Orientierungssatz
"Letzter Beitrag" iS des ArVNG Art 2 § 14 S 2 ist derjenige Pflichtbeitrag, der als letzter vor dem 1957-01-01 entrichtet worden ist.
Normenkette
ArVNG Art. 2 § 14 S. 2 Fassung: 1957-02-23; AnVNG Art. 2 § 14 S. 2 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Das Urteil des Landessozialgerichts Bremen vom 21. März 1963 und das Urteil des Sozialgerichts Bremen vom 17. April 1962 werden aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I
Die Klägerin, geboren am 19. Januar 1901, beantragte am 19. Dezember 1960 Altersruhegeld nach § 25 Abs. 3 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG). Mit Bescheid vom 27. Februar 1961 bewilligte die Beklagte ein Altersruhegeld von monatlich 448,- DM vom 1. Januar 1960 an, Ausfallzeiten wurden dabei nicht berücksichtigt. Für die Klägerin waren von April 1917 bis zum 31. Juli 1953 insgesamt 437 Pflichtbeiträge zur Angestelltenversicherung (AV) entrichtet, in der Folgezeit waren bis Dezember 1956 für 41 Monate keine Beiträge geleistet; in der beitragslosen Zeit bezog die Klägerin vom 11. Januar 1954 bis 8. Januar 1955 Arbeitslosenunterstützung; vom 1. März 1957 bis 31. Dezember 1959 wurden wieder (Pflicht-) Beiträge zur AV für sie entrichtet.
Mit der Klage beantragte die Klägerin, 41 Monate, hilfsweise die Zeit der Arbeitslosigkeit vom 11. Januar 1954 bis 8. Januar 1955, als Ausfallzeit rentensteigernd zu berücksichtigen. Das Sozialgericht (SG) Bremen verurteilte die Beklagte nach dem Hauptantrag. Die Berufung der Beklagten wies das Landessozialgericht (LSG) Bremen mit Urteil vom 21. März 1963 zurück: Die Beklagte habe nach Art. 2 § 14 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) ein Zehntel der bis 1. Januar 1957 mit Pflichtbeiträgen belegten Zeit als "pauschale Ausfallzeit" zu berücksichtigen; dem stehe nicht entgegen, daß zwischen dem ersten und letzten Beitrag der Klägerin vor 1. Januar 1957, also zwischen dem 1. April 1917 und dem 31. Juli 1953, keine Beitragslücke vorhanden sei; "letzter Beitrag" im Sinne von Art. 2 § 14 Satz 2 AnVNG sei - entgegen der Meinung der Beklagten - nicht der letzte Beitrag vor dem 1. Januar 1957, sondern der letzte Beitrag vor Eintritt des Versicherungsfalles; im vorliegenden Falle seien daher - da die Beitragslücke nur 41 Monate umfasse - zwar nicht 44 Monate (ein Zehntel der mit Pflichtbeiträgen belegten Zeit von 437 Monaten), wohl aber 41 Monate als Ausfallzeit zu berücksichtigen. Die Revision ließ das LSG zu. Das Urteil wurde der Beklagten am 6. Mai 1963 zugestellt.
Am 15. Mai 1963 legte die Beklagte Revision ein, sie beantragte,
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils sowie des Urteils des Sozialgerichts Bremen vom 17. April 1962 die Klage abzuweisen.
Am 28. Juni 1963 begründete sie die Revision: Art. 2 § 14 Satz 1 AnVNG lasse die Anrechnung der "pauschalen Ausfallzeit" nur für die Zeit vor dem Inkrafttreten des AnVNG (1. Januar 1957) zu, Art. 2 § 14 Satz 2 AnVNG sei als Einschränkung von Art. 2 § 14 Satz 1 AnVNG zu verstehen, durch Satz 2 solle eine Doppelbelegung von Zeiten verhindert werden, auch Satz 2 betreffe daher lediglich den "letzten Beitrag" vor dem Inkrafttreten des AnVNG.
Die Klägerin beantragte,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten erklärten sich mit einem Urteil ohne mündliche Verhandlung (§§ 165, 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) einverstanden.
II
Der Senat kann ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden, obwohl die Klägerin als Revisionsbeklagte ihre Einwilligung hierzu persönlich und nicht durch einen nach § 166 SGG vor dem Bundessozialgericht (BSG) zugelassenen Prozeßbevollmächtigten erklärt hat (vgl. Urteil des BSG vom 25. Oktober 1962, SozR Nr. 5 zu § 124 SGG).
Die Revision der Beklagten ist zulässig (§ 162 Abs. 1 Nr. 1, 164 SGG); sie ist auch begründet. Entgegen der Ansicht des LSG sind bei der Berechnung des Altersruhegeldes der Klägerin keine Ausfallzeiten zu berücksichtigen. Wie auch das LSG richtig erkannt hat, liegen die Voraussetzungen des § 36 Abs. 1 Nr. 3 AVG nicht vor; durch die Arbeitslosigkeit der Klägerin vom 11. Januar 1954 bis zum 8. Januar 1955 ist keine versicherungspflichtige Beschäftigung unterbrochen worden; die Klägerin ist schon ab August 1953 nicht mehr versicherungspflichtig beschäftigt gewesen. Die Klägerin hat aber auch keinen Anspruch auf Berücksichtigung einer "pauschalen" Ausfallzeit nach Art. 2 § 14 AnVNG; der Zeitraum zwischen dem ersten und dem letzten Beitrag im Sinne dieser Vorschrift ist schon mit Versicherungszeiten belegt.
Wie bereits der 5. Senat des BSG (Urteil vom 27. Juni 1963 - 5 RKn 63/61 - zu dem mit Art. 2 § 14 AnVNG gleichlautenden Art. 2 § 9 des Knappschaftsversicherungs-Neuregelungsgesetzes = SozR Nr. 3 zu Art. 2 § 9 KnVNG) und der 1. Senat (Urteil vom 18. September 1963, 1 RA 36/60 = SozR Nr. 5 zu Art. 2 § 14 des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes) entschieden haben, ist "letzter Beitrag" im Sinne des Art. 2 § 14 Satz 2 AnVNG (= Art. 2 § 14 Satz 2 ArVNG) derjenige Pflichtbeitrag, der als letzter vor dem 1. Januar 1957 entrichtet worden ist. Der erkennende Senat schließt sich dieser Auffassung an. Wie der 1. Senat aaO ausgeführt hat, entspricht Art. 2 § 14 Satz 2 AnVNG der Regelung in § 35 Abs. 1 AVG, nach der Versicherungszeiten und Ausfallzeiten bei der Ermittlung der anrechnungsfähigen Versicherungsjahre nur soweit zusammengerechnet werden dürfen, als sie nicht auf dieselbe Zeit entfallen; der Zeitraum, der für die Ausfüllung der vor 1957 liegenden Lücken im Versicherungsverlauf durch die pauschale Ausfallzeit zugrunde zu legen ist, ist in Art. 2 § 14 Satz 1 begrenzt auf die Zeit vor dem Inkrafttreten des AnVNG; es entspricht dem Sprachgebrauch, daß mit dem ersten und letzten Beitrag in Art. 2 § 14 Satz 2 AnVNG Beiträge aus demselben Zeitraum gemeint sind, auf den sich Art. 2 § 14 Satz 1 bezieht. Wie der 1. Senat aaO zutreffend weiter ausgeführt hat, würde die vom LSG vertretene Auffassung, daß auch jeder nach dem 31. Dezember 1956 entrichtete Beitrag "letzter Beitrag" im Sinne von Art. 2 § 14 Satz 2 AnVNG sein könne, dazu führen, daß ein Versicherter noch nach dem Inkrafttreten des AnVNG durch Entrichtung auch nur eines weiteren Beitrags eine (höhere) Anrechnung pauschaler Ausfallzeiten vor 1957 erreichen könnte; es entspricht aber der Grundkonzeption der Neuregelungsgesetze, die Möglichkeit auszuschließen, daß nach dem Inkrafttreten dieser Gesetze Beiträge geleistet werden, durch welche die Verrechnungsfaktoren der Rente aus der Zeit vor dem Inkrafttreten dieser Gesetze beeinflußt werden können.
Das LSG hat daher zu Unrecht die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des SG zurückgewiesen. Auf die Revision der Beklagten sind das Urteil des LSG und das Urteil des SG aufzuheben; die Klage ist abzuweisen (§ 170 Abs. 2 Satz 1 SGG).
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen