konkreten Benennung wenigstens einer Verweisungstätigkeit, daß das Tatsachengericht zumindest eine tarifvertraglich erfaßte oder jedenfalls in der Wirklichkeit des Arbeitslebens tatsächlich vorkommende Tätigkeit benennen muß, die für eine Verweisung des Versicherten in Betracht kommt. Erst danach ist, konkret bezogen auf diese Tätigkeit, gemäß den in § 1246 Abs 2 Satz 2 RVO aufgestellten Kriterien zu prüfen, welche beruflichen Anforderungen an die in Erwägung gezogene Verweisungstätigkeit gestellt werden, ferner festzustellen, ob der Versicherte diesen beruflichen Anforderungen nach seinem gesundheitlichen Leistungsvermögen genügen kann, und schließlich sein berufliches Können und Wissen zu den objektiven beruflichen Anforderungen der Verweisungstätigkeit in Beziehung zu setzen, dh zu ermitteln, ob die Tätigkeit seinen Kenntnissen und Fähigkeiten entspricht bzw nach einer Einarbeitungs- oder Einweisungszeit bis zu 3 Monaten ausgeübt werden kann. Endlich ist insbesondere am Maßstabe ihrer tariflichen Einstufung zu prüfen, ob die Verweisungstätigkeit dem Versicherten zuzumuten ist (vgl mit eingehenden Nachweisen der vorhergegangenen Rechtsprechung BSG SozR 2200 § 1246 Nr 69 S 215f; Nr 72 S 229f; Nr 77 S 242f; Nr 86 S 269).

Diesen Anforderungen genügt das angefochtene Urteil zunächst insoweit nicht, als es den Kläger auf die sogen Revisions- und Überwachungsarbeiten, die Anlagenkontrolle, Meßtätigkeiten sowie Schalttafel- und Apparatewärtertätigkeiten verwiesen hat. Nach übereinstimmender Rechtsprechung aller für Angelegenheiten der Arbeiterrentenversicherung zuständigen Senate des BSG (vgl Urteil des Senats in BSG SozR 2200 § 1246 Nr 69 S 216 mit Hinweisen auf Entscheidungen des 4. und 5. Senats) ist eine derart pauschale Verweisung auf eine ganze Gruppe von Tätigkeiten für die Verneinung von Berufsunfähigkeit nicht ausreichend. Mit der Pflicht zur "konkreten Benennung" der Verweisungstätigkeit will das BSG der Gefahr begegnen, daß der Versicherte mit pauschalen Behauptungen "auf eine Arbeit verwiesen" wird, "die in der Wirklichkeit der Berufswelt nicht oder kaum aufzufinden ist" (BSG SozR 2200 § 1246 Nr 81 S 252), daß also soziale Wirklichkeit und soziales Leistungsrecht bei Anwendung des § 1246 Abs 2 Satz 2 RVO auseinanderfallen (vgl zB Urteil vom 19. Mai 1983 - 1 RJ 52/82 -). Diese Gefahr ist jedoch bei einer pauschalen Verweisung, wie sie das LSG vorgenommen hat, gegeben.

Im übrigen läßt die vom LSG vorgenommene Verweisung - auch wenn das LSG die Tätigkeiten "insgesamt als leicht" bezeichnet hat - nicht erkennen, welche beruflichen Anforderungen an jede einzelne dieser Tätigkeiten auf dem weiten und differenzierten Feld der Kontroll- und Überwachungsarbeiten (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nr 45 S 134) gestellt werden und ob der Kläger diesen Anforderungen nach seinem gesundheitlichen Leistungsvermögen und nach seinem beruflichen Können und Wissen gewachsen ist. Ferner und vor allem fehlen nachprüfbare Feststellungen zum qualitativen Wert jeder einzelnen der benannten Verweisungstätigkeiten. Diese Feststellungen sind in erster Linie unter Heranziehung der einschlägigen Tarifverträge zu treffen. Zwar ist - wie bereits erwähnt - die tarifliche Einstufung nur ein, wenn auch gewichtiges Hilfsmittel für die Einordnung einer bestimmten Tätigkeit innerhalb des von der Rechtsprechung entwickelten Vierstufenschemas. Hierfür können gegebenenfalls auch weitere Bewertungskriterien wie zB Verantwortung, Gewissenhaftigkeit, Zuverlässigkeit und Umsicht maßgebend sein (vgl BSG SozR 2200 § 1246 Nr 99 S 204f). Indes hat das LSG selbst (S 12 des angefochtenen Urteils) auf die tarifliche Einstufung abgehoben. Sie ist primär anhand des maßgebenden Tarifvertrages zu ermitteln. Allein aus einem - überdies nicht durch nachprüfbare Tatsachen belegten - "vergleichsweise hohen Ansehen" einer Tätigkeit kann nicht zugleich auf deren hohe tarifliche Einstufung geschlossen werden.

Hinsichtlich der Verweisung des Klägers auf die Tätigkeit des Meßwartes fehlt es im angefochtenen Urteil an jeglichen Feststellungen sowohl zu den beruflichen Anforderungen dieser Tätigkeit als auch zu ihrer qualitativen Bewertung und damit an den Grundlagen für die Entscheidung der Fragen, ob der Kläger nach seinem gesundheitlichen Leistungsvermögen und beruflichen Kenntnissen und Fähigkeiten die Tätigkeit des Meßwartes ausüben kann und sie ihm als Versicherten mit dem Status eines Facharbeiters beruflich zumutbar ist.

Unter Berücksichtigung dessen bedarf es zur - angesichts der langen Dauer des Verfahrens im Interesse der Beteiligten alsbaldigen - abschließenden Entscheidung des Rechtsstreits derjenigen ergänzenden Feststellungen, die der erkennende Senat bereits in seinem ersten zurückverweisenden Urteil vom 14. März 1979 (BSG SozR 2200 § 1246 Nr 41 S 126 aE) für erforderlich gehalten hat. Diese Feststellungen liegen auf tatsächlichem Gebiet. Der Senat kann sie nicht treffen. Sie sind vielmehr vom LSG nachzuholen. Zu diesem Zweck ist der Rechtsstreit unter Aufhebung des angefochtenen Urteils an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG). Dieses wird zusätzlich zu erwägen haben, ob die letztmals im Oktober 1977 durch das Gutachten des Sachverständigen Prof Dr. F. vorgenommene Bewertung des gesundheitlichen Leistungsvermögens des Klägers auch der erneuten Entscheidung noch zugrundegelegt werden kann oder aber angesichts der seither abgelaufenen Zeitspanne auch hierzu ergänzende Feststellungen erforderlich oder zumindest zweckmäßig sind.

Das LSG wird ferner über die Kosten des Beschwerde- und des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1660997

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge