Leitsatz (amtlich)
Elektrofahrsteiger und Elektroobersteiger gehören nicht zu den durch HaVO § 5 Nr 1 begünstigten Aufsichtspersonen (vergleiche BSG 1965-11-05 5 RKn 22/62 = SozR Nr 10 zu § 5 HaVO).
Normenkette
RKG § 45 Abs. 1 Nr. 2 Fassung: 1957-05-21; HaVO § 5 Nr. 1 Fassung: 1958-03-04
Tenor
Auf die Revision der Beklagten werden die Urteile des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 25. März 1965 und des Sozialgerichts Duisburg vom 3. Juli 1962 aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Streitig ist die Gewährung der Bergmannsrente nach § 45 Abs. 1 Nr. 2 des Reichsknappschaftsgesetzes (RKG).
Der im November 1910 geborene Kläger war von August 1925 bis Anfang Oktober 1940 - mit Unterbrechung von April 1931 bis Januar 1935 - sechsunddreißig Monate als Elektrikerlehrling und einhundertundzwei Monate als Elektriker über Tage knappschaftlich versicherungspflichtig beschäftigt. Danach war er von Anfang Oktober 1940 bis Ende Januar 1942 fünfzehn Monate als Grubenelektriker, von Anfang Februar 1942 bis Ende Juli 1949 neunzig Monate als Elektrosteiger unter Tage und von Anfang August 1949 bis Ende Juni 1956 dreiundachtzig Monate als Elektrofahrsteiger unter Tage tätig und knappschaftlich versichert. Als Elektrosteiger und Elektrofahrsteiger hatte er täglich während des überwiegenden Teils der Schicht die im Gedinge oder zu besonders vereinbartem Lohn tätigen Elektrohauer im Abbau, beim Streckenvortrieb und in der Aus- und Vorrichtung zu beaufsichtigen. Anschließend war er von Anfang Juli 1956 bis Ende Juni 1961 Elektroobersteiger unter Tage und führte in dieser Zeit auch die Bezeichnung Zechenelektroingenieur. Er hat täglich während des überwiegenden Teils der Schicht die unter §§ 1 bis 4 der Hauerarbeiten-Verordnung (HaVO) fallenden Personen beaufsichtigt. Für den Kläger wurden außer den 132 Monatsbeiträgen, die bis zum Jahre 1942 entrichtet wurden, im Jahre 1942 drei Monatsbeiträge, in der Zeit von 1943 bis Ende Oktober 1960 weitere 169 Monatsbeiträge und für die Zeit von November 1960 bis Ende Juni 1961 nochmals acht Monatsbeiträge zur knappschaftlichen Rentenversicherung entrichtet. Bei den Beiträgen für die Zeit von 1950 bis 1957 handelt es sich um freiwillige Beiträge.
Der Kläger beantragte am 16. August 1960, ihm die Bergmannsrente nach § 45 Abs. 1 Nr. 2 RKG zu gewähren. Die Beklagte lehnte den Antrag durch Bescheid vom 20. April 1961 mit der Begründung ab, der Kläger habe die besondere Wartezeit von 180 Kalendermonaten Hauerarbeit nicht erfüllt. Sie berücksichtigte nur 126 Monate aus der Zeit von Oktober 1942 bis Ende Juni 1956. Der Kläger legte am 15. Juli 1961 Widerspruch ein, mit dem er geltend machte, daß er auch als Zechenelektroingenieur die Tätigkeit eines Elektroobersteigers verrichtet und die unter §§ 1 bis 4 HaVO fallenden Personen beaufsichtigt habe. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Bescheid vom 2. November 1961 zurück. Sie lehnte es ab, die Zeit vom 1. Juli 1956 an auf die besondere Wartezeit anzurechnen, weil die Tätigkeit des Zechenelektroingenieurs in der HaVO nicht erwähnt werde.
Gegen diese Bescheide richtet sich die Klage. Der Kläger behauptet, auch in der Zeit nach dem 30. Juni 1956 täglich bis zu sieben Stunden eingefahren zu sein und etwa 40 bis 50 im Gedinge tätige Elektrohauer beaufsichtigt zu haben. Der Titel Zechenelektroingenieur sei ihm nur deshalb verliehen worden, weil ihm die Bergbehörde zusätzlich die Befugnis zuerkannt habe, auf seiner Schachtanlage die elektrischen Betriebsmittel unter Tage abzunehmen.
Das Sozialgericht (SG) gab der Klage durch Urteil vom 3. Juli 1962 statt und verurteilte die Beklagte, dem Kläger die Bergmannsrente vom 1. November 1960 an zu gewähren. Das SG hielt es für erwiesen, daß der Kläger auch in der Zeit vom 1. Juni 1956 bis zum 31. Oktober 1960 den Hauerarbeiten gleichgestellte Arbeiten verrichtet habe. Es sei unschädlich, daß er neben seiner Haupttätigkeit als Elektroobersteiger in geringfügigem Umfang auch als Zechenelektroingenieur tätig gewesen sei.
Die Beklagte legte gegen dieses Urteil Berufung ein, mit der sie die Abänderung des angefochtenen Urteils und die Abweisung der Klage erstrebte; dem Kläger stehe die Rente allenfalls vom 1. Juli 1961 an zu, weil die besondere Wartezeit von 180 Kalendermonaten Hauerarbeit keinesfalls vor der Entrichtung der letzten acht Monatsbeiträge für die Zeit bis Ende Juni 1961 erfüllt gewesen sei.
Durch Urteil vom 25. März 1965 hat das Landessozialgericht (LSG) das Urteil des SG teilweise geändert und die Beklagte verurteilt, dem Kläger die Bergmannsrente nach § 45 Abs. 1 Nr. 2 RKG vom 1. Juli 1961 an zu gewähren; im übrigen hat es die Berufung zurückgewiesen. Es hat die Revision zugelassen.
Das LSG hält die Berufung nur hinsichtlich der Zeit vor dem 1. Juli 1961 für begründet, weil der Kläger erst am 1. Juli 1961 die für die Gewährung der Bergmannsrente nach § 45 Abs. 1 Nr. 2 RKG erforderliche besondere Wartezeit nach § 49 Abs. 2 RKG zurückgelegt habe. Erst zu diesem Zeitpunkt habe er sowohl eine Versicherungszeit von 312 Beitragsmonaten zurückgelegt als auch 180 Kalendermonate hauergleiche Arbeiten im Sinne von § 5 Nr. 1 HaVO verrichtet. Zu Unrecht weigere sich die Beklagte, die Arbeiten während der Zeit vom 1. Juli 1956 bis zum 30. Juni 1961 als hauergleiche Arbeiten anzurechnen. Der Kläger habe in dieser Zeit in vollem Umfang die Tätigkeit eines Elektroobersteigers unter Tage verrichtet und regelmäßig täglich während des überwiegenden Teils der Schicht die im Gedinge tätigen Elektrohauer im Abbau und in der Aus- und Vorrichtung beaufsichtigt. Diese Tätigkeit werde von § 5 Nr. 1 HaVO erfaßt. Dort sei zwar nur von dem Obersteiger unter Tage die Rede, der die unter §§ 1 bis 4 HaVO fallenden Personen täglich während des überwiegenden Teils der Schicht beaufsichtige, aber unter Obersteiger im Sinne von § 5 Nr. 1 HaVO sei nicht nur der bergmännische, sondern auch der Obersteiger im Elektro- und Maschinenfach zu verstehen.
Der Kläger sei in der Zeit vom 1. Juli 1956 bis zum 30. Juni 1961 als Elektroobersteiger unter Tage tätig gewesen und habe regelmäßig täglich während des überwiegenden Teils der Schicht die im Gedinge tätigen Elektrohauer im Abbau sowie in der Aus- und Vorrichtung beaufsichtigt. Es treffe nicht zu, daß er in der Zeit nach dem 1. Juli 1956 ausschließlich unter der Bezeichnung "Zechenelektroingenieur" beschäftigt gewesen sei. Zwar habe seine Zeche diese Berufsbezeichnung angegeben. Aber abgesehen davon, daß es nicht auf die Berufsbezeichnung, sondern auf die Art der tatsächlich verrichteten Tätigkeit ankomme, habe der Kläger sowohl die Berufsbezeichnung "Elektroobersteiger" geführt als auch die entsprechende Tätigkeit ausgeübt. Der Tätigkeit des Klägers werde die Eigenschaft einer begünstigten Arbeit im Sinne von § 5 Nr. 1 HaVO nicht dadurch genommen, daß ihm das Oberbergamt Dortmund am 25. September 1956 auch die Anerkennung erteilt hat, elektrische Betriebsmittel auf der Schachtanlage, auf der er beschäftigt ist, gemäß den Bestimmungen der Bergbehörde abzunehmen, und daß er wegen dieser Befugnis neben seiner Berufsbezeichnung "Elektroobersteiger" zusätzlich den in der HaVO nicht vorgesehenen Titel "Zechenelektroingenieur" geführt habe. Die dem Kläger zusätzlich erteilte Abnahmebefugnis könne den Charakter seiner Tätigkeit als Elektroobersteiger unter Tage nicht beeinträchtigen. Seine Stellung als Elektroobersteiger im elektrischen Untertagebetrieb habe durch die erwähnte Abnahmebefugnis nur verstärkt und befestigt, nicht aber verändert oder gar abgeschwächt werden können. Im übrigen hätten diese Abnahmen den Kläger zeitlich nur unwesentlich in Anspruch genommen.
Gegen dieses Urteil hat die Beklagte Revision eingelegt. Sie ist der Auffassung, daß nach dem Urteil des erkennenden Senats vom 15. Dezember 1965 - 5 RKn 99/63 - (SozR HaVO Nr. 10 zu § 5) die Tätigkeit eines Funktionsobersteigers nicht von § 5 Nr. 1 HaVO erfaßt werde.
Sie beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts und des Sozialgerichts aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Insbesondere ist er der Auffassung, daß auch der Elektroobersteiger zu den in § 5 Nr. 1 genannten Aufsichtspersonen gehöre. Im Hinblick auf die fortschreitende technische Entwicklung im Bergbau wäre der Gleichbehandlungsgrundsatz verletzt, wenn man die höheren Dienstgrade im Maschinen- und Elektrobetrieb nicht zu dem Personenkreis des § 5 Nr. 1 HaVO zählen würde.
II
Die zulässige Revision der Beklagten ist begründet.
Der Anspruch des Klägers auf Gewährung der Bergmannsrente nach § 45 Abs. 1 Nr. 2 RKG ist nicht gegeben, weil der Kläger keine 180 Kalendermonate Hauerarbeiten oder diesen gleichgestellte Arbeiten verrichtet hat (§ 49 Abs. 2 RKG). Abweichend von der Ansicht der Beklagten kann schon die Tätigkeit des Elektrofahrsteigers nicht als hauergleiche Arbeit anerkannt werden. Dasselbe gilt, wenn auch aus anderen als den für die Beklagte maßgebenden Gründen, für die Tätigkeit des Elektroobersteigers. Ohne diese Zeiten sind die erforderlichen 180 Kalendermonate nicht erfüllt. Beide Tätigkeiten werden nicht von § 5 Nr. 1 HaVO, der hier allein in Betracht kommenden Bestimmung, erfaßt.
Wie der erkennende Senat bereits in seinem Urteil vom 15. Dezember 1966 - 5 RKn 99/63 - (SozR HaVO Nr. 10 zu § 5) - entschieden hat, sind durch § 5 Nr. 1 HaVO nur die bergmännischen Fahrsteiger, Obersteiger unter Tage und Betriebsführer unter Tage, nicht aber die entsprechenden Spezialaufsichtspersonen begünstigt. An dieser Auffassung hält der Senat auch nach neuer Prüfung fest. Es ist dem Kläger zwar zuzugeben, daß die Begriffe "Fahrsteiger" und "Obersteiger" in § 5 Nr. 1 aaO, isoliert und allein nach ihrem Wortlaut betrachtet, vielleicht auch zu der Annahme führen könnten, daß schlechthin alle Aufsichtspersonen dieser Gruppe, also auch die entsprechenden Spezialaufsichtspersonen, erfaßt seien. Diese Begriffe dürfen aber nicht für sich allein und nur nach ihrem Wortlaut ausgelegt werden, sondern können nur im Zusammenhang mit der gesamten Bestimmung gedeutet werden. Hierbei fällt auf, daß in § 5 Nr. 1 aaO nach dem "Elektrosteiger" - unter Zugrundelegung der bei Erlaß der Hauerarbeiten-VO im Jahre 1958 maßgebenden Gehaltstafel für die technischen Angestellten im rheinisch-westfälischen Steinkohlenbergbau vom 1. August 1957 - zunächst nur bergmännische Aufsichtspersonen (Schachtsteiger, Abteilungssteiger (Reviersteiger)) genannt sind. Dies spricht schon für die Annahme, daß auch mit den diesen bergmännischen Tätigkeiten folgenden Tätigkeiten - Fahrsteiger, Obersteiger unter Tage und Betriebsführer unter Tage - nur die entsprechenden bergmännischen Aufsichtspersonen gemeint sind. Hinzu kommt, daß auf der Ebene der Steiger die Spezialsteiger neben den bergmännischen Steigern zusätzlich aufgeführt sind, während dies bei den höheren Aufsichtspersonen nicht der Fall ist. Es hätte aber für den Verordnungsgeber nahegelegen, bei den Fahrsteigern, Obersteigern und Betriebsführern ebenfalls die entsprechenden Spezialaufsichtspersonen besonders aufzuführen, wenn er auch diese hätte begünstigen wollen. Zudem würde die reine Wortinterpretation der Begriffe Fahrsteiger, Obersteiger und Betriebsführer dazu führen, nach § 5 Nr. 1 HaVO uneingeschränkt alle Fahrsteiger, Obersteiger und Betriebsführer als begünstigt anzusehen, also auch die, bei welchen in Nr. 2 bis 5 aaO nur die Steiger aufgeführt sind. Das aber ist sicherlich nicht gewollt, weil der Verordnungsgeber dann die entsprechenden höheren Aufsichtspersonen in Nr. 2 bis 5 zusätzlich aufgeführt hätte. Alle diese Überlegungen führen zu dem Ergebnis, daß in Nr. 1 nur die bergmännischen Fahrsteiger und Obersteiger begünstigt sein sollen. Diese unterschiedliche Behandlung der bergmännischen und der Spezialaufsichtspersonen entspricht einer auch sonst hin und wieder erkennbaren Tendenz, den bergmännischen Aufsichtspersonen in weiterem Maße als den Spezialaufsichtspersonen Vergünstigungen zuteil werden zu lassen. Ob diese unterschiedliche Behandlung noch den heutigen betrieblichen Verhältnissen entspricht, mag hinsichtlich der höheren Elektro- und Maschinenaufsichtspersonen zweifelhaft sein. Es ist aber allein Sache des Gesetz- oder Verordnungsgebers, die erforderlichen Abgrenzungen zu treffen.
Nun meint der Kläger, diese unterschiedliche Behandlung verletze den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 des Grundgesetzes (GG). Das ist jedoch nicht der Fall.
Der Kläger übersieht, daß es bei der Entscheidung dieser Frage grundsätzlich jedenfalls auf den Zeitpunkt des Erlasses der Hauerarbeiten-Verordnung, also auf das Jahr 1958 ankommt. Zwar mag es angesichts der Rationalisierung und Mechanisierung im Bergbau zweifelhaft erscheinen, ob zu dieser Zeit eine unterschiedliche Behandlung der bergmännischen Aufsichtspersonen und der Maschinen- und Elektro-Aufsichtspersonen sachlich noch geboten war, jedenfalls kann sie nicht als willkürlich oder sachfremd angesehen werden, denn die geschilderte betriebliche und technische Entwicklung war damals noch nicht überall zu einem endgültigen Abschluß gekommen. Ob die inzwischen weiter fortgeschrittene Rationalisierung und Mechanisierung auch heute noch eine solche unterschiedliche Regelung als sachgerecht erscheinen läßt, braucht nicht geprüft zu werden. Denn es kommt für die Frage, ob eine gesetzliche Regelung als willkürlich oder sachfremd angesehen werden kann, grundsätzlich auf den Zeitpunkt des Erlasses des Gesetzes oder der Verordnung an. Es ist Aufgabe des Gesetzgebers oder des Verordnungsgebers, aus einer Veränderung der betrieblichen Verhältnisse die erforderlichen Konsequenzen zu ziehen. Erst wenn der Gesetz- oder Verordnungsgeber eine entsprechende Anpassung auf die Dauer unterläßt, müßten die Gerichte prüfen, welche Folgerungen aus dieser Unterlassung zu ziehen sind. Eine Neuregelung dieser Fragen ist jedoch schon seit längerer Zeit in Vorbereitung, so daß ihr Ergebnis abgewartet werden muß.
Die Revision ist somit begründet, so daß das angefochtene Urteil und das Urteil des SG aufzuheben sind und die Klage abzuweisen ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen