Leitsatz (amtlich)
"Antragstellung" iS von GAL § 14 Abs 2 Buchst b (Fassung: 1965 und 1972) ist nicht nur der Zeitpunkt der tatsächlichen Antragstellung, sondern auch jeder spätere Zeitpunkt bis zur Bescheiderteilung durch die Alterskasse.
Normenkette
GAL § 14 Abs. 2 Buchst. b Fassung: 1965-08-13; GAL § 14 Abs. 2 Buchst. b Fassung: 1972-07-26
Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches LSG (Entscheidung vom 08.09.1978; Aktenzeichen L 1 Lw 5/77) |
SG Schleswig (Entscheidung vom 07.12.1976; Aktenzeichen S 2 Lw 10/74) |
Gründe
I.
Die Klägerin gehörte von Mai 1968 bis August 1974 einer Erbengemeinschaft an, die Eigentümerin landwirtschaftlich genutzter Grundstücke war. Mit Bescheid vom 17. Oktober 1972 nahm die Beklagte die Klägerin in ihr Mitgliederverzeichnis auf und forderte Beiträge von Januar 1970 an; für die Zeit davor sei die Beitragsforderung verjährt.
Im Januar 1973 beantragte die Klägerin, sie von der Beitragspflicht zu befreien. Auf Veranlassung der Beklagten stellte sie im September 1973 nochmals einen Formularantrag, der sich auf eine Befreiung gem § 14 Abs 2 Buchst a des Gesetzes über eine Altershilfe für Landwirte (GAL) bezog; diesen lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 15. Mai 1974 ab, da für die Klägerin noch nicht für mindestens 180 Kalendermonate Beiträge zu einer gesetzlichen Rentenversicherung entrichtet seien. Widerspruch und Klage waren ohne Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 19. Juli 1974, Urteil des Sozialgerichts - SG - vom 17. Dezember 1976).
Das Landessozialgericht (LSG) hat die Beklagte verurteilt, die Klägerin ab Mai 1973 bis August 1974 (Auflösung der Erbengemeinschaft) von der Beitragspflicht zu befreien (Urteil vom 8. September 1978). Die Voraussetzungen von § 14 Abs 2 Buchst a GAL 1965 bzw GAL 1972 zur Befreiung ab Januar 1970 seien zwar nicht gegeben; die Klägerin könne jedoch aufgrund von Buchst b Befreiung ab Mai 1973 verlangen. Da sie im Mai 1968 landwirtschaftliche Unternehmerin geworden sei, sei die Fünfjahresfrist dieser Vorschrift mit April 1973 abgelaufen. Den Befreiungsantrag habe die Klägerin zwar bereits im Januar 1973, also vor Ablauf der Frist gestellt; eine Gesetzesauslegung, die den Befreiungsantrag erst nach der fünfjährigen Tätigkeit als landwirtschaftlicher Unternehmer zulasse, sei jedoch zu formalistisch; es müsse genügen, wenn über einen vorfristig gestellten Antrag bei Vollendung der Frist noch nicht entschieden sei. Zumindest hätte die Beklagte den im September 1973 - nach der Fünfjahresfrist - eingegangenen zweiten Antrag nach § 14 Abs 2 Buchst b GAL mit prüfen müssen. In dem maßgebenden Fünfjahreszeitraum sei die Klägerin zugleich 30 Kalendermonate in der Rentenversicherung versicherungspflichtig gewesen. Sie habe von März 1971 bis Dezember 1972, also für 22 Monate, Beiträge zur deutschen Angestelltenversicherung entrichtet. In den Jahren 1967 bis 1970 habe sie außerdem zeitweise in der Schweiz versicherungspflichtig gearbeitet und zur dortigen Rentenversicherung Beiträge gezahlt; nach einer Mitteilung der Universität G sei sie von Juli 1967 bis 15. November 1968 dort wissenschaftliche Assistentin gewesen. Hiernach könne davon ausgegangen werden, daß in der Schweiz zumindest für weitere acht Kalendermonate Pflichtbeiträge geleistet seien.
Mit der - zugelassenen - Revision beantragt die Beklagte,
das angefochtene Urteil aufzuheben
und die Berufung der Klägerin insgesamt zurückzuweisen,
hilfsweise,
den Rechtsstreit an das LSG zurückzuverweisen.
Sie rügt eine Verletzung der §§ 103, 106, 128 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) sowie des § 14 Abs 2 Buchst b GAL 1965 bzw 1972. Gegen das Berufungsurteil bestünden schon in formeller Hinsicht Bedenken, weil zu der eigenständigen Befreiungsmöglichkeit nach Buchst b kein Bescheid erlassen sei. Davon abgesehen ergäben die Feststellungen des LSG für die Zeit von Mai 1968 bis April 1973 lediglich eine schweizer Beitragszeit von sieben Monaten und somit zusammen nur eine Versicherungszeit von 29 Monaten. Schließlich sei der Rechtsauffassung des LSG zur Antragstellung nach § 14 Abs 2 Buchst b GAL nicht zu folgen; der Antrag könne wirksam erst nach Ablauf der Fünfjahresfrist gestellt werden.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
II.
Die Revision der Beklagten ist mit der Maßgabe begründet, daß das Berufungsurteil in dem von der Beklagten angefochtenen, d.h. dem der Klage stattgebenden Teil aufzuheben ist; der Rechtsstreit ist insoweit an das LSG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen (§ 170 Abs 2 Satz 2 SGG).
Den formellen Bedenken der Beklagten ist allerdings nicht zu folgen. Daß das LSG den Anspruch der Klägerin außer nach § 14 Abs 2 Buchst a noch nach Buchst b in der hier anzuwendenden Fassung des GAL 1965 geprüft hat, ist nicht zu beanstanden; eines gesonderten Bescheides der Beklagten über diese von ihr als "eigenständig" bezeichnete Befreiungsmöglichkeit bedurfte es dazu nicht. § 14 Abs 2 GAL sieht zwar für die Befreiung von der Beitragspflicht mehrere Alternativen, aber nur einen Befreiungsantrag und nur einen Befreiungsausspruch mit stets gleicher Wirkung vor. Infolgedessen haben Verwaltung und Gerichte, wenn ein Befreiungsantrag gestellt ist, diesen aufgrund aller Alternativen des § 14 Abs 2 GAL zu prüfen.
Im vorliegenden Falle kommt dem Sachverhalt nach freilich nur Befreiung nach § 14 Abs 2 Buchst b - und innerhalb dieses Buchstabens nach der dortigen ersten Alternative - in Betracht. Dabei kann wohl davon ausgegangen werden, daß die für alle in den Buchst a bis c enthaltenen Alternativen zusätzlich geltende, im letzten Halbsatz von § 14 Abs 2 Satz 1 enthaltene Voraussetzung hier in ihrem ersten Tatbestand erfüllt ist: Vorgänger im Unternehmen im dort gemeinten Sinne war wohl der Vater der Klägerin, und er wie sein Ehegatte sind verstorben. Hiernach war die Klägerin von der Beitragspflicht zu befreien, wenn sie innerhalb der letzten fünf Jahre vor der Antragstellung neben der Tätigkeit als landwirtschaftlicher Unternehmer (iS des § 1 GAL) mindestens 30 Kalendermonate versicherungspflichtig in der Rentenversicherung der Arbeiter, der Rentenversicherung der Angestellten oder der knappschaftlichen Rentenversicherung war. Nach der Auffassung des LSG ist dieser Tatbestand mit Ablauf des Monats April 1973 eingetreten. Die vom LSG hierzu getroffenen Feststellungen reichen jedoch nicht aus, um dem zuzustimmen.
Zu bejahen ist allerdings bei der Klägerin wohl eine "Tätigkeit als landwirtschaftlicher Unternehmer" in der gesamten Zeit von Mai 1968 bis August 1974, obwohl hierzu eine Präzisierung im Berufungsurteil sachdienlich gewesen wäre. Gefordert wird hierfür die Unternehmereigenschaft iS des § 1 GAL; die Klägerin muß also Unternehmerin bzw Mitunternehmerin eines landwirtschaftlichen Unternehmens gewesen sein, das eine Existenzgrundlage gebildet hat. Das ist in dem Bescheid der Beklagten vom 17. Oktober 1972 nicht bindend festgestellt worden, weil für die dort festgestellte Mitgliedschaft bzw Beitragspflicht die Unternehmereigenschaft nur eine Vorfrage sein konnte (die Aufnahme in das Mitgliederverzeichnis hatte überdies nach ständiger Rechtsprechung des Senats keine konstitutive Wirkung). Das LSG ist indessen übereinstimmend mit den Beteiligten annehmbar davon ausgegangen, daß die Erbengemeinschaft, der die Klägerin angehörte, ihre Grundstücke landwirtschaftlich genutzt hat und daß der Flächenumfang eine Existenzgrundlage darstellte.
Infolgedessen kommt es darauf an, wie sich die letzten fünf Jahre vor der Antragstellung berechnen; denn wie der Senat bereits in BSGE 40, 276, 278 dargelegt hat, kann der Tatbestand des § 14 Abs 2 Buchst b erst mit der Antragstellung erfüllt sein. Insoweit ist der Beklagten einzuräumen, daß das Wort "Antragstellung" auf den Zeitpunkt der tatsächlichen Stellung des Antrages verweist und somit ein statischer Begriff zu sein scheint. Gleichwohl ist nach dem Sinn und Zweck, der Anträgen allgemein zukommt, der Auffassung des LSG der Vorzug zu geben. Wenn ein begünstigendes Gesetz als eine seiner materiell-rechtlichen Voraussetzungen einen Antrag des Begünstigten fordert, wie das bei § 14 Abs 2 GAL der Fall ist, dann drückt ein solcher Antrag das Verlangen aus, das Recht (die Vergünstigung) in Anspruch zu nehmen (BSGE 45, 247, 249). Dieses Verlangen ist jedoch zeitlich nicht allein auf den Zeitpunkt bezogen, in dem es durch Antragstellung verlautbart worden ist; das Verlangen ist vielmehr ein ständiger Vorgang, der jedenfalls bis zur Bescheiderteilung andauert. Demnach prüft die Rechtsprechung seit jeher materiell-rechtlich bedeutsame Anträge auch auf ihre Begründetheit zu späteren Zeitpunkten als dem der Antragstellung. In diesem Sinne ist gleichfalls im Rahmen des § 14 Abs 2 Buchst b GAL zu verfahren; Antragstellung nach dieser Vorschrift kann neben dem Zeitpunkt der tatsächlichen Antragstellung noch jeder spätere Zeitpunkt bis zur Bescheiderteilung durch die Alterskasse sein. Mit dieser Auslegung wird zugleich vermieden, daß ein Antragsteller wegen der Gefahr der Falschberechnung des Fünfjahreszeitraumes vorsorglich neue Anträge stellt mit der Folge, daß die Alterskasse wiederholt neue Bescheide erlassen müßte.
Da die Klägerin mit Ablauf des Monats April 1973 fünf Jahre lang landwirtschaftliche Unternehmerin gewesen war und der im Januar 1973 gestellte Antrag zu dieser Zeit fortwirkte, hat das LSG somit für eine ab Mai 1973 möglich werdende Befreiung zu Recht geprüft, ob die Klägerin in der Zeit von Mai 1968 bis April 1973 insgesamt mindestens 30 Kalendermonate in den in § 14 Abs 2 Buchst b GAL 1965 bezeichneten Rentenversicherungen versicherungspflichtig gewesen war. Dabei hat das LSG den Begriff versicherungspflichtig zutreffend dahin verstanden, daß nicht nur Versicherungspflicht bestanden habe, vielmehr aufgrund dieser Pflicht auch Beiträge zur Rentenversicherung entrichtet sein mußten. Nicht erläutert hat das LSG, weshalb es die in der Schweiz zurückgelegte Pflichtbeitragszeit mitberücksichtigt hat. § 14 Abs 2 Buchst b GAL stellt dem Wortlaut nach auf deutsche (innerstaatliche) Rentenversicherungen ab. Da es sich um einen rentenversicherungsrechtlichen Tatbestand handelt, bestehen jedoch keine Bedenken, ausländische Pflichtversicherungszeiten mit heranzuziehen, sofern sie aufgrund zwischenstaatlicher Verträge beim Erwerb von Leistungsansprüchen aus der deutschen Rentenversicherung anrechenbar sind. Nach Art 11 Abs 1 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über Soziale Sicherheit vom 25. Februar 1964 (BGBl 1965 II S. 1294) - das Abkommen galt 1973 noch in der Fassung vom 25. Februar 1964 - sind die nach den schweizerischen Rechtsvorschriften anrechnungsfähigen Versicherungszeiten für den Erwerb eines Leistungsanspruchs nach deutschen Rechtsvorschriften anrechnungsfähig, wenn nach deutschen Rechtsvorschriften eine Versicherungszeit von mindestens 12 Kalendermonaten auf die Wartezeit anrechenbar ist. Das war hier der Fall; die Klägerin hat nach den insoweit nicht angefochtenen Feststellungen des LSG in den Jahren 1971 und 1972 in der deutschen Angestelltenversicherung für 22 Monate Pflichtbeiträge entrichtet.
Somit hätte das LSG für die Zeit von Mai 1968 bis April 1973 insgesamt noch Pflichtbeiträge in der Schweiz für mindestens acht weitere Monate feststellen müssen. Eine solche Feststellung läßt sich dem Berufungsurteil jedoch nicht entnehmen. Das LSG spricht nur allgemein davon, daß die Klägerin "in den Jahren 1967 bis 1970 zeitweise" in der Schweiz versicherungspflichtig gewesen sei und Beiträge zur schweizer Rentenversicherung entrichtet habe; selbst wenn man seine Ausführungen dahin deutet, daß Pflichtbeiträge durchgehend in der Assistentenzeit von Juli 1967 bis November 1968 entrichtet worden sind, ergibt sich daraus für die Zeit ab Mai 1968 bis November 1968 höchstens eine Zahl von sieben Beitragsmonaten. Es läßt sich daher nicht erkennen, wie das LSG zur Annahme von mindestens acht schweizer Pflichtbeiträgen in dem von ihm zugrunde gelegten Fünfjahreszeitraum gekommen ist.
Unter diesen Umständen muß der Rechtsstreit zur Klärung der Zahl der von der Klägerin in der Schweiz von Mai 1968 bis April 1973 entrichteten Pflichtbeiträge an das LSG zurückverwiesen werden.
Sollte sich aufgrund der neuen Prüfung ergeben, daß bis April 1973 kein weiterer Pflichtbeitrag nachweisbar ist, so wird das LSG im weiteren zu prüfen haben, ob die Klägerin den Befreiungstatbestand aufgrund ihres auch dann noch fortwirkenden Antrages in einem späteren Zeitpunkt als dem Ablauf des Monats April 1973 erfüllt, weil etwa erst dann eine Pflichtversicherungszeit von 30 Monaten in einen erst dann endenden Zeitraum einer fünfjährigen Unternehmertätigkeit fällt. Wenn allerdings der Befreiungstatbestand des § 14 Abs 2 Buchst b GAL 1965 auch bis Ende des Jahres 1973 nicht erfüllt sein sollte, wäre für die folgende Zeit zu beachten, daß das 7. Änderungsgesetz zum GAL vom 19. Dezember 1973 (BGBl I 1937) den § 14 Abs 2 GAL hinsichtlich der Befreiungsvoraussetzungen ab 1. Januar 1974 geändert hat.
Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.
Fundstellen