Entscheidungsstichwort (Thema)
Rückwirkend günstigere Rechtslage
Leitsatz (amtlich)
Zur entsprechenden Anwendung des KOVVfG § 40 Abs 1 bei rückwirkenden, die Rechtsstellung des Bürgers verbessernden Gesetzesänderungen (Weiterentwicklung von BSG 1970-06-02 10 RV 534/68 = BVBl 1970, 128).
Leitsatz (redaktionell)
Ein früherer Bescheid ist dann als unrichtig iS des KOVVfG § 40 Abs 1 zu behandeln, wenn eine gesetzliche Vorschrift, die die Verwaltung anwenden mußte, durch eine neue, für den Antragsteller (Antragstellung hier: 1955-09-30) günstigere Vorschrift (hier: BVG § 44 Abs 4 idF vom 1956-06-06) rückwirkend so geändert wird, daß der Geltungszeitpunkt der neuen Vorschrift (hier: 1956-04-01) vor der Verwaltungsentscheidung (hier: 1956-04-17) liegt. In diesem Fall ist KOVVfG § 40 Abs 1 entsprechend anzuwenden.
Normenkette
KOVVfG § 40 Abs. 1 Fassung: 1955-05-02
Verfahrensgang
LSG Berlin (Entscheidung vom 15.12.1977; Aktenzeichen L 11 V 51/77) |
SG Berlin (Entscheidung vom 18.05.1977; Aktenzeichen S 44 V 92/77) |
Tenor
Die Urteile des Sozialgerichts Berlin vom 18. Mai 1977 und des Landessozialgerichts Berlin vom 15. Dezember 1977 werden aufgehoben.
Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 26. Oktober 1976 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. Februar 1977 verurteilt, der Klägerin auf den Antrag vom 6. August 1975 einen neuen Bescheid unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu erteilen.
Der Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten aller Rechtszüge zu erstatten.
Gründe
I
Die Klägerin, die Witwenbeihilfe bzw. Witwenrente für die Zeit vom 1, April 1956 bis zum 31. Juli 1975 begehrt, war in zweiter Ehe seit Februar 1943 mit dem am 10. Mai 1943 gefallenen Leutnant und Kriegsgerichtsrat der Luftwaffe A... B... verheiratet. Ihre im April. 1949 geschlossene Ehe mit F... T... wurde im Dezember 1952 aus beiderseitigem Verschulden der Ehegatten geschieden. Am 30. September 1955 beantragte die Klägerin, ihr die Witwenrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) zu bewilligen. Den Antrag lehnte das Versorgungsamt mit Bescheid vom 17. April 1956 ab, weil durch die nachfolgende Eheschließung der frühere Anspruch auf Witwenrente erloschen und auch durch die Scheidung der neuen Ehe nicht wiederaufgelebt sei. Ebenfalls am 17. April 1956 erließ das Versorgungsamt eine "Benachrichtigung" über die Ablehnung des Antrages auf Gewährung von Versorgungsbezügen an die Klägerin, da eine Witwenbeihilfe im Wege des Härteausgleiches nach dem Rundschreiben des Bundesministers für Arbeit vom 15. September 1955 ihr nicht gewährt werden könne, weil ihre nachfolgende Ehe nicht aus Alleinverschulden des Ehemannes geschieden worden sei.
Am 6. August 1975 bezog sich die Klägerin auf ihren Antrag von 1955 und den ablehnenden Bescheid vom 17. April 1956 und erklärte, sie erneuere ihren Antrag auf Gewährung der Grundwitwenrente, außerdem teilte sie mit Schreiben vom 9. April 1976 mit, daß sie vorsorglich rückwirkende Feststellung ihrer Ansprüche von ihrem ersten Antrag an geltend mache, da sie inzwischen davon Kenntnis erlangt habe, daß wenige Wochen nach Erteilung des Bescheides vom 17. April 1956 das 5. Gesetz zur Änderung und Ergänzung des BVG ergangen sei, das ihren Anspruch begründet habe.
Mit Bescheid vom 30. Juli 1975 gewährte das Versorgungsamt der Klägerin die Witwenrente nach ihrem gefallenen Ehemann gemäß § 44 BVG vom 1. August 1975 an. Im Anschluß hieran wurde durch Bescheid vom 26. Oktober 1976 der Antrag auf Versorgung für einen zurückliegenden Zeitraum gemäß § 40 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVwVfG) und die rückwirkende Bewilligung von Hinterbliebenenbezügen abgelehnt. Durch das 5. Gesetz zur Änderung und Ergänzung des BVG vom 6. Juni 1956 (BGBl I S 463) sei zwar § 44 BVG mit Wirkung vom 1. April 1956 geändert worden und Absatz 4 dieses Paragraphen hätte auf die Klägerin Anwendung finden können; sie habe jedoch den nach § 44 Abs 6 BVG in der damaligen Fassung erforderlichen Antrag nicht gestellt gehabt. Wegen des fehlenden Antrages hätte die Verwaltungsbehörde keine Entscheidung nach § 44 BVG in der ab 1. April 1956 geltenden Fassung treffen können. Deshalb könne auch nach § 40 KOVVwVfG kein neuer Bescheid erteilt werden, weil der frühere Bescheid weder aus tatsächlichen noch aus rechtlichen Gründen unrichtig sei.
Mit ihrem Widerspruch vom 19. November 1976 machte die Klägerin geltend, daß § 44 BVG vom 1. April 1956 an eine andere, ihren Antrag begünstigende Wirkung vom Gesetz her erfahren habe; zu dieser Zeit habe ihr Antrag bereits vorgelegen. Er sei deshalb auf jeden Fall rechtmäßig gewesen. Ihr hätte deshalb vom 1. April 1956 an Beihilfe gewährt werden müssen. Dazu hätte man entweder den bereits erlassenen Bescheid von Amts wegen berichtigen oder sie doch auffordern müssen, erneut einen Antrag zu stellen. Sie habe sich im Zustand des Vertrauens auf die Richtigkeit des Bescheides vom 17. April 1956 befunden; das sei falsch gewesen. Das Versorgungsamt habe sie getäuscht. Schon vor Erlaß des Bescheides vom 17. April 1956 sei in der Fachpresse über den Inhalt der zu erwartenden 5. Novelle berichtet worden. Deshalb habe es gröblich gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstoßen, den Antragsteller an einem Bescheid festzuhalten, dessen gesetzliche Grundlage bereits eine Änderung erfahren hatte. Das Versorgungsamt hätte am 17. April 1956 den beanstandeten Bescheid nicht mehr erlassen dürfen und könne sich auch heute nicht mehr auf die Rechtskraft des Bescheides berufen.
Mit Bescheid vom 15. Februar 1977 hat das Landesversorgungsamt den Widerspruch zurückgewiesen: Mit dem Erlaß des bindend gewordenen Verwaltungsaktes vom 17. April 1956 habe der Antrag der Klägerin vom 29. September 1955 seine Erledigung gefunden und sei somit verbraucht. Da der Bescheid vom 17___AMPX_•_SEMIKOLONX___X April 1956 und die Benachrichtigung vom selben Tage den im Zeitpunkt ihres Erlasses geltenden versorgungsrechtlichen Vorschriften entsprochen hätten, seien sie nicht unrichtig, so daß die Voraussetzungen für die Erteilung eines Zugunstenbescheides gemäß § 40 Abs 1 KOVVwVfG nicht gegeben seien. Etwaige aus dem 5. Gesetz zur Änderung und Ergänzung des BVG vom 6. Juni 1956 sich ergebende neue Ansprüche hätte die Klägerin beantragen müssen. Auf die Änderung dieser Vorschriften sei seinerzeit durch Presse und Rundfunk aufmerksam gemacht worden. Die Klägerin habe deshalb die Nachteile, die sich aus der unterlassenen Antragstellung ergeben, zu vertreten. Eine im Rahmen der Fürsorgepflicht bestehende Verpflichtung der Verwaltungsbehörde zum Tätigwerden habe nicht bestanden.
Klage und Berufung hatten keinen Erfolg (Urteil des Sozialgerichts -SG- vom 18. Mai 1977, Urteil des Landessozialgerichts -LSG- vom 15. Dezember 1977). Das LSG hat dazu ausgeführt: Zur Zeit des ersten Antrages vom 30. September 1955 habe der Klägerin ein Anspruch auf Witwenbeihilfe nicht zugestanden, und zwar auch nicht im Wege des Härteausgleichs. Die Rechtslage sei eindeutig gewesen. Damit entfalle die Möglichkeit einer Zugunstenregelung, denn sie setze einen unrichtigen früheren Bescheid voraus. Hieran habe sich nichts dadurch geändert, daß dem Bescheid durch das 5. Gesetz zur Änderung und Ergänzung des BVG rückwirkend der rechtliche Boden entzogen worden sei. Für eine Verurteilung des Beklagten nach § 44 BVG idF des 5. Änderungsgesetzes fehle es an dem erforderlichen Antrag. Den die Leistung gemäß § 44 BVG auslösenden Antrag habe die Klägerin erst am 6. August 1975 gestellt. Ein früherer Antrag der Klägerin liege nicht vor; denn der Antrag der Klägerin vom 30, September 1955 sei durch den bindend gewordenen Bescheid vom 17. April 1956 erledigt worden. Die Klägerin könne sich auch nicht auf ein rechtsmißbräuchliches Verhalten des Beklagten berufen, denn dieser habe nicht die Klägerin durch sein Verhalten daran gehindert, den Anspruch auf Witwenversorgung geltend zu machen. Auch sei der Beklagte nicht verpflichtet gewesen, mit der Entscheidung über den früheren Antrag der Klägerin bis zum Wirksamwerden etwaiger Gesetzesänderungen zuzuwarten. Darüber hinaus sei er auch nicht verpflichtet gewesen, seiner Entscheidung vom 17. April 1956 einen Hinweis auf eine bevorstehende Gesetzesänderung anzufügen. Das hätte vorausgesetzt, daß der Bedienstete des Beklagten die bevorstehende, für die Klägerin günstige Gesetzesänderung kannte oder doch hätte kennen müssen. Die Bediensteten seien verpflichtet, das geltende Recht zu kennen und richtig anzuwenden; eine weitergehende Verpflichtung bestehe jedoch nicht. Schließlich sei der Beklagte auch nicht verpflichtet gewesen, die abgelehnten Anträge unter Kontrolle zu halten mit dem Ziel, bei einer Gesetzesänderung einen neuen Bescheid zu erteilen oder wenigstens einen neuen Antrag anzuregen; das sei eine Überspannung der Betreuungspflicht; sie sei auch nicht geboten, um eine fehlende eigene Initiative der Klägerin durch eine Weiterausdehnung der Betreuungsverpflichtung des Beklagten zu ersetzen.
Die Klägerin hat Revision eingelegt und trägt vor: Beim Erlaß des Bescheides vom 17. April 1956 sei den Angestellten des Landesversorgungsamtes Berlin bekannt gewesen, daß eine Gesetzesänderung unmittelbar bevorstand. Deshalb hätte der ursprüngliche Bescheid wegen der inzwischen bekannt gewordenen Gesetzesänderung nicht ergehen dürfen. Möge er auch formell richtig gewesen sein, so sei er doch materiell wegen der rückwirkenden Änderung der gesetzlichen Bestimmungen vom 1. April 1956 an unrichtig. Es widerspreche auch den Grundsätzen von Treu und Glauben, wenn das Versorgungsamt einen ablehnenden Bescheid erließ, obwohl es wußte oder hätte wissen müssen, daß dieser Bescheid wegen des rückwirkenden Inkrafttretens einer Gesetzesänderung keinen Bestand haben könnte. Insoweit hätte eine Betreuungspflicht bestanden. In diesem Zusammenhang sei darauf hinzuweisen, daß auch die Berufung des Beklagten auf Verjährungsbestimmungen rechtsmißbräuchlich wäre. Die Klägerin müßte deswegen aufgrund ihres Antrages vom 30. September 1955 so gestellt werden, als ob die Witwenrente ab 1. April 1956 zu zahlen sei.
Die Klägerin beantragt,
den Beklagten zu verurteilen, unter Abänderung der Urteile des Sozialgerichts vom 18. Mai 1977 und des Landessozialgerichts vom 15. Dezember 1977 sowie des Bescheides des Versorgungsamtes II Berlin vom 26. Oktober 1976 idF des Widerspruchsbescheides des Landesversorgungsamtes Berlin vom 15. Februar 1977 an die Klägerin eine Witwenbeihilfe nach ihrem verstorbenen zweite Ehemann A... B... auch für die Zeit vom 1. April 1956 bis 31. Juli 1975 zu gewähren,
hilfsweise,
das Urteil des Landessozialgerichts Berlin aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Landessozialgericht zurückzuverweisen.
Der Beklagte beantragt,
die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 15. Dezember 1977 als unbegründet zurückzuweisen.
Er bezieht sich auf die Ausführungen des angefochtenen Urteils und auf das Rundschreiben des Bundesministers für Arbeit vom 15. September 1955 (Bundesversorgungsblatt 1955, S 168 Kr 110). Dem Bescheid vom 17. April 1956 sei nicht durch die spätere Gesetzesnovellierung mit Rückwirkung vom 1. April 1956 die Grundlage entzogen worden, vielmehr sei davon auszugehen, daß dieser Bescheid zum Zeitpunkt seines Erlasses (17. April 1956) der damals gültigen Rechtslage entsprach.
II
Die zulässige Revision der Klägerin hat insofern Erfolg, als der Beklagte zu verurteilen ist, der Klägerin einen neuen Bescheid unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu erteilen.
Zwar ist der Klägerin nicht zuzustimmen, daß ihr Anspruch aufgrund des Antrages vom 30. September 1955 zu erfüllen sei. Dieser Antrag ist durch die bindend gewordenen Bescheide vom 17. April 1956 erledigt worden. Mit ihm hatte die Klägerin zwar wörtlich nur Gewährung der Witwenrente begehrt; dem materiellen Inhalt dieser Erklärung ist jedoch zu entnehmen, daß sie die Hinterbliebenenversorgung nach ihrem gefallenen früheren Ehemann A... B... beantragte; denn im Zweifel will derjenige, der zu einem bestimmten Sachverhalt einen Leistungsantrag an einen Versorgungsträger richtet, damit alle Ansprüche geltend machen, die ihm aus diesem Sachverhalt gegen diesen Versorgungsträger zustehen (BSGE 36, 120, 121). Er umfaßte deshalb alle nach Lage des Falles in Betracht kommenden Leistungen, da er nicht auf eine bestimmte Leistung ausdrücklich beschränkt war (vgl hierzu Nr 1 Satz 2 der Verwaltungsvorschriften zu § 1 BVG). Wegen des anzunehmenden weiten Umfanges des Antrages werden mit ihm nicht nur die Ansprüche geltend gemacht, die bei seiner Stellung im Gesetz vorgesehen sind, sondern darüber hinaus auch diejenigen, die bis zu seiner endgültigen Bearbeitung durch Gesetzesänderung entstehen. Die gesetzliche Vorschrift sah für die wiederverheiratete Witwe eines Gefallenen in § 44 BVG idF des 3. Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des BVG vom 19. Januar 1955 lediglich vor, daß an die Stelle des Anspruchs auf Rente eine Abfindung von 1.200,-- DM trat und eine Witwenbeihilfe nach § 48 BVG zu leisten war, falls der neue Ehemann sterbe. Unter Zugrundelegung dieser Vorschrift lehnte das Versorgungsamt mit dem Bescheid vom 17. April 1956 den Anspruch der Klägerin auf Hinterbliebenenrente ab, weil sie inzwischen eine neue Ehe geschlossen hatte, durch die ein früherer Anspruch auf Witwenrente erloschen sei und dieser Anspruch durch die Scheidung der neuen Ehe nicht wiederaufgelebt sei. Mit dem weiteren Bescheid vom 17. April 1956, den das Versorgungsamt als "Benachrichtigung" bezeichnete, wurde darüber hinaus auch eine Witwenbeihilfe für die Klägerin abgelehnt. Die Witwenbeihilfe war zwar nicht nach damaligem Gesetz für die wiederverheiratete Witwe nach der Scheidung vorgesehen; jedoch konnte sie nach dem Rundschreiben des Bundesministers für Arbeit vom 15. September 1955 (BVBl 1955, S 168 Nr 110) als Härteausgleich (§89 BVG) gewährt werden. Der Ausgleich wurde abgelehnt, weil die neue Ehe der Klägerin nicht aus Alleinverschulden ihres Ehemannes geschieden worden war.
Durch das 5. Gesetz zur Änderung und Ergänzung des BVG vom 6. Juni 1956 wurde der § 44 BVG grundlegend geändert; diese Änderung trat bereits am 1. April 1956 in Kraft (Art IV Abs 2 Buchst a dieses Gesetzes). Nach § 44 Abs 4 dieses Gesetzes konnte Beihilfe in Höhe von 2/3 der Witwenrente gewährt werden, wenn die neue Ehe geschieden oder aufgehoben worden war, sofern nicht die Witwe die Scheidung der Ehe überwiegend oder allein verschuldet hatte; der zeitliche Anwendungsbereich dieser Vorschrift umfaßte Sachverhalte der hier vorliegenden Art (§ 44 Abs 8). Nach Auffassung des Senates kann es dahinstehen, ob bei der tatsächlichen Entscheidung über den Antrag der Klägerin vom 30. September 1955 am 17. April 1956 der neue Tatbestand in § 44 BVG wegen der Rückwirkung mitumfaßt wurde, denn jedenfalls sind die beiden Bescheide vom 17. April 1956 mangels eines ausdrücklichen Vorbehaltes erkennbar die abschließende Entscheidung des Versorgungsamtes gewesen, der Klägerin eine Hinterbliebenenversorgung wegen des Kriegstodes ihres früheren Ehemannes aus keinem rechtlichen Gesichtspunkt heraus zu gewähren. Nachdem diese Bescheide beide verbindlich geworden waren - der als Benachrichtigung" bezeichnete Bescheid mangels einer Rechtsbehelfsbelehrung erst nach Ablauf eines Jahres (§ 66 Abs 2 Sozialgerichtsgesetz -SGG-) - war der Antrag der Klägerin erledigt; er bestand damit nicht mehr fort und zeitigte auch keinerlei Wirkungen mehr (vgl Urteil des BSG vom 24. Juli 1964 - Az.: 10 RV 319/62). Der so erledigte Antrag konnte auch keine Wirkung mehr für spätere Änderungen der gesetzlichen Vorschriften entfalten, so daß der Beklagte nicht verpflichtet war, das Begehren der Klägerin erneut aufgrund des alten Antrages aufzugreifen.
Die Klägerin kann auch nicht nach Treu und Glauben wegen des Verhaltens des Beklagten so gestellt werden, als hätte sie noch rechtzeitig einen Antrag für den Beginn der Witwenbeihilfe mit dem 1. April 1956 gestellt. Nach § 44 Abs 6 BVG idF des 5. Änderungsgesetzes beginnt die Witwenbeihilfe mit Beginn des Monats, in dem der Antrag gestellt ist; sie konnte seit dem 1. April 1956 gezahlt werden, wenn der Antrag binnen 6 Monaten nach Verkündung des Gesetzes gestellt wurde (Art II Nr 2 5. ÄndG).
Es kann hier dahinstehen, wieweit die dem Grunde nach bestehende Betreuungs- und Fürsorgepflicht (vgl Urteil des Senats vom 6- Juli 1972 - 9 RV 656/71 - in KOV-Mitteilung Berlin 1973, 3 = SozArb 1972, 507) reicht, insbesondere braucht nicht entschieden zu werden, ob eine Belehrungspflicht nur anzuerkennen ist hinsichtlich des bereits geltenden Rechts oder auch hinsichtlich der Kenntnis über bevorstehende, einschlägige Gesetzesänderungen. Denn entgegen der Meinung der Klägerin kann den Bediensteten des Beklagten bei Erlaß der Bescheide vom 17. April 1956 der Inhalt des § 44 Abs 4 BVG idF des 5. Änderungsgesetzes noch nicht bekannt gewesen sein. Sowohl die Gesetzentwürfe der im Bundestag vertretenen Parteien (II/1708, II/1808, II/1811) als auch die Ausschußberichte (II/1994, II 2029) enthalten keine Vorschläge über das Wiederaufleben der Witwenrente bei Scheidung. Erst nachdem am 10. Februar 1956 der Bundestag die Rückverweisung der Gesetzesentwürfe an den Ausschuß beschlossen hatte, brachten alle Fraktionen und auch die Bundesregierung neue Vorschläge als Arbeitsmaterial ein (siehe Wilke KOV 1956, 81). In der BT-Drucks H/2198 vom 8. März 1956 wurde zum ersten Mal vorgeschlagen, den Witwen nach Scheidung einer nachfolgenden Ehe eine Witwenbeihilfe gewähren zu können, wenn diese Ehe aus Alleinverschulden des Mannes geschieden wurde. Mit diesem Vorschlag blieb der Entwurf im Rahmen des Rundschreibens des Bundesarbeitsministers vom 15. September 1955 hinsichtlich der Voraussetzungen, wollte aber den Härteausgleich aus diesem Rundschreiben in eine Kannleistung umändern. Auch dieser Entwurf ließ eine günstigere Rechtsposition der Klägerin noch nicht erkennen, weil ihre letzte Ehe aus beiderseitigem gleichem Verschulden der Ehegatten geschieden worden war. Erst mit den Ausschußberichten II/2348 und II 2349 vom 2. Mai 1956 wird die Beihilfe nach geschiedener Ehe nur noch ausgeschlossen, sofern die Witwe die Scheidung überwiegend oder allein verschuldet hat.
Auch in der Literatur war vor dem 17. April 1956 eine Debatte über das Wiederaufleben einer Witwenrente oder einer Beihilfe nach geschiedener nachfolgender Ehe nicht zu erkennen. Schreiber teilte noch in Arbeit und Sozialpolitik 1956, 14 (Januar-Heft) mit, daß das Problem des Wiederauflebens der Witwenrente im Entwurf der Regierungskoalition nicht enthalten sei, und meinte, es möge noch einer besonderen Untersuchung vorbehalten bleiben; das Bundesbeamtengesetz enthalte insoweit eine befriedigende Regelung (Schreiber aaO S 16). Auch die von der Klägerin in ihrem Widerspruchsschreiben vom 18. November 1976 angegebenen Literaturstellen enthalten keine Hinweise auf das Wiederaufleben einer Witwenrente nach Scheidung. Im Vordergrund der Auseinandersetzungen um das 5. Änderungsgesetz standen andere Dinge, insbesondere die Frage nach dem Umfang der finanziellen Neubelastung des Bundeshaushaltes. Selbst in einem von dem VdK Deutschland vom 7. bis zum 11. Februar 1956 erarbeiteten paragraphierten Gesetzentwurf, in dem "der VdK sozusagen das Gerippe seiner Grundsatzforderungen mit dem Fleisch genau paragraphierter Einzelvorschläge versehen" hatte (VdK-Mitteilungen 1956, 50, 51), war zur Änderung des § 44 BVG lediglich vorgeschlagen, daß anstelle der Heiratsabfindung von 1.200,-- DM der 36 fache Betrag der monatlichen Grundrente gezahlt werden sollte (VdK-Mitteilung aaO, S 62).
Angesichts dieses Verlaufes des Gesetzgebungsverfahrens konnte das Versorgungsamt seine Entscheidung über den Antrag der Klägerin weder zurückstellen noch mit einem Hinweis auf das neue Gesetz versehen.
Auch nach der Verkündung des Änderungsgesetzes vom 6. Juni 1956 brauchte der Beklagte seine Bescheide vom 17. April 1956 nicht zu revidieren. Das Gesetz ordnete in den Übergangsvorschriften lediglich an, daß von Amts wegen die Leistungen, die eine Erhöhung erfahren hatten, festzustellen waren (Art II Nr 1 des 5. ÄndG); neue Ansprüche aus § 44 BVG nF waren nur auf Antrag festzustellen (Art II Nr 2, 5. ÄndG). Eine besondere Vorschrift für Leistungen, die nach dem neuen Gesetz schon vom 1. April 1956 an gewährt werden konnten, aber noch nach dem 51. März 1956 durch Bescheid oder Urteil abgelehnt waren, ist nicht ergangen.
Eine Pflicht des Beklagten, die Bescheide zu überprüfen oder wenigstens anzuregen, einen neuen Antrag zu stellen, bestand auch nicht aus seiner allgemeinen Betreuungs- und Fürsorgepflicht. Der Senat ist der Auffassung, daß dies jedenfalls zu der damaligen Zeit wegen der starken Belastung der Versorgungsverwaltung und des noch wenig automatisierten Ablaufs der büromäßigen Tätigkeit nur mit unverhältnismäßigem Organisations- und Arbeitsaufwand zu verwirklichen gewesen wäre; demgegenüber hätte die Klägerin mit weit weniger Mühe von der Neuordnung des Versorgungsrechts für Kriegerwitwen, deren nachfolgende Ehe geschieden worden war, erfahren können und innerhalb der eingeräumten Frist von 6 Monaten nach Verkündung des 5. Änderungsgesetzes einen Antrag stellen können (vgl Art II Nr 2 Satz 2 des 5. ÄndG).
Entgegen der Meinung des LSG ist jedoch der Beklagte verpflichtet, der Klägerin entsprechend § 40 Abs 1 KOVVwVfG einen neuen Bescheid zu erteilen. Zwar ist dem LSG zuzugeben, daß am 17. April 1956, dem Tage, an dem die Bescheide erlassen wurden, diese richtig waren. Jedoch hat sich hieran dadurch etwas geändert, daß das 5. Gesetz zur Änderung und Ergänzung des BVG vom 6. Juni 1956 mit der darin enthaltenen und zum 1. April 1956 in Kraft gesetzten (Art IV Abs 2) Änderung des § 44 BVG rückwirkend den Bescheiden die rechtliche Grundlage entzogen hat.
Mit dieser Rückwirkungsregelung wird die Fiktion zum Ausdruck gebracht, die neue Fassung der Vorschrift hätte schon ab 1. April 1956 gegolten, ohne daß Rechtsverhältnisse, die nach Maßgabe des bisherigen Rechts geregelt worden waren, dadurch unmittelbar neu geregelt würden (BVerwGE 32, 117, 120). Würde mithin die Bestandskraft des Bescheides vom 17. April 1956 durch die Inkraftsetzung des neuen § 44 BVG zum 1. April 1956 zweifellos nicht unmittelbar berührt, so ist damit die Frage, ob dieser Bescheid - nachdem die Klägerin die Antragstellung gemäß Art II Nr 2 des 5. ÄndG versäumt hatte - später nur noch ex nunc durch eine günstigere Regelung ersetzt werden konnte, doch noch nicht endgültig geklärt. Bedeutsam erscheint es hierbei schon allgemein, daß das 5. ÄndG eine rückwirkende Gesetzesänderung gebracht hat, welche die Rechtsstellung des Bürgers gegenüber dem Staat verbesserte (vgl Kornblum JZ 1962, 654, 657 f).
Das 5- Änderungsgesetz hat in seinen Übergangsvorschriften allerdings geregelt, daß neue Ansprüche aus § 44 BVG nF nur auf Antrag festgestellt werden und die Zahlung bereits mit dem 1. April 1956 beginnt, wenn dieser Antrag binnen sechs Monaten nach Verkündung des Gesetzes gestellt wird (Art II Nr 2). Damit ist jedoch nichts ausgesagt über Anträge, die bereits vor Verkündung des 5. Änderungsgesetzes gestellt waren und erst nach dem 31. März 1956 beschieden wurden; sicherlich hätte über einen vorher gestellten Antrag die Versorgungsverwaltung nach Inkrafttreten des Gesetzes nach den neuen Vorschriften zu entscheiden gehabt. Soweit aber, wie bei dem Antrag der Klägerin, zwar vor Verkündung, aber nach Inkrafttreten der einzelnen Vorschriften eine Entscheidung erging, muß bedacht werden, daß der vom Gesetz geforderte Antrag am 1. April 1956 (bis zum Erlaß der Bescheide am 17. April 1956) vorlag, also zur Zeit der Geltung des neuen § 44 BVG. Insofern verhält es sich anders, als wäre ein Antrag noch gar nicht gestellt worden (hierzu BSGE 29, 186), oder auch als wäre ein früher gestellter Antrag nicht nur vor Verkündung, sondern schon vor - dem rückwirkenden - Inkrafttreten abgelehnt worden. Für diese Fallgruppe enthalten die Übergangsvorschriften jedoch keine Aussage; sie ist deshalb nach allgemeinen Grundsätzen zu prüfen.
Insofern drängt sich ein Vergleich mit der Rechtslage auf, die nach § 79 Abs 2 BVerfGG besteht, wenn durch Entscheidung des BVerfG ein den Anspruch hemmender oder ausschließender Bestandteil einer anspruchsbegründenden Norm von Anfang an für nichtig erklärt wird. Damit wird die Anspruchsgrundlage erweitert. Nicht mehr anfechtbare Ablehnungsbescheide, die auf diesem Hemmungs- oder Ausschlußtatbestandsmerkmal beruhen, werden als unrichtig angesehen (vgl zur Entscheidung des BVerfG vom 12. November 1974 in SozR 3100 § 44 Nr 2 = BVBl 1975 S 33 das Rundschreiben des BMA vom 27. Februar 1975 = BVBl 1975, S 45 Nr 23) In diesem Rundschreiben ist die Folgerung gezogen worden, daß auf Antrag Zugunstenbescheide nach § 40 Abs 1 KOVVwVfG zu erteilen waren.
Gleichermaßen hatte schon der 10. Senat des Bundessozialgerichts -BSG- (Urteil vom 2. Juni 1970, BVBl 1970, 128, 129) ausgeführt, § 40 Abs 1 KOVVwVfG gebe der Versorgungsverwaltung das Recht, zugunsten des Berechtigten einen neuen Bescheid zu erteilen, wenn die frühere Entscheidung tatsächlich und rechtlich unrichtig gewesen sei; das sei aber nicht nur der Fall, wenn die Versorgungsverwaltung den Sachverhalt tatsächlich oder rechtlich unrichtig gewürdigt habe und deshalb zu einem falschen Ergebnis gekommen sei, sondern auch dann, wenn eine gesetzliche Vorschrift, die die Verwaltung infolge des Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung anwenden mußte, rückwirkend weggefallen oder vom BVerfG für nichtig erklärt worden ist (so auch Vorberg - van Nuis § 40 KOVVwVfG II 2 c, S 269). Die dogmatische Ausgangslage ist bei § 79 Abs 2 BVerfGG zwar insofern anders, als das BVerfG einem Gesetz von Anfang an die Geltungswirkung versagt, das seit Verkündung mit dem Makel der Grundgesetzwidrigkeit behaftet war, während durch Rückwirkung einer Gesetzesänderung ein bis dahin makelfreies Gesetz durch ein anderes ersetzt wird. Die tatsächlichen Auswirkungen stimmen jedoch weitgehend überein, ja sie sind bei einer rückwirkenden
Gesetzesänderung vom Gesetzgeber sogar eher zu überschauen und einzukalkulieren (vgl Habscheid, Urteilswirkungen und Gesetzesänderungen, ZZP 78 -1965-, 401, 433). Deshalb rechtfertigt sich in Fällen der hier gegebenen Art eine entsprechende Anwendung des § 40 Abs 1 KOVVwVfG.
Nachdem der Senat entschieden hat, daß die früheren Bescheide vom 17. April 1956 wie unrichtige zu behandeln sind, ist der Beklagte verpflichtet, eine Neufeststellung vorzunehmen. Im Rahmen dieser Zugunstenregelung hat er das ihm eingeräumte Ermessen auszuüben. Dabei ist von dem Antrag der Klägerin vom 6. August 1975 auszugehen und nicht erst von dem vom 12. April 1976, denn bereits 1975 formulierte die Klägerin, sie erneuere ihren Antrag auf Gewährung einer Witwenrente unter Bezugnahme auf ihren Antrag vom 29. September 1955 und den Bescheid vom 17. April 1956. Bereits in diesem Antrag ist klar zum Ausdruck gekommen, daß die Klägerin eine Überprüfung der Bescheide vom 17. April 1956 begehrte.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Fundstellen