Entscheidungsstichwort (Thema)

Besonderes berufliches Betroffensein. gleichwertige Mitursache

 

Orientierungssatz

Für den Anspruch auf Höherbewertung der MdE wegen eines besonderen beruflichen Betroffenseins können Ursache im versorgungsrechtlichen Sinn die Schädigungsfolgen auch dann gewesen sein, wenn sie bloß eine wesentliche, dh eine wenigstens gleichwertige Mitbedingung neben anderen Umständen waren (vgl ua BSG vom 1975-12-10 9 RV 112/75 = BSGE 41, 70, 77f = SozR 3100 § 30 Nr 11). Bei der Aufgabe der selbständigen Tätigkeit (hier: Gärtnereibetrieb) ist daher zu prüfen, ob die schädigungsbedingten Leiden im Zusammenwirken mit den nicht schädigungsbedingten Umständen zu wenigstens gleichem Anteil die berufliche Veränderung bewirkt haben.

 

Normenkette

BVG § 30 Abs 2 S 1; BVG § 30 Abs 2 S 2 Buchst a

 

Verfahrensgang

Schleswig-Holsteinisches LSG (Entscheidung vom 25.03.1981; Aktenzeichen L 2 V 11/80)

SG Itzehoe (Entscheidung vom 23.11.1979; Aktenzeichen S 6 V 35/79)

 

Tatbestand

Der 1923 geborene Kläger bezieht Beschädigtenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 40 vH wegen Versteifung des linken Fußgelenks in Spitzfußstellung mit meßbarem Muskelschwund des linken Beines sowie wegen krankhafter Veränderungen am Mondbein und Handgelenk rechts; ein besonderes berufliches Betroffensein ist verneint worden (Bescheide vom 5. November 1951 und 17. Dezember 1965). 1972 gab er die Freilandbearbeitung in seinem Gartenbaubetrieb auf und vergrößerte seine Gewächshäuser. Ende 1979 legte er die Gärtnerei still. Im Februar 1978 hatte er eine Neufeststellung seines Versorgungsanspruchs wegen Verschlimmerung der Schädigungsfolgen begehrt. Sein Antrag ist erfolglos geblieben (Bescheid vom 6. Juli 1978, Widerspruchsbescheid vom 31. Januar 1979, Urteile des Sozialgerichts vom 23. November 1979 und des Landessozialgerichts -LSG- vom 25. März 1981). Das Berufungsgericht hat einen Anspruch auf Neufeststellung verneint. Der Zustand der Schädigungsfolgen habe sich nicht wesentlich verschlechtert, und die Gesundheitsstörungen im Wirbelsäulenbereich seien keine mittelbaren Folgen. Die MdE sei auch nicht neuerdings nach § 30 Abs 2 Bundesversorgungsgesetz (BVG) wegen eines besonderen beruflichen Betroffenseins höher zu bewerten. Der Kläger habe zwar nachträglich seinen Betrieb aufgegeben, aber dies sei nicht wegen der - unverändert gebliebenen - Schädigungsfolgen geschehen. Trotz beträchtlicher Leistungseinschränkungen habe der Kläger bis 1972 die Freilandflächen bearbeiten können und danach die Umstellung auf eine Gewächshauskultur finanziell gut überstanden. Ob das Alter des Klägers, die Krankheit seiner Ehefrau, das Ausscheiden des einzigen Sohnes aus dem Betrieb oder schädigungsunabhängige Gesundheitsstörungen dazu geführt hätten, daß die Gärtnerei aufgegeben werden mußte, könne offenbleiben.

Der Kläger hat die - vom Bundessozialgericht (BSG) zugelassene - Revision eingelegt. Er rügt eine Verletzung des § 30 Abs 2 BVG. Nach der Rechtsprechung des BSG (BSGE 36, 285), von der das LSG abgewichen sei, müsse ein beruflicher Schaden - hier die Einstellung des Gärtnereibetriebes - auch dann nach § 30 Abs 2 BVG ausgeglichen werden, wenn die Schädigungsfolgen wenigstens eine gleichwertige Mitursache neben anderen Bedingungen seien. Dies habe das LSG nicht geprüft. Das Ergebnis werde aber zugunsten des Klägers ausfallen. Außerdem weiche das Berufungsurteil von BSGE 13, 20 insoweit ab, als der Kläger seine Gärtnerei nur unter erhöhtem Energieaufwand habe betreiben können.

Der Kläger beantragt,

die Urteile der Vorinstanzen und die Bescheide des

Beklagten aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen,

ihm unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des

Revisionsgerichts entsprechend seinem Antrag vom

31. Januar 1978 einen Bescheid über höhere Versorgungsbezüge

zu erteilen.

Der Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Er vertritt die Ansicht, es bestehe kein konkreter Anhalt dafür, daß die seit 1951 unverändert gebliebenen Schädigungsfolgen die Einstellung des Betriebes wesentlich mit verursacht hätten. Der Kläger habe bei guter orthopädischer Versorgung weiterhin alle Tätigkeiten im Gehen und Stehen verrichten können, wenn Pausen eingelegt würden. Gesundheitliche Gründe für das Aufgeben der Gärtnerei könnten nur in den Wirbelsäulenbeschwerden liegen, die schädigungsunabhängig seien.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision   des   Klägers hat Erfolg. Das angefochtene Urteil ist aufzuheben, und der Rechtsstreit ist an das LSG zurückzuverweisen.

Nach dem Berufungsurteil ist der Versorgungsanspruch des Klägers nicht wegen einer wesentlichen Veränderung der Verhältnisse, die bei der letzten rechtsverbindlichen Entscheidung maßgebend waren, neu festzustellen (§ 62 Abs 1 Satz 1 BVG in der bis zum 30. Dezember 1980 geltenden Fassung; seither § 48 Abs 1 Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren - X. Buch - vom 18. August 1980 - BGBl I 1469, 2218 -, Art II § 15 Nr 1, § 40 Abs 1 Satz 1 und Abs 2 Satz 1 und 2). In tatsächlicher Hinsicht hat das Berufungsgericht keine wesentliche Verschlechterung im Zustand der Schädigungsfolgen und keine mittelbaren gesundheitlichen Auswirkungen festgestellt. Daran ist das Revisionsgericht gebunden (§ 163 Sozialgerichtsgesetz -SGG-). Der Kläger greift aber die Entscheidung mit dem Argument an, daß die MdE wegen eines nachträglichen besonderen beruflichen Betroffenseins nach § 30 Abs 2 Satz 1 BVG hätte höher bewertet werden müssen. Nach Auffassung des LSG ist er in seinem Beruf als selbständiger Gärtner nicht neuerdings iS des § 30 Abs 2 Satz 2 Buchst a BVG besonders geschädigt. Er sei - so das Berufungsgericht - nicht 1979 durch schädigungsbedingte Gesundheitsstörungen (§ 1 Abs 1 und 3 Satz 1 BVG) gezwungen gewesen, seinen Betrieb aufzugeben. Diese Entscheidung enthält außer einer tatsächlichen Feststellung die rechtliche Würdigung, die unverändert gebliebenen Schädigungsfolgen hätten diese berufliche Veränderung nicht im versorgungsrechtlichen Sinn verursacht.

Dabei hat das Berufungsgericht einen wichtigen rechtlichen Gesichtspunkt außer acht gelassen und infolgedessen den Sachverhalt nicht zureichend aufgeklärt.

Ursache in diesem Rechtssinn können die Schädigungsfolgen auch dann gewesen sein, wenn sie bloß eine wesentliche, dh eine wenigstens gleichwertige Mitbedingung neben anderen Umständen waren (BSGE 36, 285, 288 ff = SozR Nr 69 zu § 30 BVG; BSGE 37, 80, 84 f = SozR 3100 § 30 Nr 1; BSGE 41, 70, 77 f = SozR 3100 § 30 Nr 11). Das LSG ist von dieser ständigen Rechtsprechung des BSG abgewichen. Es hat darauf abgehoben, ob allein die Schädigungsfolgen die Einstellung der Gärtnerei bewirkt haben. Ausdrücklich hat es dahingestellt sein lassen, ob das Ausscheiden des einzigen Sohnes aus dem Gärtnereibetrieb, die Krankheit der Ehefrau, das Alter des Klägers oder sein schädigungsunabhängiges Wirbelsäulenleiden dazu geführt haben, daß er seine selbständige Erwerbstätigkeit aufgeben mußte. Diese nicht schädigungsbedingten Umstände insgesamt oder einzelne von ihnen können aber 1979 im Zusammenwirken mit den Schädigungsfolgen die berufliche Veränderung herbeigeführt haben, wobei die letztgenannten als mindestens gleichwertige Mitursache gewirkt hätten. Das war auch bei unverändertem Zustand der schädigungsbedingten Gesundheitsstörungen möglich. Gerade dann, wenn - wie beim Kläger - Verwundungsfolgen die Ausübung eines Berufes stark erschweren, kann der unveränderte Zustand nach dem Fortfall von ausgleichenden Hilfen und nach dem Auftreten weiterer Gesundheitsschäden uU nicht mehr für die vorhergehende berufliche Leistung ausreichen (BSGE 36, 285, 287). An einen Sachverhalt dieser Art war um so mehr zu denken, als nach den Feststellungen des LSG der Kläger möglicherweise bis zur Grenze eines außergewöhnlichen Energieaufwandes behindert war; ein solcher Zustand kann als besonderes berufliches Betroffensein zu werten sein (BSGE 13, 20 = SozR Nr 8 zu § 30 BVG; SozR Nr 60 zu § 30 BVG). Die Folge, daß der Beschädigte seine bisherige Berufstätigkeit aufgeben muß, kann in einem solchen Fall durch das schädigungsbedingte Leiden zu wenigstens gleichem Anteil bewirkt worden sein. Dies zu prüfen, hätte sich dem Berufungsgericht nach allgemeiner Erfahrung und insbesondere aufgrund des Vorbringens des Klägers aufdrängen müssen.

Das Revisionsgericht kann ohne die erforderlichen tatsächlichen Feststellungen, die das LSG noch nicht getroffen hat, über eine solche berufliche Auswirkung der Schädigungsfolgen nicht entscheiden. Was der Beklagte als eigene Beweiswürdigung zu dieser Möglichkeit vorträgt, ist im Revisionsverfahren unbeachtlich.

Das Berufungsgericht hat nun die gebotene Sachaufklärung nachzuholen und die schädigungsbedingten Gründe der Betriebseinstellung gegen die schädigungsunabhängigen abzuwägen.

Außerdem hat es zu prüfen, ob der Kläger auch schon vom Zeitpunkt seines Antrages ab dadurch besonders beruflich betroffen war, daß er seine Gärtnerei nur unter besonderem Energieaufwand oder unter Gefährdung seiner Gesundheit betreiben konnte (BSGE 13, 20).

Das LSG hat auch über die im Revisionsverfahren entstandenen Kosten zu entscheiden.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1655232

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