Leitsatz (amtlich)

Wird ein 18 Jahre altes Kind nach Ablegung des Abiturs nicht zum nächstmöglichen Semester zum Studium an einer Hochschule zugelassen, so hat der rentenberechtigte Elternteil für dieses Kind bis zur tatsächlichen späteren Aufnahme des Studiums keinen Anspruch auf Kinderzuschuß nach RVO § 1262 Abs 3 S 2.

 

Normenkette

AVG § 39 Abs 1 S 1 Fassung: 1957-02-23; AVG § 39 Abs 3 S 1 Fassung: 1957-02-23; AVG § 39 Abs 3 S 2 Fassung: 1971-01-25; RVO § 1262 Abs 1 S 1 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1262 Abs 3 S 1 Fassung: 1957-02-23; RVO § 1262 Abs 3 S 2 Fassung: 1971-01-25

 

Verfahrensgang

Hessisches LSG (Entscheidung vom 21.09.1982; Aktenzeichen L 2 An 133/82)

SG Frankfurt am Main (Entscheidung vom 04.12.1981; Aktenzeichen S 17 An 409/79)

 

Tatbestand

Streitig ist ein Anspruch auf Kinderzuschuß für zwei Monate.

Die 1912 geborene, verheiratete Klägerin, Mutter von vier Kindern, erhält von der beklagten Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) seit 1974 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit (Bescheid vom 10. April 1975). Unter anderem für ihre jüngste Tochter Regina, geboren am 21. Februar 1960, gewährte ihr die Beklagte zur Rente Kinderzuschuß (Bescheid vom 20. Juni 1975).

Im Juni 1978 legte Regina das Abitur ab und bewarb sich um einen Studienplatz an der Universität Mainz. Nachdem die Universität am 13. September 1978 die Bewerbung abgelehnt hatte, stellte die Beklagte den Kinderzuschuß für Regina mit Ablauf September 1978 ein. Gegen den Einstellungsbescheid vom 30. Oktober 1978 legte die Klägerin keinen Rechtsbehelf ein.

In der Zeit vom 9. Oktober 1978 bis 31. Dezember 1978 übte Regina bei der Deutschen Bundespost eine Aushilfsbeschäftigung aus und meldete sich am 18. Januar 1979 beim Arbeitsamt Frankfurt arbeitslos. Am 4. Februar 1979 beantragte die Klägerin hierauf bei der Beklagten erneut Kinderzuschuß für Regina.

Unter dem 12. Februar 1979 ließ der Präsident der Universität Frankfurt Regina für das Sommersemester 1979 zum Studium der Germanistik zu. Im April nahm sie dort das Studium auf.

Mit Bescheid vom 10. April 1979 bewilligte die Beklagte der Klägerin ab 1. April 1979 wiederum Kinderzuschuß für Regina. Die Einwendungen der Klägerin, die den Kinderzuschuß bereits ab 1. Januar 1979 begehrte, lehnte sie mit dem streitigen Bescheid vom 29. August 1979 ab und wies darauf hin, daß sich Regina damals nicht in Schul- oder Berufsausbildung befunden habe.

Während das Sozialgericht (SG) die Klage der Klägerin abgewiesen hat, hatte sie mit ihrer Berufung vor dem Landessozialgericht (LSG) zum Teil Erfolg. In der angefochtenen Entscheidung vom 21. September 1982 hat das LSG der Klägerin Kinderzuschuß für Regina für die Monate Februar und März 1979 zugesprochen und nur im übrigen - betreffend den Monat Januar 1979 - ihr Begehren zurückgewiesen. In der Begründung des Urteils heißt es, der Zulassungsbescheid der Universität Frankfurt vom Februar 1979 habe die Unterbrechung der Berufsausbildung beendet und den Zustand wiederhergestellt, der vor der Ablehnung der Hochschulzulassung bestanden habe. Die Annahme der Beklagten, die Unterbrechung habe erst durch tatsächliche Aufnahme des Studiums zum 1. April 1979 geendet, stelle die Klägerin ungerechtfertigt dem Versicherten gegenüber schlechter, dessen Kinder zum frühestmöglichen Zeitpunkt nach dem Abitur zugelassen werden und bei dem bis zur Aufnahme des Studiums ebenfalls eine gewisse Zeitspanne verstreiche.

Mit der vom LSG zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihre Auffassung weiter. Sie führt aus, in den Monaten Februar und März 1979 habe sich Regina nicht, wie es § 39 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) verlange, einer Schul- oder Berufsausbildung unterzogen. Eine solche Schulausbildung habe auch der Zulassungsbescheid der Universität vom Februar 1979 noch nicht bewirkt, da Zeit und Arbeitskraft Reginas noch nicht durch das Studium beansprucht gewesen seien. Es handele sich aber auch um keine unvermeidliche Zwischenzeit zwischen zwei Ausbildungsabschnitten, in der dem Kind die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit nicht zuzumuten sei. Regina hätte bis zur Aufnahme des Studiums im April 1979 eine Beschäftigung ausüben können.

Die Beklagte beantragt, unter Abänderung des angefochtenen Urteils des Hessischen Landessozialgerichts vom 21. September 1962 die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt vom 4. Dezember 1981 in vollem Umfang zurückzuweisen.

Die Klägerin ist im Verfahren vor dem Bundessozialgericht (BSG) nicht vertreten.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Beklagten ist zulässig und begründet.

Nach § 39 Abs 1 Satz 1 AVG (= § 1262 Abs 1 Satz 1 der Reichsversicherungsordnung -RVO) erhöht sich ua die Rente wegen Erwerbsunfähigkeit für jedes Kind um den Kinderzuschuß. Grundsätzlich wird der Kinderzuschuß nur bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres gewährt (Abs 3 Satz 1 aaO); er wird jedoch nach Abs 3 Satz 2 aaO längstens bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres für ein Kind gewährt, das sich ua "in Schul- oder Berufsausbildung befindet". Daß dies bei der jüngsten Tochter Regina der Klägerin in den streitigen Monaten Februar und März 1979 nicht der Fall war, bedarf keiner Darlegung im einzelnen: In diesen beiden Monaten war Regina nach vorhergehender entgeltlicher Beschäftigung beim Arbeitsamt Frankfurt arbeitslos gemeldet und stand "der Arbeitsvermittlung zur Verfügung" (Auskunft dieses Amtes vom 18. Januar 1979). Daß sie zugleich darauf wartete, im April 1979 - Beginn des Sommersemesters - das Germanistikstudium an der Universität Frankfurt entsprechend deren im Februar des Jahres erteilten Zulassung aufnehmen zu können, änderte hieran nichts. Eine durch eine verzögerte Zulassung zum Studium erzwungene Pause zwischen Abitur und Aufnahme der Hochschulausbildung überbrücken über 18 Jahre alte "Kinder" des Rentenberechtigten häufig und zweckmäßigerweise durch eine entgeltliche Beschäftigung, neben der fraglos Kinderzuschuß nicht zusteht. Zu Recht ist die Beklagte zudem der Auffassung, daß einer entgeltlichen Beschäftigung des Kindes ua der Sachverhalt gleichbehandelt werden muß, daß sich dieses Kind nach vorhergegangener entgeltlicher Beschäftigung arbeitslos meldet und - mit oder ohne Bezüge aus der Arbeitslosenversicherung - sich dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stellt. In diesem Fall ist das Kind zu jeder Zeit fähig und bereit, die Ausbildungspause wieder mit einer Erwerbstätigkeit auszufüllen. Ersichtlich ist ein zum Kinderzuschuß berechtigender Sachverhalt iS von § 39 Abs 3 Satz 2 AVG - Schul- oder Berufsausbildung, freiwilliges soziales Jahr oder Unterhaltsunfähigkeit durch Gebrechen - nicht gegeben. Selbstverständlich nicht günstiger liegt der Sachverhalt, wenn das über 18 Jahre alte Kind eine Zwangspause zwischen Schule und Hochschulstudium in Untätigkeit verbringt.

Zu Recht hält die Beklagte im übrigen die Auffassung des LSG für unzutreffend, der Anspruch der Klägerin finde seine Stütze in der Rechtsprechung des BSG zu der zwischen Abitur und Immatrikulation an der Hochschule liegenden Zeitspanne (Hinweis auf SozR 2200 § 1262 Nr 12). Entgegen der Ansicht des LSG führt es zu keiner Ungleichbehandlung, daß nach der BSG-Rechtsprechung die regelmäßige "Zwischenzeit" zwischen Abitur und Immatrikulation zur Zeit der Schul- oder Berufsausbildung iS von § 39 Abs 3 Satz 2 AVG gerechnet wird (BSGE 32, 120 f = SozR Nr 42 zu § 1267 RVO; SozR 2200 § 1262 Nr 12; vgl auch die Entscheidung des 11. Senats des BSG vom 12. August 1982 - 11 RA 66/81 ), dies aber für eine Zeit der hier strittigen Art verneint wird. Der erkennende Senat hat in seiner Entscheidung vom 25. Juni 1980 in SozR 2200 § 1262 Nr 14 mit zahlreichen Hinweisen auf die - auch verfassungsgerichtliche - Rechtsprechung bereits herausgestellt, daß die gesetzliche Rentenversicherung mit den Kinderzuschüssen "ersatzweise für die familiäre Unterhaltspflicht eintritt" und der "Kinderzuschuß seinem Wesen nach dazu bestimmt ist, den Unterhalt des Kindes sicherzustellen", so daß der Anspruch des Rentners auf den Zuschuß sogar nur als "formelle Rechtsposition" angesprochen werden könne, die ihn nicht vor einer Auszahlung des Zuschusses an das Kind selbst oder an einen Unterhalt gewährenden Dritten schützt (vgl Abs 8 aaO aF und nunmehr §§ 48, 49, des Ersten Buches des Sozialgesetzbuches -SGB 1). Für eine nicht vermeidbare Zeitspanne zwischen Abitur und Studium folgt hieraus, daß sie dem Anspruch des Rentenberechtigten auf Kinderzuschuß für ein über 18 Jahre altes Kind nur dann nicht schadet, wenn sie so beschaffen ist, daß dem Kind nicht zugemutet werden kann, sich in ihr dem Arbeitsmarkt für eine entgeltliche Beschäftigung zur Verfügung zu stellen und so den gesetzlichen Unterhaltsanspruch gegenüber dem Rentenberechtigten (§§ 1601 ff des Bürgerlichen Gesetzbuches -BGB) potentiell wenigstens zu mindern. Dies läßt sich bei studierwilligen Kindern regelmäßig nur für den üblichen und zeitlich überschaubaren Zeitraum von einigen Monaten zwischen Abitur und dem Beginn des nächsten Hochschulsemesters annehmen. In den sonstigen Fällen eines längeren Zeitraumes zwischen Abitur und Aufnahme des Studiums insbesondere dann, wenn ein Studienplatz zum nächsten Semester nicht gefunden werden kann, gilt dies nicht: Dem über 18 Jahre alten Kind ist dann zuzumuten, einen solchen längeren Zeitraum vor Aufnahme des Studiums durch eine Erwerbstätigkeit zu nutzen und so zu versuchen, den zuschußberechtigten Rentner von der Unterhaltspflicht zu entlasten. Zwar werden die zu den Studienbewerbern zählenden Kinder des Rentners vielfach mangels oder wegen zu kurzer entgeltlicher Beschäftigung keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe aus der Arbeitslosenversicherung haben, wenn sie vor der verzögerten Aufnahme des Studiums keine Arbeit finden oder nach kurzer Zeit wieder verlieren (vgl §§ 100, 104, 134 des Arbeitsförderungsgesetzes -AFG). Indessen hat die gesetzliche Rentenversicherung für Risiken des Arbeitsmarktes grundsätzlich nicht einzustehen. Hinzu kommt, daß es aus naheliegenden Gründen nicht genügen kann, für über 18 Jahre alte, nicht in Berufsausbildung befindliche aber studierwillige Abiturienten Kinderzuschüsse im Ergebnis immer schon dann zu gewähren, wenn sie sich ohne Anspruch aus der Arbeitslosenversicherung arbeitslos gemeldet haben: § 39 Abs 3 Satz 1 und 2 AVG würden dadurch zu Lasten der Solidargemeinschaft der Rentenversicherten entscheidend ausgeweitet; das könnte nur der Gesetzgeber.

Befand sich aber die Tochter Regina der Klägerin in der hier streitigen Zeit nicht in Schul- oder Berufsausbildung iS von § 39 Abs 3 Satz 2 AVG, so steht ihr für sie Kinderzuschuß nicht zu. Das angefochtene Urteil war daher in dem zusprechenden Teil abzuändern und die Berufung der Klägerin gegen das klageabweisende Urteil des SG zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.

 

Fundstellen

Breith. 1983, 695

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