Verfahrensgang
Sächsisches LSG (Urteil vom 24.02.1994) |
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Chemnitz vom 24. Februar 1994 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten auch des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten um die Weitergewährung einer Witwenrente für die Zeit vom 1. Januar bis 31. Dezember 1991, die der Klägerin aufgrund der Verordnung über die Altersversorgung der Intelligenz an wissenschaftlichen, künstlerischen, pädagogischen und medizinischen Einrichtungen der „Deutschen Demokratischen Republik” vom 12. Juli 1951 (GBl Nr 85 S 675, geändert durch Verordnung vom 13. Mai 1959, GBl I Nr 32 S 521 ≪AVI≫) zuerkannt worden war.
Die 1933 geborene Klägerin war mit dem ebenfalls 1933 geborenen und am 9. Mai 1968 verstorbenen wissenschaftlichen Oberassistenten Dr. E. … K. … verheiratet. Dieser hatte seit 1965 dem Zusatzversorgungssystem der Intelligenz AVI angehört. Mit Bescheid vom 26. Juni 1968 war ihm für die Zeit vom 1. Mai bis 31. Mai 1968 eine Invalidenrente und der Klägerin mit Bescheid vom gleichen Tag ab 1. Juni 1968 ua eine Witwenrente aus diesem Zusatzversorgungssystem in Höhe von 386,10 M (= 50 vH der Rente des verstorbenen Ehemannes) bewilligt worden.
Im Januar 1991 teilte die Überleitungsanstalt Sozialversicherung – Zusatzversorgungen – der Klägerin mit, entsprechend der im Einigungsvertrag (EV) vom 31. August 1990 (BGBl II S 889) bestätigten Bestimmung des § 26 des Gesetzes zur Angleichung der Bestandsrenten an das Nettorentenniveau der Bundesrepublik Deutschland und zu weiteren rentenrechtlichen Regelungen (Rentenangleichungsgesetz ≪RAG≫ vom 28. Juni 1990 ≪GBl I Nr 38 S 495, ber S 1457≫) würden mit Ablauf vom 31. Dezember 1990 Versorgungszahlungen an erwerbsfähige Witwen eingestellt, sofern sie das 60. Lebensjahr noch nicht vollendet hätten. Den Widerspruch, mit dem die Klägerin ua geltend gemacht hatte, daß die Entscheidung gegen die Besitzstandsregelung verstoße, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 15. September 1992 zurück und führte ua aus: Durch § 26 Abs 1 RAG hätten Witwen mit Anspruch auf eine Rente aus den Zusatzversorgungssystemen den Witwen mit einem Anspruch allein auf eine Rente aus der Sozialversicherung gleichgestellt werden sollen.
Das Sozialgericht (SG) Dresden hat mit Urteil vom 5. Mai 1993 die Beklagte antragsgemäß unter Aufhebung der angefochtenen Bescheide verurteilt, an die Klägerin von Januar 1991 bis Dezember 1991 monatlich 386,10 DM Witwenrente aus der Altersversorgung der Intelligenz abzüglich der in diesem Zeitraum von nachrangig verpflichteten Sozialleistungsträgern erbrachten Sozialleistungen zu zahlen. Es hat im wesentlichen ausgeführt: Die Klägerin sei zwar nicht erwerbsunfähig; gleichwohl stehe ihr ein Anspruch auf Witwenrente in dem angegebenen Zeitraum zu. § 26 RAG enthalte eine in rechtsfortbildender Weise zu Gunsten der Klägerin ausfüllbare Lücke. Der DDR-Gesetzgeber habe mit Hilfe des § 26 RAG ungerechtfertigte Leistungen abbauen wollen für Witwen mit einem Anspruch auf Hinterbliebenenrente aus einem Zusatzversorgungssystem. Denn die Hinterbliebenen eines Angehörigen, der einen Anspruch aus einem Zusatzversorgungssystem gehabt habe, hätten ohne weitere Voraussetzungen erfüllen zu müssen, 50 vH der Bezüge des verstorbenen Begünstigten auf unbegrenzte Zeit erhalten; im Gegensatz hierzu habe die Witwe, die allein nach allgemeinen sozialversicherungsrechtlichen Bestimmungen anspruchsberechtigt gewesen sei, einen Anspruch auf Hinterbliebenenrente erst mit Vollendung des 60. Lebensjahres, bei Invalidität oder bei Versorgung eines Kindes unter drei Jahren oder von zwei Kindern unter acht Jahren gehabt. Wegen Inkrafttretens des EV hätte der Zweck des § 26 RAG nicht mehr erreicht werden können. Im EV Anlage II Kapitel VIII Sachgebiet F Abschnitt III Nr 8 werde zwar die Weitergeltung des RAG pauschal angeordnet. Eine vollständige Übernahme der Vorschriften habe der Gesetzgeber jedoch nicht beabsichtigt haben können. Denn in dem EV Anlage II Kapitel VIII Sachgebiet H Abschnitt III Nr 9 Buchst b und f (= EV Nr 9 b und f) sei ein eigenständiges Anpassungsprogramm für die Überführung von Ansprüchen und Anwartschaften aus Sonder- und Zusatzversorgungssystemen entwickelt worden. Wegen dieses Anpassungsgebotes im EV Nr 9 sei eine teleologische Reduktion in dem Sinne vorzunehmen, daß nur derjenigen Witwe ein Anspruch auf Hinterbliebenenrente aus einem Zusatzversorgungssystem zustehe, die auch einen Anspruch nach dem Sechsten Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) habe. Da die Klägerin zum 1. Januar 1992 nach dem SGB VI anspruchsberechtigt sei, habe sie auch einen Anspruch auf Hinterbliebenenrente für die Zeit bis zum 31. Dezember 1991.
Das Landessozialgericht (LSG) Chemnitz hat die Berufung der Beklagten (EV Anlage I Kapitel VIII Sachgebiet D Abschnitt III Nr 4 iVm Art 2 § 4 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit vom 31. März 1978, BGBl I S 446, zuletzt geändert durch Art I des Gesetzes vom 4. Juli 1985, BGBl I, S 1274) im wesentlichen mit folgender Begründung zurückgewiesen (Urteil vom 24. Februar 1994): § 26 Abs 1 RAG sei verfassungswidrig.
Eine Entziehung der Witwenrente komme gemäß § 26 RAG im Hinblick auf den im Grundgesetz (GG) enthaltenen Grundsatz des Vertrauensschutzes nicht in Betracht; ein nachträglicher Eingriff in erworbene, eigentumsähnliche, mit der Zugehörigkeit zu einem Zusatzversorgungssystem erlangte Rechtspositionen sei nicht statthaft. Der Gedanke des Vertrauens- und Besitzschutzes im Sozialversicherungsrecht sei auch dem Recht der DDR nicht fremd gewesen.§ 26 RAG entfalte ferner eine „unechte Rückwirkung”, da die von der Regelung betroffene Rechtsposition nachträglich entwertet werde. Die Vorschrift greife unverhältnismäßig in die Lebensplanung ein. Denn bei einem Verlust der Leistungen sei es den Witwen nicht mehr möglich, eine eigene Altersversorgung aufzubauen. Dies sei im Hinblick auf Art 14, 20 GG verfassungswidrig. Das LSG sei nicht gehindert, die Verfassungswidrigkeit selbst festzustellen, da es sich insoweit um vorkonstitutionelles Recht handele.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Beklagte eine fehlerhafte Anwendung von § 26 RAG und trägt im wesentlichen vor:
Es könne dahinstehen, ob die Verfassungsmäßigkeit von § 26 Abs 1 RAG am GG oder an dem Verfassungsgrundsätzegesetz der DDR vom 17. Juni 1990 zu messen sei. Verfassungsmäßig geschützte Rechtspositionen seien hier nämlich deshalb nicht verletzt, weil derartige Rechtspositionen nicht bereits vor Inkrafttreten des Verfassungsgrundsätzegesetzes und des GG begründet gewesen seien. Darüber hinaus seien weder der Anspruch des verstorbenen Ehemannes der Klägerin auf Alters- und Invaliditätssicherung noch der Anspruch der Klägerin auf Hinterbliebenenversorgung durch eigene Beiträge finanziert worden; infolgedessen liege auch aus diesem Grunde keine eigentumsrechtlich geschützte Rechtsposition vor. Selbst wenn man jedoch von einer derartigen Eigentumsposition ausgehe, sei unter dem Gesichtspunkt von Art 14 Abs 1 Satz 2 GG nicht zu beanstanden, daß durch § 26 Abs 1 RAG die Hinterbliebenenversorgung im Beitrittsgebiet vor ihrer Überführung in das Rentenversicherungssystem des SGB VI habe vereinheitlicht und willkürliche Privilegierungen hätten beseitigt werden sollen. Insofern überwiege auch das öffentliche Interesse an dem Abbau derartiger Leistungen das Interesse der Klägerin an deren Fortdauer.
Die Beklagte beantragt sinngemäß,
die Urteile des Landessozialgerichts Chemnitz vom 24. Februar 1994 sowie des Sozialgerichts Dresden vom 5. Mai 1993 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
die Revision zurückzuweisen.
Sie bezieht sich im wesentlichen auf die angefochtenen Urteile und trägt ergänzend vor:
Die Hinterbliebenenrente sei eine eigentumsgeschützte Rechtsposition. Sie sei durch Beiträge der Betriebe finanziert worden. Im übrigen habe sie sich im Januar 1991 bereits im Vorruhestand befunden und keine Arbeit mehr gefunden. Sie habe darauf vertrauen können, daß ihr die Hinterbliebenenversorgung weiterhin gewährt werde.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫).
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Beklagten ist unbegründet.
Zutreffend haben das SG und LSG entschieden, daß der Klägerin der mit der allgemeinen Leistungsklage und der isolierten Anfechtungsklage (§§ 54 Abs 1 Satz 1 Alternative 1, 54 Abs 5 und 56 SGG) geltend gemachte, ihr mit Bescheid vom 26. Juni 1968 zuerkannte Anspruch auf Hinterbliebenenrente aus der AVI für die Zeit vom 1. Januar bis 31. Dezember 1991 in Höhe von 386,10 DM monatlich zusteht (vgl im übrigen den Tenor des Urteils SG Dresden vom 5. Mai 1993).
Dieser Anspruch ist weder – auch – mit Wirkung für die Vergangenheit entfallen (§§ 48 Abs 1 Satz 2 Nr 4, 39 Abs 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch ≪SGB X≫; vgl zum Inkrafttreten des SGB X in den neuen Ländern zum 1. Januar 1991: EV Anlage I Kapitel VIII Sachgebiet D Abschnitt III Nr 2) noch mit Wirkung für die Zukunft durch den Bescheid vom Januar 1991 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. September 1992 zu Recht entzogen worden (§ 48 Abs 1 Satz 1 SGB X). Diese (mit-)angefochtenen Bescheide sind vielmehr insoweit rechtswidrig.
Der Rentenbewilligungsbescheid vom 26. Juni 1968 ist gemäß Art 19 EV (vgl auch § 77 SGG) für die Beklagte bindend und somit Rechtsgrundlage für den Anspruch der Klägerin geblieben. Eine wesentliche Änderung in den rechtlichen Verhältnissen iS des § 48 SGB X ist insoweit seit dem 31. Dezember 1990 nicht eingetreten. Es ist keine Ermächtigungsgrundlage ersichtlich, die es der Beklagten (bzw ihrer Rechtsvorgängerin, der Überleitungsanstalt Sozialversicherung – Zusatzversorgungen –) gestattet hätte, die mit Bescheid vom 26. Juni 1968 bewilligte Leistung – ohne Verwaltungsakt – ab Januar 1991 einzustellen und/oder diesen Bescheid aufzuheben. Denn der als Grundlage allein in Betracht kommende § 26 RAG – auf den die Beklagte und ihre Rechtsvorgängerin sich gestützt haben – ist nicht anwendbar (vgl das zur Veröffentlichung bestimmte Urteil des Senats vom 15. Dezember 1994 – 4 RA 67/93).
Durch den am 29. September 1990 in Kraft getretenen, mit Beginn des 3. Oktober 1990 in vollem Umfang Wirksamkeit erlangenden EV wurde § 26 Abs 1 RAG, soweit darin die Renten an erwerbsfähige Witwen und Witwer geregelt sind, für den gesamten Geltungsbereich der Vorschrift, dh auch für die Zeit ab 1. Juli 1990, unanwendbar. Denn die Vorschrift wurde spezialgesetzlich durch EV Nr 9 Buchst b verdrängt. EV Nr 9 hat nämlich die Überführung von in einem Sonder- oder Zusatzversorgungssystem erworbenen Anwartschaften oder Ansprüchen in das SGB VI grundsätzlich geregelt. Als eine dem Bundesgesetzgeber im Hinblick auf das Einigungsvertragsgesetz vom 23. September 1990 (BGBl II S 885) zuzurechnende Sachregelung geht die Bestimmung allen allgemeinen Vorschriften in der Anlage II des EV vor, wie etwa den Bestimmungen, in denen übergangsrechtlich die Fortgeltung oder weitere Anwendung von Recht der früheren DDR angeordnet worden ist (vgl hierzu das zur Veröffentlichung bestimmte Urteil des Senats vom 15. Dezember 1994 – 4 RA 67/93). Der EV enthält hinsichtlich § 26 RAG auch keine die Spezialregelung in EV Nr 9 verdrängende besondere Sachregelung. Er ordnet in den allgemeinen Vorschriften zur Sozialversicherung lediglich das Inkraftbleiben des RAG an. Die dort zu einzelnen Vorschriften des RAG ausgestalteten Maßgaben betreffen § 26 RAG ersichtlich nicht. § 26 Abs 1 RAG wäre daher seit dem 3. Oktober 1990 nur dann anwendbares Recht geblieben, wenn die Vorschrift mit den in EV Nr 9 Buchst b getroffenen Regelungen vereinbar wäre. Das ist aber nicht der Fall. Sie steht vielmehr hierzu derart in Widerspruch, daß sie für den gesamten Zeitraum, für den Bundesrecht rückwirkend Anwendung findet, dh seit dem 1. Juli 1990 (stRspr seit BSGE SozR 3-1300 § 44 Nr 8), unanwendbar geworden ist.
§ 26 Abs 1 RAG ist Bestandteil des zum 1. Juli 1990 von der demokratisierten DDR aufgrund des Art 20 des Vertrages über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR vom 18. Mai 1990 (BGBl II S 537) in Kraft gesetzten Konzepts zur Angleichung des Rentenrechts der DDR an das Rentenversicherungsrecht der Bundesrepublik Deutschland. Da bei Abschluß dieses Staatsvertrages und auch bei Erlaß des RAG am 28. Juni 1990 noch nicht abzusehen war, wann Deutschland wiedervereinigt sein werde, beruhen die Regelungen des RAG auf dem Grundgedanken, die für die angestrebte Angleichung notwendigen Änderungen möglichst zum 1. Januar 1991 in Kraft zu setzen. Angestrebt wurde zu diesem Zeitpunkt ein in den wesentlichen Grundstrukturen einheitliches, von sachfremden Vergünstigungen bereinigtes Rentenversicherungsrecht der DDR, das im wesentlichen dem Rentenversicherungsrecht der Bundesrepublik Deutschland entsprechen sollte. Deshalb sah der 6. Abschnitt über Zusatzversorgungssysteme des RAG auch für die zusätzlichen Versorgungen, die dem Recht der gesetzlichen Rentenversicherung der Bundesrepublik Deutschland fremd sind, deren Überführung im zweiten Halbjahr 1990 durch Neufestsetzung von Renten der Sozialversicherung vor (§ 24 Abs 1 Satz 1 RAG). Durch die Regelung über die Überführung bereits festgesetzter zusätzlicher Versorgungen (§§ 23, 24 RAG) und über die Überführung bisher erworbener Anwartschaften (§ 25 RAG) sollten die Berechtigten aus zusätzlichen Versorgungssystemen grundsätzlich den in der allgemeinen Sozialpflichtversicherung Versicherten gleichgestellt werden. Sachwidrig überhöhte Ansprüche und Anwartschaften sollten abgebaut, jedoch auch sachlich begründete Differenzierungen fortgeführt werden (vgl die Dynamisierung auch der auf Zusatzversorgungszeiten beruhenden Rententeile und die schonende Abschmelzung der noch gezahlten Teile der zusätzlichen Versorgung in § 24 Abs 5 und in § 25 Abs 2 RAG). Zur Beseitigung von – gemessen an dem Standard des DDR-Rentenversicherungsrechts, das am 1. Januar 1991 gelten sollte – ungerechtfertigten Leistungen dienten die §§ 26 und 27 RAG.
Die nach Auffassung der Volkskammer durch § 26 Abs 1 RAG zu beseitigende sachwidrige Ungleichheit im Blick auf die Versorgung erwerbsfähiger Witwen und Witwer bestand im Kern in folgendem: Gemäß § 19 der Rentenverordnung (RentenVO) vom 23. November 1979 (GBl I Nr 38 S 40) hatten in der allgemeinen Sozialpflichtversicherung der früheren DDR Anspruch auf Witwen- oder auf Witwerrente Frauen ab Vollendung des 60. Lebensjahres und Männer ab Vollendung des 65. Lebensjahres oder bei Vorliegen von Invalidität. Eine Witwe mit einem Kind unter drei Jahren oder mit zwei Kindern unter acht Jahren hatte ebenfalls einen Anspruch, wenn der Verstorbene die finanziellen Aufwendungen für die Familie überwiegend erbracht und zum Zeitpunkt seines Todes die Voraussetzungen zum Bezug einer Alters-, Invaliden- oder Kriegsbeschädigtenrente erfüllt hatte (vgl auch Art 2 § 11 des Rentenüberleitungsgesetzes ≪RÜG≫). Demgegenüber sahen die zusätzlichen Versorgungssysteme – bei im einzelnen unterschiedlicher Ausprägung – die Gewährung einer Hinterbliebenenversorgung auch schon für Witwen bzw Witwer ohne weitere Voraussetzungen vor, die das 60. bzw das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet hatten. So war es möglich, daß die Klägerin, die nach § 19 RentenVO eine Witwenrente aus der Sozialpflichtversicherung noch nicht beanspruchen konnte, gleichwohl eine Hinterbliebenenversorgung aus dem zusätzlichen Versorgungssystem bezog. § 26 Abs 1 RAG sollte diese Besserstellung in den Zusatzversorgungssystemen beseitigen. Dies klingt in dem mehrdeutigen Wortlaut der Vorschrift noch hinreichend klar an. Damit ist aber dieses Überführungsprogramm mit dem Programm des EV Nr 9 Buchst b nicht vereinbar.
EV Nr 9 hat das im RAG konkretisierte Konzept zur Überführung von Ansprüchen aus Zusatzversorgungssystemen entscheidend verändert (stRspr BSGE 72, 50, 65). Der vom RAG vorgesehene Zwischenschritt auf dem Weg zur Wiederherstellung der Rechtseinheit in Deutschland auf dem Gebiet des Rentenversicherungsrechts, die Schaffung eines DDR-Rentenversicherungsrechts, das im wesentlichen dem Rentenversicherungsrecht der Bundesrepublik Deutschland entsprach (Art 20 Abs 1 des Staatsvertrages), wurde im Blick auf das Inkrafttreten des SGB VI zum 1. Januar 1992 fallengelassen; gemäß EV Nr 9 Buchst b Satz 1 waren nunmehr die in Sonder- und Zusatzversorgungssystemen erworbenen Ansprüche und Anwartschaften auf Leistungen wegen verminderter Erwerbsfähigkeit, Alter und Tod bis zum 31. Dezember 1991 in die Rentenversicherung zu überführen; gleiches galt nach EV Nr 9 Buchst a für das Versicherungs- und Beitragsrecht (vgl zur Struktur von EV Nr 9: BSG SozR 3-8570 § 11 Nr 3 S 27 f; zur Bedeutung des Überführungszeitpunktes „31. Dezember 1991”: BSGE 72, 50, 56, 66). Damit ist aber in EV Nr 9 das ursprünglich für die Zeit ab Januar 1991 als Rechtsgrundlage vorgesehene bereinigte Rentenversicherungsrecht der DDR ersetzt worden durch das SGB VI.
Nach alledem hat EV Nr 9 Buchst b Satz 1 schon am 3. Oktober 1990, also zu einem Zeitpunkt, als Rentenansprüche „erwerbsfähiger” Hinterbliebener auf Hinterbliebenenrenten aus Zusatzversorgungssystemen noch bestanden, ausdrücklich bestimmt, daß die erworbenen Ansprüche auf Leistungen wegen Todes in die Rentenversicherung zu überführen sind. Das Bundesrecht hat dabei nicht zwischen erwerbsfähigen und nichterwerbsfähigen Witwen bzw Witwern unterschieden. Dementsprechend hat der parlamentarische Bundesgesetzgeber auch in § 4 Abs 1 des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes (AAÜG) vom 25. Juli 1991 (BGBl I S 1606, 1677), zuletzt geändert durch das Rentenüberleitungs-Ergänzungsgesetz vom 24. Juni 1993 (BGBl I S 1038), das seit dem 1. August 1991 (statt EV Nr 9 Buchst f) gilt, ebenfalls vorgesehen, daß die „in Zusatzversorgungssystemen erworbenen Ansprüche auf zusätzliche Hinterbliebenenversorgung (Abs 1 Nr 3 aaO) in die Rentenversicherung zu überführen sind”. Darüber hinaus ist in EV Nr 9 Buchst b Satz 2 bestimmt worden, daß bis zur Überführung (am 31. Dezember 1991) die leistungsrechtlichen Regelungen der jeweiligen Versorgungssysteme weiter anzuwenden sind, soweit sich „aus diesem Vertrag, insbesondere den nachfolgenden Regelungen” nichts anderes ergibt. Außer in dem nachfolgenden Satz 3 finden sich aber „in diesem Vertrag” im Blick auf Renten ua wegen Todes keine anderweitigen Sachregelungen, die dem Bundesgesetzgeber originär zuzurechnen sind. In Satz 3 wird das (nach dem Konzept von EV Nr 9 gemäß Buchst f aaO durch die Bundesregierung als Verordnungsgeber durchzusetzende) Überführungs- und Anpassungsprogramm (in Anlehnung an Art 20 des Staatsvertrages) einer künftigen bundesrechtlichen Regelung zugewiesen. Schließlich wird in EV Nr 9 Buchst c Satz 1 gemäß der neuen Zielvorgabe des Überführungskonzepts bestimmt, daß die Versorgungssysteme bis zur Überführung der darin erworbenen Ansprüche und Anwartschaften in die Rentenversicherung weitergeführt werden. Demnach durfte nach EV Nr 9 f der Verordnungsgeber nur diejenigen Angleichungen vornehmen, die im Blick auf das Angleichungsziel – das ab dem 1. Januar 1992 in ganz Deutschland gültige SGB VI – sachgerecht und verhältnismäßig waren. Nach § 46 Abs 2 Nr 2 iVm § 50 Abs 2 Nr 2 SGB VI haben Witwen, die – wie die Klägerin – nicht wieder geheiratet haben, nach dem Tode des versicherten Ehegatten, der – wie der Ehemann der Klägerin – die allgemeine Wartezeit erfüllt hatte, Anspruch auf die große Witwenrente, wenn sie – wie die Klägerin – das 45. Lebensjahr vollendet haben. Das in EV Nr 9 Buchst b angestrebte Angleichungsziel konnte also auf dem durch § 26 Abs 1 RAG beschrittenen Weg von vornherein nicht mehr erreicht werden. Die Anwendung dieser Vorschrift ist daher – und zwar für ihren gesamten zeitlichen Geltungsbereich ab 1. Juli 1990 – nach Maßgabe von EV Nr 9 Buchst b ausgeschlossen. § 26 Abs 1 Satz 1 und 2 RAG ist, soweit darin Regelungen über Versorgungen an erwerbsfähige Witwen und Witwer getroffen worden sind, nicht anwendbar.
Diesem Ergebnis steht nicht entgegen, daß der Bundesrat in seiner Initiative zur Abänderung von § 26 Abs 1 Satz 2 RAG und die Bundesregierung in ihrer Erwiderung hierauf (BT-Drucks 12/630 S 18 f; 20 f) von der Annahme ausgegangen sind, das geschriebene Recht sehe die Anwendung von § 26 Abs 1 RAG für die Zeit nach dem 3. Oktober 1990 vor. Diese dort nicht näher begründete Rechtsauffassung findet im EV keine hinreichende Grundlage. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat einen Bestätigungswillen des parlamentarischen Bundesgesetzgebers iS von Art 100 Abs 1 GG insoweit nicht festgestellt (SozR 3-8560 § 26 Nr 1). Der Bundesgesetzgeber hat sich danach § 26 RAG weder aufgrund der vorgenannten Bundesratsinitiative noch aufgrund des EV oder der Beratungen zum RÜG zu eigen gemacht (vgl hierzu das zur Veröffentlichung bestimmte Urteil des Senats vom 15. Dezember 1994 – 4 RA 67/93). Soweit das BVerfG (S 10 f aaO) im Blick auf die Beratungen zum RÜG angesprochen hat, diese seien erst im Mai 1991 erfolgt, „also zu einer Zeit, in der die von dieser Norm angeordnete Rechtsfolge, nämlich die Einstellung der Witwenrenten aus den Zusatzversorgungen an erwerbsfähige Witwen zum 31. Dezember 1990, bereits eingetreten” gewesen seien, handelt es sich um eine bloße Wiedergabe des Inhalts des § 26 Abs 1 RAG sowie der Verwaltungspraxis. Insbesondere hat das BVerfG selbst nicht geprüft, ob die ihm vorgetragenen Rechtsansichten und die Verwaltungspraxis mit der objektiven Rechtslage vereinbar sind. Der erkennende Senat ist daher durch die beiläufige Formulierung im Beschluß der 2. Kammer des 1. Senats des BVerfG nicht gebunden (§ 31 Abs 1 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes ≪BVerfGG≫). Er hat in eigener Kompetenz das „einfache” Gesetzesrecht, zu dem auch der EV Nr 9 und das RAG gehören, auszulegen und über die Anwendbarkeit zu entscheiden.
Die Rentenbewilligung der Klägerin vom 26. Juni 1968 blieb daher auch für das Jahr 1991 wirksam, da am 31. Dezember 1990 keine wesentliche Rechtsänderung iS von § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X eingetreten war. Die Klägerin kann mithin bis zum 31. Dezember 1991 die Zahlung von monatlich 386,10 DM als Hinterbliebenenversorgung beanspruchen.
Nach alledem ist die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen