Entscheidungsstichwort (Thema)
Massagen sind Heilmittel iS des § 182a RVO. Verfassungsmäßigkeit der Erhebung einer Verordnungsblattgebühr für Massagen
Orientierungssatz
1. Massagen sind Heilmittel iS des § 182a RVO. Sie werden immer dann den Heilmitteln zugerechnet, wenn sich die Tätigkeit des Arztes auf die Anordnung beschränkt und die Hilfeleistung selbst ohne seine Überwachung von dritten Personen durchgeführt wird. Es wird keine Verordnungsblattgebühr erhoben, wenn der Arzt die Massagen in eigener Praxis erbringen läßt. Der Versicherte erhält dann die Maßnahme wie andere Maßnahmen der ärztlichen Behandlung als Sachleistung ohne irgendeine Zuzahlung.
2. Die Erhebung einer Verordnungsblattgebühr für vom Arzt verordnete Massagen verstößt nicht gegen die Verfassung, insbesondere nicht gegen Art 3 GG.
Normenkette
RVO § 182 Abs 1 Nr 1 Buchst a Fassung: 1974-08-07, § 182 Abs 1 Nr 1 Buchst b Fassung: 1981-12-22, § 182a S 1 Buchst b Fassung: 1981-12-22; GG Art 3 Abs 1 Fassung: 1949-05-23
Verfahrensgang
SG Köln (Entscheidung vom 11.07.1983; Aktenzeichen S 19 Kr 257/82) |
Tatbestand
Die am 29. März 1932 geborene Klägerin ist bei der Beklagten gegen Krankheit versichert. Aufgrund ärztlicher Verordnung vom 23. März 1982 erhielt sie im Medizinischen Massage- und Badeinstitut v. W. (W.) acht Massagen. Das Institut erhob eine Verordnungsblattgebühr von 4,-- DM. Den Antrag der Klägerin auf Erstattung der 4,-- DM lehnte die Beklagte ab.
Die dagegen gerichtete Klage hat das Sozialgericht (SG) abgewiesen. Es hat ausgeführt, Massagen seien den Heilmitteln iS des § 182 Abs 1 Nr 1 b Reichsversicherungsordnung (RVO) zuzuordnen, so daß die abgebende Stelle gemäß § 182a RVO zu Recht die Verordnungsblattgebühr erhoben habe.
Die Klägerin hat gegen das am 29. Juli 1983 zugestellte Urteil Revision eingelegt und diese mit einem beim Bundessozialgericht (BSG) am 31. Oktober 1983 eingegangenen Schriftsatz vom 16. September 1983 begründet. Sie hat Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und macht geltend, nach der Rechtsprechung des BSG (BSGE 42, 16, 17) könnten Behandlungsleistungen, welche eine hohe berufliche Qualifikation voraussetzen, wegen des Fehlens eines Bezugs zu sächlichen Mitteln nicht den Heilmitteln zugerechnet werden. Unter den Heilmittelbegriff fielen nur sächliche Mittel. Masseure müßten ein Examen ablegen, zu dessen Bestehen eine hohe berufliche Ausbildung und Qualifikation erforderlich sei. Wenn Massagen nach der Entscheidung des BSG wie Heilmittel zu betrachten seien, so habe sich diese Aussage auf die Frage der Vergütungspflicht bezogen. Die Erhebung der streitigen Verordnungsblattgebühr verstoße gegen Art 3 des Grundgesetzes (GG), denn die Klägerin würde dadurch ungleich behandelt gegenüber Patienten, die Massagen unter ärztlicher Aufsicht oder von Ärzten erhielten.
Die Klägerin beantragt, die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Köln vom 11. Juli 1983 sowie des Bescheides vom 6. April 1982 und des Widerspruchsbescheides vom 21. Oktober 1982 zu verpflichten, die eingezogene Verordnungsblattgebühr von 4,-- DM an die Klägerin auszuzahlen sowie festzustellen, daß für die Abrechnung von Massagen nach kassenärztlicher Anordnung keine Verordnungsblattgebühr zu entrichten sei.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist zulässig. Der Klägerin war gemäß § 67 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
Die Revision ist nicht begründet. Die Verordnungsblattgebühr von 4,-- DM ist zu Recht erhoben worden. Gemäß § 182a RVO idF des Gesetzes zur Ergänzung und Verbesserung der Wirksamkeit kostendämpfender Maßnahmen in der Krankenversicherung (Kostendämpfungs-Ergänzungsgesetz -KVEG-) vom 22. Dezember 1981 (BGBl I 1578) zahlt der Versicherte, der das 16. Lebensjahr vollendet hat, als Verordnungsblattgebühr bei der Abnahme von Heilmitteln 4,-- DM je Verordnung, jedoch nicht mehr als die tatsächlich entstandenen Kosten an die abgebende Stelle. Massagen sind im Sinn dieser Vorschrift Heilmittel.
Die Vorschrift des § 182a RVO geht von der herkömmlichen Zuordnung der Massagen zur Gruppe der Heilmittel aus und bestätigt sie damit. Im Bericht des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung zum KVEG werden die Massagen deshalb als Beispiel für ein Heilmittel genannt (BT-Drucks 9/977 S 22 zu Art 1 Nr 3). Die Bestimmung über die Verordnungsblattgebühr für Heilmittel wurde bereits mit Bekanntmachung der neuen Fassung der RVO vom 15. Dezember 1924 (RGBl I 779) in diese eingeführt. Nach § 182 Nr 1 RVO in der damaligen Fassung wurden als Krankenhilfe auch die Versorgung mit Arzneien sowie Brillen, Bruchbändern und anderen kleineren Heilmitteln gewährt; von den Kosten für Heilmittel hatten die Versicherten in allen Fällen 10 % selbst zu tragen (§ 182a RVO). Seither werden die Massagen unbestritten den Heilmitteln zugerechnet, wenn sich die Tätigkeit des Arztes auf die Anordnung beschränkt und die Hilfeleistung selbst ohne seine Überwachung von dritten Personen durchgeführt wird (RVA in EuM 35, 322; BSG SozR Nr 1 zu § 122 RVO; BSGE 33, 30, 31; Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über die Verordnung von Heilmitteln und Hilfsmitteln in der kassenärztlichen Versorgung vom 26. Februar 1982 - BAnz Nr 125 vom 13. Juli 1982, Beilage A 1.2.2 iVm B 1.1; Heinemann/Liebold, Kassenarztrecht Stand Oktober 1983 § 368 RVO Anm 19 = C 43; Krauskopf/Schroeder-Printzen, Soziale Krankenversicherung Stand Februar 1984 § 182 RVO Anm 3.2.2; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung Stand 1984 II S 386 h II; Peters, Handbuch der Krankenversicherung Stand: 77. Nachtrag zur 17. Auflage § 182 RVO Anm 4 b Abs 1; 4 c). Auch aus der neueren Rechtsprechung des BSG ergeben sich keine Zweifel an dieser Zuordnung. Der Senat hat es als zum Begriff des Heilmittels gehörend bezeichnet, daß bei einer Heilmaßnahme zusätzlich zu Dienstleistungen ein sächliches Mittel angewendet wird. Auch wenn aber dieses Merkmal fehlt, hat der Senat Heilmaßnahmen einer dafür ausgebildeten nichtärztlichen Fachkraft wie Heilmittel beurteilt (BSGE 42, 16, 17). Diese Beurteilung wird zusätzlich durch die Formulierung des § 10 Nr 3 des Gesetzes über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation vom 7. August 1974 (BGBl I 1881) nahegelegt. Danach umfaßt die medizinische Rehabilitation Heilmittel einschließlich Krankengymnastik, Bewegungstherapie, Sprachtherapie und Beschäftigungstherapie, also selbständige Leistungen von Nichtärzten mit besonderer beruflicher Qualifikation und bei zumindest nur unwesentlicher Anwendung sächlicher Mittel.
Unter Bezugnahme auf die Entscheidung in BSGE 42, 16, 17 hat der Senat später entschieden, daß die testpsychologische Untersuchung durch einen Diplompsychologen kein Heilmittel iS des § 182 Abs 1 Nr 1 b RVO sei. Gegenstand der in dieser Bestimmung zusammengefaßten Leistungsgruppe seien nur sächliche Mittel (BSGE 48, 258, 263). Auch in diesem Urteil hat der Senat aber die rechtliche Beurteilung von Dienstleistungen ohne sächliche Mittel wie Heilmittel nicht ausgeschlossen. Er hat nämlich entscheidend darauf abgestellt, daß die testpsychologische Untersuchung nicht von einem Arzt angeordnet war. Deshalb hat er hervorgehoben, daß es hinsichtlich der flankierenden Vorschriften der §§ 122, 368 ff RVO bei der bisherigen Regel geblieben sei; damit ergebe sich, daß die von dem Nichtarzt eigenverantwortlich durchgeführten testpsychologischen Untersuchungsmaßnahmen kein Heilmittel iS des § 182 Abs 1 Nr 1 Buchst b RVO seien.
Der Entscheidung des Senats vom 9. März 1982 (SozR 2200 § 182 RVO Nr 80) läßt sich entgegen der Meinung der Klägerin nicht entnehmen, daß sämtliche Behandlungsleistungen, sofern sie auf kassenärztliche Anordnung zurückgehen, den ärztlichen Behandlungsleistungen unterfielen. Das Urteil befaßt sich nicht mit der Frage, ob die streitige Maßnahme, eine verhaltenspsychologische Behandlung bei einer nichtärztlichen Diplompsychologin, als Heilmittel angesehen werden könnte. Vielmehr hat der Senat ausgesprochen, der gesetzlich Krankenversicherte könne eine Krankheitsbehandlung grundsätzlich nur durch einen Arzt in Anspruch nehmen. Das in § 182 RVO vor der Aufzählung der Krankenpflegearten eingefügte Wort "insbesondere" bedeute nicht, daß damit für das System der gesetzlichen Krankenversicherung über den Kreis der approbierten Ärzte hinaus eine andere Personengruppe als zur selbständigen Heilbehandlung berechtigt angesehen werden könnte. Auch ein Heilmittel erhalte seine leistungsrechtliche Bedeutung iS des § 182 Abs 1 RVO dadurch, daß es regelmäßig im Rahmen der ärztlichen Heilbehandlung und damit gerade aufgrund ärztlicher Versorgung eingesetzt werde.
Die Erhebung einer Verordnungsblattgebühr für vom Arzt verordnete Massagen verstößt nicht gegen die Verfassung, insbesondere nicht gegen Art 3 GG. Zutreffend weist die Klägerin allerdings darauf hin, daß keine Verordnungsblattgebühr erhoben wird, wenn der Arzt die Massagen in eigener Praxis erbringen läßt. Die Massagen werden ihm dann nach dem Bewertungsmaßstab für kassenärztliche Leistungen 1978 (Ziffer 520 - 527) unmittelbar vergütet, der Versicherte erhält die Maßnahme wie andere Maßnahmen der ärztlichen Behandlung als Sachleistung ohne irgendeine Zuzahlung.
Indessen weisen die vom Arzt verabreichten und die von ihm nur verordneten Massagen Ungleichheiten auf, die der Gesetzgeber zum Anlaß einer unterschiedlichen gesetzlichen Regelung nehmen durfte. Artikel 3 GG enthält das Gebot, wesentlich Gleiches gleich und Ungleiches seiner Eigenart entsprechend verschieden zu behandeln (Leibholz/Rinck, Kommentar zum GG Art 3 Anm 2 mit ausführlichen Hinweisen auf die Rechtsprechung des BVerfG). Bei der Prüfung der Vereinbarkeit einer Vorschrift mit diesem Gebot ist zu berücksichtigen, daß der Normgeber bei der Regelung von Ansprüchen im Bereich der darreichenden Verwaltung nach der Natur der Sache einen weiteren Gestaltungsspielraum hat als bei gesetzlichen Eingriffen (BVerfGE 11, 50).
Zweck der Regelung des § 182a RVO ist es, den Versicherten zu einer verantwortungsbewußten Inanspruchnahme von Heilmitteln zu veranlassen (BT-Drucks 9/977 S 22 zu Art 1 Nr 3). Dabei geht das Gesetz von der größeren Mitverantwortung des Versicherten bei der Verordnung von Arznei- oder Heilmitteln oder vor der Abnahme der verordneten Mittel aus. Bei der Auswahl der Krankenpflegemaßnahmen, deren Inanspruchnahme eine Zahlungspflicht des Versicherten auslöst, hat dem Gesetzgeber ein Gestaltungsspielraum zugestanden, den er mit der Bestimmung des § 182a RVO nicht überschritten hat. Der Senat hat auch bisher keine Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Verordnungsblattgebühr gehabt (vgl SozR 2200 § 182a RVO Nr 2).
Die Revision war aus diesen Gründen mit der Kostenfolge aus § 193 SGG zurückzuweisen.
Fundstellen