Leitsatz (amtlich)

Eine nach dem nächstmöglichen Beginn eines weiteren Ausbildungsabschnitts liegende, durch den Mangel an Ausbildungsplätzen bedingte weitere Zwangspause zwischen zwei Ausbildungsabschnitten kann, wenn das nicht bereits die Länge der Zeit ausschließt, nur dann als Zeit der Schul- oder Berufsausbildung angesehen werden, wenn sie durch eine Tätigkeit ausgefüllt wird, die gerade im Hinblick auf die angestrebte weitere Ausbildung sinnvoll ist; diese Überbrückungstätigkeit muß Zeit und Arbeitskraft in einem Maße in Anspruch nehmen, das die Ausübung einer entgeltlichen anderweitigen Beschäftigung ausschließt (Weiterführung von BSG 1980-06-10 11 RA 72/79 = SozR 2200 § 1262 Nr 12, BSG 1974-07-11 4 RJ 321/73 = SozR 2200 § 1267 Nr 2 und BSG 1981-06-23 1 RJ 14/80 = SozR 2200 § 1267 Nr 23).

 

Orientierungssatz

Das Fehlen einer dem § 2 Abs 4a BKGG entsprechenden Regelung in § 1262 RVO ist mit Art 3 Abs 1 GG vereinbar.

 

Normenkette

AVG § 39 Abs. 3 S. 2 Fassung: 1971-01-25; RVO § 1262 Abs. 3 S. 2 Fassung: 1971-01-25; BKGG § 2 Abs. 4a; GG Art. 3 Abs. 1 Fassung: 1949-05-23

 

Verfahrensgang

LSG Niedersachsen (Entscheidung vom 15.05.1981; Aktenzeichen L 1 An 167/80)

SG Osnabrück (Entscheidung vom 08.10.1980; Aktenzeichen S 3 An 29/79)

 

Tatbestand

Die Beklagte bewilligte dem Kläger ab 1973 ein Altersruhegeld unter Einschluß eines Kinderzuschusses für die am 14. Januar 1960 geborene Tochter. Diese Tochter schloß im Mai 1978 ihre Schulausbildung mit dem Abitur ab (Durchschnittsnote 1,8). Schon während ihrer Schulzeit hatte sie sich vergeblich bei 11 Instituten um eine Ausbildung zur Medizinisch-Technischen Assistentin (MTA) beworben. Vom 1. Juni bis 31. Juli 1978 absolvierte sie ein Krankenpflegepraktikum an einem Hospital. Auf ihren Antrag bei der Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen (ZVS) konnte ihr kein Studienplatz in den gewünschten Fächern (1. Medizin, 2. Biologie, 3. Rechtswissenschaft) zugewiesen werden (Bescheid vom 12. September 1978). Anschließend nahm sie an mehreren Universitäten am Losverfahren nach § 26 der Vergabe-Verordnung (VO) teil; seit dem 18. September 1978 besuchte sie Kurse für Stenographie und Schreibmaschine an der örtlichen Volkshochschule. Auf eine erneute Bewerbung beim H-Institut der Universität T erhielt sie unter dem 15. Januar 1979 einen Ausbildungsplatz zur MTA zum 2. April 1979. Auf eine weitere Bewerbung bei der ZVS wurde ihr ein Studienplatz an der Universität B in den Fächern Biologie und Geographie zum Sommersemester 1979 zugewiesen; sie hat dieses Studium aufgenommen.

Die Beklagte stellte mit Bescheid vom 15. November 1978 die Zahlung des Kinderzuschusses zum 31. Dezember 1978 ein und behielt sich eine Rückforderung der über Juni 1978 hinaus gezahlten Beträge vor. Den Widerspruch des Klägers wies sie mit der Begründung zurück, über den 30. September 1978 hinaus bestehe kein Anspruch auf Kinderzuschuß. Vom 1. April 1979 an hat die Beklagte die Zahlung des Kinderzuschusses wieder aufgenommen.

Die Klage hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Zur Begründung seines Urteils hat das Landessozialgericht (LSG) ausgeführt, ein Anspruch auf Kinderzuschuß für die Zeit vom 1. Oktober 1978 bis 31. März 1979 sei nicht gegeben. Die Tochter des Klägers sei zwar in der streitigen Zeit gewillt gewesen, eine Berufsausbildung aufzunehmen und habe sich auch um einen Ausbildungsplatz bemüht. Die regelmäßige Übergangszeit zwischen dem Abitur und der Aufnahme des Studiums sei jedoch beendet gewesen, als festgestanden habe, daß ihr für das Wintersemester 1978/1979 kein Studienplatz zugeteilt werden würde. Die Kurse an der Volkshochschule hätten nur in der Zeit vom 18. September bis 20. November 1978 am Montag und Donnerstag jeweils von 16.30 Uhr bis 19.30 Uhr stattgefunden; sie stellten eine Berufsausbildung nicht dar. In der streitigen Zeit habe auch nicht einmal festgestanden, in welchen Ausbildungsgang die Bemühungen um einen Ausbildungsplatz einmal einmünden würden. Im Hinblick auf die Abweichungen zwischen § 39 Abs 3 Satz 2 Angestelltenversicherungsgesetz (AVG) und § 2 Abs 4a Bundeskindergeldgesetz (BKGG) müsse auch außer Betracht bleiben, daß die Tochter des Klägers die Verzögerung des Studienbeginns nicht zu vertreten habe und in Ermangelung offener Stellen in der streitigen Zeit keine Beschäftigung habe aufnehmen können.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger eine Verletzung der §§ 39 AVG, 2 BKGG sowie des Art 3 Grundgesetz (GG). Es habe weder an ihm noch an seiner Tochter gelegen, wenn letztere nicht bereits zum Wintersemester 1978/79 einen Studien- oder Ausbildungsplatz erhalten habe. Die Tochter habe alles getan, die Zwischenzeit nutzbringend für ihre weitere Ausbildung auszufüllen. Damit wären die Voraussetzungen des § 2 Abs 4a BKGG erfüllt gewesen. Es sei von Verfassungs wegen geboten, diese Vorschrift im Rahmen von § 39 Abs 3 Satz 2 AVG entsprechend anzuwenden.

Der Kläger beantragt,

die Urteile der Vorinstanzen sowie den Bescheid

der Beklagten idF des Widerspruchsbescheides

aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen,

Kinderzuschuß für die Tochter Marianne für die

Zeit vom 1. Oktober 1978 bis 31. März 1979

zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet; das LSG hat einen Anspruch des Klägers auf Kinderzuschuß für die streitige Zeit zu Recht verneint.

Nach § 39 Abs 3 Satz 2 AVG wird der Kinderzuschuß über das 18. Lebensjahr hinaus längstens bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres ua für ein Kind gewährt, das sich in Schul- oder Berufsausbildung befindet. In einer solchen Ausbildung hat sich die Tochter des Klägers in der Zeit vom 1. Oktober 1978 bis 31. März 1979 nicht befunden. In der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ist allerdings anerkannt, daß auch eine mehrmonatige Zwischenzeit zwischen dem Abitur und der Immatrikulation noch als Zeit der Schul- oder Berufsausbildung angesehen werden kann (BSGE 32, 120 f; SozR 2200 § 1262 Nr 12). Dafür ist die Erwägung maßgebend, daß die einzelnen in sich abgeschlossenen Ausbildungsabschnitte vielfach nicht nahtlos aufeinander folgen; so liegen insbesondere zwischen dem Bestehen der Reifeprüfung und dem Beginn des nächsten Semesters regelmäßig mehrere Monate, in denen vom Kind die Aufnahme einer Beschäftigung im allgemeinen nicht erwartet werden kann. Aber auch eine längere Zwangspause, die sich aus dem Fehlen von Studienplätzen ergibt, ist dann noch der Schul- oder Berufsausbildung zuzurechnen, wenn sie im Hinblick auf den angestrebten Beruf sinnvoll genutzt wird (vgl SozR Nrn 38, 42 zu § 1267 RVO; 2200 § 1267 Nrn 2, 23), und wenn außerdem alsbald nach dem Abitur die Aufnahme des Studiums ernsthaft angestrebt wird sowie begründete Aussicht besteht, in absehbarer Zeit damit beginnen zu können (SozR 2200 § 1262 Nr 12). Das bedeutet indessen nicht, daß jede auf einem Mangel an Studienplätzen beruhende Zwangspause ohne Rücksicht auf ihre Dauer als "Überbrückungszeit" gewertet werden könnte. Wie der erkennende Senat bereits in seinem zuletzt zitierten Urteil vom 10. Juni 1980 angedeutet hat, kann unter Umständen schon die Länge der Zeit für sich allein eine solche Betrachtung ausschließen. Ob das bei einer Zwangspause von fast einem Jahr der Fall ist, kann dahinstehen, da die streitige Zeit bereits aus anderen Gründen nicht als Zeit der Schul- oder Berufsausbildung angesehen werden kann. Der durch den Mangel an Ausbildungsplätzen bedingte Zeitraum zwischen den beiden Ausbildungsabschnitten muß jedenfalls durch eine Tätigkeit ausgefüllt sein, die gerade im Hinblick auf die angestrebte weitere Ausbildung sinnvoll ist. Eine solche Überbrückungstätigkeit muß sich als eine Vorbereitung der angestrebten weiteren Berufsausbildung darstellen; daß sie allgemein im Rahmen einer späteren Berufsausübung von Nutzen sein kann, reicht nicht aus. Dazu bedarf es einer engen Beziehung zwischen einer solchen Tätigkeit und dem späteren Studium, wobei der anzulegende Maßstab umso strenger sein muß, je länger der in Betracht kommende Zeitraum ist. Des weiteren muß die Überbrückungstätigkeit Zeit und Arbeitskraft des Kindes in einem Maße in Anspruch nehmen, das die Ausübung einer entgeltlichen anderweitigen Beschäftigung ausschließt. Jede weitere Ausdehnung des Begriffs der Schul- oder Berufsausbildung stünde im Widerspruch zum Willen des Gesetzgebers, nur bestimmte Bedarfslagen, die die Ausübung einer versicherungspflichtigen Beschäftigung regelmäßig ausschließen, zum Anlaß für die Gewährung des sogenannten verlängerten Kinderzuschusses zu nehmen (vgl SozR 2200 § 1262 Nr 12; / 1267 Nr 23; Urteil des 5. Senats des BSG vom 15. Oktober 1981 - 5b/5 RJ 80/79 -).

Diese Grundsätze hat das LSG nicht verkannt. Es hat zu Recht darauf abgehoben, daß die Tochter des Klägers nur in der Zeit vom 18. September bis 20. November 1978 an zwei Wochentagen jeweils von 16.30 Uhr bis 19.30 Uhr Kurse in Stenographie und Maschinenschreiben besucht hat. Diese Kurse waren schon im Hinblick auf die verhältnismäßig geringe Inanspruchnahme der Tochter und die mangelnde Beziehung zum angestrebten Studium der Medizin nicht geeignet, als eine sinnvolle Überbrückungstätigkeit zu erscheinen. Ob es daneben noch ins Gewicht fällt, daß der spätere Ausbildungsweg noch nicht feststand (vgl dazu das Urteil des erkennenden Senats vom 3. Juni 1981 - SozR 2200 § 1259 Nr 51), bedarf daher keiner Entscheidung.

Die in § 2 Abs 4a BKGG getroffene Regelung, auf die der Kläger hinweist, rechtfertigt kein anderes Ergebnis. Gerade aus ihr ergibt sich, wie der erkennende Senat in seinem Urteil vom 10. Juni 1980 (SozR 2200 § 1262 Nr 12) ausgeführt hat, daß das Problem vom Gesetzgeber nicht übersehen worden ist; das Fehlen einer entsprechenden Regelung in § 39 AVG läßt erkennen, daß sie hier nicht gelten soll. Die dagegen vom Kläger unter dem Aspekt von Art 3 Abs 1 GG erhobenen Bedenken greifen nicht durch. Wie der erkennende Senat im Anschluß an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts in seinem Urteil vom 12. März 1981 - 11 RA 12/80 - näher dargelegt hat, ist es jedenfalls nicht von Verfassungs wegen geboten, die in § 39 AVG vorgesehenen Leistungen in vollem Umfang denen des § 2 BKGG anzugleichen. Das gilt auch hier. Es muß dem Gesetzgeber überlassen bleiben, in Abwägung des sozialpolitisch Wünschbaren und des finanziell Vertretbaren auf dem Wege einer weiteren Harmonisierung der sozialen Leistungen fortzuschreiten.

Nach alledem war die Revision mit der sich aus § 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) ergebenden Kostenfolge zurückzuweisen (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG).

 

Fundstellen

BSGE, 4

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