Leitsatz (amtlich)
1. Hat das Sozialgericht die Zulassung der Sprungrevision zunächst in den Entscheidungsgründen des Urteils in der irrtümlichen Annahme abgelehnt, es bestünden (noch) verfahrensrechtliche Hinderungsgründe, hat es aber später das Rechtsmittel durch Beschluß zugelassen, ist das BSG an die Zulassung gebunden (SGG § 161 Abs 2 S 2; Weiterführung von BSG - Großer Senat vom 18.11.1980 - GS 3/79 = BSGE 51, 23 = SozR 1500 § 161 Nr 27 und BSG vom 30.1.1985 - 1 RA 5/84 = BSG SozR aaO Nr 31).
2. Auch nach Mehrfachgeburten wird bei Betreuung und Erziehung mehrerer Kinder in einem Haushalt für denselben Zeitraum bis zur Vollendung des zehnten (bzw zwölften) Lebensmonats Bundeserziehungsgeld nur einmal gewährt (BErzGG § 3 Abs 1 S 2, § 4 Abs 1).
3. BErzGG § 3 Abs 1 S 2 iVm § 4 Abs 1 und § 5 Abs 1 sind nicht grundgesetzwidrig.
Orientierungssatz
1. § 3 Abs 1 S 2, § 4 Abs 1 und § 5 Abs 1 BErzGG verstoßen nicht gegen Art 3, 6, 20 Abs 1 und Art 28 Abs 1 S 1 GG.
2. Die Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil wurde nicht zur Entscheidung angenommen (Gründe vgl BVerfG 1. Senat 3. Kammer vom 14.6.1989 1 BvR 1321/86).
Normenkette
SGG § 161 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 2; BErzGG § 3 Abs. 1 S. 2, § 4 Abs. 1, § 5 Abs. 1; GG Art. 6 Abs. 1-2, 4, Art. 3 Abs. 1-2, Art. 20 Abs. 1, Art. 28 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
SG Konstanz (Entscheidung vom 19.05.1988; Aktenzeichen S 7 Eg 106/88) |
Tatbestand
Streitig ist ein höheres - ein zweites und ein drittes - Erziehungsgeld.
Die Klägerin, eine Hausfrau, erzieht in ihrem Haushalt in Konstanz ihre am 9. Oktober 1987 geborenen Drillinge Sebastian, Fabian und Katharina. Auf den Antrag vom 16. Oktober 1987, in dem sie im Einverständnis mit ihrem Ehemann zur Bezugsberechtigten bestimmt wurde, gewährte ihr die beklagte Landeskreditbank Baden-Württemberg mit dem streitigen Bescheid vom 3. November 1987, bestätigt durch den Widerspruchsbescheid vom 4. Januar 1988, Erziehungsgeld aus Anlaß der Geburt der drei Kinder für 10 Lebensmonate in Höhe von jeweils insgesamt 600,-- DM unter Hinweis gemäß § 3 Abs 1 Satz 2 des Gesetzes über die Gewährung von Erziehungsgeld und Erziehungsurlaub (Bundeserziehungsgeldgesetz - BErzGG) vom 6. Dezember 1985 (BGBl I S 2154), daß bei Betreuung und Erziehung mehrerer Kinder in einem Haushalt für denselben Zeitraum nur einmal Erziehungsgeld gewährt werde.
Die Klage auf Zahlung von Erziehungsgeld in Höhe von insgesamt 18.000,-- DM, hilfsweise in Höhe von monatlich 600,-- DM für den 11. bis 30. Lebensmonat, hat das Sozialgericht (SG) Konstanz im angefochtenen Urteil vom 19. Mai 1988 abgewiesen: § 3 Abs 1 Satz 2 BErzGG verstoße nicht gegen das Grundgesetz (GG). Ferner ist ausgeführt, die - hilfsweise beantragte - Zulassung der Sprungrevision sei nicht möglich, da eine schriftliche Zustimmung der Beklagten nicht vorgelegen habe. Durch Beschluß vom 20. Oktober 1988 hat das SG die Sprungrevision gegen das og Urteil nachträglich zugelassen.
Zur Begründung ihrer Revision hiergegen trägt die Klägerin vor, § 3 Abs 1 Satz 2 BErzGG sei mit dem GG nicht vereinbar, soweit Drillingsgeburten überhaupt nicht berücksichtigt würden. Aus dem GG und dem Normzweck des BErzGG lasse sich herleiten, daß das Erziehungsgeld in solchen Fällen entweder höher sein oder länger gewährt werden müsse als bei der Geburt und Betreuung eines einzelgeborenen Kindes. Das BErzGG diene zum einen der Anerkennung der Erziehungsleistung der Eltern in Geld, zum andern solle es den Verzicht auf die Erwerbsmöglichkeit erleichtern oder ermöglichen, damit sich die Eltern in einer entscheidenden Lebensphase des Kindes seiner Betreuung widmen könnten. Soweit es um die Anerkennung der Erziehungsleistung gehe, ergebe sich aus Art 3 Abs 1 GG, daß das Erziehungsgeld bei Drillingen höher sein müsse als bei der Erziehung von Einzelgeborenen, weil drei Säuglinge mehr Arbeit machten. Soweit das Erziehungsgeld den Verzicht auf eine Erwerbstätigkeit im Interesse der Betreuung des Kindes erleichtern solle, sei davon auszugehen, daß drei gleichzeitig geborene Kinder in zehn Monaten durch die Mutter nicht gleich gefördert und erzogen werden könnten wie ein Einzelkind. Deshalb sei ein längerer Erwerbsverzicht vonnöten, der durch Erziehungsgeld ausgeglichen werden müsse. Wegen der verzögerten Entwicklung von Drillingskindern (Brutkasten, Geburtsgewicht etc) verlängere sich die vom BErzGG ins Auge gefaßte Lebensphase der Kinder auf 20 bis 30 Monate. Auch könne die Mutter jedem einzelnen Kind nur ein Drittel der Aufmerksamkeit schenken. Diese längere Lebensanlaufphase berücksichtige das BErzGG nicht. Da die gesetzlich geschützte erste wichtige Lebensphase von zehn bis zwölf Monaten jedem einzelnen Drillingskind zustehe, aber nur eine Mutter vorhanden sei, müsse Erziehungsgeld für 30 Monate gewährt werden, um jedem einzelnen Drillingskind die Entwicklungschancen zu ermöglichen, wie sie bei Einzelgeburten bestehen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 19. Mai 1988 und den Bescheid der Beklagten vom 3. November 1987 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 4. Januar 1988 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, Bundeserziehungsgeld in Höhe von insgesamt 18.000,-- DM zu gewähren, hilfsweise, die Beklagte zu verurteilen, für den 11. bis 30. Lebensmonat der Drillinge G. Bundeserziehungsgeld in Höhe von monatlich 600,-- DM zu gewähren, ferner hilfsweise, den Rechtsstreit dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vorzulegen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und trägt vor, es begegne auch im Fall der Geburt von Drillingen keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, für denselben Zeitraum nur einmal Erziehungsgeld zu gewähren. Der infolge des Verzichts auf die Ausübung einer vollen Erwerbstätigkeit entstehende Ausfall an Arbeitsentgelt, der durch die Gewährung von BErzGG zumindest teilweise abgemindert werden solle, richte sich nicht nach der Anzahl der betreuten und erzogenen Kinder. Art 6 Abs 1 GG verpflichte den Gesetzgeber nicht, den Umstand, daß die für die Betreuung und Erziehung entscheidende erste Lebensphase bei Drillingen möglicherweise aufgrund verzögerter Entwicklung länger andauern könne als bei einzelgeborenen Kindern, durch die Gewährung von Erziehungsgeld für einen längeren Zeitraum Rechnung zu tragen. § 4 Abs 1 BErzGG, nach dem Erziehungsgeld für Kinder, die vor dem 1. Januar 1988 geboren werden, vom Tag der Geburt bis zur Vollendung des zehnten Lebensmonats gewährt wird, sei verfassungsrechtlich unbedenklich (Hinweis auf Bundesverfassungsgericht -BVerfG- Beschluß vom 6. Oktober 1988, Az: 2 BvR 1328/88).
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist zulässig. Das Rechtsmittel steht der Klägerin unter Übergehung der Berufungsinstanz zu, weil es von dem SG auf Antrag der Klägerin und nach schriftlicher Zustimmung der Beklagten durch Beschluß vom 20. Oktober 1988 zugelassen worden ist (§ 161 Abs 1 Satz 1 Alternative 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG). Nach § 161 Abs 2 Satz 2 SGG ist das Bundessozialgericht (BSG) an diese Zulassung gebunden. Danach hat das Revisionsgericht die Zulassung der Revision durch das SG auch dann hinzunehmen, wenn sie unter Verstoß gegen die Verfahrensvorschriften zustande gekommen oder inhaltlich unrichtig sein sollte. Unwirksam ist der die Sprungrevision zulassende Beschluß nämlich nur, wenn er sich als eine Nicht- oder Scheinentscheidung oder eine sonst völlig wirkungslose Entscheidung darstellt (BSG - Großer Senat - E 51, 23 = SozR 1500 § 161 Nr 27 S 57 f; BSG SozR aaO Nr 31). Der og Zulassungsbeschluß des SG ist indessen wirksam. Zwar hatte das SG zuvor im angefochtenen Urteil die Zulassung der Revision zunächst abgelehnt. Die Frage, ob deswegen der spätere Antrag der Klägerin, das Rechtsmittel durch Beschluß zuzulassen, im Blick auf die Unanfechtbarkeit der Ablehnung der Zulassung (§ 161 Abs 2 Satz 3 SGG) unzulässig war (Hennig in: Hennig/Danckwerts/König, Sozialgerichtsgesetz, Kommentar, Stand: Juni 1985 § 161 Anm 3.6. u 6.2.; Rohwer-Kahlmann, Aufbau und Verfahren der Sozialgerichtsbarkeit, Kommentar, Stand: IV/1987, § 161 RdNrn 28, 51, 57; Meyer-Ladewig, SGG, 3. Aufl 1987, § 161 RdNr 6; aA Bley, in: SGB-SozVers-Gesamtkommentar, Bd 6, Sozialgerichtsgesetz, § 161 Anm 6a; Zeihe, SGG, Stand: Juni 1979, § 161 Abs 1 RdNr 9b) kann dahingestellt bleiben. Es läßt sich nämlich nicht begründen, daß der Zulassungsbeschluß des SG, der auf einen unzulässigen nachträglichen Zulassungsantrag ergeht, eine das BSG nicht bindende Nicht- oder Scheinentscheidung wäre (vgl BSG SozR 1500 § 161 Nr 31 für den Fall des Fehlens einer wirksamen Zustimmung des Gegners). Dies gilt jedenfalls dann, wenn das SG die Zulassung der Sprungrevision - wie hier - nur in den Entscheidungsgründen des Urteils und nur deswegen abgelehnt hat, weil es - rechtsirrtümlich - angenommen hat, der Zulassung der Revision ständen (noch) verfahrensrechtliche Hinderungsgründe - die schriftliche Zustimmung der Beklagten - entgegen. Ein solcher Irrtum in bezug auf die formell-rechtlichen Erfordernisse der Zulassung "im Urteil" (Alternative 1 aaO) berührt die Wirksamkeit einer späteren nachträglichen Zulassung "durch Beschluß" (Alternative 2 aaO) nicht.
Die Revision ist in der Sache nicht begründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf ein zweites und drittes oder auf ein Erziehungsgeld in Höhe von monatlich 600,-- DM auch für den 11. bis 30. Lebensmonat ihrer Kinder.
Keiner Darlegung bedarf, daß sie erziehungsgeldberechtigt iS der §§ 1, 2 und 3 Abs 1 Satz 1 u Abs 2 Satz 1 BErzGG ist. Nach § 3 Abs 1 Satz 2 aaO wird bei Betreuung und Erziehung mehrerer Kinder in einem Haushalt für denselben Zeitraum nur einmal Erziehungsgeld gewährt und zwar nach § 4 Abs 1 aaO vom Tag der Geburt bis zur Vollendung des zehnten Lebensmonats. Gemäß § 5 Abs 1 aaO beträgt das Erziehungsgeld 600,-- DM monatlich. Da die Klägerin ihre drei an demselben Tage geborenen Kinder in einem Haushalt betreut und erzieht, steht ihr für die ersten zehn Lebensmonate der Kinder nur einmal Erziehungsgeld in Höhe von monatlich 600,-- DM zu. Das hat die Beklagte mit dem streitigen Bescheid zutreffend festgestellt. Auch bei Mehrlingsgeburten wird nämlich nur einmal Erziehungsgeld gezahlt (BT-Drucks 10/3792 S 15 f; Wiegand, Kommentar zum Bundeserziehungsgeldgesetz, Stand: April 1987, § 3 RdNr 3; Grüner/Dalichau, Bundeserziehungsgeldgesetz/Sozialgesetzbuch, Kommentar, Stand: September 1988, Anm II. 2.; Zmarzlik/Zipperer/Viethen, Mutterschutzgesetz, 5. Auflage 1986, BErzGG § 3 RdNr 2, S 386 f; Hünsch, Erziehungs- und Kindergeldrecht, 1988, BErzGG § 3 RdNr 105, S 71 f; Igl, Kindergeld und Erziehungsgeld, 1986, BErzGG § 3 Anm 2; Heilmann, Der Personalrat 1986, 5; derselbe, Arbeitsrecht im Betrieb 1986, 12; Schleicher, Der Betriebsberater, Beil 1/86, 3; jeweils mwN).
Soweit es im vorliegenden Fall für die Entscheidung des Rechtsstreits auf die Gültigkeit der §§ 3 Abs 1 Satz 2, 4 Abs 1 und 5 Abs 1 BErzGG ankommt (Art 100 Abs 1 Satz 1 GG), bestehen keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken, die den Senat zwängen, das Verfahren auszusetzen und die Entscheidung des BVerfG einzuholen. Da die gesetzlichen Voraussetzungen für einen Anspruch der Klägerin auf Gewährung von Erziehungsgeld vorliegen, kommt es allein darauf an, ob es verfassungsgemäß ist, daß auch bei Mehrfachgeburten (hier: Drillingen) Erziehungsgeld nur vom Tag der Geburt bis zur Vollendung des 10. Lebensmonats (bei Geburten nach dem 31. Dezember 1987: bis zur Vollendung des 12. Lebensmonats) und nur in Höhe von monatlich 600,-- DM zu gewähren ist. Es kommt hingegen nicht darauf an, ob das BErzGG in anderer Hinsicht Systembrüche aufweist oder sonstige verfassungswidrige Regelungen enthält (dazu: SG Hamburg FamRZ 1987, 1312; SG Speyer, Beschluß vom 5. Juni 1987 - S 9 Eg 1/86; Münder, Recht der Jugend und des Bildungswesens 1987, 21; Igl in: Jahrbuch des Sozialrechts der Gegenwart, herausgegeben von Wannagat, Bd 10 1988, S 223, 233). Wären nämlich schon die Normen, nach denen der Klägerin der Anspruch auf Erziehungsgeld zusteht, wegen eines Verstoßes gegen das GG nichtig, könnte ihr schon deswegen kein höheres Erziehungsgeld zuerkannt werden, also kein anderes Urteil in der Sache ergehen.
Das BVerfG hat bereits entschieden, es sei nicht verfassungswidrig, daß das BErzGG ua durch § 4 Abs 1 aaO für die Gewährung von Erziehungsgeld zeitlich an die Geburt und das Lebensalter des Kindes anknüpft (BVerfG SozR 7833 § 1 Nr 3 und Beschluß der 3. Kammer des 2. Senats vom 10. Oktober 1988 - 2 BvR 1328/88). Auch die hier umstrittenen Regelungen widersprechen dem GG nicht:
Die Verfassung gibt bei Mehrfachgeburten weder einen Anspruch auf ein zweites oder drittes usw Erziehungsgeld oder auf Erziehungsgeld für einen verlängerten Bezugszeitraum noch verpflichtet sie - objektiv-rechtlich - den Gesetzgeber, eine solche Regelung zu treffen. Nach Art 6 Abs 4 GG hat jede Mutter Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft. Diese Vorschrift enthält einen für den gesamten Bereich des privaten und öffentlichen Rechts verbindlichen Auftrag an den Gesetzgeber, wirtschaftliche Belastungen der Mütter auszugleichen, die im Zusammenhang mit ihrer Schwangerschaft und Mutterschaft stehen, bedeutet indessen nicht, daß er gehalten wäre, jede mit der Mutterschaft zusammenhängende Belastung zu beheben (BVerfGE 32, 273, 277; 60, 68, 74; BVerfG SozR 7833 § 1 Nr 3). Sie konkretisiert für ihren speziellen Bereich das Sozialstaatsprinzip (Art 20 Abs 1, 28 Abs 1 Satz 1 GG - BVerfGE 32, 273, 279; 65, 104, 113), verpflichtet den Gesetzgeber aber nicht, bei Mehrfachgeburten einen Anspruch auf höheres Erziehungsgeld einzuräumen. Sie schützt - in Abweichung vom allgemeinen Gleichheitssatz (Art 3 Abs 1 iVm Abs 2 GG; Eva Marie von Münch, in: Grundgesetz-Kommentar, herausgegeben von Ingo von Münch, Bd 1, 3. Auflage 1985, Art 6 RdNr 34 mwN) - allein "die Mutter", soweit und solange biologische Gründe dies notwendig machen. Hingegen knüpfen die Regelungen des BErzGG über die Gewährung von Erziehungsgeld, durch die der frühere, den Mutterschutz betreffende - verfassungsgemäße - Rechtszustand erheblich fortentwickelt worden ist und die weitere Vergünstigungen eingeführt haben (BVerfG SozR 2200 § 200 Nr 9 S 20), nicht an die besonderen Schutzbedürfnisse der Mutter, sondern an die Beeinträchtigung der Erwerbsmöglichkeiten des betreuenden und erziehenden Elternteils (Vater oder Mutter) an. Denn das Erziehungsgeld soll ermöglichen oder erleichtern, daß sich ein Elternteil in der für die ganze spätere Entwicklung entscheidenden ersten Lebensphase eines Kindes dessen Betreuung und Erziehung widmet. Daher werden - je nach der freien Wahl der Eltern - betreuende und erziehende Mütter oder Väter begünstigt. Als familienpolitische Maßnahme dient es in erster Linie der Familienförderung, nicht dem Mutterschutz (vgl BSGE 62, 67 = SozR 7833 § 1 Nr 1; BT-Drucks 10/3792 S 1, 13), der uU als günstige Nebenwirkung eintreten kann und schon deswegen im Einklang mit Art 6 Abs 4 GG steht.
Art 6 Abs 1 GG, nach dem Ehe und Familie unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung stehen, ist gleichfalls nicht verletzt. Die Vorschrift enthält ua eine wertentscheidende Grundsatznorm, dh eine verbindliche Wertentscheidung für das gesamte Recht, soweit es Ehe und Familie betrifft (BVerfGE 6, 55, 72; 62, 323, 329), aus der sich ua die Verpflichtung des Staates ergibt, die Familie auch in ihrem wirtschaftlichen Zusammenhalt durch geeignete Maßnahmen zu fördern (BVerfGE 6, 55, 76; 13, 331, 347; 55, 114, 126; 61, 18, 25; 62, 323, 332). Diese Förderungspflicht geht jedoch nicht soweit, daß der Gesetzgeber gehalten wäre, jegliche die Familie treffende finanzielle Belastung auszugleichen (BVerfGE 23, 258, 264; 55, 114, 127). So läßt sich zB ein Anspruch auf finanzielle Entlastung des Unterhaltsleistenden aus Art 6 Abs 1 GG nicht herleiten (BVerfGE 28, 104, 113 f; 40, 121, 132; 43, 108, 121). Eine Förderung der Familie nach dem Maß der von den Eltern erbrachten Unterhaltsleistungen ist verfassungsrechtlich nicht zwingend vorgeschrieben, so daß sich der Gesetzgeber ohne Verstoß gegen seine Pflicht zur Familienförderung gegen die Stellungnahme des Bundesrates (Beschluß vom 27. September 1985, BR-Drucks 350/85) und gegen den Gesetzentwurf der Fraktion der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) vom 10. September 1985 (BT-Drucks 10/3806 S 5 f, 15 f - §§ 9 Abs 1 Satz 2, 11 Abs 3 des Entwurfes eines Gesetzes zur Förderung der Vereinbarkeit von Familie und Beruf - Elternurlaubsgesetz) entscheiden durfte. Ferner gehören die "Aufwendungen für die Pflege und Erziehung der Kinder offensichtlich in den Bereich der privaten Lebensführung" (BVerfGE 47, 1, 24). Denn Pflege und Erziehung der Kinder sind gemäß Art 6 Abs 2 GG das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Daher kann der Gesetzgeber grundsätzlich im Rahmen seiner Gestaltungsfreiheit bestimmen, auf welche Weise er seiner Verpflichtung zur Förderung der Familie nachkommen will. Insbesondere ist es weitgehend dem Ermessen des Gesetzgebers anheimgegeben, ob und ggf in welchem Umfang er Aufwendungen für Betreuung und Erziehung aus steuerlichen Mitteln ausgleichen will (vgl BVerfGE 21, 1, 6; 62, 323, 333). Art 6 GG sagt nichts darüber, wie ein Familienlastenausgleich durchgeführt werden darf (BVerfGE 11, 105, 126; 39, 316, 326). Das Erziehungsgeld soll den wirtschaftlichen Nachteil der Einschränkung der Erwerbsmöglichkeit während (und vom Gesetzgeber vermutet: wegen) der Betreuung und Erziehung eines Kindes in der ersten Lebensphase teilweise ausgleichen (BT-Drucks 10/3792 S 13), nicht Unterhaltsaufwendungen ersetzen oder - abstrakt - die Zuwendung zum Kind "belohnen". (Beides kann sich im Einzelfall als - willkommene - Nebenwirkung einstellen.) Es ist ein Beitrag zur Verbesserung der Familienförderung und steht schon deswegen im Einklang mit Art 6 Abs 1 GG.
Das Sozialstaatsprinzip (Art 20 Abs 1, 28 Abs 1 Satz 1 GG) schreibt gleichfalls nicht die Gewährung eines höheren Erziehungsgeldes bei Mehrfachgeburten vor. Es begründet die Pflicht des Staates, für eine gerechte Sozialordnung zu sorgen. Es stellt dem Staat eine Aufgabe, sagt aber nichts darüber, wie sie im einzelnen zu verwirklichen ist. Wäre es anders, würde es uU mit dem Prinzip der Demokratie in Widerspruch geraten (BVerfGE 59, 231, 263). Bei der Erfüllung der Pflicht kommt dem Gesetzgeber ein weiter Gestaltungsspielraum zu (BVerfGE 18, 257, 273; 29, 221, 235). Das Sozialstaatsprinzip enthält infolge seiner Weite und Unbestimmtheit regelmäßig keine unmittelbaren Handlungsanweisungen, die durch die Gerichte ohne gesetzliche Grundlage in einfaches Recht umgesetzt werden könnten. Insoweit ist es richterlicher Inhaltsbestimmung weniger zugänglich als zB Grundrechte. Es zu verwirklichen ist in erster Linie Aufgabe des Gesetzgebers (BVerfGE 65, 182, 193). Es bedarf keiner Darlegung, daß dem Sozialstaatsprinzip im Wege richterlicher Auslegung nicht entnommen werden kann, ob bei Mehrfachgeburten höheres Erziehungsgeld zu gewähren ist. Das hat der Gesetzgeber zu entscheiden.
Die Gleichbehandlung von Betreuung und Erziehung nach Mehrfach- und Einzelgeburten ist schließlich ebenfalls nicht verfassungswidrig. Das sozialpolitische Gestaltungsermessen des Gesetzgebers ist zwar durch Art 3 Abs 1 GG begrenzt, nach dem alle Menschen vor dem Gesetz gleich sind. Der Gleichheitssatz ist aber erst verletzt, wenn sich ein vernünftiger, sich aus der Natur der Sache ergebender oder sonstwie sachlich einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung oder Gleichbehandlung nicht finden läßt, kurzum, wenn die Bestimmung als willkürlich bezeichnet werden muß (BVerfGE 1, 14, 52; 61, 138, 147). Der Gesetzgeber darf weder wesentlich Gleiches willkürlich ungleich noch wesentlich Ungleiches willkürlich gleich behandeln. Willkür liegt aber nicht schon dann vor, wenn er im Rahmen seines freien Ermessens unter mehreren Lösungen im konkreten Falle nicht die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste gewählt hat, vielmehr nur dann, wenn sich ein sachgerechter Grund für eine gesetzliche Bestimmung nicht finden läßt (BVerfGE 4, 144, 155; 55, 114, 128). Welche Sachverhaltselemente so wichtig sind, daß ihre Verschiedenheit eine Ungleichbehandlung rechtfertigt, hat regelmäßig der Gesetzgeber selbst zu entscheiden. Er kann grundsätzlich die Sachverhalte auswählen, an die er dieselbe Rechtsfolge knüpfen, die er also als im Rechtssinne "gleich" ansehen will. Sein Spielraum endet erst dort, wo die gleiche oder ungleiche Behandlung der geregelten Sachverhalte evidentermaßen nicht mehr mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten sachgerechten Betrachtungsweise vereinbar ist (BVerfG st Rspr, BVerfGE 9, 334, 337; 13, 31, 36; 71, 39, 58; 71, 255, 271). Wenn fraglich ist, ob ein Sachverhalt zu Recht oder willkürlich zu Unrecht in einen gesetzlichen Tatbestand nicht einbezogen oder einbezogen worden ist, kommt es darauf an, welche Aufgabe dem Gesetz gestellt war und welcher rechtlichen Mittel es sich bei ihrer Lösung bedient hat (BVerfGE 9, 291, 294; 19, 119, 125). Dabei sind die sozialpolitischen Entscheidungen des Gesetzgebers hinzunehmen, solange seine Erwägungen weder offensichtlich fehlsam noch mit der Wertordnung des GG unvereinbar sind (BVerfGE 14, 288, 301; vgl Robbers, DÖV 1988, 749; Maaß, NVwZ 1988, 14; Schoch, DVBl 1988, 863; Kirchberg, NJW 1987, 1988; Stettner, BayVBl 1988, 545; Sachs, NWVBl 1988, 295; jeweils mwN).
Aufgabe des BErzGG ist es zu ermöglichen oder zu erleichtern, daß sich ein Elternteil der Betreuung und Erziehung des Kindes in dessen erster Lebensphase (§§ 4, 15 Abs 1 BErzGG) widmet (BT-Drucks 10/3792 S 1, 13). Diesem Hauptzweck dient ua die Gewährung von Erziehungsgeld, das für die erste Lebensphase des Kindes einen bestimmten wirtschaftlichen Nachteil beseitigen oder mindern soll, der - in typisierender und generalisierender Betrachtung - geeignet ist, einen Vater oder eine Mutter von der vollzeitigen, persönlichen Betreuung und Erziehung eines Kleinstkindes abzuhalten. Der durch Erziehungsgeld auszugleichende Nachteil besteht darin, daß während der Betreuung eines Kindes die Möglichkeit, ein volles Erwerbseinkommen zu erzielen, eingeschränkt ist. Andere Belastungen der Eltern (zB Unterhaltsaufwendungen, der Mutter entgangenes Arbeitsentgelt, entgangene Beitragszeiten in der Rentenversicherung) werden hingegen ua durch Leistungen nach den §§ 11 bis 16 des Gesetzes zum Schutze der erwerbstätigen Mutter (Mutterschutzgesetz - MuschG) vom 18. April 1968 (BGBl I S 315), durch das Bundeskindergeldgesetz (BKGG) idF der Bekanntmachung vom 21. Januar 1986 (BGBl I S 222) und durch Kindererziehungszeiten in der Rentenversicherung ausgeglichen. Das Kindergeld trägt bei Mehrfachgeburten dem erhöhten Unterhaltsaufwand durch höheres Kindergeld (§ 10 BKGG) Rechnung. Daher ist es nicht willkürlich, daß - wie die Vorinstanz bereits zutreffend erkannt hat - das Erziehungsgeld bei der Betreuung und Erziehung von Einzelkindern und bei Mehrfachgeburten in derselben Höhe und für dieselbe Dauer gewährt wird. Denn es liegen - gemessen am Zweck des Gesetzes - gleiche Sachverhalte vor, die gleich zu regeln sind, weil die Beeinträchtigung der Möglichkeit, während der ersten zehn Lebensmonate des Kindes volles Erwerbseinkommen zu erzielen, in beiden Fällen in gleichem Umfang, nämlich nur einmal eingetreten ist.
Abgesehen hiervon liegt ein weiterer sachlich vertretbarer Grund für die Gleichbehandlung darin, daß der Gesetzgeber sie aus finanziellen Gründen für unvermeidbar gehalten hat. Das ist willkürfrei jedenfalls dann, wenn er - wie mit dem Erziehungsgeld - neue Sozialleistungen zu Lasten der Allgemeinheit einführt (vgl § 11 BErzGG). Bei ihrer Bemessung (Höhe und Dauer) hat er die Haushaltslage zu beachten. Wollte man - insbesondere bei neuartigen Verbesserungen des Sozialleistungsrechts - das sozialpolitische Gestaltungsermessen des Gesetzgebers an die Forderung binden, er müsse im Interesse sozialer Gerechtigkeit überall strikte Gleichförmigkeit schaffen oder alle Verschiedenheiten der Lebenssachverhalte differenzierend berücksichtigen, könnte dies dazu führen, daß Reformen, die sich aus den verschiedensten Gründen nur schrittweise verwirklichen lassen, von vornherein unterblieben - "ein Ergebnis, welches gewiß sozialer Gerechtigkeit nicht entsprechen würde" (BVerfG SozR 2200 § 200 Nr 9). Es muß ihm überlassen bleiben, ob und wie er Verbesserungen vornimmt. Daher können auch finanzielle Erwägungen sachgerecht sein und den Vorwurf der Willkür entkräften (BVerfGE 3, 4, 11; vgl Zeidler, Ehe und Familie, in: Handbuch des Verfassungsrechts, hrsg von Benda/Maihofer/Vogel, Band 1, 1984, S 555, 596; Schulze-Fielitz, DÖV 1988, 758, 763 f; Hennecke, DÖV 1988, 768, 775; jeweils mwN). Den og Vorschlägen, bei Mehrfachgeburten eine Mehrleistung von Erziehungsgeld vorzusehen, ist nach den Gesetzesmaterialien (BT-Drucks 10/4039 S 2) nicht gefolgt worden, weil dies ca 30 Millionen DM zusätzlich erfordert hätte. Gerichtlicher Nachprüfung unterliegt nicht, ob diese Angabe zutrifft, und ob die Ablehnung einer Mehrfachleistung sozialpolitisch befriedigend ist (dazu: Münder, aaO, 1987, 21; Rynarzewski, Streit 1986, 94; Igl, Jahrbuch des Sozialrechts der Gegenwart, hrsg von Wannagat, Bd 9 1987, 197, 199 f; Oeter, DRV 1988, 778; jeweils mwN).
Nach alledem ist der streitige Bescheid der Beklagten rechtlich nicht zu beanstanden, so daß die Revision keinen Erfolg hat.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs 1 SGG.
Fundstellen