Leitsatz (amtlich)
Die Ausübung einer durch Verfolgungszeiten unterbrochenen oder beendeten rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung in einem bestimmten Zeitraum als Voraussetzung der Höherbewertung von Versicherungszeiten (WGSVG §§ 13, 14) wird nicht dadurch ersetzt, daß der Versicherte rechtswirksam Beiträge für diesen Zeitraum nachentrichtet (WGSVG § 10 Abs 1 S 3).
Normenkette
RVO § 1251 Abs. 1 Nr. 4 Fassung: 1970-12-22; WGSVG § 10 Abs. 1 S. 3 Fassung: 1970-12-22, § 13 Abs. 2 Fassung: 1970-12-22, § 14 Abs. 1 Fassung: 1970-12-22
Tenor
1. |
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Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 2. März 1976 aufgehoben, soweit das Landessozialgericht die Beklagte verurteilt hat, die Zeiten vom 10. November 1938 bis 10. März 1943 und vom 1. Mai 1945 bis 31. Dezember 1946 nach Leistungsgruppe Ar 1 m der Tabelle zu § 22 FRG abzugelten. |
2. |
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Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Kiel vom 10. Mai 1973 wird zurückgewiesen, soweit das Sozialgericht seine Klage auf Bewertung der Zeit vom 10. November 1938 bis 10. März 1943 nach Leistungsgruppe Ar 1 m abgewiesen hat. |
3. |
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Das Urteil des Landessozialgerichts wird auch insoweit aufgehoben, als es über die Kosten des Verfahrens entschieden hat. |
4. |
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Der Rechtsstreit wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen, soweit der Kläger die höhere Bewertung der Zeit vom 1. Mai 1945 bis 31. Dezember 1946 begehrt. |
Tatbestand
Der Kläger begehrt ein höheres Altersruhegeld. Dabei ist umstritten, ob die Unterbrechung einer ausgeübten rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung durch Verfolgungszeiten als Voraussetzung der höheren Bewertung von Versicherungszeiten dadurch herbeigeführt werden kann, daß der Verfolgte Beiträge für die Zeit bis zum Beginn der Verfolgungszeit nachentrichtet (§ 10 Abs. 1 Satz 3, §§ 13, 14 WGSVG).
Der 1901 geborene Kläger ist als rassisch Verfolgter anerkannt. Er hat den Beruf eines Bootsbauers erlernt und sich als Zeichner und Konstrukteur im Yachtbau weitergebildet und betätigt. Für ihn sind Pflichtbeiträge zur Angestelltenversicherung bis 1926 entrichtet. Von 1931 bis 9. November 1938 war er als Angestellter und Abteilungsleiter, seit 1933 mit Prokura, beschäftigt.
Der Kläger befand sich vom 10. November bis 26. November 1938 im Konzentrationslager. Danach war er bis Mitte August 1939 ohne Arbeit. Anschließend war er bis Februar 1943 als Schweißer und als Arbeiter beschäftigt. Vom 28. Februar bis 10. März 1943 war er abermals in Haft. Vom 11 März 1943 bis 30. April 1945 war er wieder beschäftigt. Von 1947 bis 1965 war er selbständig erwerbstätig und dann wieder pflichtversichert beschäftigt.
Die Beklagte gewährte mit Bescheid vom 14. Februar 1972 und Ergänzungsbescheid vom 30. August 1973 nach Eintritt des Versicherungsfalles am 31. Juli 1971 Altersruhegeld vom 1. August 1971 an. Bei der Rentenberechnung ist die Zeit vom 11. November 1938 bis 31. Juli 1939 als Ersatzzeit angerechnet. Die Beschäftigungszeit vom 15. August 1939 bis 27. April 1941 ist nach Leistungsgruppe Ar 2 m und die Beitragszeit vom 28. April 1941 bis 27. Februar 1943 ist gemäß den Versicherungskarten bewertet. Die Haftzeit vom 28. Februar 1943 bis 10. März 1943 innerhalb von Beitragsmonaten wurde nach Leistungsgruppe Ar 2 m gemäß der vorhergehenden Beschäftigung beurteilt; die Entgelte für Februar und März 1943 wurden entsprechend erhöht. Die Beitragszeit vom 11. März 1943 bis 30. April 1945 wurde aufgrund des Urteils des Sozialgerichts (SG) vom 10. Mai 1973 nach der Leistungsgruppe Ar 1 m bewertet. Außerdem ist eine Ersatzzeit vom 1. Mai 1945 bis 31. Dezember 1946 angerechnet.
Der Kläger meint, die gesamte Zeit vom 10. November 1938 bis Dezember 1946 müsse nach der Leistungsgruppe Ar 1 m der Tabelle zu § 22 Fremdrentengesetz (FRG) bewertet werden.
Die Beklagte ist der Auffassung, durch die erste Verfolgungszeit vom 10. bis 26. November 1938 sei - anders als durch die zweite Verfolgungszeit vom 28. Februar bis 10. März 1943 - eine versicherungspflichtige Beschäftigung nicht unterbrochen worden; denn der Kläger sei seit 1926 nicht versicherungspflichtig gewesen.
Während des Streitverfahrens entrichtete der Kläger 3 Monatsbeiträge für August bis Oktober 1938 nach (§ 10 WGSVG).
Das SG hat die Beklagte verpflichtet, die Beitragszeit vom 11. März 1943 bis 30. April 1945 nach der Leistungsgruppe Ar 1 m der Tabelle zu § 22 FRG abzugelten; im übrigen hat es die Klage abgewiesen (Urteil vom 10. Mai 1973). Auf die Berufung des Klägers hat das Landessozialgericht (LSG) die Beklagte verurteilt, auch die Zeiten vom 10. November 1938 bis 10. März 1943 und vom 1. Mai 1945 bis 31. Dezember 1946 nach der Leistungsgruppe Ar 1 m der Tabelle zu § 22 FRG abzugelten; die Revision wurde zugelassen; im übrigen - soweit die Höhe der Beitragsklasse der nachentrichteten Beiträge umstritten war - hat es die Berufung des Klägers zurückgewiesen (Urteil vom 2. März 1976).
Das LSG hat im wesentlichen sinngemäß ausgeführt, durch § 10 Abs. 1 Satz 3 WGSVG werde fingiert, daß es sich bei den nachentrichteten Beiträgen um Pflichtbeiträge handele, die aufgrund einer versicherungspflichtigen Beschäftigung, welche in dem vom Verfolgten bestimmten Nachentrichtungszeitraum bestanden habe, entrichtet seien. Der Kläger sei deshalb versicherungsrechtlich so zu stellen, als habe er vor der ersten Verhaftung am 10. November 1938 in einer versicherungspflichtigen Beschäftigung gestanden. Dies bedeute nach § 13 Abs. 1 des Gesetzes zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in der Sozialversicherung (WGSVG), daß durch die Verhaftung am 10. November 1938 eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung unterbrochen worden sei.
Da der Kläger seit der Haftentlassung am 26. November 1938 bis zum 14. August 1939 arbeitslos, dann vom 15. August 1939 bis 27. Februar 1943 - gemessen an seiner Ausbildung und früheren Tätigkeit - unterwertig beschäftigt gewesen sei und sich vom 28. Februar 1943 bis 10. März 1943 wieder in Haft befunden habe, sei die Zeit vom 10. November 1938 bis 10. März 1943 der Leistungsgruppe Ar 1 m der Tabelle zu § 22 FRG zuzuordnen. Die Zeit vom 1. Mai 1945 bis 31. Dezember 1946 - eine Ersatzzeit nach § 1251 Abs. 1 Nr. 4 Reichsversicherungsordnung (RVO) i. V. m. § 1 Abs. 1 und 2 WGSVG - sei der Leistungsgruppe Ar 1 m zuzuordnen, weil die vorhergehende Zeit gemäß dem Urteil des SG entsprechend angehoben worden sei.
Die Beklagte hat Revision eingelegt und beantragt,
das Urteil des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 2. März 1976 aufzuheben und die Berufung zurückzuweisen.
Sie rügt eine Verletzung des § 1251 Abs. 1 Nr. 4 RVO und der §§ 10, 13, 14 WGSVG. Die Voraussetzungen der Zuordnung des Tabellenwertes Ar 1 m lägen nicht vor, weil der Kläger wegen der Höhe seines Verdienstes bei Beginn der Verfolgungsmaßnahmen versicherungsfrei gewesen sei. Das LSG ersetze zu Unrecht die fehlende Pflichtversicherungszeit durch die nachentrichteten Beiträge. Die Fiktion des § 10 Abs. 1 Satz 3 WGSVG erstrecke sich nicht auf § 13 WGSVG. § 13 WGSVG als echte Entschädigungsregelung stelle auf die tatsächlichen Verhältnisse ab. Der Entschädigungsgedanke lasse keinen Raum, ein solches Beschäftigungsverhältnis zu fingieren. Rechtssystematisch verbinde das Gesetz die Vergünstigung der Bewertung von Ersatzzeiten nicht mit der Nachentrichtung von Beiträgen, die als Pflichtbeiträge zu gelten hätten.
In der Zeit von Mai 1945 bis Dezember 1946 liege keine Ersatzzeit nach § 1251 Abs. 1 Nr. 4 RVO idF des WGSVÄndG vor. In dieser Vorschrift werde die Arbeitslosigkeit zum einen als typischer Anschlußtatbestand an die Verfolgung und zum anderen als selbständige verfolgungsbedingte Arbeitslosigkeit angesehen. Diese Voraussetzungen seien hier nicht gegeben.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Beklagten ist zum Teil begründet; im übrigen ist der Rechtsstreit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Das WGSVG gilt für den Kläger ohne die Besonderheiten des Art. 4 § 1 WGSVÄndG; denn der Versicherungsfall hat sich nach dem Inkrafttreten des WGSVG - 1. Februar 1971 - ereignet. Das WGSVG sieht bei der Berechnung der Rente von Verfolgten (§ 1 Abs. 1 WGSVG) eine höhere Bewertung von Zeiten als nach den allgemeinen Vorschriften der §§ 1255, 1255 a RVO in den Fällen der §§ 13, 14 vor, wenn dies für den Verfolgten günstiger ist. Dabei wird zwischen Zeiten ohne Beitragsleistung und mit Beiträgen belegten Zeiten unterschieden.
§ 13 WGSVG betrifft die Bewertung beitragsloser Verfolgungszeiten (§ 1 Abs. 2 Buchst. a WGSVG i. V. m. § 1251 Abs. 1 Nr. 1 RVO). Abs. 1 aaO bestimmt: Hat der Verfolgte eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit ausgeübt, die durch Verfolgungszeiten unterbrochen oder beendet worden ist, so sind den Verfolgungszeiten die Beitragsklassen und Brutto-Arbeitsentgelte zuzuordnen, die sich bei entsprechender Anwendung des § 22 FRG ergeben.
§ 14 Abs. 1 Satz 2 WGSVG ergreift Zeiten, in denen der Verfolgte ein geringeres Arbeitsentgelt bezogen hat, als er bei Zugrundelegung der vorherigen Beschäftigung erhalten hätte. Diese Vorschrift bestimmt: Hat ein Verfolgter, der vor der Verfolgung eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung ausgeübt hat, aus Verfolgungsgründen für eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung in einem Kalenderjahr ein geringeres Arbeitsentgelt erhalten, als er bei Zugrundelegung der vorher ausgeübten rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung ohne Verfolgung erhalten hätte, so sind für dieses Kalenderjahr die Beitragsklassen und Brutto-Arbeitsentgelte zugrunde zu legen, die sich bei entsprechender Anwendung des § 13 ergeben.
§ 14 Abs. 2 WGSVG erfaßt Beschäftigungszeiten, für die keine Beiträge entrichtet wurden. Er schreibt vor: Hat der Verfolgte eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit ausgeübt und sind aus Verfolgungsgründen für die Beschäftigung oder Tätigkeit keine Beiträge entrichtet worden, so gelten für diese Zeiten Beiträge als entrichtet. Bei der Ermittlung der für den Verfolgten maßgebenden Rentenbemessungsgrundlage sind die in diesen Zeiten erzielten Arbeitsentgelte oder Einkommen bis zur Höhe der jeweils geltenden Beitragsbemessungsgrenze zugrunde zu legen. Wenn dies für den Berechtigen günstiger ist, sind diesen Zeiten die Beitragsklassen und Brutto-Arbeitsentgelte zuzuordnen, die sich bei entsprechender Anwendung des § 13 ergeben.
Demnach gilt für die Zeit von November 1938 bis Juli 1939 als Ersatzzeit § 13 WGSVG. Für die Zeit von August 1939 bis 27. April 1941 als Beschäftigungszeit ohne Beitragsentrichtung ist § 14 Abs. 2 WGSVG zugrunde zu legen. Die Zeit vom 28. April 1941 bis 27. Februar 1943 als Beitragszeit ist nach § 14 Abs. 1 Satz 2 WGSVG zu beurteilen. Die Haftzeit vom 28. Februar bis 10. März 1943 als Ersatzzeit fällt unter § 13 WGSVG. Für eine höhere Bewertung der als Ersatzzeit angerechneten Zeit von Mai 1945 bis Dezember 1946 könnte nur § 13 WGSVG in Frage kommen.
Die Voraussetzungen der §§ 13 und 14 WGSVG für die vom Kläger gewünschte Bewertung der Zeiten bis März 1943 nach der Leistungsgruppe Ar 1 m sind nicht erfüllt. § 13 WGSVG setzt voraus, daß der Verfolgte eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung ausgeübt hat, die durch Verfolgungszeiten unterbrochen worden ist. Auch § 14 Abs. 1 Satz 2 WGSVG verlangt, daß der Verfolgte vor der Verfolgung eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung ausgeübt hat. § 14 Abs. 2 WGSVG erfordert, daß für eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung aus Verfolgungsgründen keine Beiträge entrichtet wurden.
Der Auffassung des LSG, durch die Nachentrichtung der drei Beiträge werde die Ausübung einer rentenversicherungspflichtigen Beschäftigung von August bis Oktober 1938 fingiert, ist nicht zu folgen. Nach dem Wortlaut des § 10 Abs. 1 Satz 3 WGSVG werden die nachentrichteten Beiträge nur anderen Beiträgen, aber nicht Beschäftigungen als solchen, gleichgestellt, und zwar Pflichtbeiträgen, die als in der Zeit entrichtet gelten, für die sie bei der Nachentrichtung bestimmt werden. Die der "Berechnung der Renten" (Überschrift vor §§ 11 bis 17 WGSVG) dienende höhere Bewertung von Beitragszeiten, als den entrichteten Beiträgen entspricht, und die höhere Bewertung von Verfolgungszeiten stellen Ausnahmen von der Regel dar, daß Beitrags- und Ersatzzeiten nach §§ 1255, 1255 a RVO bewertet werden. Die höhere Bewertung ist an besondere Voraussetzungen geknüpft; diese erschöpfen sich nicht darin, daß die nachentrichteten Beiträge als rechtzeitig entrichtete Pflichtbeiträge gelten. Die Wortfassung in §§ 13, 14 Abs. 1 Satz 2 WGSVG "eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung ausgeübt" unterscheidet sich so erheblich von den sonst gebrauchten Worten "für eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung", daß diese beiden Begriffe nicht als dasselbe bedeutend aufgefaßt werden können. Daß nachentrichtete Beiträge als rechtzeitig entrichtete Pflichtbeiträge gelten, bewirkt nicht, daß eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung "ausgeübt" worden ist. Die Voraussetzung "ausgeübt" geht davon aus, daß vor der Verfolgung tatsächlich eine Beschäftigung verrichtet worden ist und daß dies eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung war. Eine weitergehende Wirkung ist weder der Entstehungsgeschichte noch dem Gedanken der Wiedergutmachung in der Sozialversicherung zu entnehmen.
In der Entstehungsgeschichte des § 10 Abs. 1 Satz 3 WGSVG (§ 8 Abs. 1 Satz 3 des Entwurfes in Bundestags-Drucks. VI 715 und VI 1443, Teil I 2 a) ist gesagt:
"Durch Zulassung ... zur Nachentrichtung von Beiträgen soll den Verfolgten, die nach ihrem Beruf eine rentenversicherungspflichtige Erwerbstätigkeit ausüben, die Möglichkeit gegeben werden, Rentenansprüche zu erwerben und bestehende Ansprüche zu verbessern. Da angenommen werden kann, daß diese Personen ohne die Verfolgung voraussichtlich zwischen 1933 und 1946 ... pflichtversichert gewesen wären, sollen die für diese Zeit nachentrichteten Beiträge die Wirkung rechtzeitig entrichteter Pflichtbeiträge haben, mit der Folge, daß durch diese Beiträge auch die für die Anrechnung von Ausfall- und Zurechnungszeiten vorgeschriebene Halbdeckung erfüllt und der vom Gesetzgeber geforderte Anschluß an Zeiten einer Lehre oder Schulausbildung (§ 1259 Abs. 1 Nr. 4 RVO) hergestellt werden kann."
Damit wird eine Wirkung der nachentrichteten Beiträge beschrieben, wie sie Pflichtbeiträgen nach den allgemeinen Vorschriften der RVO zukommt.
Die Entstehungsgeschichte der §§ 13 und 14 WGSVG (§§ 12 und 13 des Vorschlags in BT-Drucks. VI 1449 Schriftlicher Bericht mit Hinweis auf BT-Drucks. VI 715, Begründung der §§ 10 bis 13 des Entwurfs) ergibt nichts für die Auffassung des Klägers.
Für das Verständnis der §§ 10, 13, 14 WGSVG sind der Sinn und Zweck und die Stellung des WGSVG im Recht der Wiedergutmachung zu beachten. Das WGSVG beschränkt sich gemäß § 138 Bundesentschädigungsgesetz auf die Wiedergutmachung von Schaden in der Sozialversicherung, d. h. auf den Ausgleich von Nachteilen, die den Versicherten durch die Verfolgung in ihren Ansprüchen aus der Sozialversicherung erwachsen sind (BT-Drucks. VI 715, Begründung, Allgemeiner Teil Nr. 2). Der Kläger hat aber seine Rentenversicherung seit 1926 nicht durch die Entrichtung von freiwilligen Beiträgen zur Erhaltung der Anwartschaft fortgeführt. Er war bei Beginn der Verhaftung im November 1938 nicht rentenversicherungspflichtig beschäftigt. Er hat bei der Verhaftung im November 1938 und in der Folgezeit zwar einen beruflichen Schaden erlitten, indem er seine Stellung als Prokurist aufgeben mußte und eine entsprechende - versicherungsfreie - Tätigkeit bis Kriegsende nicht wiederaufgenommen hat. Sein "Schaden im beruflichen Fortkommen" wurde für den "verfolgungsbedingten Berufsschadenszeitraum vom 1. Januar 1940 bis 31. Dezember 1950" mit einer Kapitalentschädigung von 35.180,- DM abgegolten (Mitteilung des Finanzministers des Landes Schleswig-Holstein, Entschädigungsamt, vom 27. Juli 1971 an die Beklagte). Der berufliche Schaden hat sich jedoch, da es sich vor der Verfolgung um versicherungsfreie Beschäftigungen und Tätigkeiten handelte, außerhalb der Rentenversicherung ereignet. Für die Beurteilung der Versicherungszeiten seit November 1938 und für einen Vergleich mit der Leistungsgruppe Ar 1 m scheidet die Beschäftigung als Prokurist aus. Der vom Kläger geltend gemachte Anspruch auf Bewertung der noch umstrittenen Zeiten in dem Zeitraum bis April 1945 nach Ar 1 m ist deshalb nach §§ 13, 14 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 WGSVG nicht begründet.
Über die Bewertung der Zeit von Mai 1945 bis Dezember 1946 nach der Tabelle zu § 22 FRG (§ 13 WGSVG) konnte der Senat nicht entscheiden. Diese Zeit, die sich an die rentenversicherungspflichtige Beschäftigung bis 30. April 1945 anschließt, ist von der Beklagten im Bescheid als "Ersatzzeit" berücksichtigt worden. Das LSG hat in den Gründen seiner Entscheidung diese Zeit dahin beurteilt, es handele sich nicht um eine Ersatzzeit nach § 1251 Abs. 1 Nr. 6 RVO (Zeit der Vertreibung), sondern um eine solche nach Nr. 4 dieser Vorschrift. Es ist nicht darauf eingegangen, daß die Beklagte in ihrem Schriftsatz vom 28. September 1972 an das SG diese Zeit als Ersatzzeit gemäß § 1251 Abs. 1 Nr. 6 RVO - Zeit der Vertreibung - bezeichnet hat und daß sich in den Rentenakten der Vertriebenenausweis A des Klägers befindet. Für die Beurteilung des Anspruchs des Klägers, diese Zeit nach Werten der Tabelle zu § 22 FRG berücksichtigt zu erhalten, ist es aber rechtserheblich, welcher Art die im Bescheid beim Versicherungsverlauf berücksichtigte "Ersatzzeit" ist. Bei einer Ersatzzeit nach Nr. 6 des § 1251 Abs. 1 RVO kann § 13 WGSVG nicht in Frage kommen. Wenn die Zeit jedoch nach Nr. 4 des § 1251 Abs. 1 RVO anerkannt ist, kann § 13 WGSVG eingreifen - wenn auch nur mit der Bewertung nach Ar 2 m gemäß dem tatsächlichen Arbeitsentgelt für die vorausgegangene Beschäftigungszeit bis 30. April 1945. Die von der Beklagten hingenommene Verurteilung durch das SG, die Zeit bis 30. April 1945 mit Ar 1 m zu bewerten, verpflichtet die Beklagte nur für den im Tenor des Urteils des SG genannten Zeitraum. Eine darüber hinausgehende Auswirkung auf die Beurteilung der Bewertung einer späteren Zeit kommt dem Urteil des SG nach den Grundsätzen der Rechtskraftwirkung (§ 141 SGG) nicht zu.
Die Kostenentscheidung bleibt dem das Verfahren abschließenden Urteil vorbehalten.
Fundstellen