Entscheidungsstichwort (Thema)

Gegenstand des Revisionsverfahrens

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Anwendung der Gruppendefinitionen der Anlage 1 Buchst B zu § 22 FRG auf Künstler.

 

Orientierungssatz

Ein Bescheid über eine Erwerbsunfähigkeitsrente ist auch dann nicht Gegenstand des Revisionsverfahrens, wenn dieser Bescheid entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts in entsprechender Anwendung des § 96 SGG Gegenstand der Klage geworden ist (vgl BSG 1978-11-24 11 RA 9/78 = SozR 1500 § 96 Nr 13), wenn der Kläger die Nichteinbeziehung des Rentenanspruchs nicht mit der Revision angefochten und diese auch nicht begründet hat (vgl BSG 1979-09-19 11 RA 90/78 = SozR 1500 § 96 Nr 18).

 

Normenkette

FRG § 22 Anl 1 Buchst b Fassung: 1960-02-25; SGG § 96 Abs 1 Fassung: 1953-09-03

 

Verfahrensgang

LSG Berlin (Entscheidung vom 27.07.1979; Aktenzeichen L 1 An 319/78)

SG Berlin (Entscheidung vom 01.11.1978; Aktenzeichen S 1 An 779/78)

 

Tatbestand

Der Kläger erstrebt eine höhere Einstufung seiner Beschäftigungszeit als Sänger nach der Anlage 1, Abschnitt B, zu § 22 des Fremdrentengesetzes (FRG).

Der 1917 geborene Kläger war zunächst als Friseurgehilfe tätig. Als Sänger betätigte er sich erstmalig in einer Spielgruppe während der Kriegsgefangenschaft. Vom 1. September 1947 bis September 1978 war er als "Sänger mit Chorverpflichtung" an der Komischen Oper in B (O) angestellt, behielt aber seinen Wohnsitz in B (W).

Bei der vom Kläger beantragten Herstellung von Versicherungsunterlagen über die nach dem FRG anzurechnenden Zeiten erkannte die Beklagte die Zeit vom 1. Februar 1949 bis zum 31. Dezember 1975 als Beitragszeit nach § 15 FRG an und ordnete ihr zunächst die Leistungsgruppe B 4, im Widerspruchsbescheid die Leistungsgruppe B 3 der Anlage zu § 22 FRG zu (Bescheid vom 24. Juni 1977, Widerspruchsbescheid vom 12. Januar 1978). Klage und Berufung blieben erfolglos (Urteil des Sozialgerichts -SG- Berlin vom 1. November 1978; Urteil des Landessozialgerichts -LSG- Berlin vom 27. Juli 1979). Das LSG hat zur Begründung ausgeführt, der nach Klageerhebung am 30. Januar 1979 über die Gewährung der Erwerbsunfähigkeitsrente (EU-Rente) erteilte Bescheid sei nicht nach § 96 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) Gegenstand des Verfahrens geworden. Die Klage gegen den Herstellungsbescheid sei unbegründet. Die Zuordnung zur Leistungsgruppe 2 setze auch bei künstlerischen Berufen in der hier allein in Betracht kommenden Alternative "Angestellte mit besonderen Erfahrungen und selbständigen Leistungen in verantwortlicher Tätigkeit mit eingeschränkter Dispositionsbefugnis, die Angestellte anderer Tätigkeitsgruppen einzusetzen und verantwortlich zu unterweisen haben" jedenfalls die persönlichen Merkmale, insbesondere die besonderen Erfahrungen voraus. Von diesen könne bei Sängern nur gesprochen werden, wenn sie über eine besondere Ausbildung und ein darauf beruhendes hohes künstlerisches Können neben der Begabung verfügten, wie es zB bei ausgebildeten Opernsängern, die Solopartien singen, in der Regel der Fall sein werde. Der Kläger verfüge über keine besondere Ausbildung als Sänger bzw Chorsänger; er habe nie große Solopartien gesungen, sondern nur immer im Chor und Solopartien nur in Nebenrollen; danach sei es nicht gerechtfertigt, ihn in die Leistungsgruppe 2 einzustufen und ihn damit auf eine Stufe mit dem Oberarzt, dem Regisseur und dem Chefkameramann zu stellen. Daß die Komische Oper zu den führenden Bühnen im In- und Ausland zähle, reiche für eine höhere Einstufung nicht aus. Der Kläger könne auch keine Rechte daraus herleiten, daß die Beklagte in ähnlichen Fällen die Leistungsgruppe 2 anerkannt habe, da bei unrichtigen Entscheidungen in Einzelfällen kein Anspruch auf Gleichbehandlung bestehe.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger Verletzung des § 22 FRG iVm Leistungsgruppe 2 der Anlage 1 B. Der Kläger habe über zwei Jahrzehnte an der unstreitig Weltniveau präsentierenden Bühne der Komischen Oper B gesungen. An einer in diesem Maße international anerkannten Bühne sei nicht nur das Singen von Hauptrollen, sondern auch das Singen von Nebenrollen in die Leistungsgruppe 2 einzuordnen.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und

die Beklagte unter Abänderung ihrer Bescheide

zu verurteilen, die FRG-Zeiten vom 1. Februar 1949

bis zum 31. Dezember 1975 nach der Leistungsgruppe 2

der Anlage 1 B zu § 22 FRG vorzumerken.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Beide Beteiligte haben einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers war zurückzuweisen.

Streitig ist allein der Anspruch des Klägers auf Wiederherstellung von Versicherungsunterlagen nach § 11 Abs 2 der Versicherungsunterlagenverordnung (VuVO) für nach dem FRG anrechenbare Zeiten. Der Bescheid der Beklagten über EU-Rente ist auch dann nicht Gegenstand des Revisionsverfahrens, wenn dieser Bescheid entgegen der Ansicht des LSG in entsprechender Anwendung des § 96 SGG Gegenstand der Klage geworden ist (vgl SozR 1500 § 96 Nrn 13 und 18), da der Kläger die Nichteinbeziehung des Rentenanspruchs nicht mit der Revision angefochten und diese insoweit auch nicht begründet hat (vgl BSG SozR 1500 § 96 Nr 18).

Die Beklagte hat bei Herstellung der Versicherungsunterlagen zu Recht die streitige Zeit nicht der höheren Leistungsgruppe 2 zugeordnet. Von der Umschreibung dieser Leistungsgruppe kommt hier nur die Alternative "Angestellte mit besonderen Erfahrungen und selbständigen Leistungen in verantwortlicher Tätigkeit mit eingeschränkter Dispositionsbefugnis, die Angestellte anderer Tätigkeitsgruppen einzusetzen und verantwortlich zu unterweisen haben", in Betracht. Wiederholt hat das Bundessozialgericht (BSG) hervorgehoben, daß die Gruppendefinitionen auf Arbeitnehmer der Privatwirtschaft (Industrie und Handel) ausgerichtet seien: vornehmlich bei einer Beschäftigung im öffentlichen Dienst, nicht selten aber auch bei akademischen Berufen, insbesondere in der wissenschaftlichen Forschungstätigkeit, sei eine Anpassung an deren Besonderheiten geboten (BSG SozR Nr 9 zu § 22 FRG und SozR 5050 § 22 Nr 1). Das gilt auch für den Beruf des Sängers. Allerdings zeigt der Berufsgruppenkatalog, daß der Gesetzgeber den Bereich der darstellenden Kunst nicht völlig übersehen hat. Dort sind Mitglieder von Kulturorchestern (zu den Leistungsgruppen 2 und 3), Aufnahmeleiter, Bühnen- und Maskenbildner (Leistungsgruppe 3) sowie Bühnenmeister (Leistungsgruppe 4) genannt. Das Beispiel der Mitglieder von Kulturorchestern in der Leistungsgruppe 2 zeigt, daß bei künstlerischen Berufen das Tätigkeitsmerkmal "die Angestellte anderer Tätigkeitsgruppen einzusetzen und verantwortlich zu unterweisen haben", nicht im Wortsinn verstanden werden kann, jedoch ist insoweit auch für den Bereich der darstellenden Kunst zu fordern, daß sich die Tätigkeit nach ihrer Qualität über die in die Leistungsgruppen 3 und 4 einzuordnenden Tätigkeiten dieses Bereichs erhebt. Nach dem Berufsgruppenkatalog wird für die Einstufung der Mitglieder von Kulturorchestern auf die Qualität des Orchesters abgestellt. Das entspricht dem Aufbau der verschiedenen Leistungsgruppen. Die Leistungsgruppe 5 geht von Tätigkeiten aus, die keine Berufsausbildung erfordern, die Leistungsgruppe 4 von Tätigkeiten, die eine Berufsausbildung erfordern, die höheren Leistungsgruppen, 3, 2 und 1 setzen dementsprechend jeweils eine höhere Qualifikation der Tätigkeit voraus. Ausdrücklich erwähnt ist als Kriterium in diesen Leistungsgruppen zwar nur die Selbständigkeit, die Verantwortung für andere sowie Aufsichts- und Dispositionsbefugnisse, wie sie in Industrie und Handel für die Qualifizierung der Arbeit vor allem maßgebend sind, gemeint ist aber die Qualifikation der Arbeit schlechthin, was insbesondere für den künstlerischen und wissenschaftlichen Bereich an anderen Maßstäben zu messen ist.

Hierzu hat das LSG nicht beanstandet, daß die Beklagte bei der Zuordnung der künstlerischen Berufe zu den einzelnen Leistungsgruppen eine allgemeine Bewertungsskala, eine sogenannte "Gefällskala", zugrunde lege, bei der Ausbildung, Erfahrung, selbständige Leistung, beruflicher Erfolg, Rang der Bühne und Stellung innerhalb der Theaterhierarchie von entscheidender Bedeutung sei. Hierzu hatte die Beklagte vorgetragen, daß sich die tarifliche Einstufung eines Opernchores regelmäßig an der Eingruppierung des Opernorchesters orientiere. Dabei lägen die Bezüge der Chorsänger aber deutlich unter denen der Orchestermusiker.

Alle diese Umstände sind auch nach Ansicht des Senats bei der Einstufung von Bühnenangehörigen in die Leistungsgruppen zu berücksichtigen. Insoweit kann im Regelfall davon ausgegangen werden, daß ausgebildete Sänger bei ihrer ersten Berufstätigkeit an einer kleinen oder mittleren Bühne in die Leistungsgruppe 4 und nach mehrjähriger Berufserfahrung in die Leistungsgruppe 3 einzustufen sind. Ob danach das Singen von Nebenrollen und im Chor schon von der Qualität der Arbeit her schlechthin eine Zuordnung zur Leistungsgruppe 2 ausschließt, auch bei Weltniveau der Bühne, braucht hier nicht entschieden zu werden.

Denn dem LSG ist darin zuzustimmen, daß die bei der Leistungsgruppe 2 neben der Qualität der Arbeit geforderte "besondere Erfahrung" jedenfalls nicht ausschließlich mit einer solchen Tätigkeit erworben werden kann. Die besonderen Erfahrungen besagen zwar zunächst nur, daß eine gewisse Dauer der Berufsausübung vorausgesetzt wird, die über die mehrjährige Berufstätigkeit der Leistungsgruppe 4 und die mehrjährige Berufserfahrung der Leistungsgruppe 3 hinausgeht. Insoweit bestehen im Falle des Klägers bei einer Berufstätigkeit von zuletzt 26 Jahren keine Bedenken. Der Umfang von Erfahrungen hängt jedoch nicht ausschließlich von der Dauer der Berufstätigkeit ab. Vielmehr besteht eine Wechselwirkung zwischen der besonderen Erfahrung und der Qualität der ausgeübten Arbeit: Je höherwertiger die ausgeübte Tätigkeit ist, um so weniger hängt der Erwerb von Erfahrungen ausschließlich oder vorwiegend vom Zeitablauf und damit vom Lebensalter ab (BSG Urteil vom 24. Juni 1980 - 1 RA 31/79 -). Das gilt insbesondere für Sänger, zumal wenn sie an anerkannten Bühnen schon in jungen Jahren mit tragenden Rollen betraut werden. In gleichem Umfang ist aber auch umgekehrt der mangelnden Qualität der bisherigen Berufserfahrung Bedeutung beizumessen. Insoweit fällt ins Gewicht, daß der Kläger niemals, auch nicht an weniger bedeutsamen Bühnen, tragende Rollen gesungen hat und mangels einer geordneten Ausbildung damit auch nicht während der Ausbildungszeit betraut worden ist. Er gehört damit zur Leistungsgruppe 3, auch wenn er nach der Qualität der Bühne, im Hinblick darauf, daß er nicht nur im Chor, sondern auch Nebenrollen gesungen hat, und wegen der Dauer seiner Berufserfahrung in den oberen Bereich der Leistungsgruppe fällt. Ob eine Einstufung in die Leistungsgruppe 2 gerechtfertigt wäre, wenn der Kläger zuvor an anderen Bühnen oder während der Ausbildung tragende Rollen gesungen und auch in dieser Tätigkeit Erfahrung gesammelt hätte, bedarf keiner Entscheidung.

Die Behauptung des Klägers, die Beklagte habe in ähnlichen Fällen die Leistungsgruppe B 2 anerkannt, hat das LSG zu Recht als unerheblich angesehen; denn bei Entscheidungen von Einzelfällen gibt es keinen Anspruch auf Gleichbehandlung im Unrecht (vgl BSG SozR Nr 2 zu § 1 der 14. DVO zum AVAVG mwN; SozR 2200 § 611 Nr 2 auf Bl 7).

Die Revision war daher mit der Kostenfolge aus § 193 SGG zurückzuweisen.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1658131

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