Entscheidungsstichwort (Thema)

Einstufung eines Chorsängers

 

Orientierungssatz

Eine Einstufung in die Leistungsgruppe 2 der Anl 1 Buchst b zu § 22 FRG ist grundsätzlich Sängern vorbehalten, die regelmäßig an bedeutenderen Bühnen mit Hauptrollen oder an Bühnen des höchsten Niveaus zumindest mit Nebenrollen betraut werden. Allenfalls dann, wenn im Einzelfalle nach Ausbildung und beruflichem Werdegang die Qualifikation eines Chorsängers dem gleichkommt, kann die Tätigkeit als Sänger mit Chorverpflichtung auch bei einer Bühne "mit Weltniveau" der Leistungsgruppe 2 genügen (vgl BSG 1980-12-16 11 RA 99/79 = SozR 5050 § 22 Nr 12).

 

Normenkette

FRG § 22 Anl 1 Buchst. B Fassung: 1960-02-25

 

Verfahrensgang

LSG Berlin (Urteil vom 12.12.1980; Aktenzeichen L 1 An 308/78)

SG Berlin (Entscheidung vom 10.10.1978; Aktenzeichen S 13 An 2785/76)

 

Tatbestand

Streitig ist die Leistungsgruppeneinstufung nach dem Fremdrentengesetz (FRG) außerhalb des Leistungsverfahrens.

Der 1922 geborene Kläger hat nach kaufmännischer Lehre, Wehrdienst und Kriegsgefangenschaft von 1947 bis 1949 in Berlin-Ost als Handelsvertreter gearbeitet und danach selbständig mit Staubsaugern gehandelt. Von August 1953 bis Juli 1959 war er Chorsänger im M T in B O. Am 15. September 1954 bestand er "nach erfolgter Ausbildung" die Abschlußprüfung für die Kunstgattung Oper vor dem Paritätischen Prüfungsausschuß der Genossenschaft Deutscher Bühnenangehöriger und des Deutschen Bühnenvereins. Seit August 1959 ist er als Sänger mit Chorverpflichtung bei der K O in B O tätig.

Die Beklagte erkannte ua die Zeit von Dezember 1953 bis Dezember 1974 als Fremdrentenzeit an; sie stufte den Kläger von Dezember 1953 bis Juli 1959 in die Leistungsgruppe (LGr) 4 und von August 1959 bis Dezember 1974 in die LGr 3 der Angestellten ein. Der Widerspruch des Klägers hatte insoweit Erfolg, als er für die gesamte Zeit nach der Abschlußprüfung in LGr 3 eingestuft wurde. Der Klage, mit der der Kläger eine Einstufung für die Zeit seiner Tätigkeit bei der Komischen Oper ab August 1959 in LGr 2 erstrebt, gab das Sozialgericht (SG) statt, das Landessozialgericht (LSG) wies sie ab. Nach Ansicht des LSG fehlt es bereits am Tatbestandsmerkmal der besonderen Erfahrungen. Darauf könne auch bei Angehörigen künstlerischer Berufe nicht verzichtet werden, weil die Qualität der Leistungen des Künstlers und sein berufliches Können nicht nur von seiner Begabung, sondern auch von seiner persönlichen Qualifikation wie der Berufsausbildung und der Berufserfahrung abhingen. Der Kläger verfüge über keine besonders herausragende Ausbildung als Sänger, er habe sich vielmehr lediglich durch Privatunterricht in vier Jahren neben seinem Beruf ausbilden lassen. Diese Ausbildung sei 1954 beendet gewesen, so daß der Kläger zu Beginn des streitigen Zeitraums allein nach der Zahl der Berufsjahre als Sänger nur wenig Berufserfahrung gehabt habe. Der Kläger habe überwiegend im Chor und gelegentlich in Nebenrollen als Solist, aber niemals große Solopartien gesungen. Das Merkmal der besonderen Erfahrungen sei bei Gesangskünstlern nur erfüllt, wenn sie nach einer besonders qualifizierten Ausbildung eine ihrem besonders hohen Können entsprechende Leistung erbrächten, wie das etwa bei Opernsängern, die nur als Solisten auftreten, in der Regel der Fall sei. Eine solche Auslegung folge aus dem Stufenverhältnis der Leistungsgruppen. Eine Einstufung in LGr 2 lasse sich weder damit begründen, daß die Komische Oper zu den international anerkannten Bühnen zähle noch auch damit, daß dort an jedes Mitglied des Chorensembles besonders hohe künstlerische Anforderungen gestellt würden. Selbst wenn man im übrigen annehme, daß der Kläger seit 1971 im Hinblick auf eine größere Zahl von Soloeinsätzen über besondere Erfahrungen verfügt habe, würde es doch an "selbständigen Leistungen in verantwortlicher Tätigkeit" fehlen; dieses Merkmal sei nur Sängern zuzuerkennen, deren berufliche Tätigkeit von solistischen Leistungen geprägt werde und die nicht - wie der Kläger - in erster Linie Chorsänger seien. Darauf, daß die Beklagte in ähnlich gelagerten Fällen eine Einstufung in LGr 2 vorgenommen habe, könne sich der Kläger nicht berufen; die Verwaltung sei weder berechtigt noch verpflichtet, eine rechtswidrige Verwaltungsübung beizubehalten.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung des Begriffs der besonderen Erfahrungen. Der erkennende Senat habe in seinem Urteil vom 16. Dezember 1980 (SozR 5050 § 22 Nr 12) ausgesprochen, daß ein Sänger mit Chorverpflichtung bei entsprechender Berufserfahrung auch ohne Nachweis einer Berufsausbildung mit Prüfungsabschluß in den obersten Bereich der LGr 3 einzustufen sei; er aber habe eine mit einer Abschlußprüfung abgeschlossene Ausbildung als Opernsänger durchlaufen. Zu Unrecht wolle das LSG nur den in Hauptrollen tätigen Sängern die Einstufung in LGr 2 zubilligen; es verkenne dabei, daß im internationalen Vergleich den Chorsolisten der Komischen Oper der künstlerische Rang der Konkurrenzlosigkeit zuzusprechen sei.

Der Kläger beantragt,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung der Beklagten

gegen das erstinstanzliche Urteil zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet; das LSG hat zu Recht das Vorliegen der Voraussetzungen einer Einstufung in LGr 2 der Anlage B zu § 22 FRG verneint.

Nach dem hier allein in Betracht kommenden Satz 1 der Definition der LGr 2 umfaßt diese Gruppe Angestellte mit besonderen Erfahrungen und selbständigen Leistungen in verantwortlicher Tätigkeit mit eingeschränkter Dispositionsbefugnis, die Angestellte anderer Tätigkeitsgruppen einzusetzen und verantwortlich zu unterweisen haben. Wie der Senat in seinem Urteil vom 16. Dezember 1980 (SozR 5050 § 22 Nr 12) im Anschluß an die bisherige Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) im einzelnen ausgeführt hat, bedarf diese, ebenso wie die übrigen Gruppendefinitionen auf Arbeitnehmer der gewerblichen Wirtschaft ausgerichtete, Definition insbesondere auch bei künstlerischen Berufen einer Anpassung an deren Besonderheiten. Er hat weiter dargelegt, daß, wie sich aus den Berufsgruppenkatalogen ergebe, im Bereich der darstellenden Kunst das Merkmal des Einsatzes und der verantwortlichen Unterweisung von Angestellten anderer Tätigkeitsgruppen nicht im Wortsinne verstanden werden könne, sondern Ausdruck dafür sei, daß sich die in Betracht kommende Tätigkeit im Hinblick auf ihre Qualifikation über die in LGr 3 und 4 einzuordnenden Tätigkeiten erhebe. Daran ist festzuhalten. Da nach dem Aufbau der Leistungsgruppen jedenfalls im Regelfall davon auszugehen ist, daß ausgebildete Sänger bei ihrer ersten Berufstätigkeit an einer kleinen oder mittleren Bühne in die LGr 4 und nach mehrjähriger Berufserfahrung in die LGr 3 einzustufen sind, kommt bei ihnen unter Berücksichtigung des in den Gruppendefinitionen zum Ausdruck kommenden Bewertungsgefälles eine Einstufung in die LGr 2 nur in Betracht, wenn der qualitative Abstand ihrer Tätigkeit von Tätigkeiten, die der LGr 3 zuzuordnen sind, dem Abstand entspricht, der allgemein das Verhältnis zwischen den Leistungsgruppen 2 und 3 kennzeichnet. Der Senat hat dabei offen gelassen, ob das Singen von Nebenrollen und im Chor auch bei Weltniveau der Bühne schon von der Qualität der Arbeit her eine Zuordnung zur LGr 2 ausschließt.

Der vorliegende Fall bietet keinen Anlaß zu einer abschließenden Klärung dieser Frage. Eine Einstufung in die LGr 2 ist grundsätzlich Sängern vorbehalten, die regelmäßig an bedeutenderen Bühnen mit Hauptrollen oder an Bühnen des höchsten Niveaus zumindest mit Nebenrollen betraut werden. Allenfalls dann, wenn im Einzelfalle nach Ausbildung und beruflichem Werdegang die Qualifikation eines Chorsängers dem gleichkommt, kann die Tätigkeit als Sänger mit Chorverpflichtung auch bei einer Bühne "mit Weltniveau" der LGr 2 genügen. Umstände dieser Art sind den unangegriffenen Feststellungen des LSG indessen nicht zu entnehmen. Danach war der Kläger stets überwiegend als Chorsänger tätig und hat nur gelegentlich Nebenrollen als Solist gesungen. Eine solche Tätigkeit ragt nicht über den Bereich der Tätigkeiten hinaus, die der LGr B 3 zuzuordnen sind; ein Unterschied zu dem Sachverhalt, der dem Urteil des Senats vom 16. Dezember 1980 aaO zugrundeliegt, ist insoweit nicht ersichtlich.

Zu Unrecht beruft sich der Kläger darauf, daß er zum Unterschied von dem damaligen Kläger eine mit einer Prüfung abgeschlossene Ausbildung als Opernsänger durchlaufen habe. Zwar hat es der erkennende Senat in dem zitierten Urteil für erheblich gehalten, daß der Kläger keine geordnete Ausbildung aufzuweisen hatte. Damit ist aber nicht zum Ausdruck gebracht, daß jedes Zurücklegen einer Gesangsausbildung eine Zuordnung zu LGr B 2 rechtfertige. Der Senat hat vielmehr, wie der Zusammenhang ergibt, nicht eine Ausbildung schlechthin, sondern eine Ausbildung vermißt, durch die "besondere Erfahrungen" vermittelt werden konnten, und darin auch eine mögliche Erklärung dafür erblickt, daß der damalige Kläger niemals mit tragenden Rollen betraut worden war. Für den vorliegenden Fall kann im Ergebnis nichts anderes gelten. Das LSG hat festgestellt, daß der Kläger "über keine besonders herausragende Ausbildung als Sänger" verfüge. Es hat dies daraus gefolgert, daß sich der Kläger nicht einem Hochschulstudium, sondern nur einem Privatunterricht neben der Berufsausübung unterzogen hat. Ob dem in jeder Hinsicht zu folgen ist, kann dahinstehen. Denn gegen den weiteren vom LSG gezogenen und dem Bereich des Tatsächlichen zugehörenden Schluß, daß die Ausbildung, die der Kläger genossen hat, ihn zu keiner höheren als der in der Folge ausgeübten Tätigkeit qualifiziert, ihm also nicht "besondere Erfahrungen" vermittelt hat, sind von der Revision begründete Verfahrensrügen nicht vorgebracht; da die Ausführungen des LSG auch eine unrichtige Anschauung vom Begriff der besonderen Erfahrungen nicht erkennen lassen, ist das somit für den Senat bindend.

Ob die Beklagte in gleichgelagerten Fällen eine Einstufung in die LGr 2 vorgenommen hat, kann, wie vom LSG zutreffend ausgeführt ist, für den zur Entscheidung stehenden Fall nicht von Bedeutung sein.

Nach alledem war die Revision mit der sich aus § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ergebenden Kostenfolge zurückzuweisen (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG).

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1659928

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