Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung der Rentner. Anwartschaftszeit. Eigentumsschutz. Vertrauensschutz. Rechtsstaatsprinzip. unechte Rückwirkung. Sozialstaatsprinzip. Gleichheitssatz
Orientierungssatz
1. Die Vorschrift des § 165 Abs 1 Nr 3 Buchst a RVO nF ist nicht verfassungswidrig. Sie verstößt weder gegen die Eigentumsgarantie des Art 14 GG noch verletzt sie Grundsätze des Rechts- und des Sozialstaats oder den Gleichheitssatz.
2. Soweit das Rechtsstaatsprinzip und die daraus zu entnehmende Einschränkung für eine "unechte" Rückwirkung von Gesetzen bei Eingriffen des Gesetzgebers in bestehende Rechte und Anwartschaften überhaupt als Prüfungsmaßstab neben Art 14 GG heranzuziehen ist (vergleiche BVerfG vom 1981-07-01 1 BvR 874/77 ua = BVerfGE 58, 81, 120 f), sind die verfassungsrechtlichen Grenzen gewahrt.
Normenkette
RVO § 165 Abs 1 Nr 3 Buchst a Fassung: 1977-06-27; GG Art 3 Abs 1 Fassung: 1949-05-23; GG Art 14 Abs 1 Fassung: 1949-05-23; GG Art 20 Fassung: 1968-06-24
Verfahrensgang
SG Kiel (Entscheidung vom 19.02.1981; Aktenzeichen S 5 Kr 44/80) |
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Mitgliedschaft des Klägers in der Krankenversicherung der Rentner (KVdR). Der Kläger ist am 3. Juni 1915 geboren und als Rechtsanwalt und Notar tätig. Er hat seine Erwerbstätigkeit vor 1950 (nach seinen Angaben 1939) aufgenommen. Für die Zeit von September 1943 bis April 1945 sind für ihn Pflichtbeiträge zur Angestelltenversicherung entrichtet worden. Seit Januar 1954 hat er bis April 1973 laufend freiwillige Beiträge, anschließend aufgrund einer von ihm beantragten Pflichtversicherung (§ 2 Abs 1 Nr 11 des Angestelltenversicherungsgesetzes -AVG-) wieder Pflichtbeiträge bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres im Juni 1980 entrichtet. Am 24. April 1980 hat er Altersruhegeld beantragt, das ihm die beigeladene Bundesversicherungsanstalt für Angestellte für die Zeit ab Juli 1980 in Höhe von ca 1.800 DM auch bewilligt hat. Seine gleichzeitige Meldung zur KVdR hat die beklagte Krankenkasse abgelehnt, weil er seit der erstmaligen Aufnahme einer Erwerbstätigkeit, frühestens seit dem 1. Januar 1950, nicht mindestens die Hälfte der Zeit Mitglied eines Trägers der gesetzlichen Krankenversicherung gewesen sei (§ 165 Abs 1 Nr 3 Buchst a der Reichsversicherungsordnung -RVO- idF des Krankenversicherungs-Kostendämpfungsgesetzes -KVKG- vom 27. Juni 1977). Er gehört seit 1947 einer privaten Krankenkasse (Debeka) an; für die dort bestehende Krankheitskosten-Vollversicherung hat er für sich und seine Ehefrau seit 1976 monatlich Prämien von zusammen 414 DM gezahlt. Nach Ablehnung seiner Meldung zur KVdR (Bescheid der Beklagten vom 29. Mai 1980 und Widerspruchsbescheid vom 22. September 1980) hat er hilfsweise, dh für den Fall eines ihm ungünstigen Ausgangs des anhängigen Rechtsstreits, einen Beitragszuschuß zu seiner privaten Krankenversicherung beantragt und diesen von der Beigeladenen seit Juli 1980 in Höhe von ca 200 DM auch erhalten.
Seine Klage, mit der er beantragt, die genannten Bescheide der Beklagten aufzuheben und festzustellen, daß er seit Juli 1980 in der KVdR beitragsfrei versichert ist, hat das Sozialgericht (SG) als unbegründet abgewiesen. Es hat - insoweit in Übereinstimmung mit dem Kläger - die in § 165 Abs 1 Nr 3 Buchst a RVO nF geforderte Vorversicherungszeit nicht für erfüllt gehalten, im Gegensatz zum Kläger jedoch die Verfassungsmäßigkeit der genannten Vorschrift bejaht: Seine Anwartschaft auf eine beitragsfreie Krankenversicherung, wie sie nach früherem Recht bestanden habe, sei keine nach Art 14 des Grundgesetzes (GG) geschützte Rechtsposition gewesen; der Gesetzgeber habe sie mit dem KVKG den veränderten wirtschaftlichen Verhältnissen anpassen können; darauf habe sich der Kläger auch einstellen müssen (Urteil vom 19. Februar 1981).
Mit der vom SG zugelassenen Sprungrevision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter. Er hat die Entwicklung der KVdR seit 1941 dargelegt und auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zum Eigentumsschutz von Anwartschaften in der Rentenversicherung hingewiesen; danach habe er schon vor dem 1. August 1956, dh vor der erstmaligen Einführung einer Vorversicherungszeit in der KVdR, und dann erneut seit dem 1. Januar 1968 (Einbeziehung aller Rentner in die KVdR) zugleich mit einer Anwartschaft auf den Bezug einer Rente auch eine Anwartschaft auf eine beitragsfreie Mitgliedschaft in der KVdR erworben; diese sei bei der Neuregelung der KVdR durch das KVKG (Wiedereinführung einer Vorversicherungszeit) nach Art 14 GG in ihrem Bestande geschützt gewesen und mit der Bewilligung eines Altersruhegeldes und der Meldung zur KVdR "zum Vollrecht erstarkt".
Die beklagte Krankenkasse beantragt, die Revision des Klägers zurückzuweisen. Ihrer Ansicht nach verstößt § 165 Abs 1 Nr 3 Buchst a RVO idF des KVKG nicht gegen Verfassungsrecht: Daß die genannte Vorschrift im Sinne einer "unechten" Rückwirkung auch bestehende Versicherungsverhältnisse erfasse, werde durch überwiegende Interessen der Allgemeinheit an der Erhaltung der Funktions- und Leistungsfähigkeit der Krankenversicherung gerechtfertigt, ihnen gegenüber müsse das nicht besondere schutzwürdige Vertrauensinteresse des Klägers am Fortbestand der früheren Regelung zurücktreten. Er habe seine - mit dem KVKG entfallene - Anwartschaft auf beitragsfreie Mitgliedschaft in der KVdR auch nicht durch eigene Leistungen erworben, sie sei deshalb anders als Rentenanwartschaften nicht nach Art 14 GG geschützt gewesen. Schließlich würden das Sozialstaatsprinzip und der Gleichheitsgrundsatz durch die genannte Vorschrift nicht verletzt.
Die Beigeladene hat keine Anträge gestellt.
Alle Beteiligten haben einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist nicht begründet. Das SG hat zu Recht entschieden, daß er mit der Stellung eines Rentenantrags am 24. April 1980 nicht Mitglied der beklagten Krankenkasse geworden ist.
Nach § 165 Abs 1 Nr 3 RVO idF des KVKG, die seit dem 1. Juli 1977 gilt, sind kraft Gesetzes krankenversichert: Personen, welche die Voraussetzungen für den Bezug einer Rente aus der Rentenversicherung der Arbeiter oder der Rentenversicherung der Angestellten erfüllen und diese Rente beantragt haben, wenn a) sie oder die Person, aus deren Versicherung sie ihren Rentenanspruch ableiten, seit der erstmaligen Aufnahme einer Erwerbstätigkeit, jedoch frühestens seit dem 1. Januar 1950 bis zur Stellung des Rentenantrages mindestens die Hälfte der Zeit Mitglied eines Trägers der gesetzlichen Krankenversicherung waren oder mit einem Mitglied verheiratet und nicht mehr als nur geringfügig beschäftigt oder geringfügig selbständig tätig waren oder b) sie oder die Person, aus deren Versicherung sie ihren Rentenanspruch ableiten, zu den in § 1 oder § 17 Abs 1 des Fremdrentengesetzes Genannten gehören und ihren Wohnsitz innerhalb der letzten zehn Jahre vor der Rentenantragstellung in den Geltungsbereich dieses Gesetzes verlegt haben.
Von diesen Vorschriften kommt für den Kläger nur die in Buchst a genannte in Betracht und von ihr nur der Fall, daß der Rentenantragsteller selbst "seit der erstmaligen Aufnahme einer Erwerbstätigkeit, jedoch frühestens seit dem 1. Januar 1950 bis zur Stellung des Rentenantrages mindestens die Hälfte der Zeit Mitglied eines Trägers der gesetzlichen Krankenversicherung" war. Diese Voraussetzung erfüllt der Kläger nicht; er hat seine Tätigkeit als Rechtsanwalt vor dem 1. Januar 1950 aufgenommen und ist während des für ihn maßgebenden Zeitraums (1. Januar 1950 bis zum Rentenantrag am 24. April 1980) niemals Mitglied eines Trägers der gesetzlichen Krankenversicherung gewesen.
Auch die Übergangsvorschrift in Art 2 § 1 Abs 1 des KVKG ist auf ihn nicht anwendbar. Danach "gilt" als versichert nach § 165 Abs 1 Nr 3 RVO, wer wegen des Inkrafttretens des KVKG nicht mehr nach § 165 Abs 1 Nr 3 RVO versichert ist oder wer bis zum 30. Juni 1978 eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung beantragt, solange er die Rente bezieht. "Nicht mehr" nach der genannten Vorschrift versichert ist wegen des Inkrafttretens des KVKG nur derjenige, der bis zum Inkrafttreten des KVKG am 1. Juli 1977 als Rentner krankenversichert war und es seitdem nicht mehr ist, was für den Kläger nicht zutrifft. Auch der zweite Fall der Übergangsvorschrift - Rentenantrag bis zum 30. Juni 1978 - liegt bei ihm nicht vor.
Die hiernach im Falle des Klägers anzuwendende, in ihren Voraussetzungen von ihm aber nicht erfüllte Vorschrift in § 165 Abs 1 Nr 3 Buchst a RVO nF ist entgegen seiner Ansicht nicht verfassungswidrig. Sie verstößt weder gegen die Eigentumsgarantie des Art 14 GG noch verletzt sie Grundsätze des Rechts- und des Sozialstaats oder den Gleichheitssatz.
Ob der Kläger, wie er meint, bei Inkrafttreten des KVKG am 1. Juli 1977 eine "Anwartschaft" auf eine beitragsfreie Mitgliedschaft in der KVdR besaß, läßt der Senat offen. Der Kläger hatte damals mit den für ihn entrichteten Pflichtbeiträgen (September 1943 bis April 1945) und den später von ihm entrichteten bzw nachentrichteten freiwilligen Beiträgen nicht nur die "kleine" Wartezeit von 60 Versicherungsmonaten für eine Rente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit, sondern auch schon die "große" Wartezeit von 180 Monaten für ein Altersruhegeld erfüllt; jedenfalls nach Erfüllung dieser Wartezeiten besaß er, da die Gewährung einer der genannten Renten nur noch vom Eintritt des Versicherungsfalles abhing, eine Anwartschaft auf diese Renten (zu dem inzwischen in die Gesetzessprache eingegangenen Begriff der "Rentenanwartschaften" vgl §§ 1304 ff RVO = §§ 83 ff AVG, ferner § 1587a Abs 2 Nr 3 des Bürgerlichen Gesetzbuchs -BGB-, wo der Begriff sogar auf "Anwartschaften" vor Erfüllung der Wartezeit ausgedehnt ist, § 1587a Abs 7 Satz 1 BGB; zur Rechtsqualität sozialer Anwartschaften vgl auch Stober in: Verfassungsrechtlicher Eigentumsschutz sozialer Rechtspositionen, 2. Sozialrechtslehrertagung Bielefeld 1982, Schriftenreihe des Deutschen Sozialrechtsverbandes Bd XXIII, S 26 ff, und Rüfner ebenda S 180 ff). Entsprechende Anwartschaften könnte der Kläger auf sonstige Leistungen der Rentenversicherung gehabt haben, zu denen nach § 12 AVG ua Beiträge für die KVdR gehören. Dies legt es nahe, auch seine Aussicht, Mitglied der KVdR zu werden - die Mitgliedschaft erforderte nach früherem Recht (§ 165 Abs 1 Nr 3 RVO idF des Finanzänderungsgesetzes vom 21. Dezember 1967) lediglich die Erfüllung der Voraussetzungen für den Bezug einer Rente und deren Beantragung - als ein Anwartschaftsrecht im weiteren Sinne anzusehen, sobald alle Rentenbezugsvoraussetzungen, abgesehen vom Eintritt des Versicherungsfalls, erfüllt waren. Die Frage braucht hier indessen nicht abschließend entschieden zu werden, weil selbst bei Annahme eines solchen Anwartschaftsrechts dessen Aufhebung bzw Umgestaltung durch das KVKG nicht verfassungswidrig war.
Durch die neuere Rechtsprechung des BVerfG ist geklärt, daß das nach Art 14 GG gewährleistete "Eigentum" nicht nur private Rechte und Rechtsstellungen, sondern auch im öffentlichen Recht wurzelnde Rechtspositionen umfaßt, sofern sie ihrer Funktion nach dem privaten Eigentum entsprechen; dabei sind Rechtspositionen aus dem Recht der Sozialversicherung nicht ausgenommen (für Renten und Rentenanwartschaften vgl BVerfGE 53, 257, 289 ff; 55, 114, 131; 58, 81, 109 f). Bei der inhaltlichen Ausgestaltung oder nachträglichen Umgestaltung von solchen öffentlich-rechtlichen Rechtspositionen hat der Gesetzgeber allerdings einen erheblichen Entscheidungsspielraum (BVerfG aa0). Das gilt besonders dann, wenn die Rechtspositionen ganz oder teilweise nicht auf eigener Leistung (auf persönlichem Arbeits- und/oder Kapitaleinsatz) beruhen, sondern den Berechtigten aus Gründen staatlicher Fürsorge gewährt worden sind. Jedenfalls in diesen Fällen muß es dem Gesetzgeber erlaubt sein, wenn und soweit es das öffentliche Interesse, insbesondere das Interesse der Allgemeinheit an der Erhaltung der Funktions- und Leistungsfähigkeit eines Regelungssystems erfordert, eine unter anderen wirtschaftlichen Voraussetzungen gewährte Vergünstigung wieder einzuschränken oder zurückzunehmen (Art 14 Abs 1 Satz 2 GG). Dabei ist jedoch der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren und sind die Interessen der bisher begünstigt gewesenen Bürger, vor allem ihr Vertrauen auf den Fortbestand von ihnen verliehenen Rechtspositionen, gebührend zu berücksichtigen, was namentlich durch schonende Übergangsregelungen geschehen kann. Gemessen an diesen verfassungsrechtlichen Vorgaben (vgl dazu auch Stober und Rüfner aa0 S 24 ff und 169 ff, ferner Stolleis und Papier ebenda S 104 ff und 193 ff), hält der Senat die Neuregelung der KVdR durch das KVKG, soweit sie den Kläger betrifft, für unbedenklich.
Eine "Anwartschaft" auf eine von eigener Beitragsleistung freie Krankenversicherung als Rentner, wie sie der Kläger bis zum Inkrafttreten des KVKG am 1. Juli 1977 besaß, konnte für ihn erst durch das Finanzänderungsgesetz 1967 vom 21. Dezember 1967 entstehen; vorher, dh unter der Geltung des Gesetzes über KVdR vom 12. Juni 1956, waren nur solche Rentner (Rentenantragsteller) kraft Gesetzes beitragsfrei, die in den letzten fünf Jahren vor Stellung des Rentenantrags mindestens 52 Wochen bei einem Träger der gesetzlichen Krankenversicherung versichert gewesen waren (§ 165 Abs 1 Nr 3 RVO idF des genannten Gesetzes; für Hinterbliebene galt eine im wesentlichen entsprechende Regelung, § 165 Abs 1 Nr 4 RVO). Während der Geltung dieser Vorschriften hatte der - nie bei einem Träger der gesetzlichen Krankenversicherung versichert gewesene - Kläger keine Aussicht gehabt, bei Eintritt eines Rentenversicherungsfalls zugleich mit der Beantragung einer Rente beitragsfrei Mitglied einer gesetzlichen Krankenkasse zu werden. Andererseits wäre ihm aber schon nach diesem Recht ein - allerdings anders (pauschal) berechneter - Beitragszuschuß gewährt worden (§ 381 Abs 4 RVO idF des genannten Gesetzes); ein Recht zum freiwilligen Beitritt zu einer gesetzlichen Krankenkasse hätte er nur gehabt, wenn sein Gesamteinkommen eine bestimmte Höhe nicht überschritten hätte (§ 176 Abs 1 Nr 4 RVO idF des genannten Gesetzes).
Erst durch das Finanzänderungsgesetz 1967 sind mit Wirkung vom 1. Januar 1968 sämtliche Rentner (Rentenantragsteller) ohne Rücksicht darauf, ob und wie lange sie vorher Mitglied eines Trägers der gesetzlichen Krankenversicherung gewesen waren, in die KVdR einbezogen worden (§ 165 Abs 1 Nr 3 RVO idF von Art 1 Nr 1 des Finanzänderungsgesetzes 1967). Bis zum Jahre 1969 hatten sie allerdings als eigenen Beitragsanteil 2 vH des Zahlbetrags ihrer Rente selbst zu tragen (§ 381 Abs 1 Satz 2 RVO idF von Art 1 Nr 14 des Finanzänderungsgesetzes 1967; für Empfänger eines Beitragszuschusses galt eine entsprechende Regelung, § 381 Abs 4 Satz 3 RVO; beide Vorschriften wurden mit Wirkung vom 1. Januar 1970 durch das Gesetz vom 14. April 1970, BGBl I 337, wieder gestrichen).
Über die Gründe für die Einbeziehung aller Rentner in die - für sie zunächst teilweise, ab 1970 gänzlich beitragsfreie - KVdR geben die Gesetzesmaterialien, abgesehen von einem Hinweis, daß damit ein Vorschlag der Sozialenquete-Kommission verwirklicht werde, wenig Aufschluß (vgl zu BT-Drucks V/2341, S 3, Besonderer Teil, zu Art 1 § 1 Nr 01; der Bericht der Sozialenquete-Kommission ist veröffentlicht unter dem Titel: Soziale Sicherheit - Sozialenquete - in der Bundesrepublik Deutschland, hier vgl S 244 ff). Wesentlich mitgesprochen hat offenbar die Absicht, Familienangehörige von krankenversicherten Rentnern, die bisher wegen Nichterfüllung der Vorversicherungszeit beitragsfrei mitversichert gewesen waren, zu beitragspflichtigen Mitgliedern der Krankenkassen zu machen, der Krankenversicherung also weitere Beitragszahler zuzuführen (vgl die genannte BT-Drucks aa0 und S 7, zu Nr 6 Buchst a). Dieses Ziel war mit der Neuregelung der KVdR allerdings nur erreichbar, soweit tatsächlich an die Stelle von bisher beitragsfrei mitversicherten Familienangehörigen selbstversicherte und deshalb beitragszahlende Rentner traten (wobei die Aufteilung der Beitragslast zwischen den Rentnern und den Rentenversicherungsträgern die Krankenkassen nicht berührte). Im übrigen, dh soweit bisher nicht mitversichert gewesene Rentner in die KVdR einbezogen wurden, erwuchsen den Krankenkassen damit nur neue Lasten, für die alle anderen Mitglieder der Krankenkassen (Nichtrentner) mit aufkommen mußten, und zwar mit einer vom Gesetzgeber des Jahres 1967 zunächst auf 20 vH begrenzten "Interessenquote" (vgl die genannte BT-Drucks S 6 zu Nrn 4a bis 10 sowie § 393a RVO idF von Art 1 Nr 16 des Finanzänderungsgesetzes 1967).
Als diese Interessenquote in der Folgezeit - mitbedingt durch die Anfang der 70er Jahre einsetzende, bei den Rentnern anscheinend überproportional hohe Kostenexpansion der Versicherungsleistungen - auf 25 bis 30 vH der Leistungsaufwendungen für die Rentner anstieg, obwohl die (nach § 385 Abs 2 RVO berechneten und schneller als die Renten wachsenden) Beiträge der Rentenversicherungsträger ihren in § 393a RVO vorgesehenen Anteil an der Rentengesamtsumme von 10,98 vH erheblich überschritten (vgl die Tabelle in BT-Drucks 8/166, S 40; die Überzahlungen der Rentenversicherungsträger sind den Krankenkassen später belassen worden, Art 2 § 13 KVKG), sah sich der Gesetzgeber im KVKG genötigt, zum Zwecke einer Entlastung der Krankenkassen und der Rentenversicherungsträger diejenigen Rentner, die während ihres Berufslebens nicht in angemessenem Umfang durch eigene Krankenversicherungsbeiträge zur Deckung des KVdR-Defizits beigetragen hatten, wieder aus der KVdR auszuschließen (vgl BT-Drucks 8/166, S 22 f, Allgemeiner Teil; S 24, Besonderer Teil, zu Art 1 § 1 Nr 1). Als eine für die Einbeziehung in die KVdR "angemessene" Versicherungszeit wurde dabei - unter Zusammenfassung mehrerer während des Gesetzgebungsverfahrens gemachter Vorschläge - die Hälfte der Zeit seit der erstmaligen Aufnahme einer Erwerbstätigkeit angesehen, wobei aus verwaltungs- und beweistechnischen Gründen Zeiten vor dem 1. Januar 1950 außer Betracht bleiben sollten (BT-Drucks 8/338, S 60, zu Art 1 § 1 Nr 1).
Mit dieser Neuabgrenzung des von der KVdR erfaßten Personenkreises wurde im Grundsatz die frühere, vor dem 1. Januar 1968 bestehende Regelung wiederhergestellt, diese jedoch insofern noch erheblich verschärft, als nunmehr nicht schon eine Versicherungszeit von 52 Wochen während der letzten fünf Jahre vor dem Rentenantrag, sondern erst die "Halbdeckung" mit Versicherungszeiten während des gesamten Berufslebens (frühestens ab 1. Januar 1950 gerechnet) ausreicht. Durch eine gleichzeitige Änderung des § 205 Abs 1 Satz 1 RVO wurde die beitragsfreie Mitversicherung auf Familienangehörige mit einem bestimmten niedrigen Gesamteinkommen beschränkt; nur solche Personen konnten deshalb nach einem Ausschluß aus der KVdR wieder - wie vor 1968 - als mitversicherte Angehörige von Kassenmitgliedern die Krankenkassen belasten.
Diese Neuregelung der KVdR hält sich nach Ansicht des Senats noch im Rahmen des Gestaltungsspielraums, der dem Gesetzgeber bei der Bestimmung - auch der Neubestimmung - von Inhalt und Schranken öffentlich-rechtlicher Rechtspositionen zugestanden werden muß. Entscheidend ist dabei für den Senat die Erwägung, daß das Finanzänderungsgesetz 1967, soweit es Rentner in die KVdR einbezogen hatte, die bisher nicht bei einem Träger der gesetzlichen Krankenversicherung versichert gewesen waren, ihnen den für sie beitragsfreien KVdR-Schutz ohne eigene Vorleistungen - als eine von ihnen nicht "verdiente" Vergünstigung des Gesetzgebers - gewährt hatte. Andererseits lagen nach Ansicht des Senats für die Rücknahme dieser Vergünstigung durch das KVKG hinreichende Gründe vor, insbesondere eine gegenüber dem Jahre 1968 wesentlich verschlechterte Finanzlage der Krankenkassen, die bei einer Fortdauer jener Vergünstigung zu einer in dieser Höhe niemals beabsichtigt gewesenen Mitbelastung der Krankenkassenmitglieder mit den Defiziten der KVdR geführt hätte, ohne daß dies durch einen eigenen früheren Solidarbeitrag der begünstigten Rentner gerechtfertigt gewesen wäre.
Der Senat hat bei seiner Entscheidung auch berücksichtigt, daß den seit dem KVKG aus der KVdR ausgeschlossenen Rentnern wieder - wie früher vor dem 1. Januar 1968 - ein Anspruch auf einen Beitragszuschuß des Rentenversicherungsträgers zusteht, der allerdings seit dem 1. Juli 1977 nicht mehr pauschal (in Höhe der durchschnittlich von den Rentenversicherungsträgern für die pflichtversicherten Rentner gezahlten Beiträge), sondern individuell berechnet wird (11 vH des jeweiligen Rentenzahlbetrags, § 83e AVG idF des KVKG). Damit fließt den Empfängern eines solchen Beitragszuschusses eine Leistung zu, die sie selbst durch Zahlung von eigenen früheren Rentenversicherungsträgern insofern "vorfinanziert" haben, als der Rentenversicherungsträger früher aus ihren Beiträgen ebenfalls Beiträge zur KVdR und Beitragszuschüsse an andere geleistet hatte. Je größer der dafür abgezweigte (je nach Dauer und Höhe der eigenen Beitragsleistung verschieden hohe) Betrag insgesamt gewesen ist, um so höher ist in der Regel auch ihr späterer eigener Anspruch auf einen Beitragszuschuß. In diesem Sinne hat der Empfänger eines Beitragszuschusses den Anspruch darauf durch eigene Vorleistungen erworben. Das gleiche gilt bei den der KVdR angehörenden Rentnern für den Finanzierungsanteil, der von den Rentenversicherungsträgern an die Krankenkassen abzuführen ist und der seiner Höhe nach dem Beitragszuschuß entspricht. Dieser Anteil ist auch den durch das KVKG aus der KVdR ausgeschlossenen Rentnern in Gestalt eines Anspruchs auf Beitragszuschuß verblieben. Nicht erhalten geblieben ist ihnen allerdings der von der Krankenversicherung zu tragende Finanzierungsanteil der KVdR (die "Interessenquote" der Krankenkassen). Für diesen Anteil haben sie indessen während ihres Berufslebens selbst keine ausreichenden Vorleistungen erbracht, da Krankenversicherungsbeiträge von ihnen entweder überhaupt nicht oder nicht in dem seit dem KVKG geforderten Umfang entrichtet worden sind.
Im übrigen hat der Gesetzgeber den Übergang von der früheren Regelung der KVdR auf die neuen Bestimmungen des KVKG dadurch gemildert, daß er in der schon erwähnten Übergangsvorschrift Rentenantragsteller, die noch bis Juni 1978 eine Rente beantragt hatten, dem alten Recht unterstellt hat. Daß er dabei den Geltungsbereich der Übergangsvorschrift auf ein Jahr beschränkt hat, hält der Senat den Umständen nach für vertretbar. Eine weitere Ausdehnung der Übergangszeit hätte die vom Gesetzgeber mit der Neuregelung der KVdR bezweckte, dringend notwendige Kostenentlastung der Krankenkassen erst nach längerer Zeit wirksam werden lassen.
Der Gesetzgeber des KVKG hat schließlich den nach der Neuregelung der KVdR nicht mehr pflichtversicherten Rentnern unter bestimmten Voraussetzungen das Recht zum freiwilligen Beitritt zur gesetzlichen Krankenversicherung eingeräumt (§ 176 Abs 1 Nr 9 RVO idF des KVKG). Wenn er dabei den Beitritt nur solchen Rentnern gestattet hat, deren Gesamteinkommen unterhalb einer bestimmten Grenze liegt (die der noch berufstätige Kläger anscheinend überschreitet), so sind dafür offenbar sozialpolitische Erwägungen maßgebend gewesen (vgl BT-Drucks 8/166, S 24, zu § 1 Nr 3, wo auf die vor 1968 geltende Regelung und damit auf § 176 Abs 1 Nr 4 RVO aF hingewiesen worden ist). Eine Erstreckung dieser - "fürsorglich" gewährten - Vergünstigung auf alle seit dem KVKG nicht mehr der KVdR angehörenden Rentner wäre nicht nur mit dem systematischen Grundgedanken des § 176 RVO, der die Versicherungsberechtigung allgemein von einer Einkommensgrenze abhängig macht, unvereinbar gewesen, sondern hätte auch zu einer die Krankenkassen benachteiligenden negativen Risikoauslese führen können, da von der Beitrittsberechtigung eher die schlechten Risiken Gebrauch gemacht hätten, insbesondere Rentner mit familienhilfeberechtigten Angehörigen, was wiederum die beabsichtigte Kostenentlastung der Krankenkassen gefährdet hätte. Dieser Nachteil wäre für die Krankenkassen auch dadurch nicht oder mindestens nicht voll ausgeglichen worden, daß sie von den freiwillig beigetretenen Rentnern Beiträge auch von den neben der Rente bezogenen "sonstigen Einnahmen zum Lebensunterhalt" erheben können (§ 180 Abs 4 RVO idF des KVKG, für die Zeit ab 1. Januar 1983 ersetzt durch die Vorschriften in § 180 Abs 7 iVm Abs 5 und 6 RVO idF des Art 2 des Gesetzes über die Anpassung der Renten der gesetzlichen Rentenversicherung im Jahr 1982 vom 1. Dezember 1981, BGBl I 1205).
Hat somit die vom Kläger beanstandete Neuregelung der KVdR durch das KVKG und der dadurch für ihn bewirkte Ausschluß aus der (zZ noch beitragsfreien) KVdR kein nach Art 14 GG geschütztes, weil durch eigene Leistung erworbenes Anwartschaftsrecht des Klägers verletzt, so gilt das gleiche auch, soweit es sich um eine Verletzung des Rechtsstaats- und des Sozialstaatsprinzips handelt.
Soweit das Rechtsstaatsprinzip und die daraus zu entnehmenden Einschränkungen für eine "unechte" Rückwirkung von Gesetzen bei Eingriffen des Gesetzgebers in bestehende Rechte und Anwartschaften überhaupt als Prüfungsmaßstab neben Art 14 GG heranzuziehen ist (vgl dazu BVerfGE 58, 81, 120 f), sind die verfassungsrechtlichen Grenzen gewahrt. Das muß jedenfalls für Fälle wie den des Klägers gelten, der nicht erst aufgrund des Rentenreformgesetzes von 1972 Beiträge zur Rentenversicherung entrichtet hat, um damit einen späteren kostenlosen Krankenversicherungsschutz zu erwerben. Allein eine Erwartung des Klägers, daß die ihn begünstigende Regelung der KVdR durch das Finanzänderungsgesetz 1967 auch unter veränderten wirtschaftlichen Verhältnissen bestehen bleiben werde, begründete für ihn keinen schutzwürdigen Vertrauenstatbestand.
Schließlich war der Gesetzgeber auch durch den Sozialstaatsgrundsatz nicht gehindert, die fragliche Regelung zu treffen. Dieser Grundsatz ließ es nicht nur zulässig, sondern sogar geboten erscheinen, daß zu der 1977 notwendig gewordenen Entlastung der Krankenkassen von ihren Aufwendungen für die KVdR in erster Linie diejenigen herangezogen wurden, die - wie der Kläger - selbst nie oder in nicht ausreichendem Umfange zur Deckung dieser Aufwendungen beigetragen hatten.
Aus dem gleichen Grunde verstößt die hier anzuwendende Vorschrift in § 165 Abs 1 Nr 3 Buchst a RVO idF des KVKG nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz und das in ihm enthaltene Willkürverbot. Wenn der Gesetzgeber im KVKG den Kreis der in die KVdR einbezogenen Rentner danach abgegrenzt hat, in welchem Umfange sich die einzelnen Rentner während ihres Berufslebens durch eigene Krankenversicherungsbeiträge angemessen am Solidarausgleich der Krankenversicherung beteiligt hatten, so hat er damit an ein der gesetzlichen Krankenversicherung eigentümliches Strukturprinzip angeknüpft (vgl zum "intertemporären Solidarausgleich" Isensee, Umverteilung durch Sozialversicherungsbeiträge, 1973, S 18).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen