Entscheidungsstichwort (Thema)
Inneres Organsystem. Leberschaden
Leitsatz (amtlich)
Schäden eines Organsystems, die sich auf die Funktion anderer Organsysteme auswirken, sind bei allen betroffenen Organsystemen punktmäßig zu bewerten; sie führen unter den Voraussetzungen des DV § 31 Abs 5 BVG § 3 Abs 1 Nr 4 zu einer weiteren Erhöhung der Punktzahl (Fortentwicklung von BSG 1970-01-29 8 RV 803/68 = BVBl 1970, 127).
Orientierungssatz
Zu den Organsystemen iS von BVG§31Abs5DV §§ 2 und 3; hier insbesondere zu der Frage, ob die Leber ein eigenes Organsystem darstellt bzw welchem inneren Organsystem sie zuzurechnen ist.
Normenkette
BVG § 31 Abs. 5 Fassung: 1966-12-28; BVG§31Abs5DV § 2 Abs. 2 Fassung: 1969-08-19, § 3 Abs. 1 Nr. 4 Fassung: 1969-08-19
Verfahrensgang
Bayerisches LSG (Entscheidung vom 12.01.1977; Aktenzeichen L 15 V 277/75) |
SG München (Entscheidung vom 27.02.1975; Aktenzeichen S 28 V 65/69) |
Tenor
Das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 12. Januar 1977 wird teilweise aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Tatbestand
Der Kläger bezog zuletzt ua wegen der Folgen eines Bauchschusses Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 80 vH. Wegen einer im Frühjahr 1965 durch Stecksplitter verursachten Abszeßbildung im Bauchraum, die operativ angegangen wurde, kam es zu einer schweren Allgemeininfektion mit akuter Leberentzündung und nachfolgendem chronischen Leberschaden. Auf den Verschlimmerungsantrag des Klägers vom Mai 1965 erging der Neufeststellungsbescheid vom 12. Juli 1967, mit dem außer reizlosen Narben an den Extremitäten "Operationsnarben, Bauchstecksplitter, Verwachsungen und Verdauungsstörungen nach zweimaliger Dünndarmteilresektion als Bauchschußfolgen" (MdE 80 vH) zusätzlich ein "kompensierter Leberschaden nach toxischem Psoasabszeß" (MdE 30 vH) als Schädigungsfolgen anerkannt und ab 1. März 1965 Rente nach einer MdE von 100 vH, ab 1. August 1965 nach einer solchen von 90 vH gewährt wurde. Auf den Widerspruch ergänzte die Versorgungsbehörde die Leidensbezeichnung mit Abhilfebescheid vom 17. Juli 1968 durch "chronische Hepatitis" und bewilligte ab 1. November 1966 Rente nach einer MdE um 100 vH. Gleichzeitig lehnte sie die Gewährung einer Schwerstbeschädigtenzulage ab, weil die Mindestpunktzahl von 130 nicht erreicht werde. Dem erneuten Widerspruch wurde nicht abgeholfen (Bescheid vom 12. Dezember 1968).
Im Klageverfahren bewerteten die medizinischen Sachverständigen Prof. Dr. E/Dr. S im Gutachten vom 1. April 1974 die MdE für Verwachsungen und Verdauungsstörungen mit 80 vH, für kompensierten Leberschaden mit 50 vH und bezeichneten die Verwundungsfolgen am Bauch und an der Leber als Schädigungsfolgen an zwei inneren Organsystemen. Das Sozialgericht (SG) verpflichtete den Beklagten, dem Kläger ab 1. November 1966 Schwerstbeschädigtenzulage nach Stufe I zu gewähren, und wies im übrigen (Zulage bereits ab 1. März 1965 und Rente nach einer MdE um 100 vH ab 1. August 1965) die Klage ab (Urteil vom 27. Februar 1975). Das Landessozialgericht (LSG) hob dieses Urteil (berichtigt hinsichtlich der Kostenentscheidung mit Beschluß vom 1. Februar 1977) auf und wies die Klage nach Anhörung des Gutachters Prof. Dr. E in vollem Umfang ab (Urteil vom 12. Januar 1977). Die vom Kläger eingelegte unselbständige Anschlußberufung, mit der er den Klageantrag wiederholt hatte, verwarf es als unzulässig. Bei der Punktbewertung nach § 2 Abs 1 Satz 1 der Durchführungsverordnung (DVO) zu § 31 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) sei von der Höhe der MdE auszugehen, die durch die einzeln anerkannten Schädigungsfolgen bedingt werde. Mehrere Schädigungsfolgen an einem Organsystem seien als eine Schädigungsfolge anzusehen (§ 2 Abs 2 bzw § 2 Abs 2 Satz 2 DVO). Was unter einem "Organsystem" zu verstehen sei, ergebe sich aus § 2 Abs 3 DVO idF vom 19. August 1969. Der Beklagte sei im Bescheid vom 17. Juli 1968 zutreffend davon ausgegangen, daß beim Kläger die seine Erwerbsfähigkeit beeinträchtigenden Schädigungsfolgen unter ein Organsystem, nämlich das der Verdauung, fielen, weshalb aus der hierdurch bedingten MdE von 100 vH eine Punktzahl von 100 resultiere. Der anderslautenden Argumentation des Klägers und des SG könne auch unter Berücksichtigung der von Prof. Dr. E gegebenen Hinweise nicht gefolgt werden. Zwar sei die Bedeutung der Leber für den gesamten Stoffwechsel, die Unverträglichkeit bestimmter Medikamente und die Blutbildung nicht zu verkennen, weshalb Zweifel gerechtfertigt seien, ob die Abgrenzung innerer Organsysteme in der DVO den heutigen wissenschaftlichen Erkenntnissen noch gerecht werde. Bei der derzeitigen Rechtslage sei es jedoch nicht möglich, die beim Kläger anerkannten Schädigungsfolgen gesonderten inneren Organsystemen zuzuweisen. Selbst Prof. Dr. F habe einräumen müssen, die Leber übe auch Verdauungsfunktionen aus, weshalb ihre Einordnung in das innere Organsystem "Verdauung" nicht völlig sachwidrig erscheine, er habe sich nicht in der Lage gesehen, die Leber einem der übrigen in § 2 Abs 3 der DVO genannten Organsysteme zuzuordnen. Damit seien die anerkannten Schädigungsfolgen für die Punktbewertung so heranzuziehen, wie es im Bescheid vom 17. Juli 1968 geschehen sei. Einer sachlichen Prüfung des geltend gemachten Anspruchs auf höhere Versorgung für einen abgelaufenen Zeitraum habe entgegengestanden, daß die Anschlußberufung als ein angriffsweise wirkender Antrag innerhalb der Berufung des Gegners anzusehen sei (BSGE 24, 247). Da die Berufung des Beklagten nur die Gewährung von Schwerstbeschädigtenzulage betreffe, während sich die Anschließung nur auf höhere Rente - also einen anderen Anspruch - beziehe, sei letztere gemäß § 521 der Zivilprozeßordnung (ZPO) iVm § 202 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) als nicht zulässig durch Prozeßurteil zu verwerfen. Für den Anspruch auf Schwerstbeschädigtenzulage in der Zeit vom 1. August 1965 bis 31. Oktober 1966 fehle es an der Voraussetzung der Erwerbsunfähigkeit, für die Zeit vom 1. März 1965 bis 31. Juli 1965 an der erforderlichen Punktzahl.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger die unrichtige Auslegung des § 3 Abs 2 DVO zu § 31 Abs 5 BVG durch das LSG. Die seit November 1966 bestehende Erwerbsunfähigkeit führe zum Anspruch auf Schwerstbeschädigtenzulage der Stufe I. Nach dem Gutachten von Prof. Dr. E/Dr. S betrage die MdE für Verwachsungen und Verdauungsstörungen 80 vH und für Leberschaden 50 vH; dies führe gemäß §§ 2 Abs 2, 5 Abs 1 DVO zu einer Gesamtpunktzahl von 130. Prof. Dr. E habe ergänzend ausgeführt, daß die Verdauungsstörungen und der kompensierte Leberschaden zwei inneren Organsystemen zugehörten. Das LSG hege selbst Zweifel an der Richtigkeit der Abgrenzung innerer Organsysteme in § 3 Abs 2 DVO. Wenn sich der Leberschaden nach Prof. Dr. E entsprechend der übergeordneten Leberfunktion auf das gesamte Stoffwechselsystem auswirke, könne von keiner auf das Verdauungssystem beschränkten Funktion der Leber ausgegangen werden. Der Verordnungsgeber habe offensichtlich entgegen klarer wissenschaftlicher Aussage übersehen, die Leber bei der Aufzählung der Organsysteme aufzuführen. Eine der Rechtssicherheit dienende grundsätzliche Entscheidung zur Definition des Begriffs "Organsystem" erscheine somit erforderlich.
Der Kläger beantragt,
unter Aufhebung des Urteils des Bayerischen Landessozialgerichts vom 12. Januar 1977 und in Abänderung des Urteils des Sozialgerichts München vom 27. Februar 1975 sowie des Bescheides vom 17. Juli 1968 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. Dezember 1968 den Beklagten zu verurteilen, ihm ab 1. März 1965 bis 31. Juli 1965 und ab 1. November 1966 Schwerstbeschädigtenzulage nach Stufe I zu gewähren;
hilfsweise,
die Sache zu erneuter Verhandlung und Entscheidung an das Bayerische Landessozialgericht zurückzuverweisen.
Der Beklagte beantragt,
die Revision des Klägers gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 12. Januar 1977 - L 15/V 277/75 - als unbegründet zurückzuweisen.
Er bezieht sich auf das der Sach- und Rechtslage entsprechende Urteil des LSG und meint ergänzend, ein "System" von Organen umfasse einen bestimmten körperlichen Funktionsbereich, der übergeordnete in ihrer Bedeutung und Wirkung abgrenzbare lebenswichtige Vorgänge beinhalte. Einzelne Organe könnten begriffsnotwendig kein eigenes Organsystem bilden, selbst wenn man davon ausgehe, daß ihnen eine übergeordnete Funktion - wie hier - für den gesamten Stoffwechsel zukomme. Mit der Herausnahme der Leber aus dem Bereich Verdauung würde die Systematik der DVO zu § 31 Abs 5 BVG umgestoßen, wozu jedoch der konkrete Fall keine zwingende Veranlassung biete. In den Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im Versorgungswesen, Ausgabe 1973, werde an der Einteilung der Organsysteme in der bisherigen Weise festgehalten.
Die Beigeladene stimmt diesen Ausführungen zu und verweist auf die Anhaltspunkte 1973 Nr 18 (8), wonach die Punktbewertung der Vielfalt der Kombinationen von Gesundheitsstörungen und ihren Auswirkungen gerecht werde, auch wenn sie den Menschen in einer nach medizinisch-wissenschaftlichen Gesichtspunkten fremden Weise aufgliedere. Das mit der DVO verfolgte Ziel bleibe eine Punktbewertung der Schädigungsfolgen, die durch getrennte Bewertung verschiedener Funktionssysteme eine in sich ausgewogene und gerechte Einordnung in die einzelnen Stufen der Schwerstbeschädigtenzulage ermögliche und nur durch eine Begrenzung der Zahl der zu berücksichtigenden Funktionssysteme zu erreichen gewesen sei. Unstreitig beträfen die Auswirkungen eines Leberschadens die Verdauung, die ihrerseits einen Teil des Stoffwechsels beinhalte; daher könne es nicht als abwegig angesehen werden, die Leber den Verdauungsorganen zuzurechnen. Komme es bei Stoffwechselstörungen aufgrund eines Leberschadens zu wesentlichen Veränderungen der Hirnfunktion (psychische Störungen) oder im Bereich des Blutes, dann seien diese Folgeerscheinungen nach § 2 Abs 2 und 3 DVO bei den Organsystemen "Gehirn" und "Blut einschließlich blutbildender Gewebe" zusätzlich zu bewerten.
Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einem Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs 2 SGG) erklärt.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist iS der Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet.
Streitig ist nur noch, ob dem Kläger für einen zurückliegenden Zeitraum und ab 1. November 1966 laufend Schwerstbeschädigtenzulage zusteht. Das LSG hätte die unselbständige Anschlußberufung des Klägers nur insoweit als unzulässig verwerfen dürfen, als sie einen prozessual selbständigen Anspruch auf höhere Rente für eine zurückliegende Zeit betroffen hat. Denn diesbezüglich hatte der durch das Urteil des SG nicht beschwerte Beklagte keine Berufung eingelegt (SozR Nr 12 zu § 521 ZPO mwN). Dagegen hätte es nicht zu einer Verwerfung kommen dürfen, soweit der Kläger Schwerstbeschädigtenzulage ab 1. März 1965 begehrt hatte. Hierbei handelte es sich nämlich um einen angriffsweise wirkenden Antrag des Klägers innerhalb der Berufung des Beklagten (BSGE 2, 229, 231 ff; 24, 247), zu dem das LSG im übrigen auch sachlich mit dem Hinweis Stellung genommen hat, dem Anspruch auf Schwerstbeschädigtenzulage ab 1. August 1965 sei durch das Urteil des SG die Grundlage entzogen worden, weil diese Leistung nur Erwerbsunfähigen zustehe, für die vorangehende Zeit (1. März 1965 bis 31. Juli 1965) fehle es an der notwendigen Punktzahl. Mit dieser, zur Auslegung des Urteilstenors heranzuziehenden Begründung (BSGE 3, 135, 138; 6, 97, 98) hat das LSG eine Sachentscheidung über den Anspruch auf Schwerstbeschädigtenzulage ab 1. März 1965 getroffen und insoweit die Anschlußberufung des Klägers nicht verworfen (s. auch BSGE 24, 247). Dem hat der Kläger durch die Einschränkung seines Begehrens Rechnung getragen. Im Streit befindet sich deshalb der Anspruch auf Schwerstbeschädigtenzulage nur noch für die Zeit in der unstreitig Erwerbsunfähigkeit bestanden hat bzw noch besteht. Für die abschließende Beantwortung dieser Frage bedarf es noch weiterer tatsächlicher Feststellungen.
Nach § 31 Abs 5 BVG erhalten erwerbsunfähige Beschädigte, die durch die anerkannten Schädigungsfolgen gesundheitlich außergewöhnlich betroffen sind, eine monatliche Schwerstbeschädigtenzulage, die in mehreren Stufen gewährt wird. Die Bundesregierung ist vom Gesetzgeber ermächtigt worden, mit Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung den Personenkreis, der durch seine Schädigungsfolgen außergewöhnlich betroffen ist, sowie seine Einordnung in die Stufen (jetzt) I bis VI näher zu bestimmen (§ 31 Abs 5 Satz 2 BVG). In den für den streitigen Zeitraum anzuwendenden DVOen zu § 31 Abs 5 BVG vom 17. April 1964 (BGBl I 489), vom 19. August 1969 (BGBl I 1352) und vom 20. April 1970 (BGBl I 410) wird bestimmt, daß erwerbsunfähige Beschädigte, die allein nach § 30 Abs 1 BVG erwerbsunfähig sind, Schwerstbeschädigtenzulage erhalten, wenn die anerkannten Schädigungsfolgen mit wenigstens 130 Punkten zu bewerten sind (§ 1 DVO). Bei der Punktbewertung ist von der Höhe der MdE auszugehen, die die einzeln anerkannten Schädigungsfolgen bedingen (§ 2 Abs 1 Satz 1 DVO). Auswirkungen von Schäden eines Organsystems an Gliedmaßen oder an anderen Organsystemen werden bei den Gliedmaßen oder Organsystemen bewertet, die in ihrer Funktion geschädigt sind. Mehrere Schädigungsfolgen ... an einem Organsystem sind als eine Schädigungsfolge anzusehen (§ 2 Abs 2 DVO). Organsysteme im Sinne der Verordnung sind ua Verdauung, Blut einschließlich blutbildendem Gewebe, innere Sekretion, Gehirnbereich I und II (§ 2 Abs 3 DVO). Liegen mehrere Schädigungsfolgen vor, so ist die Höhe der MdE für jede einzelne Schädigungsfolge zu ermitteln. Schädigungsfolgen, die eine MdE um weniger als 25 vH bedingen, bleiben außer Betracht (§ 2 Abs 4 DVO). § 2 Abs 5 DVO regelt, wie von der MdE auf die Punktbewertung überzuleiten ist, was bei Schädigungsfolgen mit einer MdE von weniger als 45 vH, aber mindestens 25 vH zu beachten und wie zu verfahren ist, wenn zwei oder mehrere Schädigungsfolgen mit einer MdE von mindestens 45 vH zusammen mindestens 140 Punkte ergeben.
Nach § 3 Abs 1 DVO ist die nach § 2 DVO ermittelte Punktzahl um 20 Punkte zu erhöhen, wenn ua Schädigungsfolgen an zwei oder mehreren inneren Organsystemen zusammentreffen. Dabei sind innere Organsysteme iS des Abs 1 ua Verdauung, Blut einschließlich blutbildendem Gewebe, innere Sekretion sowie das Gehirn in seiner gesamten Funktion. - Insoweit besteht also ein Unterschied zu der Definition in § 2 Abs 3 DVO -. Entscheidend für die Punktbewertung ist somit vorweg die Frage, ob es sich bei den beim Kläger anerkannten Gesundheitsstörungen um mehrere Schädigungsfolgen an einem Organsystem oder um solche an verschiedenen Organsystemen handelt. Das LSG ist trotz mancher Zweifel von dem derzeitigen Wortlaut der DVO ausgegangen. Dem stimmt der erkennende Senat zu. Die DVO ist, wie oben dargelegt, aufgrund der in § 31 Abs 5 Satz 2 BVG enthaltenen gesetzlichen Ermächtigung von der Bundesregierung als Rechtsverordnung erlassen worden (vgl Art 80 Abs 1 Grundgesetz - GG -). Inhalt, Zweck und Ausmaß der erteilten Ermächtigung sind im Gesetz hinreichend deutlich bestimmt (Art 80 Abs 1 Satz 2 GG). Gerade die in der Vergangenheit aufgetretenen Zweifels- und Streitfragen, was unter "inneren Organsystemen" zu verstehen sei (vgl BSG SozR DVO 1961 zu § 31 Abs 5 BVG, § 3 Nrn 2 und 4), ließen es geboten erscheinen, diesen Begriff normativ zu definieren. Dabei kam es weniger auf den medizinischen Sprachgebrauch und die medizinisch-wissenschaftlichen Einordnungskriterien als vielmehr auf den Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung über die Schwerstbeschädigtenzulage an. Dieser aber geht dahin, die Schwere außergewöhnlicher Schädigungsfolgen möglichst individuell zu erfassen und die Leistungen entsprechend zu differenzieren (vgl BSG aaO). Im Rahmen dieser Zweckbestimmung war der VO-Geber nicht verpflichtet, jedes einzelne innere Organ gesondert aufzuführen, sondern durfte sich darauf beschränken, bestimmte Organe zu einem "Organsystem" zusammenzufassen. Wenn dabei die Leber nicht gesondert aufgeführt wurde, so kann diese Regelung nicht als willkürlich oder sachfremd angesehen werden, da die Leber (auch) von entscheidendem Einfluß auf die Verdauung ist. Das schließt jedoch nicht aus - was auch vom Beklagten nicht verkannt und von Prof. Dr. E bestätigt wird -, daß die sehr verschiedenartigen Funktionen der Leber auch Auswirkungen auf andere (innere) Organsysteme haben können und alsdann auch dort zu berücksichtigen sind (vgl § 2 Abs 2 DVO). Das LSG hat allerdings offengelassen und insoweit keine abschließenden Feststellungen getroffen, ob durch den Leberschaden andere Organsysteme in ihrer Funktion geschädigt sind. Für eine solche Schädigung hat gerade Prof. Dr. F verschiedene Hinweise gegeben, die sich auch die Revision zu eigen gemacht hat. Selbst wenn also mit dem LSG davon ausgegangen wird, daß die Leber entsprechend der DVO kein eigenes Organsystem darstellt und in ihren wichtigsten Funktionen dem Organsystem Verdauung, nicht aber dem des Blutes einschließlich blutbildendem Gewebe oder der inneren Sekretion zugehört, wird damit nicht ausgeschlossen, daß ihre übergeordnete Funktion im Falle ihrer Erkrankung zu Schäden an mehreren Organsystemen führen kann. Dies hat das LSG nicht bedacht und dadurch dem Gesetzeszweck und dem Wortlaut der DVO in § 2 Abs 2 nicht hinreichend Rechnung getragen.
Die bisher zu § 31 Abs 5 BVG ergangenen Entscheidungen des Bundessozialgerichts - BSG - (vgl SozR Nr 1 DVO (61) zu § 31 Abs 5 BVG Allg; DVO (61) Nrn 2, 3 und 4 zu § 31 Abs 5 BVG § 3; Urteil vom 30. Januar 1969 - 8 RV 301/67 -) haben sich - mit Ausnahme der Entscheidung vom 18. August 1966 (SozR DVO (61) zu § 31 Abs 5 BVG § 3 Nr 3), die einen Ohnhänder betraf - ausschließlich mit der Bewertung von Funktionsbereichen des Gehirns iVm Sinnesorganen und Gliedmaßen befaßt. Auch der Bundesminister für Arbeit (BMA) hat in dem Rundschreiben vom 18. Mai 1961 (BVBl 1961, 70), ergänzt durch das Rundschreiben vom 19. Januar 1962 (BVBl 1961, 70), versucht, zur Klärung der sich aus der ursprünglichen Fassung der DVO 61 ergebenden Fragen beizutragen. Dem ist die Rechtsprechung des BSG im Urteil vom 27. Januar 1966 (SozR DVO (61) Nr 2 zu § 31 Abs 5 BVG § 3) gefolgt, indem sie das Gehör nicht zu den inneren Organsystemen, sondern zu den Sinnesorganen rechnete (§ 3 d DVO 61). Dagegen haben die Urteile vom 28. Oktober 1965 und 23. April 1968 Kritik beim BMA hervorgerufen (vgl Rundschreiben vom 9. September 1968, nicht veröffentlicht; s.auch Lamla in KOV 1969, 74). Für den Bereich des Gehirns hatte das BSG im Urteil vom 28. Oktober 1965 (aaO) auf die medizinisch-wissenschaftliche Anschauung zur Frage des Funktionsausfalls abgehoben und diese Ansicht im Urteil vom 23. April 1968 unter Hinweis auf die Schwere der individuellen außergewöhnlichen Schädigungsfolgen gerade bei Hirnverletzungen bestätigt. Danach war jede Schädigungsfolge darauf zu untersuchen, ob die Fehlleistung unter der Funktion eines inneren Organsystems fiel. Etwas anderes besagen im Ergebnis auch die Anhaltspunkte für die Ärztliche Gutachtertätigkeit im Versorgungswesen, Ausgabe 1973, Grundbegriffe 18, nicht, wobei sie unter (8) für sich in Anspruch nehmen, die Punktbewertung werde der Vielfalt der Kombinationen von Gesundheitsstörungen und ihren Auswirkungen gerecht, auch wenn sie den Menschen in einer wissenschaftlichen Gesichtspunkten fremden Weise aufgliedere. Teil D der Anhaltspunkte über die Beurteilung der MdE mit seinen differenzierten Untergliederungen, wo ua Magen und Darm, Leber und Gallenwege, Bauchspeicheldrüse und Diabetes mellitus, Blut und retikuloendotheliales System einer gesonderten MdE-Wertung unterzogen werden, macht allerdings noch deutlicher, daß der Mensch in einer Weise aufgegliedert wird, die von der Gesamtbetrachtung eines Leidens abgeht und die bestehenden physiologischen Zusammenhänge bewußt vernachlässigt (vgl BSG Urteil vom 29. Januar 1970 in BVBl 1970, 127).
In dieser Entscheidung hat der 8. Senat allerdings auch die Ansicht vertreten, § 2 DVO idF vom 19. August 1969 enthalte in Abs 2 Satz 1 eine Änderung der Rechtsgrundlage, die nicht lediglich der Klarstellung eines bisher schon bestehenden Rechtszustandes diene, sondern eine echte Rechtsänderung darstelle, die der Rechtsprechung des BSG zur früheren Fassung des § 2 DVO entgegenwirken solle. Wollte man dieser Entscheidung des mit KOV-Streitsachen nicht mehr befaßten Senats folgen, müßte zwischen dem Rechtszustand vor und nach 1969 unterschieden werden. Dem nicht veröffentlichten Rdschr des BMA vom 9. September 1968 - V/2 - 5212.1 - 1925/68 ist demgegenüber zu entnehmen, daß der VO-Geber schon nach der ursprünglichen Fassung der DVO auf die Bewertung von Auswirkungen einer Schädigung bei dem System, das in seiner Funktion beeinträchtigt ist, abstellen wollte. Die Ergänzung in der DVO 69 hat lediglich insoweit zu einer Klarstellung geführt, als sie deutlicher auf die Auswirkungen bei dem in seiner Funktion geschädigten Organsystem abgehoben hat. Der Senat hält deshalb eine Rechtsänderung durch die DVO 69 nicht für gegeben. Eine differenzierende Betrachtung für die Zeit ab 1969 ist daher nicht veranlaßt.
Aus der differenzierten MdE-Bewertung einerseits und der Zusammenfassung in Organsysteme bei der Punktbewertung nach der DVO andererseits folgt, daß die in der DVO nicht als gesondertes Organsystem bezeichnete Leber im Rahmen der Punktbewertung nicht unmittelbar und zusätzlich berücksichtigt werden kann, weil das Organsystem Verdauung nicht in weitere (selbständige) Organsysteme untergliedert ist. Anders verhält es sich dagegen bei der Frage, ob und inwieweit die erkrankte Leber als der "Verdauung" zuzurechnendes Organ funktionelle Auswirkungen auf andere Organsysteme hinterlassen hat. Hierzu fehlt es in Anbetracht der von Prof. Dr. F gegebenen Hinweise an den erforderlichen Feststellungen, die das LSG nunmehr nachholen muß. Dabei wird es unterscheiden müssen zwischen den Auswirkungen des Leberschadens am Verdauungssystem und an anderen inneren Organsystemen, jeweils abgestellt auf die Funktionen dieser Systeme. Außerdem wird es die Bewertung der MdE für die Ermittlung der Punktzahl festzustellen haben.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens bleibt dem abschließenden Urteil des LSG vorbehalten.
Fundstellen