Verfahrensgang

SG Speyer (Urteil vom 19.09.1983; Aktenzeichen S 9 K 36/83)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 19. September 1983 – S 9 K 36/83 – aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht Rheinland-Pfalz zurückverwiesen.

 

Tatbestand

I

Unter den Beteiligten ist streitig, ob die Klägerin Weiterzahlung des Mutterschaftsgeldes für die Zeit verlangen kann, für die sie bei Bestehen eines Arbeitsverhältnisses Mutterschaftsurlaub hätte beanspruchen können.

Die Klägerin wurde am 23. November 1982 von einem Sohn entbunden. In der Zeit vom 17. August 1981 bis zum 12. Mai 1982 hatte sie Übergangsgeld von der Bundesanstalt für Arbeit (BA) gemäß § 59 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) idF des Arbeitsförderungs-Konsolidierungsgesetzes (AFKG) vom 22. Dezember 1981 (BGBl I 1497) aufgrund ihrer Teilnahme an einer Maßnahme zur beruflichen Rehabilitation, ab 14. Mai 1982 bis zum Beginn der Schutzfrist nach § 3 Abs. 2 des Mutterschutzgesetzes (MuSchG) idF des Zweiten Haushaltsstrukturgesetzes (HStruktG) vom 22. Dezember 1981 (BGBl I 1523) und auch danach Mutterschaftsgeld bezogen. Am 15. Dezember 1982 beantragte die Klägerin, ihr ab dem 19. Januar 1983 Mutterschaftsgeld gemäß § 200a Abs. 3 der Reichsversicherungsordnung (RVO) iVm § 8a MuSchG bis 22. Mai 1983 zu gewähren. Den Antrag lehnte die Beklagte ab, da die Klägerin in den letzten 12 Monaten vor der Entbindung nicht für mindestens 9 Monate Arbeitslosengeld (Alg), Arbeitslosenhilfe (Alhi) oder Unterhaltsgeld (Uhg) bezogen habe. Den Widerspruch der Klägerin leitete sie mit deren Einverständnis dem Sozialgericht (SG) als Klage gemäß § 85 Abs. 4 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) zu.

Das SG hat die Beklagte zur Zahlung verurteilt. In den Gründen führte es dazu unter Heranziehung der Gesetzesmaterialien im wesentlichen aus, es wäre ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG), wenn Frauen einzig und allein deshalb aus Anlaß ihrer Schwangerschaft keinen Mutterschaftsurlaub bzw Mutterschaftsgeld erhalten würden, weil sie in dem letzten Jahr vor Beginn der Schutzfrist Übergangsgeld nach § 59 AFG und nicht Uhg nach § 44 AFG erhielten. Für eine unterschiedliche Behandlung dieser Frauen sei kein sachlicher Grund ersichtlich, denn beide Leistungen unterschieden sich lediglich in der Bezeichnung. Sie hätten beide Lohnersatzfunktion und sollten den Unterhalt der Teilnehmerin an Förderungsmaßnahmen der BA, seien es solche nach § 43 AFG oder nach § 56 AFG, sicherstellen. Deshalb sei die Vorschrift in verfassungskonformer Weise dahingehend auszulegen, daß Mutterschaftsgeld während des Mutterschaftsurlaubs nach § 8a Abs. 1 MuSchG iVm § 200a Abs. 3 RVO auch dann zu gewähren sei, wenn in den letzten 12 Monaten vor der Entbindung für mindestens 9 bzw 7 Monate ein Arbeitsverhältnis oder ein Anspruch auf Alg, Alhi, Uhg oder Übergangsgeld nach dem AFG bestanden habe.

Die Beklagte hat Sprungrevision eingelegt. Sie rügt die Verletzung von § 200a Abs. 3 RVO und § 8a MuSchG und den Verfahrensmangel der fehlenden Beiladung des Bundesversicherungsamtes (BVA). Sie ist der Auffassung, die Regelung des § 8a Abs. 1 Satz 2 MuSchG sei zur Verhinderung einer mißbräuchlichen Ausnutzung des Mutterschaftsurlaubes eingefügt worden; sie habe sich dem Gesetzestext entsprechend korrekt verhalten und werde auch dazu durch verschiedene Verlautbarungen des BVA angehalten. Sofern das erstinstanzliche Gericht in dem belastenden Verwaltungsakt einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG sehe und andererseits feststelle, daß der Gesetzgeber die Übergangsgeldbezieherin nach § 59 AFG nicht in seine Gesetzgebungssystematik mit einbezogen habe, so könne dies nicht zu ihren Lasten ausgelegt werden.

In Anbetracht der Tatsache, daß das streitige Mutterschaftsgeld vom Bund bzw dem BVA im Endeffekt zu zahlen wäre, sofern der Klage stattgegeben würde, habe die Beklagte mit Schriftsatz vom 13. Juli 1983 beim Gericht der ersten Instanz beantragt, das BVA beizuladen (§ 75 Abs. 2 SGG). Das Beiladungsbegehren sei in der mündlichen Verhandlung abgelehnt worden; darin werde ein Verfahrensverstoß gesehen und gerügt.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 19. September 1983 – Az.: S 9 36/83 – aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision ist im Sinn der Zurückverweisung der Sache an das Landessozialgericht (LSG) begründet. Anhand der Feststellungen des SG kann der Senat nicht abschließend entscheiden, ob dieses Gericht mit Recht den angefochtenen Bescheid aufgehoben und die Beklagte zur Leistung des Mutterschaftsgeldes verurteilt hat.

Die Zurückverweisung ist allerdings nicht schon wegen des von der Beklagten gerügten Verfahrensmangels der fehlenden Beiladung der Bundesrepublik Deutschland geboten. Auf Mängel des Verfahrens kann die Revision nicht gestützt werden, da es sich um eine Sprungrevision handelt (§ 161 Abs. 4 SGG). Die Beklagte macht geltend, die Bundesrepublik wäre „von Amts wegen beizuladen gewesen (§ 75 Abs. 1 SGG)”. Auf Verfahrensmängel, die in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu beachten sind, kann auch eine Sprungrevision gestützt werden (BSG SozR 1500 § 161 Nr. 26). Das Fehlen der Beiladung der Bundesrepublik gehört aber nicht zu diesen Verfahrensmängeln. Von Amts wegen zu beachten ist das Fehlen einer notwendigen Beiladung iS des § 75 Abs. 2 Aternative 1 SGG (BSG SozR 1500 § 75 SGG Nr. 1 und Nr. 48 mwN). Ein Fall der notwendigen Beiladung liegt aber nicht vor. Von der Entscheidung im vorliegenden Rechtsstreit wird die Bundesrepublik insoweit betroffen, als nach § 200d Abs. 3 RVO idF des Gesetzes zur Einführung eines Mutterschaftsurlaubs vom 25. Juni 1979 (BGBl I 797) der Bund den Kassen das hier allein in Betracht kommende Mutterschaftsgeld nach § 200a Abs. 3 RVO erstattet. Wie bei der Zahlung des Zuschusses zum Mutterschaftsgeld nach § 14 Abs. 2 MuSchG, beschränkt sich auch hier der Bund auf die Finanzierung, während für die Entscheidung über die Gewährung des Mutterschaftsgeldes die Krankenkasse zuständig ist (s BSG SozR 2200 § 200a RVO Nr. 5). Nahe liegt in diesen Fällen allerdings – jedenfalls wenn es um grundsätzliche Rechtsfragen geht – die Beiladung der Bundesrepublik Deutschland nach § 75 Abs. 1 SGG. Es ist zu erwägen, ob das SG nicht in entsprechender Anwendung des § 75 Abs. 1 Satz 2 SGG auf Antrag der Beklagten zur Beiladung der Bundesrepublik verpflichtet gewesen wäre. Ein Verstoß gegen eine solche Pflicht würde aber jedenfalls keinen von Amts wegen zu beachtenden Verfahrensmangel darstellen, denn die Beiladung nach § 75 Abs. 1 Satz 2 SGG setzt einen Antrag voraus.

Der Klägerin kann das begehrte Mutterschaftsgeld nach § 200a Abs. 3 RVO zustehen. Die Versicherung der Klägerin in der gesetzlichen Krankenversicherung ergibt sich aus der Feststellung des SG, daß sie bei Beginn der Schutzfrist des § 3 Abs. 2 MuSchG Alg bezogen – Versicherung gemäß § 155 AFG – und danach Anspruch auf Mutterschaftsgeld hatte (§ 311 Nr. 2 RVO). Für den Anspruch auf Weiterzahlung des Mutterschaftsgeldes nach § 200a Abs. 3 RVO ergibt sich aus der Tatsache des Bezuges von Alg in der Zeit vom 14. Mai 1982 bis zum 27. Oktober 1982 und von Übergangsgeld in der Zeit vom 17. August 1981 bis zum 12. Mai 1982 auch, daß die Klägerin in der Zeit zwischen dem 10. und dem 4. Monat einschließlich dieser Monate vor der Entbindung mindestens 12 Wochen versichert war (§ 200a Abs. 1 RVO). Zu der Versicherung nach § 155 AFG in der Zeit des Alg-Bezuges tritt nämlich insoweit die Zeit der Versicherung nach § 165 Abs. 1 Nr. 4 RVO aufgrund des Bezuges von Übergangsgeld wegen der Teilnahme an einer berufsfördernden Maßnahme zur Rehabilitation.

Der Anspruch der Klägerin auf Weiterzahlung des Mutterschaftsgeldes würde nach § 200a Abs. 3 RVO ferner voraussetzen, daß die Klägerin bei Bestehen eines Arbeitsverhältnisses Mutterschaftsurlaub hätte beanspruchen können. Zum Anspruch auf Mutterschaftsurlaub gehört, daß in den letzten 12 Monaten vor den Entbindung für mindestens 9 Monate, bei Frühgeburten für mindestens 7 Monate, ein Arbeitsverhältnis oder ein Anspruch auf Alg, Alhi oder Uhg nach dem AFG bestanden hat (§ 8a Abs. 1 Satz 2 MuSchG). Das SG hat keine ausdrücklichen Feststellungen zum Anspruch auf Alg bei Beginn der Schutzfrist des § 3 Abs. 2 MuSchG oder auf Übergangsgeld in der Rahmenfrist des § 8a Abs. 1 Satz 2 MuSchG getroffen. Insbesondere enthält das Urteil des SG aber keinerlei Feststellungen zum Anspruch auf Uhg in der genannten Rahmenfrist. Deshalb ist die Sache gemäß § 170 Abs. 4 SGG an das LSG zurückzuverweisen.

Das LSG wird nunmehr insbesondere Ermittlungen über den Anspruch auf Uhg anstellen müssen. Dabei wird es die Voraussetzungen des Uhg-Anspruchs nach §§ 42 und 46 AFG iVm § 47 Abs. 1 Satz 2 AFG zu beachten haben. Die Klägerin kann nach § 46 AFG Anspruch auf Uhg gehabt haben, wenn sie innerhalb der letzten 3 Jahre vor Beginn der beruflichen Rehabilitationsmaßnahme 2 Jahre lang eine die Beitragspflicht begründende Beschäftigung ausgeübt oder einen gleichgestellten Tatbestand erfüllt hat. Insoweit sind die Voraussetzungen für den Anspruch auf Uhg denjenigen für das Übergangsgeld gemäß § 59 AFG ähnlich, aber enger als jene, weil es bei Behinderten genügt, wenn die Tatbestände innerhalb der letzten 5 Jahre vor Beginn der Maßnahme erfüllt sind. § 42 AFG gilt für das Übergangsgeld nicht.

Der Bezug des Übergangsgeldes oder der Anspruch auf diese Leistung steht dem Anspruch auf Uhg iS des § 8a Abs. 1 Satz 2 MuSchG nicht entgegen. Vielmehr führt die Zuerkennung eines Anspruchs auf Übergangsgeld lediglich zum Ruhen des Anspruchs auf Uhg. Nach § 44 Abs. 7 AFG gelten für das Uhg die Vorschriften des Vierten Abschnittes über das Alg entsprechend, soweit die Besonderheiten des Uhg nicht entgegenstehen. Zu den Vorschriften des Vierten Abschnittes gehört die Bestimmung des § 118 AFG. Der Anspruch auf Alg ruht nach § 118 Abs. 1 Nr. 2 AFG während der Zeit, für die dem Arbeitslosen ein Anspruch auf Übergangsgeld nach diesem oder einem anderen Gesetz zuerkannt ist. Der Anwendung dieser Bestimmung auf das Uhg stehen Besonderheiten dieser Leistung nicht entgegen. Andererseits werden auf das Übergangsgeld nach dem AFG angerechnet: Arbeitsentgelt, Arbeitseinkommen, Renten- und Geldleistungen, die eine öffentlich-rechtliche Stelle im Zusammenhang mit der Teilnahme an einer berufsfördernden Maßnahme zur Rehabilitation gewährt (§ 59e AFG); nicht angerechnet auf das Übergangsgeld wird also das Uhg, denn es ist keine zur Rehabilitation gewährte Geldleistung. Somit hat das Übergangsgeld Vorrang vor dem Uhg, aber der Anspruch auf Uhg ruht lediglich, so daß er iS des § 8a Abs. 1 Satz 2 MuSchG als bestehend anzusehen ist.

Mit der Zurückverweisung erhält das LSG auch Gelegenheit, die Bundesrepublik Deutschland beizuladen. Dabei ist zu beachten, daß der Rechtsstreit grundsätzliche Bedeutung für die Auslegung des § 8a Abs. 1 Satz 2 MuSchG haben könnte, wenn die Klägerin keinen Anspruch auf Uhg gehabt hätte. Es wäre dann nämlich bei Bestehen eines Anspruchs auf Übergangsgeld nach dem AFG die analoge Anwendung der Vorschrift und ferner bei Verneinung dieser Analogie ihre Verfassungsmäßigkeit zu prüfen.

Das LSG wird über die Kosten des Revisionsverfahrens mit zu entscheiden haben.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI924022

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