Leitsatz (amtlich)

Eine mit Arbeitsunfähigkeit verbundene Krankheitszeit in der Übergangszeit vom 1957-01-01 bis 1961-12-31 ist nicht geeignet, die nach ArVNG Art 2 § 42 S 2, vom Jahre 1957 an für jedes Kalenderjahr vor dem Kalenderjahr des Versicherungsfalles zu entrichtenden Beiträge zu ersetzen.

 

Normenkette

ArVNG Art. 2 § 42 S. 2 Fassung: 1957-02-23

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 14. Juni 1961 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Von Rechts wegen.

 

Gründe

Die 1897 geborene Klägerin bezieht Rente wegen Berufsunfähigkeit seit dem 1. November 1958 (Antragsmonat) in Höhe von 7,90 DM. Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 20. Februar 1959 die Gewährung der höheren, nach den vor dem 1. Januar 1957 geltenden Vorschriften berechneten Rente ab, weil die Klägerin für das Jahr 1957 statt 9 Monatsbeiträge nur 7 aufzuweisen hat; sie war vom 25. April bis 14. Juli 1957 und vom 17. Juli bis 22. Oktober 1957 erkrankt gewesen und hatte deshalb in diesen Zeiten nicht gearbeitet. Auf ihre Klage wies das Sozialgericht (SG) Detmold mit Urteil vom 22. Januar 1960 die Klage ab, weil für die Klägerin nicht entsprechend dem Erfordernis des Art. 2 § 42 des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (ArVNG) für das Jahr 1957 9 Monatsbeiträge entrichtet seien. Der Gesetzeswortlaut gestattet nicht, die fehlenden Monatsbeiträge durch die nachgewiesenen Krankheitszeiten zu ersetzen. Eine ausfüllungsbedürftige Lücke liege im Gesetz nicht vor. Im Berufungsverfahren machte die Klägerin geltend, Art. 2 § 42 ArVNG habe den alten Anwartschaftsgedanken fortgeführt. Eine mit Arbeitsunfähigkeit verbundene Krankheit sei daher als Ersatzzeit wie eine Beitragszeit anzurechnen. Das Landessozialgericht (LSG) hat mit Urteil vom 14. Juni 1961 die Berufung der Klägerin als unbegründet zurückgewiesen. Es ließ die Revision zu und führte aus: Da die Klägerin Anfang und Ende 1957 und 1958 noch gearbeitet habe, sei sie im Jahre 1957 nur zeitweilig krank im Sinne der Krankenversicherung, aber noch nicht berufsunfähig im Sinne des § 1246 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) gewesen. Berufsunfähigkeit liege frühestens seit August 1958 vor. Sei aber der Versicherungsfall noch nicht 1957, sondern erst 1958 eingetreten, sei der Rentenvergleich nur zugelassen, wenn die Klägerin für 1957 wenigstens 9 Monatsbeiträge aufzuweisen habe. Die Tatsache, daß weitere Pflichtbeiträge wegen ihrer Krankheit nicht abgeführt worden seien, rechtfertige nicht die günstigere Vergleichsberechnung. Nach § 1259 Abs. 1 Nr. 1 RVO könnten zwar Krankheitszeiten unter bestimmten Voraussetzungen sog. Ausfallzeiten sein. Ausfallzeiten seien aber Beitragszeiten nicht gleichzustellen (§ 1250 RVO). Das alte Ersatzzeitenrecht sei durch Art. 3 § 2 ArVNG außer Kraft gesetzt worden. Eine ausfüllungsbedürftige Lücke bestehe daher nicht. Durch die in Art. 2 § 42 ArVNG für die Übergangszeit vorgeschriebenen 9 Monatsbeiträge solle der Versicherte seinen Willen unter Beweis stellen, sich vom System der Mindestrente zu lösen und sich auf das neue System der beitragsbezogenen Rente aus eigener Kraft umzustellen. Mit dieser Zielsetzung sei die Anrechnung der Ersatzzeiten des alten Rechts nicht zu vereinbaren.

Gegen das ihr am 11. Juli 1961 zugestellte Urteil legte die Klägerin am 27. Juli 1961 Revision mit dem Antrage ein,

unter Aufhebung des angefochtenen Urteils und unter Abänderung des Bescheides vom 20. Februar 1959 die Beklagte zu verurteilen, die Rente nach Art. 2 § 42 ArVNG zu berechnen.

Die Revision rügt Verletzung des Art. 2 § 42 RVO. Der Grundgedanke dieser Vorschrift gehe dahin, einmal erworbene Anwartschaften nicht mehr erlöschen zu lassen. Dies entspreche dem alten Anwartschaftsrecht. Nach altem Recht aber seien Krankheitszeiten Ersatzzeiten, und Ersatzzeiten seien wie Beitragszeiten zu behandeln.

Die Beklagte beantragt,

die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Art. 2 § 42 ArVNG verlange, daß der Versicherte seinen Willen zur Umstellung der Leistung auf die neue Rentenform durch Entrichtung von 9 Monatsbeiträgen beweise. Art. 2 § 42 ArVNG fordere keine Ausfallzeiten, sondern nur Beiträge. Beitragszeiten seien etwas anderes als Ausfallzeiten oder Ersatzzeiten.

Die Revision ist durch Zulassung statthaft (§ 162 Abs. 1 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -). Sie ist auch form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§ 164 Abs. 1 Satz 1 SGG). Sie ist jedoch unbegründet.

Die Klägerin hat am 24. November 1958 Rente wegen Berufsunfähigkeit beantragt. Über den Zeitpunkt des Versicherungsfalles (November 1958) besteht kein Streit. Die Klägerin war mit vorübergehenden Unterbrechungen bis 20. November 1958 versicherungspflichtig beschäftigt. Bei Versicherungsfällen, die in die Zeit vom 1. Januar 1957 bis 31. Dezember 1961 fallen, ist die Rente nach den vor dem 1. Januar 1957 geltenden Vorschriften über die Zusammensetzung und Berechnung der Rente aus den bis zum 31. Dezember 1956 zurückgelegten Versicherungszeiten zu berechnen, wenn dies für den Berechtigten günstiger ist als die Rente nach den ab 1. Januar 1957 geltenden Vorschriften. Die Klägerin hatte zwar die Anwartschaft aus ihren vor dem 1. Januar 1957 entrichteten Beiträgen zum 31. Dezember 1956 erhalten. Sie hat indes nicht entsprechend der Übergangsvorschrift des Art. 2 § 42 ArVNG die für das Kalenderjahr 1957 erforderlichen 9 Monatsbeiträge entrichtet, weil sie in diesem Jahr rund 6 Monate arbeitsunfähig krank war. Art. 2 § 42 ArVNG enthält keine Vorschrift oder auch nur eine Andeutung, die es zulassen würden, Krankheitszeiten den hier verlangten Beitragszeiten gleichzustellen. Die Vorschriften des bisherigen Rechts sind außer Kraft getreten (Art. 3 § 2 ArVNG). Die Meinungen, ob und welche Vorschriften zur Auslegung und Ergänzung des Art. 2 § 42 ArVNG heranzuziehen sind, gehen auseinander. Nach Auffassung des Senats ist es sinnvoll, von dem Versicherten, der sich auf die ab 1. Januar 1957 vorgeschriebene beitragsbezogene Rente umstellen will, eine spürbare Beitragsleistung zu verlangen, wie dies Art. 2 § 42 ArVNG mit den 9 Monatsbeiträgen zu je 14,- DM jährlich während der Übergangszeit vorgeschrieben hat. In dieser Richtung gehen auch die Motive in den Gesetzesmaterialien. Die relativ hohe Beitragsforderung wird damit begründet, daß der Versicherte seinen Willen beweisen solle, sich in der Übergangszeit auf die beitragsbezogene Rente aus eigener Kraft umzustellen (vgl. Bericht des Abgeordneten Schöttler vom sozialpolitischen Ausschuß vor dem Plenum des Bundestages in BT-Drucks. - 2. Wahlperiode zu Nr. 3080 S. 25). Die hohen Beiträge bezwecken, den Bezug der bisherigen Mindestrente für den Kreis der Versicherten zu erschweren, die in der vorausgegangenen Zeit ihres Lebens verhältnismäßig wenige und niedrige Beiträge entrichtet haben und deshalb eine geringere beitragsbezogene Rente nach neuem Recht zu erwarten haben gegenüber der höheren Mindestrente, auf deren Gewährung sie ohne die Vergünstigung der das System des neuen Rechts durchbrechenden Ausnahmevorschrift in Art. 2 § 42 ArVNG keinen Anspruch haben würden. Es würde dem Sinn und Zweck der vom Gesetz verlangten Entrichtung von jeweils neun Monatsbeiträgen für jedes Kalenderjahr vor dem Kalenderjahr des Versicherungsfalls widersprechen, wenn diese Beitragszeiten durch Zeiten ohne Beitragszahlung ersetzt werden könnten. Die Übergangsvorschrift des Art. 2 § 42 hat denn auch einen derartigen Ersatz durch beitragslose Zeiten nicht vorgesehen, so daß für den Tatbestand der Krankheit, verbunden mit Arbeitsunfähigkeit, weder Ausfallzeiten noch Ersatzzeiten gesetzt werden dürfen.

Im übrigen sieht die für Versicherungsfälle nach dem 31. Dezember 1956 geltende Vorschrift des § 1251 RVO über die Anrechnung von Ersatzzeiten für die Erfüllung der Wartezeit Krankheitszeiten als Ersatzzeiten nur im Anschluß an die besonderen Tatbestände des § 1251 Abs. 1 RVO vor, die hier nicht in Frage kommen. Ein Fall des Art. 2 § 9 ArVNG, der es erlauben würde, ausnahmsweise altes Ersatzzeitenrecht anzuwenden, liegt ebenfalls nicht vor.

Der bisherige § 1267 RVO aF, den die Revision entsprechend angewandt wissen will, diente nur der Erhaltung der Anwartschaft; diese Vorschrift hat mit dem am 1. Januar 1957 in Kraft getretenen Sozialversicherungsrecht ihren Sinn verloren, weil es auf die Erhaltung der Anwartschaft seit 1. Januar 1957 nicht mehr ankommt. Allerdings gehört die Erhaltung der Anwartschaft aus den vor dem 1. Januar 1957 entrichteten Beiträgen zu diesem Zeitpunkt nach früherem Recht zu den Voraussetzungen der Vergleichsberechnung des Art. 2 § 42 ArVNG. Doch können Ersatztatsachen, die erst in der Zeit nach dem 31. Dezember 1956 eintreten, auf die Erhaltung der Anwartschaft keinen Einfluß haben. Krankheit, die Arbeitsunfähigkeit zur Folge hat, rechnet gemäß § 1259 Abs. 1 Nr. 1 RVO unter besonderen Voraussetzungen (§ 1259 Abs. 3 RVO) zwar als Ausfallzeit, könnte als solche jedoch keine Beitragszeit ersetzen, sondern nur bei der Ermittlung der Anzahl der anrechnungsfähigen Versicherungsjahre im Sinne des § 1253 RVO von Bedeutung sein.

Kann aber die Krankheitszeit der Klägerin im Jahre 1957 nicht die fehlenden 2 Monatsbeiträge im Sinne des Art. 2 § 42 ArVNG ersetzen, so sind die Voraussetzungen nicht erfüllt, von denen die Vergleichsberechnung abhängig ist. Die Klägerin muß sich daher mit der nach den vom 1. Januar 1957 an geltenden Rechtsvorschriften berechneten Rente begnügen. Da sonach das LSG ohne Rechtsirrtum die von der Klägerin gewünschte Vergleichsberechnung abgelehnt hat, greift die sachlich-rechtliche Rüge der Revision, das LSG habe Art. 2 § 42 ArVNG verletzt, nicht durch. Die Revision der Klägerin war daher als unbegründet zurückzuweisen (§ 170 Abs. 1 Satz 1 SGG).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI2380690

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