Leitsatz (redaktionell)
Bei Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen auf die ("wiederaufgelebte") Witwenrente nach BVG § 44 Abs 2 muß der Schuldausspruch in einem ausländischen Scheidungsurteil nicht notwendig nach Form und Inhalt dem Schuldausspruch eines deutschen Scheidungsurteil entsprechen.
Normenkette
BVG § 44 Abs. 2 Fassung: 1956-06-06
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 15. Dezember 1965 insoweit aufgehoben, als es den Bescheid des Versorgungsamtes N vom 4. April 1962 über die Ablehnung der Versorgung im Wege des Härteausgleichs betrifft. Insoweit wird der Rechtsstreit zu neuer Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Im übrigen wird die Revision der Klägerin zurückgewiesen.
Gründe
I
Die Klägerin, geboren am ... 1913, bezog eine Witwenrente nach versorgungsrechtlichen Vorschriften, weil ihr (erster) Ehemann im zweiten Weltkrieg gefallen ist. Diese Rente entfiel, als die Klägerin im Jahre 1954 einen Staatsbürger der Vereinigten Staaten von Amerika heiratete. Die Klägerin erhielt eine Heiratsabfindung. Sie nahm ihren Wohnsitz bei ihrem Ehemann in den Vereinigten Staaten.
Durch Urteil des Amtsgerichts des Bezirks M, Nebraska/USA, vom 5. Dezember 1956, wurde die Ehe auf Antrag des Ehemannes geschieden. In dem Urteil heißt es ua, daß "die Beklagte (die Klägerin in diesem Rechtsstreit) schuldig ist, wegen außerordentlicher Grausamkeit, die sie an dem Kläger (dem Ehemann) verübte, so daß dieser berechtigt ist, die Scheidung zu fordern ... das Gericht finde daher zu Recht, daß die Eheverbindung hiermit beendet wird". Durch Erlaß vom 11. Juni 1959 stellte das Bayerische Staatsministerium der Justiz gemäß § 24 der 4. Durchführungsverordnung (DVO) zum Ehegesetz (EheG) vom 25. Oktober 1941 (RGBl I 654) fest, daß die gesetzlichen Voraussetzungen für die Anerkennung des Ehescheidungsurteils des Amtsgerichts des Bezirks M, Nebraska/USA, vom 5. Dezember 1956 gegeben sind.
Nach ihrer Rückkehr in die Bundesrepublik beantragte die Klägerin, ihr eine Witwenbeihilfe bzw. Witwenrente nach ihrem ersten Mann wieder zu gewähren.
Die Versorgungsbehörden lehnten den Antrag mit den Bescheiden vom 2. September und vom 5. November 1958 (Widerspruchsbescheid) ab, weil die zweite Ehe aus Verschulden der Klägerin geschieden worden sei.
Mit der Klage machte die Klägerin geltend, sie habe die alleinige Schuld an der Scheidung freiwillig übernommen, um nach Deutschland zurückkehren zu können; sie habe das Klima in den USA nicht vertragen können.
Mit Bescheid vom 4. April 1962 lehnte das Versorgungsamt (VersorgA) N auch den Antrag der Klägerin ab, ihr im Wege des Härteausgleichs eine Witwenbeihilfe bzw. Witwenrente zu gewähren.
Das Sozialgericht (SG) Nürnberg wies die Klage durch Urteil vom 4. Juli 1962 ab. Das SG führte aus: Aus dem Ehescheidungsurteil des amerikanischen Gerichts, das auch für die deutschen Verwaltungsbehörden und Gerichte bindend sei, ergebe sich, daß die Ehe allein aus Verschulden der Klägerin geschieden worden sei; die Voraussetzungen für die Gewährung einer Witwenbeihilfe nach § 44 Abs. 4 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) aF und für eine Witwenrente nach § 44 Abs. 2 BVG nF lägen somit nicht vor. Die Ablehnung der Witwenbeihilfe bzw. der Witwenrente im Wege des Härteausgleichs (§ 89 BVG) durch den Bescheid vom 4. April 1962, sei ebenfalls rechtmäßig; ein Ermessensfehlgebrauch der Verwaltung liege insoweit nicht vor, weil die sachliche Berechtigung des Schuldausspruchs nicht überprüft werden könne.
Mit der Berufung machte die Klägerin geltend, das amerikanische Ehescheidungsurteil sei nur hinsichtlich der Änderung des Personenstandes bindend, dagegen sei dem Schuldausspruch keine Bedeutung beizumessen.
Die Berufung der Klägerin wies das Bayerische Landessozialgericht (LSG) durch Urteil vom 15. Dezember 1965 zurück. Das amerikanische Ehescheidungsurteil lasse weder nach seinem Zustandekommen noch nach seinem Inhalt einen Verstoß gegen rechtsstaatliche Grundsätze erkennen. Ein solcher Verstoß sei auch nicht darin zu erblicken, daß die Ehe "wegen außerordentlicher Grausamkeit" der Klägerin, die sie gegenüber ihrem Ehemann verübt habe, geschieden worden sei und ein solcher Scheidungsgrund dem deutschen Scheidungsrecht fremd sei; es handele sich hierbei im wesentlichen um nichts anderes, als um die gleichbedeutende Formulierung eines Tatbestandes, der im deutschen Scheidungsrecht unter dem Begriff des "ehewidrigen Verhaltens" zusammengefaßt sei. Die Bindung an dieses Urteil erstrecke sich nicht nur auf die Feststellung der Personenstandsänderung, sondern auch auf den Schuldausspruch. Das LSG ließ die Revision zu.
Die Klägerin legt fristgemäß und formgerecht Revision ein. Sie beantragt,
das Urteil des Bayerischen LSG vom 15. Dezember 1965 und das Urteil des SG Nürnberg vom 4. Juli 1962 aufzuheben, weiterhin,
a) die Bescheide des Beklagten vom 2. September 1958 und 5. November 1958 aufzuheben und diesen zur Erteilung eines neuen Bescheides hinsichtlich der Gewährung von Witwenbeihilfe bzw. Witwenrente zu verurteilen und
b) den Bescheid des Beklagten vom 4.April 1962 aufzuheben und diesen zur Gewährung der Witwenrente für die Zeit vom 1. Juni 1960 ab zu verurteilen,
hilfsweise,
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Die Klägerin rügt die Verletzung der §§ 44 Abs. 4 BVG aF, 44 Abs. 2 BVG nF und verfahrensrechtlich einen Verstoß gegen § 128 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Das LSG sei zwar zu Recht von der Verbindlichkeit des ausländischen Scheidungsurteils ausgegangen, es habe jedoch verkannt, daß dieses Urteil keinen eindeutigen Schuldausspruch enthalte. Das LSG habe dem Scheidungsurteil nicht entnehmen dürfen, daß das Scheidungsgericht mit der Feststellung, die Ehefrau habe sich "außerordentlicher Grausamkeit" gegenüber dem Ehemann schuldig gemacht, auch die Schuld der Ehefrau an der Scheidung festgestellt habe.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
II
Die Revision der Klägerin ist zulässig (§§ 162 Abs. 1 Nr. 1, 164 SGG); sie ist teilweise auch begründet.
Das LSG hat zu Recht entschieden, daß der Klägerin keine Witwenbeihilfe nach § 44 Abs. 4 BVG aF (in der Fassung vor dem 1. Neuordnungsgesetz - 1.NOG - vom 27. Juni 1960) gewährt werden kann, und daß ihr (ab 1. Juni 1960) auch kein Anspruch auf eine ("wiederaufgelebte") Witwenrente nach § 44 Abs. 2 BVG nF zusteht. Eine Witwenbeihilfe nach § 44 Abs. 4 BVG aF kann nur gewährt werden und der Anspruch auf Witwenrente lebt nach § 44 Abs. 2 BVG nF nur wieder auf, wenn die Witwe an der Auflösung der späteren Ehe nicht allein und auch nicht überwiegend die Schuld trifft. Diese Voraussetzung des Nichtverschuldens, die zum gesetzlichen Tatbestand gehört, ist hier nicht erfüllt. Der Wortlaut des Gesetzes und sein Zweck fordern die Prüfung, ob die Witwe nicht vornehmlich durch ihr Verhalten die zweite Ehe zerstört hat. In dieser Hinsicht haben die Verwaltung und Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit jedenfalls dann keine weiteren Nachforschungen anzustellen, wenn das Urteil über die Scheidung einen Schuldausspruch enthält, an den sie gebunden sind. Das ist hier der Fall (vgl. Urteil des BSG vom 30. November 1966, SozR Nr. 17 zu § 1291 der Reichsversicherungsordnung).
Durch den Erlaß des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz vom 11. Juni 1959 ist gemäß § 24 der 4. Durchführungsverordnung zum EheG vom 25. Oktober 1941 (RGBl I 654) festgestellt worden, daß die gesetzlichen Voraussetzungen für die Anerkennung des Ehescheidungsurteils des Amtsgerichts des Bezirks M, Nebraska/USA, vom 5. Dezember 1956 gegeben sind. Diese Entscheidung ist für die Gerichte und Verwaltungsbehörden bindend (§ 24 Abs. 1 der 4. EheG-DVO; ebenso für die Rechtslage nach dem 1. Januar 1962, Art. 7 § 1 FamRechtsÄndG vom 11. August 1961, BGBl I 1221). Die Entscheidung über die Anerkennung schließt die Feststellung ein, daß die verfahrensrechtlichen Zustellungs- und Einlassungsvorschriften sowie die sachlich-rechtlichen Scheidungsvorschriften nicht zum Nachteil einer deutschen Partei außer acht gelassen worden sind. Enthält das ausländische Urteil einen Schuldausspruch, so sind die Verwaltung und die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit auch hieran gebunden (BSG 10, 171). Das bedeutet, daß das Scheidungsverfahren auch nicht wegen des Schuldausspruchs erneut aufgerollt werden kann.
Die Auffassung der Revision, das Urteil des amerikanischen Gerichts enthalte keinen Ausspruch, die Klägerin trage die Schuld an der Scheidung, trifft nicht zu. Das Urteil beschränkt sich nicht nur darauf, die Aufhebung der Ehe, also die Statusänderung festzustellen; es spricht vielmehr auch deutlich aus, daß die Ehe aus alleinigem Verschulden der Klägerin geschieden worden ist. Dies ist der Formulierung zu entnehmen, "die Ehefrau sei schuldig wegen außerordentlicher Grausamkeit, die sie an dem Ehemann verübte, so daß besagter Ehemann berechtigt sei, die Scheidung zu fordern ... das Gericht finde daher zu Recht, daß die Eheverbindung hiermit beendet wird". Dieser Wortlaut schließt aus, daß die Ehe etwa aus anderen Gründen als aus alleinigem Verschulden der Ehefrau geschieden worden ist; er läßt vielmehr klar erkennen, daß die Schuldfrage aufgeworfen und geprüft worden ist, daß über sie entschieden worden ist und daß hierauf auch die Scheidung beruht. Weder eine Scheidung ohne Schuldausspruch noch eine Scheidung aus Verschulden oder Mitverschulden des Ehemannes sind hier in Betracht zu ziehen. Der Schuldausspruch in dem ausländischen Urteil hat nicht notwendig nach Form und Inhalt dem Schuldausspruch in einem deutschen Scheidungsurteil entsprechen müssen. Es genügte vielmehr die Feststellung, daß ein schuldhaftes ehewidriges Verhalten der Ehefrau die Zerstörung der Ehe verursacht hat und daß dies der Grund für die Scheidung gewesen ist. Diese Feststellung ergibt sich aus dem Urteil eindeutig. Wenn das LSG dem ausländischen Urteil den Schuldausspruch entnommen hat, daß die Klägerin die alleinige Schuld an der Scheidung trägt, so hat es damit entgegen der Ansicht der Revision keine Feststellung getroffen, die verfahrensrechtlich zu beanstanden ist; es hat bei der Würdigung des Inhalts des Urteils § 128 Abs. 1 SGG nicht verletzt.
Das LSG hat danach die Berufung der Klägerin, soweit sie sich auf die Abweisung der Klage gegen die Versagung der Witwenbeihilfe nach § 44 Abs. 4 BVG aF und der Witwenrente nach § 44 Abs. 2 BVG nF bezogen hat, zu Recht zurückgewiesen. Insoweit war die Revision unbegründet.
Das Urteil des LSG kann jedoch nicht in vollem Umfange aufrechterhalten bleiben. Die Klägerin hat sich im gegenwärtigen Rechtsstreit auch gegen den Bescheid des Beklagten vom 4. April 1962 gewandt; darin hat der Beklagte den Antrag der Klägerin auf Gewährung einer Witwenbeihilfe im Wege des Härteausgleichs (§ 89 BVG) abgelehnt. Das SG hat die Klage auch insoweit abgewiesen. Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG ausdrücklich auch die Aufhebung des Bescheides vom 4. April 1962 beantragt. Das LSG hat die Berufung in vollem Umfange zurückgewiesen, also auch insoweit, als die Rechtmäßigkeit des Bescheides vom 4. April 1962 streitig war. Das LSG hat jedoch nicht beachtet, daß die Voraussetzungen für eine Sachentscheidung über die Rechtmäßigkeit der Ablehnung des Härteausgleichs noch nicht gegeben waren, weil es insoweit an einem Vorverfahren gefehlt hat (§ 80 Nr. 1 SGG). Der Bescheid über die Versagung des Härteausgleichs ist nicht nach § 96 SGG Gegenstand des bisherigen Verfahrens geworden, weil er die bisherigen Bescheide nicht abgeändert oder ersetzt hat (vgl. auch Urteil des BSG vom 19. Dezember 1958 - 8 RV 617/58 -). Gegenstand des Verfahrens waren danach zwei (verschiedenartige) Klageansprüche; die allgemeinen Prozeßvoraussetzungen sind für sie selbständig zu prüfen. Das Fehlen eines gesetzlich vorgeschriebenen Vorverfahrens ist von den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu beachten (BSG 8, 3; BSG in DVBl 1963 S. 407, "NJW 1963, S. 1374"). Zwar ist inzwischen ("auf den Widerspruch der Klägerin" vom 17. April 1962 gegen den Bescheid vom 4. April 1962) am 16. August 1966 ein Widerspruchsbescheid im "Härteausgleichsverfahren" ergangen. Dieser Widerspruchsbescheid ist jedoch erst nach Schluß der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung erlassen worden, er konnte vom Berufungsgericht nicht mehr berücksichtigt werden; für die Revisionsinstanz ist er unbeachtlich (vgl. hierzu Urteil des BSG vom 30. November 1961, SozR Nr. 5 zu § 78 SGG).
Der Senat hielt es nach § 170 Abs. 2 Satz 2 SGG für geboten, die Sache hinsichtlich der Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Ablehnung des Härteausgleichs an das LSG zurückzuverweisen, damit es noch in diesem Rechtsstreit über den Widerspruchsbescheid vom 16. August 1966 entscheiden kann (vgl. hierzu auch BSG 20, 199; 25, 66).
Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.
Fundstellen