Entscheidungsstichwort (Thema)
Kriegsopferversorgung. Rentenumstellung im Saarland. MdE-Übernahme. Bindungswirkung
Orientierungssatz
Bei einer Rentenumstellung aufgrund des BVG für einen Versorgungsberechtigten im Saarland besteht kein Gebot zur Übernahme der bisherigen MdE aufgrund anerkannter Grundsätze des Kriegsopferrechts oder der Regelung des Art 1 § 2 Abs 1 BVGSaarEG. Die Versorgungsbehörden sind vielmehr berechtigt, bei der Umstellung der Rentenbezüge nach dem BVG die Verhältnisse und die MdE zugrunde zu legen, die sich aus ihren Ermittlungen ergeben, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob sich die Verhältnisse seit der letzten Feststellung nach saarländischem Recht wesentlich geändert haben (vgl BSG 1966-08-18 RV 1069/64 = BSGE 25, 153, 155).
Normenkette
BVGSaarEG Art. 1 § 2 Abs. 1 Fassung: 1961-08-16; SGG § 77
Verfahrensgang
LSG für das Saarland (Entscheidung vom 27.04.1967) |
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts für das Saarland vom 27. April 1967 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Gründe
I
Die fünf Kläger bezogen Versorgungsrenten nach den Rechtsvorschriften des Saarlandes, die vor dem Inkrafttreten des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) im Saarland galten. Aufgrund des Gesetzes zur Einführung des BVG im Saarland (EinfG) vom 16. August 1961 stellten die Versorgungsbehörden nach Stellungnahme ihrer ärztlichen Berater die Versorgung der Kläger auf das BVG um. In den Umstellungsbescheiden bezeichneten die Versorgungsbehörden die Schädigungsfolgen im wesentlichen wie bisher; sie bewerteten diese Schädigungsfolgen jedoch mit einem geringeren Grad der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) als bisher; sie gewährten den Klägern diesem Grad der MdE entsprechende Renten; soweit sie die MdE nur noch unter 25 v.H. bewerteten, gewährten sie keine Renten mehr.
Mit ihren Widersprüchen gegen die Umstellungsbescheide machten die Kläger geltend, die Versorgungsbehörden hätten der Rentenfeststellung nach dem BVG ohne den Nachweis einer Änderung der Verhältnisse keine geringere als die bisherige MdE zugrunde legen dürfen; sie brachten ferner sinngemäß vor, ihre bisherige MdE entspreche - gegebenenfalls unter Berücksichtigung eines besonderen beruflichen Betroffenseins im Sinne des § 30 Abs. 2 BVG - auch den derzeitigen Verhältnissen.
Die Widersprüche blieben erfolglos.
Das Sozialgericht (SG) für das Saarland hob die Umstellungsbescheide (und Widerspruchsbescheide) - teilweise (soweit sie den Grad der MdE betreffen) - auf und verurteilte den Beklagten, den Klägern weiterhin eine Rente nach der bisherigen MdE zu gewähren (Urteil des SG vom 30. November 1966 - S 11 V 65/65 - im Rechtsstreit des Klägers L R; Urteil des SG vom 25. Januar 1967 - S 11 V 283/65 - im Rechtsstreit des Klägers A J; Urteil des SG vom 1. Februar 1967 - S 11 V 114/65 - im Rechtsstreit des Klägers J R; Urteil des SG vom 9. Februar 1967 - S 10 V 77/65 - im Rechtsstreit des Klägers J G; Urteil des SG vom 16. Februar 1967 - S 10 V 127/65 - im Rechtsstreit des Klägers F G). Das SG war der Ansicht, das EinfG berechtige den Beklagten nicht, die den Klägern nach den Vorschriften des bisherigen Rechts bindend zuerkannte Rente ohne wesentliche Änderung der Verhältnisse im Sinne des § 62 BVG zu mindern oder zu entziehen.
Der Beklagte legte in allen fünf Rechtsstreiten Berufung an das Landessozialgericht (LSG) für das Saarland ein. Er vertrat die Auffassung, die Versorgungsbehörden hätten bei der Umstellung der Versorgung nach dem BVG die MdE unabhängig von der früheren Bewertung der MdE neu festzusetzen und hierbei den tatsächlich bestehenden Verhältnissen Rechnung zu tragen. Das LSG verband die fünf Streitsachen zur gemeinsamen Entscheidung (§ 113 Abs. 1, § 151 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) und wies die Berufung des Beklagten (gegen die genannten Urteile des SG) durch das Urteil vom 27. April 1967 zurück. Der Beklagte habe auch nach dem EinfG den Klägern Renten nach der bisher festgesetzten MdE weiter zu gewähren. Die nach den früheren Rechtsvorschriften des Saarlandes ergangenen Bescheide seien nach § 77 SGG auch hinsichtlich des Grades der MdE bindend. Aus der in Art. I § 2 EinfG getroffenen Regelung über die Rechtsverbindlichkeit einer Entscheidung über den ursächlichen Zusammenhang lasse sich keine Begründung für die von den Beklagten vertretene Ansicht herleiten, daß die Bescheide ohne Bestandsgarantie der uneingeschränkten Neufeststellung zugänglich seien. Das LSG ließ die Revision zu.
Der Beklagte legt fristgemäß und formgerecht Revision ein. Er beantragt,
das Urteil des LSG für das Saarland vom 27. April 1967 sowie die Urteile des SG für das Saarland in den fünf zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen Streitsachen aufzuheben und die Klagen abzuweisen.
Der Beklagte rügt, das LSG habe die Vorschrift des Art. I § 2 EinfG verletzt. Es habe sich insoweit auch mit der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) in Widerspruch gesetzt.
Die Kläger beantragen,
die Revision zurückzuweisen.
Den Beteiligten wurde Gelegenheit gegeben, sich zu dem Urteil des 9. Senats des BSG vom 12. März 1968 - 9 RV 1064/65 -, in dem über die hier streitige Rechtsfrage entschieden worden ist, zu äußern.
Alle Beteiligten erklärten sich mit einem Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden (§ 124 Abs. 2 SGG).
II
Die Revision des Beklagten ist zulässig (§ 162 Abs. 1 Nr. 1, § 164 SGG). Sie ist auch begründet und muß zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das LSG führen.
Streitig ist, ob der Beklagte in den Bescheiden, durch die er die Versorgung der Kläger nach dem BVG umgestellt hat, von der MdE ausgehen mußte, die nach bisherigem (saarländischem) Recht festgesetzt war, oder ob er berechtigt war, den Grad der MdE im Umstellungsbescheid nach den Vorschriften des BVG und nach den Verhältnissen zu bemessen, die zur Zeit des Inkrafttretens des EinfG - 1. Juni 1960 - und später bestanden. Das LSG hat zu Unrecht den §§ 2 und 3 des Art. I EinfG entnommen, daß die Versorgungsbehörde nach § 77 SGG bei der Feststellung der Bezüge nach dem BVG an die nach den Vorschriften des Saarlandes festgesetzte MdE gebunden sei, soweit nicht eine wesentliche Änderung der Verhältnisse vorgelegen habe. Der erkennende Senat hat in dem Urteil vom 18. August 1966 - 8 RV 1069/64 (BSG 25, 153, 155) ausgeführt, daß gemäß Art. I § 2 Abs. 1 EinfG bei der "Umanerkennung" im Saarland, ähnlich wie bei der Einführung des BVG im Bundesgebiet, die Zusammenhangsfrage nicht mehr geprüft werden darf und daß darüber hinaus die Besitzstandswahrung durch die Tatbestände der §§ 4 (Vergleich der Leistungsansprüche und ihrer Höhe nach bisherigem Recht und nach dem BVG), 5 (Erweiterung des berechtigten Personenkreises) und 6 (Bestandskraft von Härteausgleichen und Zuwendungen) EinFG erweitert worden ist, im übrigen aber die Versorgungsverwaltung bei der Beurteilung des Sachverhalts nicht gebunden ist. Dies gelte insbesondere auch für den Grad der MdE, der erst aufgrund einer neuen Prüfung festgestellt werden könne. Der 9. Senat hat sich in seinen beiden Urteilen vom 12. März 1968 - 9 RV 1064/65 - und - 9 RV 326/67 - der Entscheidung des erkennenden Senats und ihrer Begründung angeschlossen. Er hat ausdrücklich erklärt, daß er, soweit er in dem Urteil vom 26. August 1965 - 9 RV 1034/64 - (BSG 23, 283-291) die Auffassung vertreten hat, Art. I § 3 Satz 4 EinfG garantiere den rechtlichen Besitzstand, an dieser Auffassung nicht mehr festhält.
Der 9. Senat des BSG hat sich in dem Urteil des Rechtsstreits 9 RV 1064/65 (das den Beteiligten in seinem vollen Wortlaut übermittelt worden ist und zu dem sie auch Stellung nehmen konnten) sowie in dem Urteil des Rechtsstreits 9 RV 326/67 eingehend mit den rechtlichen Erwägungen auseinandergesetzt, auf die das LSG und die Kläger in diesem Rechtsstreit ihre abweichende Auffassung über die streitige Rechtsfrage gestützt haben. Er hat die Einwände, die gegen die Rechtsauffassung des erkennenden Senats vorgebracht worden sind, mit eingehender Begründung widerlegt. Er hat dargelegt, daß ein Gebot zur Übernahme der bisherigen MdE aufgrund anerkannter Grundsätze des Kriegsopferrechts und der Regelung des Art. I § 2 Abs. 1 EinfG zu verneinen ist; aus der Vorschrift über die Bindungswirkung des § 77 SGG könne nichts anderes hergeleitet werden; diese Auslegung der Einführungsvorschriften stehe sowohl mit ihrem Sinn und Zweck, als auch mit ihrer Entstehungsgeschichte im Einklang; sie verletze die nach Art. 14 Abs.1 des Grundgesetzes verfassungsmäßig gewährleistete Eigentumsgarantie nicht. Der erkennende Senat schließt sich den Ausführungen des 9. Senats an und verbleibt bei seiner bereits in dem Urteil vom 18. August 1966 (BSG 25, 153, 155) dargelegten Rechtsauffassung.
Danach waren die Versorgungsbehörden berechtigt, bei der Umstellung der Rentenbezüge nach dem BVG die Verhältnisse und die MdE zugrunde zu legen, die sich aus ihren Ermittlungen, insbesondere den ärztlichen Beurteilungen, ergaben, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob sich die Verhältnisse seit der letzten Feststellung nach saarländischem Recht wesentlich geändert hatten.
Da das angefochtene Urteil die §§ 2, 3 des Art. I EinfG verletzt hat, war es aufzuheben. Das Urteil des LSG beruht allein auf der rechtlichen Erwägung, die angefochtenen Umstellungsbescheide seien schon deshalb rechtswidrig, weil die Versorgungsbehörde bei der Rentenfeststellung nach dem BVG zu Unrecht eine geringere als die bisherige MdE zugrunde gelegt habe. Das LSG hat deshalb nicht geprüft - und von seinem Rechtsstandpunkt aus auch nicht prüfen müssen -, ob die MdE, die die Versorgungsbehörde in den Umstellungsbescheiden zugrunde gelegt hat, der Sach- und Rechtslage nach dem BVG entspricht und damit die angefochtenen Bescheide auch insoweit rechtmäßig sind. Da das LSG die erforderlichen tatsächlichen Feststellungen zur Ermittlung der nach dem BVG gerechtfertigten MdE nicht getroffen hat und diese im Revisionsverfahren nicht nachgeholt werden können (§ 163 SGG), war die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Das LSG wird (zweckmäßigerweise nach Aufhebung des Verbindungsbeschlusses) zu prüfen haben, welcher Grad der MdE nach den Vorschriften des BVG - gegebenenfalls unter Berücksichtigung des § 30 Abs. 2 BVG - gerechtfertigt ist. Die angefochtenen Bescheide sind auch dahin zu überprüfen, ob der durch Art. I § 4 EinfG gewährleistete persönliche Besitzstand gewahrt ist (vgl. hierzu das Urteil des 9. Senats - 9 RV 326/67 -).
Die Kostenentscheidung bleibt dem das Verfahren abschließenden Urteil vorbehalten.
Da die Voraussetzungen der §§ 165, 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG erfüllt waren, konnte der Senat ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden.
Fundstellen