Verfahrensgang

LSG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 15.10.1993; Aktenzeichen L 4 Vg 3/93)

 

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 15. Oktober 1993 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte hat der Klägerin auch die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Der Rechtsstreit wird um die Frage geführt, ob die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Berufsschadensausgleich (BSchA) offensichtlich vorlagen, obwohl einem Tatsachengericht noch ein medizinisches Gutachten erforderlich erschien.

Der wiederholte Antrag des schwerbeschädigten Ehemannes der Klägerin auf BSchA wurde 1976 abgelehnt. 1979 wurde ihm Rente wegen Erwerbsunfähigkeit bewilligt. 1989 ist er an einem Krebsleiden gestorben. Der Anspruch der Klägerin auf Witwenbeihilfe (§ 48 Bundesversorgungsgesetz ≪BVG≫) wurde auf die Behauptung gestützt, beim Tod des Beschädigten hätte jedem kundigen Verwaltungsbeamten ohne weiteres auffallen müssen, daß die Voraussetzungen für BSchA seit dem Ausscheiden aus dem Arbeitsleben im Jahre 1979 gegeben gewesen seien. Die Vermutung des § 48 Abs 1 Satz 6 BVG – fünf Jahre Anspruch auf BSchA – sei erfüllt. Der Beklagte lehnte den Antrag mit der Begründung ab, der Beschädigte sei durch eine schädigungsunabhängige Neurose erwerbsunfähig geworden (Bescheid vom 17. Juli 1989, Widerspruchsbescheid vom 9. Oktober 1990).

Das Sozialgericht (SG) hat nach Einholung eines ärztlichen Gutachtens und einer versorgungsärztlichen Stellungnahme festgestellt, die Neurose sei wahrscheinlich Folge der anerkannten Hirnschädigung gewesen. Das hätte jedem medizinisch gebildeten Verwaltungsbeamten beim Tod des Beschädigten allein aufgrund der Aktenlage deutlich werden müssen. Deshalb seien die Voraussetzungen der Vermutung des § 48 Abs 1 Satz 6 BVG erfüllt (Urteil vom 25. August 1992). Das Landessozialgericht (LSG) hat dieses Urteil im Ergebnis bestätigt (Urteil vom 15. Oktober 1993).

Mit der durch das LSG zugelassenen Revision macht der Beklagte geltend, wenn man den Vorinstanzen folge, sei § 48 Abs 1 Satz 6 BVG keine Beweiserleichterung mehr.

Er beantragt,

die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision des Beklagten ist nicht begründet.

Das LSG hat zutreffend entschieden, daß die Klägerin Anspruch auf Witwenbeihilfe nach § 48 BVG hat, weil die Voraussetzungen der Vermutung des § 48 Abs 1 Satz 6 BVG vorliegen: Es ist ohne Rechtsverstoß zu dem Ergebnis gelangt, daß der Ehemann der Klägerin mindestens fünf Jahre Anspruch auf BSchA hatte. Es ist dabei zutreffend davon ausgegangen, daß nach dem erkennbaren Sinn der Vermutung die Voraussetzungen für den Anspruch auf BSchA nicht zu Lebzeiten des Beschädigten festgestellt sein mußten. Es reicht aus, daß die Voraussetzungen des Anspruchs auf BSchA offensichtlich waren. Diese Ansicht entspricht auch der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats (vgl zuletzt Urteil vom 15. Juli 1992 – 9a RV 40/91 – SozR 3-3100 § 48 Nr 4).

Es ist nicht zu erkennen, daß das LSG den Rechtsbegriff der Offensichtlichkeit verkannt hat. Daß die Voraussetzungen für den Anspruch auf BSchA tatsächlich offensichtlich vorlagen, hat das LSG im Rahmen der freien Beweiswürdigung (§ 128 Abs 1 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz ≪SGG≫) festgestellt. Aus dem Vortrag des Beklagten ergibt sich nicht, daß das Gericht hierbei die Grenzen dieses Rechts überschritten habe.

Dem Beklagten ist allerdings zuzugeben, daß zunächst daran gezweifelt werden kann, ob von einer Offensichtlichkeit noch zu sprechen ist, wenn sich das LSG auf im Gerichtsverfahren erhobene Sachverständigenäußerungen beruft. Diese Zweifel sind aber im Ergebnis nicht berechtigt, denn das LSG beruft sich zunächst auf die Rechtsprechung des BSG, wonach der Vermutungstatbestand nicht vorliegt, wenn zu seinem Nachweis Ermittlungen angestellt werden müssen (BSG SozR 3-3100 § 48 Nrn 2, 3 und 6). Sodann meint das LSG, daß wegen des krankheitsbedingten Ausscheidens des Beschädigten aus dem Arbeitsleben kurz nach Ablehnung des Antrags auf BSchA Anlaß bestanden hätte, die Sache noch einmal aufzugreifen. Dann wäre für die Verwaltung auf Grund der schon damals vorliegenden Gutachten ohne Ermittlungen klar gewesen, daß die Krankheit, die zum Ausscheiden geführt habe – Neurose –, wahrscheinlich auf die anerkannte Hirnschädigung zurückzuführen sei. Daß das LSG außerdem an einer späteren Stelle auf die vom SG eingeholten medizinischen Äußerungen hinweist, macht diese Erkenntnis nicht hinfällig. Der Hinweis auf die Sachverständigenäußerungen kann auch als Bestätigung der Offensichtlichkeit gewertet werden und muß nicht als Grundlage gelten.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1175000

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