Entscheidungsstichwort (Thema)
Anwartschaftserhaltungszeiten. Beitragszahlung. sozialrechtlicher Herstellungsanspruch
Leitsatz (amtlich)
Die Regelung des § 240 Abs 2 S 2 SGB VI (Befreiung von der Belegung mit Anwartschaftserhaltungszeiten für eine Rente wegen Berufsunfähigkeit) greift auch ein, soweit eine Beitragszahlung aufgrund eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs zulässig ist.
Normenkette
SGB VI §§ 43, 240
Verfahrensgang
Bayerisches LSG (Urteil vom 09.02.1993; Aktenzeichen L 11 Ar 401/92) |
SG Landshut (Urteil vom 17.06.1992; Aktenzeichen S 14 Ar 5400/90) |
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 9. Februar 1993 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
I
Zwischen den Beteiligten ist noch streitig, ob dem Kläger ab 1. Januar 1992 Rente wegen Berufsunfähigkeit (BU) zusteht, ohne daß er freiwillige Beiträge zur Anwartschaftserhaltung nachentrichten müßte.
Der 1929 geborene Kläger ist jugoslawischer Staatsangehöriger und wohnt in seinem Heimatland. Sein jugoslawischer Versicherungsverlauf weist für die Zeit von September 1946 bis März 1970 Versicherungszeiten von über 18 Jahren auf. In der Bundesrepublik Deutschland war er von April 1970 bis September 1982 insgesamt 149 Monate als Bauhelfer versicherungspflichtig beschäftigt. Seit Juli 1984 bezieht der Kläger eine Invalidenrente aus der jugoslawischen Sozialversicherung. Zunächst war er als Invalide dritter Kategorie, ab 21. April 1989 ist er als Invalide erster Kategorie eingestuft.
Während die Beklagte den ersten Rentenantrag des Klägers aus dem Jahre 1984 mit Bescheid vom 3. Februar 1986 ablehnte, weil noch keine BU oder Erwerbsunfähigkeit (EU) eingetreten sei, wurde sein im April 1989 gestellter Antrag unter Hinweis auf die nunmehr fehlenden versicherungsrechtlichen Voraussetzungen abschlägig beschieden (Bescheid der Beklagten vom 9. Februar 1990). Das vom Kläger angerufene Sozialgericht (SG) Landshut verpflichtete die Beklagte durch Urteil vom 17. Juni 1992, dem Kläger Rente wegen BU auf Dauer nach seiner Wahl entweder ab 1. Januar 1992 zu zahlen oder aber bereits ab 1. Mai 1989 zu gewähren, sofern dieser zuvor für die Zeit von Januar 1984 bis Dezember 1988 durchgehend freiwillige Beiträge nachentrichte. Im übrigen wurde die Klage abgewiesen. Das Bayerische Landessozialgericht (LSG) hat durch Urteil vom 9. Februar 1993 sowohl die Berufung des Klägers als auch die der Beklagten zurückgewiesen und dabei zur Begründung ausgeführt:
Zwar sei der Kläger seit dem 26. April 1989 auf nicht absehbare Zeit außerstande, eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit auszuüben. Doch schließe die in Jugoslawien innegehabte Landwirtschaft mit einer über den Rahmen der Gartenbewirtschaftung iS des § 778 der Reichsversicherungsordnung (RVO) hinausgehenden Fläche von 96 Ar die EU kraft Gesetzes aus (§ 1247 Abs 2 Satz 3 RVO). Damit komme aus Rechtsgründen nur Rente wegen BU in Frage.
Zutreffend habe das SG entschieden, daß der Kläger berechtigt sei, die Voraussetzungen des Art 2 § 6 Abs 2 des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (ArVNG) nachträglich zu erfüllen. Anläßlich der Ablehnung des ersten Rentenantrages durch Bescheid vom 3. Februar 1986 habe die Beklagte nämlich durch Überreichung des “Merkblattes 6” idF vom 1. Januar 1984 zumindest mißverständlich über die Möglichkeiten belehrt, die Rentenanwartschaften nach dem Haushaltsbegleitgesetz 1984 (HBegleitG 1984) aufrechtzuerhalten. Die darin enthaltenen Hinweise würden der Aufklärungs- und Beratungsverpflichtung nach §§ 13, 14 des Ersten Buches Sozialgesetzbuch (SGB I) nicht gerecht, welche die Beklagte insbesondere auch gegenüber Ausländern wie dem Kläger treffe, die nach inländischem Sozialversicherungsrecht in die deutsche Rentenversicherung einbezogen seien. Aufgrund des mithin gegebenen Herstellungsanspruchs sei der Kläger so zu stellen, wie es bei fehlerfreier Beratung der Fall gewesen wäre. Das bedeute, daß ihm die Berechtigung zur Nachentrichtung freiwilliger Beiträge für den Zeitraum vom 1. Januar 1984 bis 31. Dezember 1988 zustehe.
Während dem Art 2 § 6 Abs 2 ArVNG zufolge ein Rentenanspruch wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nur bei tatsächlich lückenloser Nachentrichtung freiwilliger Beiträge gegeben sei, stelle die am 1. Januar 1992 in Kraft getretene Übergangsvorschrift des § 240 Abs 2 Satz 4 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI), welche eine Ausnahme vom Belegungsgebot bei noch zulässiger Beitragszahlung regele, in Abweichung vom bisherigen Recht allein auf das Bestehen eines Nachentrichtungsrechtes ab. Diese Norm finde auf den vom Kläger geltend gemachten Rentenanspruch Anwendung, soweit es sich um Rentenzahlungszeiträume handele, die nach dem 31. Dezember 1991 lägen (§ 300 Abs 1 SGB VI). Entgegen der Auffassung der Beklagten müßten bei dieser Sachlage Kalendermonate zwischen dem 1. Januar 1984 und dem Kalendermonat vor Eintritt der BU (31. März 1989) nicht mit “Anwartschaftserhaltungszeiten” iS des § 240 Abs 2 Satz 1 Nrn 1 bis 6 SGB VI belegt sein.
Die Wahlfeststellung des SG, nämlich entweder Verurteilung zur Rente ab 1. Januar 1992 ohne Beitragsnachentrichtung oder ab 1. Mai 1989 gegen Beitragsnachentrichtung, sei grundsätzlich im sozialgerichtlichen Verfahren möglich (Hinweis auf BSGE 13, 51) und deshalb nicht zu beanstanden.
Mit ihrer vom Senat zugelassenen Revision macht die Beklagte im wesentlichen geltend:
Den rechtlichen Erwägungen des LSG, wonach der sozialrechtliche Herstellungsanspruch zur Fiktion der Einhaltung der gesetzlichen Nachentrichtungsvorschriften führe mit der Konsequenz, daß eine tatsächliche Beitragsleistung nach § 240 Abs 2 Satz 2 SGB VI nicht erfolgen müsse, vermöge sie nicht zu folgen. Das LSG dehne den Anwendungsbereich des § 240 SGB VI damit über die Fälle der zulässigen Nachentrichtung gemäß § 198 SGB VI aus.
Nach der Gesetzesbegründung habe mit der Regelung des § 240 Abs 2 SGB VI die seit 1984 geltende Übergangsregelung für eine Rente wegen BU aufrechterhalten werden sollen. § 240 Abs 2 Satz 2 SGB VI ersetze die in Art 2 § 6 Abs 2 Nr 2 ArVNG enthaltene Regelung “bis zum Ende des Kalenderjahres vor Eintritt des Versicherungsfalles”. Nach dem Referentenentwurf zum Rentenreformgesetz 1992 (RRG 1992) – Stand: 9. November 1988 – habe die entsprechende Passage lauten sollen: “… bis zum Ablauf des 13. Kalendermonats vor Eintritt der Erwerbsunfähigkeit”. Erst mit der Fristenregelung des § 197 Abs 2 SGB VI habe der Gesetzgeber die in § 240 Abs 2 Satz 2 SGB VI enthaltene Formulierung gewählt. Somit sei in erster Linie darauf abgestellt worden, ob die Entrichtung freiwilliger Beiträge nach § 197 Abs 2 SGB VI bei Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) noch möglich sei. Dagegen habe der Gesetzgeber eine Erweiterung dieser Möglichkeit im Rahmen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs nicht beabsichtigt. Die Bestimmung des § 240 Abs 2 Satz 2 SGB VI sei deshalb auslegungsbedürftig und im oben genannten Sinne auszulegen. Danach gelte die gesetzliche Regelung nur für den Regelfall einer zulässigen Beitragsentrichtung, nicht aber für den Ausnahmefall eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs, der durch die Zulassung zur Beitragsentrichtung einen gesetzwidrigen Zustand beseitige.
Nach der bisherigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zum sozialrechtlichen Herstellungsanspruch habe die Verwaltung als Rechtsfolge nur dasjenige herzustellen, was sie bei ordnungsgemäßer Beratung zu leisten gehabt hätte. Bei ordnungsgemäßer Beratung hätte der Kläger innerhalb der gesetzlich vorgesehenen Fristen freiwillige Beiträge entrichten können. Ob er dies getan hätte, beurteile sich nach dem hypothetischen Kausalverlauf. Der Vorschrift des § 240 Abs 2 Satz 2 SGB VI könne hierbei keine Bedeutung zukommen, weil der hypothetische Kausalverlauf eine Änderung der gesetzlichen Grundlage nicht umfassen könne. Die Rechtsansicht des LSG führe im übrigen zu einer Besserstellung des Versicherten, der nicht ordnungsgemäß aufgeklärt worden sei, weil dieser im Gegensatz zum Versicherten, der ordnungsgemäß beraten worden sei und freiwillige Beiträge entrichtet habe, keine freiwilligen Beiträge für diesen Zeitraum zur Begründung eines Rentenanspruchs entrichten müsse. Diese Rechtsauslegung verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art 3 Abs 1 des Grundgesetzes (GG) und widerspreche auch Sinn und Zweck des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs.
Die Beklagte beantragt,
die Urteile des Sozialgerichts Landshut vom 17. Juni 1992 und des Bayerischen Landessozialgerichts vom 9. Februar 1993 insoweit aufzuheben und die Klage abzuweisen, als sie, die Beklagte, verurteilt worden sei, dem Kläger Rente wegen BU nach seiner Wahl auch ab 1. Januar 1992 zu zahlen.
Der Kläger ist im Revisionsverfahren nicht vertreten.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Beklagten ist zulässig, aber nicht begründet.
Die Beklagte greift das Urteil des LSG, das die erstinstanzliche Entscheidung bestätigt hat, nur insoweit an, als es dadurch bei ihrer Verpflichtung verblieben ist, dem Kläger nach seiner Wahl auch BU-Rente ab 1. Januar 1992 zu zahlen, ohne daß dieser zuvor freiwillige Beiträge zur Anwartschaftserhaltung entrichtet. Indem sich die Beklagte gegen die “wahlweise” Verurteilung wendet, wirft sie die Frage auf, ob die Klage mit derartig gefaßten Alternativanträgen zulässig war. In dieser Hinsicht ist das Urteil des LSG nicht zu beanstanden; die Vorinstanzen sind zu Recht von einer Zulässigkeit der Klage ausgegangen. Zwar bestehen gegen eine alternative Klagehäufung mit Rücksicht auf das Gebot einer bestimmten Antragstellung grundsätzliche Bedenken (vgl Meyer-Ladewig, SGG mit Erl, 5. Aufl, § 56 RdNr 5). Hier handelt es sich jedoch nicht um eine echte objektive Klagehäufung, da es dem Kläger letztlich nur um ein Prozeßziel geht, nämlich die Gewährung von BU-Rente ab Mai 1989. Nach Auffassung der Vorinstanzen kann er dieses aber nicht ohne Abstriche oder Modifikationen erreichen: Entweder muß er für eine Rentengewährung ab 1. Mai 1989 vorher die erforderlichen anwartschaftserhaltenden Beiträge im Wege eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs nachentrichten oder er muß seinen Rentenantrag auf die Zeit ab 1. Januar 1992 beschränken. Das dem Kläger insoweit zustehende Wahlrecht haben die Vorinstanzen aus den einschlägigen gesetzlichen Regelungen hergeleitet, insbesondere aus der Möglichkeit, durch zeitliche Beschränkung des geltend gemachten Anspruchs eine Anwendung des neuen Rentenrechts zu erreichen. Damit ähnelt die Rechtslage der einer Wahlschuld iS der §§ 262 ff des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB), die ohne weiteres im Klagewege geltend gemacht werden kann (vgl zB Baumbach/Lauterbach/Hartmann, 50. Aufl, § 260 ZPO Anm 2 B). Der Hinweis des LSG auf die Zulässigkeit einer Alternativfeststellung geht dagegen fehl, weil diese nicht eine Wahlmöglichkeit des Beteiligten, sondern die Befugnis des Gerichts betrifft, den geltend gemachten Anspruch zuzusprechen, wenn sich nicht erweisen läßt, welche von mehreren Sachverhaltsvarianten vorliegt, eine davon aber sicher gegeben ist (vgl BSGE 13, 51).
In dem angefochtenen Umfang hält das Berufungsurteil auch in der Sache einer revisionsgerichtlichen Überprüfung stand. Dem Kläger steht nach seiner Wahl BU-Rente ab 1. Januar 1992 ohne eine nachträgliche Beitragsnachentrichtung zu.
Für Renten, die ab 1. Januar 1992 beginnen, ist das SGB VI anwendbar, da insoweit die Grundsatznorm des § 300 Abs 1 SGB VI gilt. Hielte der Kläger dagegen sein Begehren aufrecht, bereits ab 1. Mai 1989 Rente zu erhalten, so würde gemäß § 300 Abs 2 SGB VI noch die RVO Anwendung finden (vgl BSG SozR 3-2200 § 1246 Nr 29; dazu auch GK-SGB VI/Lueg, § 300 RdNr 17). Durch die Beschränkung seines Anspruchs auf die Zeit ab 1. Januar 1992 kann der Kläger demnach praktisch das neue Recht wählen, auch wenn der Versicherungsfall schon vor diesem Stichtag eingetreten ist (vgl auch KassKomm/Niesel, § 240 SGB VI RdNr 21).
Nach § 43 Abs 1 SGB VI haben Versicherte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen BU, wenn sie
- berufsunfähig sind,
- in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der BU drei Jahre Pflichtbeitragszeiten haben und
- vor Eintritt der BU die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Da der am 25. Februar 1929 geborene Kläger erst am 25. Februar 1994 sein 65. Lebensjahr vollendet hat, kann ihm BU-Rente ab 1. Januar 1992 zustehen. Berufsunfähig sind nach § 43 Abs 2 Satz 1 SGB VI Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung auf weniger als die Hälfte derjenigen von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten gesunken ist. Da der Kläger nach den bindenden Feststellungen des LSG aufgrund seiner gesundheitlichen Beeinträchtigungen nur noch leichte Tätigkeiten unter zwei Stunden am Tage verrichten kann, liegt bei ihm jedenfalls BU vor. Er erfüllt auch die allgemeine Wartezeit iS des § 43 Abs 1 Nr 3 SGB VI. Diese beträgt nach § 50 Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB VI fünf Jahre, wobei nur Kalendermonate mit Beitragszeiten angerechnet werden (§ 51 Abs 1 SGB VI). Zwar hat das LSG dieses Tatbestandsmerkmal nicht ausdrücklich geprüft, aus den berufungsgerichtlichen Feststellungen ergibt sich jedoch, daß der Kläger in der Bundesrepublik Deutschland 149 Kalendermonate versicherungspflichtig beschäftigt gewesen ist. Daraus folgt, daß zumindest die erforderlichen 60 Kalendermonate mit Beitragszeiten vorliegen. Bestätigung findet diese Annahme durch den Versicherungsverlauf des Klägers, den die Beklagte im erstinstanzlichen Verfahren vorgelegt hat. Dies reicht als Tatsachengrundlage für eine revisionsgerichtliche Entscheidung aus, zumal das LSG auf den Inhalt der Verfahrensakten Bezug genommen hat (vgl BSG SozR 1500 § 163 Nr 1).
Problematisch ist hier allein das Belegungserfordernis iS des § 43 Abs 1 Nr 2 SGB VI. Die danach notwendigen drei Jahre Pflichtbeitragszeiten in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der BU am 26. April 1989 vermag der Kläger nicht vorzuweisen. In der Zeit vom 26. April 1984 bis 25. April 1989 hat er nur (ab Juli 1984) eine jugoslawische Invalidenrente bezogen. Ob diese geeignet wäre, den Fünfjahreszeitraum gemäß § 43 Abs 3 SGB VI zu verlängern, kann hier offenbleiben, da die Voraussetzungen der Übergangsvorschrift des § 240 Abs 2 SGB VI gegeben sind.
Nach § 240 Abs 2 Satz 1 SGB VI sind Pflichtbeitragszeiten vor Eintritt der BU für Versicherte nicht erforderlich, die vor dem 1. Januar 1984 die allgemeine Wartezeit erfüllt haben, wenn jeder Kalendermonat vom 1. Januar 1984 bis zum Kalendermonat vor Eintritt der BU mit
- Beitragszeiten,
- beitragsfreien Zeiten,
- Zeiten, die nur deshalb nicht beitragsfreie Zeiten sind, weil durch sie eine versicherte Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit nicht unterbrochen ist, wenn in den letzten sechs Kalendermonaten vor Beginn dieser Zeiten wenigstens ein Pflichtbeitrag, eine beitragsfreie Zeit oder eine Zeit nach Nrn 4, 5 oder 6 vorliegt,
- Berücksichtigungszeiten, soweit während dieser Zeiten eine selbständige Tätigkeit nicht ausgeübt worden ist, die mehr als geringfügig oder nur unter Berücksichtigung des Gesamteinkommens geringfügig war,
- Zeiten des Bezuges einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit oder
- Zeiten des gewöhnlichen Aufenthalts im Beitrittsgebiet vor dem 1. Januar 1992
(Anwartschaftserhaltungszeiten) belegt ist oder, wenn die BU vor dem 1. Januar 1984 eingetreten ist. Für Kalendermonate, für die eine Beitragszahlung noch zulässig ist, ist eine Belegung mit Anwartschaftserhaltungszeiten nicht erforderlich (§ 240 Abs 2 Satz 2 SGB VI).
Da der Kläger seine Versicherungszeiten in der deutschen Rentenversicherung bis 1982 zurückgelegt hat, hatte er bereits vor dem 1. Januar 1984 die (jetzt sogenannte) “allgemeine” Wartezeit erfüllt. Zwar ist die BU bei ihm nicht vor dem 1. Januar 1984 eingetreten, auch hat er nicht jeden Kalendermonat vom 1. Januar 1984 bis zum Kalendermonat vor Eintritt der BU (also bis März 1989) mit Anwartschaftserhaltungszeiten belegt. Das LSG hat jedoch zutreffend entschieden, daß eine derartige Belegung hier nicht erforderlich ist, weil für die betreffenden Kalendermonate noch eine (freiwillige) Beitragszahlung zulässig ist (vgl § 240 Abs 2 Satz 2 SGB VI). Diese Zulässigkeit ergibt sich im wesentlichen schon aus dem rechtskräftig gewordenen Teil des Berufungsurteils. Danach ist der Kläger nämlich befugt, anwartschaftserhaltende Beiträge für die Zeit vom 1. Januar 1984 bis Dezember 1988 im Wege eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs nachzuentrichten. Für den anschließenden Zeitraum von Januar bis März 1989 kann eine Nachzahlung noch erfolgen, weil die Frist zur Entrichtung freiwilliger Beiträge für das Kalenderjahr 1989 (vgl § 1418 Abs 1 RVO) durch den im April 1989 gestellten Rentenantrag gehemmt worden ist (vgl § 1420 Abs 2 RVO).
Entgegen der Ansicht der Beklagten reicht eine aufgrund eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs bestehende Berechtigung zur Beitragsentrichtung im Rahmen des § 240 Abs 2 Satz 2 SGB VI aus, um eine Belegung mit Anwartschaftserhaltungszeiten als nicht erforderlich anzusehen. Da der Wortlaut dieser Bestimmung ohne Einschränkung auf die Zulässigkeit der Beitragszahlung abstellt, genügt auch ein derart begründetes Nachentrichtungsrecht. Für die von der Beklagten geforderte einschränkende Auslegung des § 240 Abs 2 Satz 2 SGB VI bestehen keine hinreichenden Gründe.
Die Entstehungsgeschichte dieser Übergangsvorschrift deutet allerdings im Ausgangspunkt auf eine Wechselbeziehung zu den Regelungen über Fristen für die Entrichtung freiwilliger Beiträge hin. Nach dem Diskussions- und Referentenentwurf eines RRG 1992 – Stand: 9. November 1988 – sollten freiwillige Beiträge wirksam sein, wenn sie innerhalb von zwölf Kalendermonaten nach Ablauf des Kalendermonats, für den sie gelten sollen, gezahlt werden (§ 193 Abs 2 dieses Entwurfs). § 238 des Diskussions- und Referentenentwurfs verlangte, daß jeder Kalendermonat vom 1. Januar 1984 bis zum Ablauf des 13. Kalendermonats vor Eintritt der BU mit Anwartschaftserhaltungszeiten belegt ist. Danach brauchte der Versicherte also für die letzten zwölf Kalendermonate vor dem Versicherungsfall insbesondere keine freiwilligen Beiträge entrichtet zu haben. Da er sich für jeden Monatsbeitrag zwölf Monate Zeit lassen konnte, bestand die Gefahr, daß für solche Beiträge keine Entgeltpunkte zu ermitteln waren, die erst nach Eintritt der MdE gezahlt wurden (vgl § 74 Abs 2 Satz 1 Nr 2 des Diskussions- und Referentenentwurfs). Derartige für die BU-Rente nutzlose Beiträge sollten offenbar nicht allein zur Anwartschaftserhaltung entrichtet werden müssen. Im späteren Regierungsentwurf zum RRG 1992 wurde dann die Entrichtungsfrist für freiwillige Beiträge geändert. Nach § 192 Abs 2 des Regierungsentwurfs, der als § 197 Abs 2 SGB VI Gesetz geworden ist, sind freiwillige Beiträge wirksam, wenn sie bis zum 31. März des Jahres, das dem Jahr folgt, für das sie gelten sollen, gezahlt werden (vgl BR-Drucks 120/89, S 58). Diese Frist wurde jedoch nicht unmittelbar in die Übergangsvorschrift für BU-Renten (§ 235 Abs 2 des Regierungsentwurfs = § 240 Abs 2 SGB VI) eingearbeitet. Vielmehr erstreckt sich das Belegungserfordernis auf den gesamten Zeitraum vom 1. Januar 1984 bis zum Kalendermonat vor Eintritt der BU. Dafür wurde aber der Satz 2 angefügt, wonach für Kalendermonate, für die eine Beitragszahlung noch zulässig ist, eine Belegung mit Anwartschaftserhaltungszeiten nicht erforderlich ist (vgl BR-Drucks 120 189, S 68). Entgegen der Ansicht der Beklagten (vgl auch VerbKomm, § 240 SGB VI Anm 14) hat der Gesetzgeber damit den engen Zusammenhang mit der (normalen) Entrichtungsfrist für freiwillige Beiträge (vgl § 197 Abs 2 SGB VI) verlassen und eine wesentlich flexiblere Regelung der Befreiung vom Belegungserfordernis gefunden. So erfaßt diese Bestimmung jedenfalls nicht nur die Unterbrechung von Entrichtungsfristen nach § 198 SGB VI, sondern auch besondere Nachzahlungstatbestände (vgl zB §§ 204 bis 208, §§ 284 f SGB VI, Art 2 §§ 51 ff ArVNG; ebenso LVA Rheinprovinz, Arbeitsanweisung der Rentenabteilung, AmtlMitt LVA Rheinprovinz 1992, 277, 278; VerbKomm, § 240 SGB VI Anm 14; Zweng/Scheerer/Buschmann/Dörr, Handbuch der Rentenversicherung, § 240 SGB VI RdNr 79).
Auch der Hinweis der Beklagten auf die Begründung des Regierungsentwurfs zum RRG 1992 vermag einen Ausschluß der auf einem sozialrechtlichen Herstellungsanspruch gründenden Nachentrichtungsmöglichkeit von der Belegungsbefreiung nach § 240 Abs 2 Satz 2 SGB VI nicht zu rechtfertigen. Zwar heißt es zu § 235 des Regierungsentwurfs, daß diese Vorschrift die seit 1984 geltende Übergangsregelung für die Rente wegen BU aufrechterhält (vgl BT-Drucks 120/89 S 198). Es handelt sich dabei jedoch nur um eine sehr allgemein gehaltene Charakterisierung, die insbesondere nicht speziell auf die Bestimmung des Abs 2 Satz 2 eingeht. Bemerkenswert ist zunächst, daß der Wortlaut der Begründung aus dem Diskussions- und Referentenentwurf (S 337) übernommen worden ist, obwohl die Gesetz gewordene Übergangsvorschrift – gerade hinsichtlich des hier interessierenden Punktes – nicht unerheblich von der ursprünglich vorgeschlagenen abweicht. Zudem ist die alte Übergangsvorschrift des Art 2 § 6 Abs 2 ArVNG nicht vollinhaltlich aufrechterhalten worden. Während der Belegungszeitraum erweitert worden ist (nicht mehr nur bis zum Ende des Kalenderjahres vor Eintritt des Versicherungsfalles, sondern bis zum Kalendermonat vor Eintritt der BU), bringt die Befreiungsregelung des § 240 Abs 2 Satz 2 SGB VI eine deutliche Erleichterung. Auch bei den Anwartschaftserhaltungszeiten selbst haben sich Veränderungen ergeben (vgl dazu KassKomm/Niesel, § 240 SGB VI RdNrn 5, 6). Durch die Beschränkung auf den Bezug von Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit (§ 240 Abs 1 Satz 1 Nr 5 SGB VI) ist der Bezug einer Erziehungsrente als solcher nicht mehr privilegiert (insoweit kommt jedoch eine Anrechnungszeit nach § 58 Abs 1 Satz 1 Nr 5, § 252 Abs 1 Nr 4 SGB VI in Betracht, außerdem gibt es jetzt – allerdings nur für einen Elternteil – Berücksichtigungszeiten der Kindererziehung bis zum zehnten Lebensjahr, vgl § 57 Abs 1 SGB VI). Entscheidender wirkt sich wohl mittelbar die Begrenzung der Anrechnung von Ausbildungszeiten auf insgesamt sieben Jahre aus (vgl § 58 Abs 1 Satz 1 Nr 4 SGB VI mit Übergangsbestimmung in § 252 Abs 4 SGB VI). Schließlich ist zu berücksichtigen, daß nach der Rechtsprechung des BSG gegen eine Anwendung der Grundsätze über den sozialrechtlichen Herstellungsanspruch im Rahmen des Art 2 § 6 Abs 2 ArVNG keine Bedenken bestehen (vgl zB Senatsurteile vom 25. August 1993 – 13 RJ 43/92 – und – 13 RJ 27/92 –). Folglich gehört diese besondere Nachentrichtungsmöglichkeit zu den Anwendungsmodalitäten dieser Übergangsbestimmung. Wenn der Gesetzgeber diese Rechtslage aufrechterhalten wollte, so spricht jedenfalls mehr dafür als dagegen, daß die in § 240 Abs 2 Satz 2 SGB VI angesprochene Zulässigkeit der Beitragszahlung auch einen solchen Herstellungsanspruch mit umfaßt.
Der Berücksichtigung von Nachentrichtungsmöglichkeiten aufgrund eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs steht auch der erkennbare Sinn und Zweck des § 240 Abs 2 Satz 2 SGB VI nicht entgegen. Offenbar wollte der Gesetzgeber solchen Versicherten, bei denen der Versicherungsfall der BU bereits eingetreten ist, aus allgemeinen sozialen Erwägungen eine Beitragsentrichtung nicht mehr zumuten, sofern die Beitragszahlung noch zulässig ist, also nahtlose Anwartschaftserhaltungszeiten erreicht werden können. Eine engere Zielsetzung ist jedenfalls nicht ersichtlich. Namentlich durch die Einbeziehung der Fälle des § 198 SGB VI (Unterbrechung der Entrichtungsfristen durch ein Beitragsverfahren oder ein Verfahren über einen Rentenanspruch) in den Anwendungsbereich des § 240 Abs 2 Satz 2 SGB VI wurde die wohl ursprünglich in der Übergangsregelung (vgl § 238 des Diskussions- und Referentenentwurfs) vorgesehene Zweckbestimmung verlassen, den Versicherten die Entrichtung von solchen Beiträgen zu ersparen, die nur zur Anwartschaftserhaltung, nicht aber zur Ermittlung von Entgeltpunkten für die BU-Rente dienen konnten. Denn nach § 75 Abs 2 Satz 2 Nr 2 SGB VI werden für freiwillige Beiträge, die nach Eintritt der MdE gezahlt worden sind, ausnahmsweise dann Entgeltpunkte ermittelt, wenn die MdE während eines Beitragsverfahrens oder eines Verfahrens über einen Rentenanspruch eingetreten ist. In den somit sehr weit gefaßten Rahmen der Befreiungsvorschrift des § 240 Abs 2 Satz 2 SGB VI fügt sich die Zulässigkeit einer Beitragsentrichtung im Wege eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruches zwanglos ein. Ähnlich wie § 198 SGB VI iVm § 75 Abs 2 Satz 2 Nr 2 SGB VI vermag dieses Rechtsinstitut nicht nur die Fristversäumnis auszugleichen, sondern auch eine Anrechnung von Entgeltpunkten zu erwirken. Dies gilt jedoch nur dann, wenn der Versicherungsfall zwischenzeitlich (dh in der Zeit nach dem behördlichen Beratungsmangel) eingetreten ist. Lag die BU dagegen im Zeitpunkt des Behördenfehlers, der das Unterlassen einer Beitragszahlung verursachte, bereits vor, könnte der sozialrechtliche Herstellungsanspruch auch nur eine Nachentrichtung von Beiträgen eröffnen, nicht jedoch eine Ermittlung von Entgeltpunkten für die BU-Rente (vgl § 75 Abs 2 Satz 1 Nr 2 SGB VI). Auch beim Nachentrichtungsrecht aufgrund eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs gibt es also sowohl Fälle, in denen der ursprünglich engere Zweck des Entwurfs der Übergangsregelung (Entlastung des Versicherten von Beiträgen, die ihm keine Entgeltpunkte bringen) erfüllt wird, als auch Fälle, in denen die geltende Fassung eine Befreiung trotz bestehender Anrechnungsmöglichkeit für nachentrichtete Beiträge vorsieht. Mag das Schwergewicht beim Herstellungsanspruch auch eher bei der zuletzt genannten Fallgruppe liegen, so bleibt doch erkennbar, daß prinzipielle Unterschiede zum Feld der gesetzlichen Nachentrichtungsmöglichkeiten (insbesondere gemäß § 198 SGB VI) nicht bestehen.
Ebensowenig widerspricht eine Einbeziehung in die Befreiungsregelung des § 240 Abs 2 Satz 2 SGB VI dem Wesen des sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs. Zwar soll dieses Rechtsinstitut grundsätzlich der Herstellung des Zustandes dienen, der bei richtiger Beratung bestehen würde. Daraus läßt sich jedoch kein Beitragszahlungszwang herleiten (so allerdings wohl Zweng/Scheerer/Buschmann/Dörr, Handbuch der Rentenversicherung, § 240 SGB VI RdNr 93). Die Herstellung des durch Fehlberatung verhinderten Zustandes (hier die Belegung von Kalendermonaten mit freiwilligen Beiträgen) erfolgt nicht zwangsweise, sondern nur auf Verlangen des Versicherten. Insofern ging der Anspruch des Klägers dahin, der Beklagten die Berufung darauf zu versagen, daß die Frist zur Entrichtung von freiwilligen Beiträgen abgelaufen sei (vgl BSG SozR 2200 § 1418 Nr 6 S 13). Demnach ist er so zu behandeln, als könne er die gesetzlichen Beitragsentrichtungsfristen noch einhalten. Es spricht daher nichts dagegen, auch im vorliegenden Falle die Beitragszahlung iS des § 240 Abs 2 Satz 2 SGB VI als zulässig anzusehen (ähnlich auch KassKomm/Niesel, § 240 SGB VI RdNr 23 aE, der § 240 Abs 2 Satz 2 SGB VI gegenüber dem sozialrechtlichen Herstellungsanspruch als lex specialis ansieht).
Schließlich überzeugt auch der Einwand der Beklagten nicht, die Berücksichtigung eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs im Rahmen des § 240 Abs 2 Satz 2 SGB VI bedeute eine ungerechtfertigte Besserstellung der Betroffenen, mithin einen Verstoß gegen Art 3 Abs 1 GG. Vergleicht man den Kläger mit einem Versicherten, der seit 1984 freiwillige Beiträge entrichtet hat, so ist zu bemerken, daß letzterer die BU-Rente nicht erst ab 1. Januar 1992, sondern – bei entsprechender Antragstellung – vom Eintritt des Versicherungsfalls an sowie unter Anrechnung weiterer Beitragszeiten erhielte. Insofern wirkt sich eine Befreiung von der Beitragsnachentrichtung für den Kläger auf der Leistungsseite nachteilig aus. Ferner ist zu berücksichtigen, daß die Befreiungsregelung des § 240 Abs 2 Satz 2 SGB VI seit Inkrafttreten des SGB VI auch für die Unterbrechungstatbestände des § 198 SGB VI, welche eine erhebliche Verlängerung der normalen Beitragsentrichtungsfrist mit sich bringen können (vgl KassKomm/Niesel, § 240 SGB VI RdNr 21; LVA Rheinprovinz, Arbeitsanweisung der Rentenabteilung, AmtlMitt LVA Rheinprovinz 1992, 277, 281), zur Verfügung steht. Angesichts dieser Gestaltungsmöglichkeiten erscheint es nicht als sachwidrig, auch Versicherte, die freiwillige Beiträge im Wege eines sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs nachentrichten können, in den Anwendungsbereich des § 240 Abs 2 Satz 2 SGB VI einzubeziehen. Die in diesem Zusammenhang verbleibenden Ungleichbehandlungen sind Folgen der Übergangsvorschriften des SGB VI, die einer zügigen Einführung des neuen Rechts dienen. Sie sind verfassungsrechtlich hinzunehmen, da sich die betreffenden Regelungen (§§ 240, 300 SGB VI) zwar an groben, aber doch noch sachlichen Kriterien orientieren (vgl dazu allgemein BVerfGE 44, 1, 20 ff). Wenn im Rahmen des § 240 Abs 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die – aus welchen Gründen auch immer – noch freiwillige Beiträge nachzahlen können, anders behandelt werden als solche Versicherte, die bereits nach altem Recht anwartschaftserhaltende Beiträge entrichtet haben, so entspricht dies einem anerkannten Überleitungsgrundsatz, das neue Recht nur auf “offene” Verfahren anzuwenden, abgeschlossene Tatbestände jedoch grundsätzlich unangetastet zu lassen (vgl zB Art 2 § 13b ArVNG).
Nach alledem kann die Revision der Beklagten keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes.
Fundstellen