Leitsatz (amtlich)

Gibt es im Zeitpunkt der Anmeldung des Anspruchs am gewöhnlichen Aufenthaltsort des Verletzten oder in dessen näherer, durch tägliches Pendeln erreichbaren Umgebung mangels eines entsprechenden Gewerbezweigs keinen vergleichbaren Beschäftigen, so ist der Berechnung des Jahresarbeitsverdienstes in der Regel das Arbeitseinkommen eines vergleichbaren Versicherten zugrunde zu legen, der an einem in möglicher Nähe des gewöhnlichen Aufenthaltsorts des Versicherten liegenden Ort in einem gleichen oder ähnlichen Gewerbezweig beschäftigt ist.

Als Arbeitseinkommen eines vergleichbaren Versicherten ist der durchschnittliche Verdienst aller gleichartigen Versicherten anzusehen.

 

Leitsatz (redaktionell)

Es entspricht dem Eingliederungsgedanken des FRG, daß der Versicherte bei der Errechnung des Jahresarbeitsverdienstes so gestellt wird, als ob er während seines Berufslebens an seinem zur Zeit der Antragstellung gewöhnlichen Aufenthaltsort gewohnt und gearbeitet hätte.

 

Normenkette

FRG § 8 Fassung: 1960-02-25, § 7 Fassung: 1960-02-25

 

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 25. März 1965 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

 

Gründe

I

Im Streit ist die Höhe der Rente aus der gesetzlichen Unfallversicherung (Berechnung des Jahresarbeitsverdienstes nach § 8 i. V. mit § 7 des Fremdrentengesetzes - FRG -).

Der Kläger war vom 1. Juli 1930 bis zum 30. Juni 1945 als Gedingehauer auf der Steinkohlenzeche "Fuchs" der Niederschlesischen Bergbau-AG ( Nibag ) in Waldenburg/Niederschlesien und vom 1. Juli 1945 bis zum 3. Dezember 1956 in gleicher Eigenschaft auf derselben Zeche tätig, die seitdem unter polnischer Verwaltung den Namen " Thorez " führt. Am 10. Juni 1957 wurde er in die Bundesrepublik Deutschland ausgesiedelt. Zur Zeit der Anmeldung seines Anspruchs auf Entschädigung aus der gesetzlichen Unfallversicherung wohnte er in Hochreuth , Gemeinde Oberkreuzberg ( Ldkr . Grafenau). Die Beklagte bewilligte dem Kläger durch Bescheid vom 26. Juni 1958 zunächst eine Teilrente von 40 v. H. der Vollrente als Dauerrente. Der Berechnung der Rente lag ein fiktiver Jahresarbeitsverdienst (JAV) nach den Vorschriften des Fremdrenten- und Auslandsrentengesetzes (FAG) vom 7. August 1953 (BGBl I 848) in Höhe von 4800 DM zugrunde. Dieser Bescheid wurde bindend.

Auf Antrag des Klägers stellte die Beklagte durch Bescheid vom 24. Oktober 1960 die Entschädigung des Klägers mit Wirkung vom 1. Januar 1959 an gemäß Art. 6 § 2 des Fremdrenten- und Auslandsrenten-Neuregelungsgesetzes (FANG) vom 26. Februar 1960 (BGBl I 93) fest. Sie berechnete die Rente nach einem JAV von 5613,74 DM. Dabei handelt es sich um das Arbeitseinkommen des Hauers Eduard K aus dem Kohlenbergwerk Peißenberg/Obb., das dieser nach dem Lohnnachweis vom 17. Oktober 1956 bezogen hatte.

Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 24. Oktober 1960 und eines weiteren - inzwischen nicht mehr streitbefangenen - Bescheides vom 21. April 1961 verurteilt, die Entschädigung des Klägers vom 1. Januar 1959 an "unter Zugrundelegung eines JAV festzustellen, der sich nach einer Vergleichsperson im Jahre vor dem Beginn der Berufskrankheit in einem Betrieb des Steinkohlenbergbaus im Bundesgebiet richtet, welcher eine ähnliche wirtschaftliche Bedeutung besitzt wie die Niederschlesische Bergbau-AG".

Auf die Berufung der Beklagten hat das Landessozialgericht (LSG) durch Urteil vom 25. März 1965 das Urteil des SG aufgehoben und die Bescheide vom 24. Oktober 1960 und 16. Dezember 1964 dahin geändert, daß die Beklagte die Rente des Klägers ab 1. Januar 1959 unter Zugrundelegung eines JAV zu berechnen hat, der dem durchschnittlichen Verdienst eines Gedingehauers im oberbayerischen Pechkohlenbergbau in der Zeit vom 1. Dezember 1955 bis zum 30. November 1956 entspricht. Im übrigen hat es die Berufung zurückgewiesen, die Klage abgewiesen und die Revision zugelassen.

Das LSG hat zur Begründung ausgeführt: Nach § 8 i. V. mit § 7 FRG sei der JAV des Verletzten so festzusetzen, als ob dieser den Unfall in einem vergleichbaren Betrieb bei einer vergleichbaren Beschäftigung an dem Ort erlitten hätte, an welchem er nach der Vertreibung oder Umsiedlung im Zeitpunkt der Anmeldung seines Anspruchs gewohnt hat. Der Gesetzgeber habe allerdings nur den Regelfall geordnet, in dem eine vergleichbare Beschäftigung am Aufenthaltsort des vertriebenen Versicherten im Bundesgebiet vorkommt. Im vorliegenden Fall müsse ein Vergleich mit einem im bayerischen Steinkohlenbergbau beschäftigten Versicherten ausscheiden. Dieser Bergbau sei nämlich nach der Zahl der Beschäftigten und dem Anteil an der Gesamtförderung von völlig untergeordneter Bedeutung und werde nur aus besonderen Gründen aufrechterhalten. Dagegen sei ein Hauer im oberbayerischen Pechkohlenbergbau mit dem Kläger durchaus vergleichbar. Die Abbauverhältnisse seien bei Steinkohle und Pechkohle, abgesehen von gewissen technischen Verschiedenheiten, nahezu gleich. Auch eine Gegenüberstellung des Lohnniveaus im bayerischen Pechkohlenbergbau mit dem des niederschlesischen Steinkohlenbergbaus zeige, daß die in Bayern Pechkohle fördernden Betriebe mit den Unternehmen der Nibag verglichen werden könnten. Allerdings sei der "vergleichbare Beschäftigte" im Sinne des § 8 FRG nicht irgendeine natürliche Person, die hinsichtlich Alter, Familienstand usw. die gleichen oder ähnlichen Merkmale aufweise wie der Antragsteller, vielmehr werde man dem Sinn und Zweck dieser Vorschrift nur gerecht, wenn der durchschnittliche JAV gleichartiger Beschäftigter der Rentenberechnung zugrunde gelegt werde. Im vorliegenden Fall komme es an sich auf die Zeit vom 4. Dezember 1955 bis zum 3. Dezember 1956 an. Da der Hauerdurchschnittslohn für einzelne Tage mangels statistischer Unterlagen nicht zu ermitteln sei, sondern nur Monatsstatistiken vorlägen, müsse der Hauerdurchschnittslohn in der Zeit vom 1. Dezember 1955 bis zum 30. November 1956 der Berechnung des JAV zugrunde gelegt werden.

Gegen dieses Urteil hat die Beklagte Revision eingelegt. Sie rügt die Verletzung des § 8 FRG. Sie ist zwar mit dem Berufungsgericht der Auffassung, daß ein Hauer im oberbayerischen Pechkohlenbergbau mit einem Hauer des niederschlesischen Bergbaus vergleichbar ist. Die Ansicht des LSG aber, daß dem Begriff des "vergleichbaren Beschäftigten" am besten gerecht werde, wenn der durchschnittliche JAV gleichartiger Beschäftigter der Rentenberechnung zugrunde gelegt werde, hält sie für unzutreffend Die Heranziehung einer natürlichen Person unter Berücksichtigung von Alter und Familienstand bei gleichartiger Beschäftigung in gleichartigem Betriebe sei nach dem Wortlaut und Sinn des Gesetzes das einzig mögliche Verfahren.

Sie beantragt,

die Urteile des Bayerischen Landessozialgerichts vom 25. Mai 1965 und des Sozialgerichts München vom 7. September 1962 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger ist nicht durch einen zugelassenen Prozeßbevollmächtigten vertreten.

II

Die zulässige Revision ist nicht begründet.

Zu Recht hat das Berufungsgericht angenommen, daß die Höhe der Verletztenrente des Klägers, die sich für die Zeit vom 1. Januar 1959 an nach dem FRG idF des FANG vom 25. Februar 1960 (BGBl I 93) richtet, unter Zugrundelegung des nach § 8 i. V. m. § 7 aaO zu berechnenden JAV zu ermitteln ist. Nach § 8 aaO gilt als Jahresarbeitsverdienst, falls er - wie hier - in einer fremden Währung ausgedrückt ist, der Betrag, der für einen vergleichbaren Beschäftigten im Zeitpunkt des Unfalls bzw. im Zeitpunkt des Beginns der Berufskrankheit an dem für das anzuwendende Recht maßgeblichen Ort (§ 7) festzusetzen gewesen wäre. Nach § 7 aaO ist als maßgebender Ort in diesem Sinne der gewöhnliche Aufenthaltsort des Berechtigten zur Zeit der Anmeldung des Anspruchs anzusehen.

Der Kläger hatte im Zeitpunkt der Anmeldung seines Anspruchs seinen gewöhnlichen Aufenthaltsort in Hochreuth , Gemeinde Oberkreuzberg (Landkreis Grafenau). An diesem Ort oder in dessen näherer, durch tägliches Pendeln zu erreichender Umgebung gibt es weder ein Steinkohlenbergwerk noch ein ähnliches Bergwerk. Es kann daher nicht der für einen vergleichbaren Beschäftigten an diesem Ort maßgebende JAV festgestellt werden. In einem solchen Fall muß bei sinngemäßer Auslegung dieser Vorschrift der Berechnung der Rente der JAV eines vergleichbaren Beschäftigten in einem Steinkohlenbergwerk oder einem ähnlichen Bergwerk in möglichster Nähe des gewöhnlichen Aufenthaltsortes des Klägers zugrunde gelegt werden. Dies kommt dem Eingliederungsgedanken des FRG am nächsten. Denn das FRG will den Versicherten so gestellt sehen, als ob er während seines Berufslebens an seinem zur Zeit der Antragstellung gewöhnlichen Aufenthaltsort gewohnt und gearbeitet hätte. Er soll damit dem vergleichbaren einheimischen Versicherten gleichgestellt werden. Diesem Grundgedanken widerspräche es, wenn der Versicherte schlechter oder besser gestellt würde als ein vergleichbarer Einheimischer. Wenn in einem Fall wie dem vorliegenden eine Gleichstellung auch nicht voll zu erreichen ist, weil es an dem gewöhnlichen Aufenthaltsort des Klägers oder in dessen durch tägliches Pendeln erreichbaren Umgebung kein Steinkohlenbergwerk oder ähnliches Bergwerk gibt, so entspricht es diesem Grundgedanken in der Regel doch am meisten, wenn der JAV eines Gedingehauers als maßgebend angesehen wird, der in möglichster Nähe des ständigen Aufenthaltsortes des Klägers gewohnt und gearbeitet hat. Denn man kann dann davon ausgehen, daß die Lebensverhältnisse eines solchen Versicherten am ehesten denen eines vergleichbaren Versicherten ähneln, der im Zeitpunkt des Unfalls oder des Beginns der Berufskrankheit am gewöhnlichen Aufenthaltsort des Klägers gewohnt und gearbeitet hat. Die JAVe der Gedingehauer des Steinkohlenbergwerks in Stockheim scheiden bei dieser Betrachtung aus, weil dieses Bergwerk nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts deshalb einen Ausnahmecharakter aufweist, weil es nur aus besonderen, d. h. außerwirtschaftlichen Gründen aufrechterhalten wird. Es bleibt daher nur übrig, die Zechen des oberbayrischen Pechkohlenbergbaus als maßgebend anzusehen, wie das Berufungsgericht zu Recht angenommen hat. Auf die JAVe der Gedingehauer im rheinisch-westfälischen Steinkohlenbergbau, im Saarbergbau oder im Aachener Steinkohlenbergbau kann nicht zurückgegriffen werden, weil diese Bergbaugebiete erheblich weiter von dem zur Zeit der Antragstellung gewöhnlichen Aufenthaltsort des Klägers entfernt sind als der oberbayerische Pechkohlenbergbau und anzunehmen ist, daß die Lebensverhältnisse in jenen Gebieten sich stärker von denen in Hochreuth unterscheiden als von denen im Gebiet des oberbayerischen Pechkohlenbergbaus.

Es kommt nach diesen Grundsätzen nicht auf die Verhältnisse der früheren Zeche des Klägers in Schlesien an; deren Größe und Bedeutung spielt hier also keine Rolle. Denn nicht die Entschädigung, sondern die Eingliederung ist Zweck des FRG. Nur insofern sind die früheren Verhältnisse des Klägers von Bedeutung, als es sich um den JAV eines "vergleichbaren Beschäftigten" handeln muß. Maßgebend ist mithin der JAV eines Versicherten, dessen Beruf dem des Klägers vor der Umsiedlung vergleichbar ist. Da der Kläger vor diesem Zeitpunkt Gedingehauer im Steinkohlenbergbau war, ist im vorliegenden Fall der JAV eines Gedingehauers im Steinkohlenbergbau oder in einem ähnlichen Bergbau zugrunde zu legen. Dagegen kann nicht von dessen Arbeitseinkommen ausgegangen werden, das ein Gedingehauer erzielt, der in einem Steinkohlenbergwerk oder einem ähnlichen Bergwerk beschäftigt war, das in seiner Größe und Bedeutung dem Bergwerk entspricht, in dem der Kläger zur Zeit des Unfalls oder bei Beginn der Berufskrankheit gearbeitet hat.

Das Berufungsgericht durfte auch ohne Bedenken annehmen, daß der oberbayerische Pechkohlenbergbau ähnliche Verhältnisse aufweist wie der Steinkohlenbergbau und daß die Tätigkeit des Gedingehauers dieses Bergbaus mit dem eines Gedingehauers des niederschlesischen Steinkohlenbergbaus vergleichbar ist. Wenn auch nicht alle betrieblichen Verhältnisse dieses Bergbaus denen des Steinkohlenbergbaus gleichen, so ähneln sich diese Bergbauarten doch in wesentlichen Punkten. Deshalb hat das LSG zu Recht den JAV eines in diesem Bergbau beschäftigten Gedingehauers der Berechnung der Rente des Klägers zugrunde gelegt.

Zutreffend hat das Berufungsgericht auch entschieden, daß als "vergleichbarer Beschäftigter" im Sinne dieser Vorschrift nicht ein konkreter Gedingehauer, sondern der durchschnittliche Gedingehauer anzusehen ist und daß daher von dem durchschnittlichen Lohn der Gedingehauer des Vergleichsbergbaus auszugehen ist. Nur so kann eine praktikable und alle Zufälligkeiten ausschließende Anwendung der §§ 7, 8 FRG erreicht werden. Im vorliegenden Fall führt dies zu dem Ergebnis, daß der durchschnittliche Lohn aller Gedingehauer des oberbayerischen Pechkohlenbergbaus für die Berechnung des JAV und damit der Rente des Klägers maßgebend ist.

Das Berufungsgericht durfte bei der Berechnung der JAVe ohne Bedenken von den Löhnen der vollen Kalendermonate ausgehen, weil die statistischen Unterlagen ebenfalls auf volle Kalendermonate abgestellt sind und praktisch nur so eine Feststellung des maßgebenden JAV möglich ist. Kleine Differenzen, die sich dadurch gegenüber den faktischen durchschnittlichen Löhnen ergeben, gleichen sich in aller Regel bei den Anfangs- und Endmonaten im wesentlichen aus, so daß sie unberücksichtigt bleiben dürfen.

Aus allen diesen Gründen ist das angefochtene Urteil nicht zu beanstanden, so daß die Revision zurückzuweisen ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2296924

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