Leitsatz (redaktionell)

Es ist nicht als eine wesentliche Änderung der Verhältnisse iS des BVG § 62 anzusehen, daß im DV § 30 Abs 3 und 4 BVG § 5 Abs 1 Fassung: 1968-02-28 ein Satz 3 angefügt worden ist, wonach eine Berufsausbildung als Merkmal für die Einstufung in eine bestimmte Besoldungsgruppe nur dann berücksichtigt werden darf, wenn sie die Grundlage für den ausgeübten Beruf bildet oder ihn wirtschaftlich erheblich förderlich ist.

 

Normenkette

BVG § 62 Abs. 1 Fassung: 1966-12-28, § 30 Abs 3 u 4 DV § 5 Abs. 1 S. 3 Fassung: 1968-02-28

 

Tenor

Auf die Sprungrevision der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 31. Oktober 1969 und die Bescheide des Beklagten vom 20. Mai 1968 und 21. Januar 1969 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. März 1969 aufgehoben.

Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin auch über den 30. Juni 1968 hinaus Schadensausgleich unter Zugrundelegung der Besoldungsgruppe A 7 des Besoldungsgesetzes zuzüglich des Ortszuschlages nach Stufe 2 der Ortsklasse A zu gewähren.

Der Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.

 

Gründe

I

Der Ehemann der Klägerin ist im November 1947 in der Kriegsgefangenschaft verstorben. Er hatte die Volksschule besucht, im Anschluß daran eine Berufsausbildung als Dreher abgeschlossen und von 1931 bis 1940 als Selbständiger einen Heißmangelbetrieb geführt. Die Klägerin bezieht Hinterbliebenenversorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG). Bei dem der Klägerin im Bescheid vom 21. Juni 1965 bewilligten Schadensausgleich für Witwen gemäß § 40 a BVG ging das Versorgungsamt (VersorgA) davon aus, daß der Ehemann der Klägerin nach dem Kriege wahrscheinlich weiterhin als Inhaber des Heißmangelbetriebes selbständig tätig gewesen wäre. Es ordnete ihn unter Berücksichtigung der Berufsausbildung als Dreher deshalb gem. § 5 Abs. 1 der Durchführungsverordnung (DVO) zu § 30 Abs. 3 und 4 BVG idF vom 30. Juli 1964, BGBl I S. 574, (DVO 1964) in die Besoldungsgruppe A 7 des Bundesbesoldungsgesetzes (BBesG) ein.

In den Bescheiden vom 20. Mai 1968 und 21. Januar 1969 wurde der Anspruch der Klägerin auf Schadensausgleich nach § 62 BVG neu festgestellt, und zwar mit Wirkung ab 1. Juli 1968 auf vorläufig 0,00 DM und für das Jahr 1967 endgültig auf monatlich 44,- DM festgesetzt. Die Abrechnung für das Jahr 1968 insgesamt wurde einem weiteren Bescheid vorbehalten. Das VersorgA sah es als eine wesentliche Änderung der Verhältnisse i.S. von § 62 BVG an, daß durch die Verordnung vom 28. Februar 1968 (BGBl I S. 194) in § 5 der DVO zu § 30 Abs. 3 und 4 BVG (DVO 1968) nunmehr ausdrücklich angeführt wurde, daß eine Berufsausbildung als Merkmal für die Einstufung in eine bestimmte Besoldungsgruppe nur dann berücksichtigt werden dürfe, wenn sie die Grundlage für den ausgeübten Beruf bildet oder ihm wirtschaftlich erheblich förderlich ist (§ 5 Abs. 1 Satz 3 und Absatz 2 aaO). Hiernach könne der Ehemann der Klägerin nur (noch) in die Besoldungsgruppe A 5 BBesG eingestuft werden, woraus sich die Herabsetzung des Schadensausgleichs ergebe.

Der Widerspruch der Klägerin blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 24. März 1969). Ihre Klage wies das Sozialgericht (SG) Düsseldorf im Urteil vom 31. Oktober 1969 als unbegründet ab. Das SG teilte die Auffassung des Beklagten, daß die Neufassung des § 5 in der DVO 1968 als eine wesentliche Änderung der Verhältnisse anzusehen sei, die den Beklagten nach § 62 BVG auch zu einer schlechterstellenden Neufeststellung des Anspruchs der Klägerin auf Berufsschadensausgleich berechtige. In dieser Regelung sei nicht nur eine authentische Interpretation, sondern eine inhaltliche Änderung des § 5 DVO zu erblicken. Die Einstufung des Ehemannes der Klägerin in die Besoldungsgruppe A 5 BBesG sei ebenfalls nicht zu beanstanden. Die Berufsausbildung als Dreher sei für den später geführten Heißmangelbetrieb nämlich ohne jede Bedeutung und müsse daher unberücksichtigt bleiben. Etwas anderes ergäbe sich auch nicht aus § 5 Abs. 2 DVO 1968; denn die Führung des Heißmangelbetriebes von 1931 bis 1940 sei nicht geeignet gewesen, das wirtschaftliche Ergebnis der selbständigen Tätigkeit erheblich über das ohne Berufsausbildung erreichbare Maß zu fördern. - Auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.

Das SG ließ die Berufung zu.

Gegen das ihr am 1. Dezember 1969 zugestellte Urteil hat die Klägerin unter Beifügung einer Einwilligungserklärung des Beklagten am 9. Dezember 1969 Sprungrevision eingelegt und diese gleichzeitig begründet.

Sie rügt die Verletzung von § 62 BVG und der §§ 5 und 13 der DVO 1968. Sinn und Zweck einer Neufeststellung gemäß § 62 BVG sei die Anpassung an eine neue Sachlage, sofern sich die wirtschaftlichen bzw. gesundheitlichen Verhältnisse oder das Gesetz gegenüber der Sach- und Rechtslage bei Erlaß des ersten Bescheides geändert hätten. Eine Änderung des Gesetzes liege aber nicht schon in jeder Neufassung des Wortlautes, sondern sei nur dann gegeben, wenn im Vergleich zu der alten Fassung die Neufassung andere Anspruchsvoraussetzungen gebracht habe. § 5 Abs. 1 DVO 1968 sei in seinem materiell-rechtlichen Inhalt gegenüber der DVO 1964 nicht geändert worden. In Satz 1 und 2 aaO werde weiterhin bestimmt, von welcher Grundlage bei der Berechnung des Schadensausgleichs für selbständig Tätige auszugehen sei. Die "Ergänzung" des § 5 DVO durch die Neufassung vom 28. Februar 1968 diene nur der authentischen Interpretation des § 5 Abs. 1 Satz 1 DVO 1964. Die Rechtslage sei hier die gleiche wie bei den Neufassungen der §§ 30 Abs. 2 und 35 Abs. 1 BVG, die nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) nicht als wesentliche Änderungen im Sinne des § 62 BVG anzusehen seien. Der Neufeststellungsbescheid könne auch nicht auf § 13 Abs. 1 DVO 1968 gestützt werden. Da nach dem Vorstehenden eine "Änderung" nicht vorliege, sei § 13 Abs. 1 DVO 1968 nicht erfüllt.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des SG Düsseldorf vom 31. Oktober 1969 abzuändern, die Bescheide vom 20. Mai 1968 und 21. Januar 1969 sowie den Widerspruchsbescheid vom 24. März 1969 aufzuheben, somit den Schadensausgleich weiterhin unter Zugrundelegung der Besoldungsgruppe A 7 des BBesG zuzüglich des Ortszuschlages nach Stufe 2 der Ortsklasse A zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Revision der Klägerin gegen das Urteil des SG Düsseldorf vom 31. Oktober 1969 als unbegründet zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Die Revision verkenne offenbar, daß § 13 Abs. 1 DVO 1968 keine wesentliche Änderung der Verhältnisse im Sinne des § 62 BVG voraussetze, sondern nur verlange, daß die bisher gewährten Schadensausgleiche durch diese neue DVO eine Änderung erfahren hätten. Das sei der Fall, weil die abgeschlossene Dreherlehre des Ehemannes der Klägerin das wirtschaftliche Ergebnis seiner selbständigen Tätigkeit in dem Heißmangelbetrieb nicht erheblich gefördert habe. Der Neufeststellungsbescheid sei auch nach § 62 Abs. 1 BVG gerechtfertigt. Die in dem alten Bescheid dem § 5 Abs. 1 DVO 1964 gegebene Auslegung, daß jede abgeschlossene Berufsausbildung sich für den Versorgungsberechtigten leistungserhöhend auswirken müsse, habe innerhalb der Interpretationsbreite dieser Vorschrift gelegen. Dies sei nach § 5 DVO 1968, der als weitere Anspruchsvoraussetzung fordere, daß die Berufsausbildung die Grundlage für den tatsächlich ausgeübten Beruf bilde, aber nicht mehr möglich. Daher hätten sich die rechtlichen Verhältnisse geändert. Nach der Rechtsprechung des BSG liege eine wesentliche Änderung der rechtlichen Verhältnisse schon in einer Konkretisierung, Präzisierung oder authentischen Interpretation einer Vorschrift. Die "abgeschlossene Berufsausbildung" sei nunmehr durch eine neue normative Regelung dahingehend konkretisiert und präzisiert worden, daß sie sich nur dann leistungserhöhend auswirken könne, wenn sie die Grundlage des ausgeübten Berufes gebildet habe.

II

Die Sprungrevision ist nach § 161 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthaft, weil das SG die Berufung gemäß § 150 Nr. 1 SGG zugelassen hat und die Einwilligungserklärung des Beklagten vorgelegt wurde. Sie ist auch form- und fristgerecht eingelegt worden, somit zulässig. Die Revision führt auch sachlich zum Erfolg.

Angefochten sind die "Neufeststellungsbescheide", mit denen der Beklagte den Bescheid über die Bewilligung eines Schadensausgleichs vom 21. Juni 1965 insoweit nach § 62 BVG zurückgenommen hat, als er der Klägerin einen nach der Besoldungsgruppe A 7 BBesG ermittelten Schadensausgleich bewilligt hat. Das SG hat diese Neufeststellung zu Unrecht für rechtmäßig gehalten.

Nach § 62 Abs. 1 Satz 1 BVG wird der Anspruch auf Versorgung neu festgestellt, wenn in den Verhältnissen, die für seine Feststellung maßgebend gewesen sind, eine wesentliche Änderung eingetreten ist. Das SG hat zutreffend angenommen, daß eine solche wesentliche Änderung der Verhältnisse auch dann vorliegen kann, wenn sich das für den Versorgungsanspruch maßgebende Recht geändert hat (vgl. BSG 10, 202 ff. und Urteil des erkennenden Senats vom 17. Mai 1968 - 10 RV 657/66). Rechtsirrig ist jedoch die Auffassung des SG, daß die Neufassung des § 5 Abs. 1 durch die DVO 1968 eine Rechtsänderung in diesem Sinn darstellt.

Schon im zeitlichen Geltungsbereich der DVO 1964 war für die Ermittlung des Durchschnittseinkommens aus selbständiger Tätigkeit nach § 5 Abs. 1 DVO erheblich, ob die abgeschlossene Berufsausbildung oder die abgelegte Meisterprüfung für den tatsächlich ausgeübten Beruf förderlich gewesen ist (BSG BVBl 1968, 130). Dies ergab sich aus dem in § 5 DVO 1964 für die Einordnung selbständig Tätiger zugrunde gelegten System. Bei der Festlegung des Durchschnittseinkommens für selbständig Tätige stand der Verordnungsgeber vor der Schwierigkeit, daß brauchbare statistische Unterlagen hierfür nicht vorhanden sind. Er ist deshalb von der Voraussetzung ausgegangen, daß der Grad der Schul- oder Berufsausbildung einen Anhaltspunkt für den wirtschaftlichen Erfolg auch bei einer selbständigen Tätigkeit bilden kann. Das setzte aber voraus, daß die Berufsausbildung der Tätigkeit galt, auf die die Schädigung sich nachteilig auswirkte oder zumindest hierfür wirtschaftlich förderlich war (vgl. auch Rundschreiben des BMA in BVBl 1966, S 10 Nr. 11 und Runderlaß des Arbeits- und Sozialministers von NRW, Min.Bl. NRW 1966, 497). Eine nach dem Sinn und Zweck des § 5 der DVO 1964 orientierte Auslegung mußte also bereits damals jene Einschränkungen berücksichtigen, die durch die DVO 1968 klarstellend in den Verordnungstext aufgenommen worden sind.

Dementsprechend hat der 8. Senat des BSG in dem Urteil vom 29. September 1970 - 8 RV 613/69 - die Einfügung des Satzes 3 in Abs. 1 des § 5 DVO durch die DVO 1968 nicht als wesentliche Änderung im Sinne des § 62 BVG angesehen und ausgeführt, diese könne auch nicht darin gesehen werden, daß nach § 5 Abs. 1 Satz 3 DVO 1968 die Berufsausbildung das wirtschaftliche Ergebnis des tatsächlich ausgeübten Berufes "erheblich" fördern müsse. Der erkennende Senat schließt sich dieser Rechtsprechung an.

Infolgedessen ist eine Änderung in dem Rechtszustand, der für den Versorgungsanspruch der Klägerin maßgebend war, nicht eingetreten. Wenn der Beklagte in dem Bescheid vom 21. Juni 1965 die Berufsausbildung des Ehemannes der Klägerin als Dreher herangezogen hat, um den Ehemann der Klägerin in die Besoldungsgruppe A 7 BBesG einzustufen, obgleich diese Berufsausbildung - wie der Beklagte einräumt - sich nicht wirtschaftlich fördernd auf die selbständige Tätigkeit des Ehemannes der Klägerin als Inhaber eines Heißmangelbetriebes ausgewirkt hat, dann hat er insoweit die DVO 1964 unrichtig angewendet und damit einen von Anfang an unrichtigen Bescheid erlassen, § 62 BVG setzt aber voraus, daß der Bescheid, um dessen Neufeststellung es geht; zunächst richtig gewesen und erst später durch eine Änderung der Verhältnisse, sei es der tatsächlichen oder der rechtlichen, unrichtig geworden ist. Eine Änderung von Anfang an unrichtiger Bescheide ist nach § 62 BVG nicht zulässig (Urteil des BSG vom 9.4.1970 - S RV 445/69 -). Hier könnte allenfalls § 41 Verwaltungsverfahrensgesetz (VerwVG) eingreifen. Ob dessen Voraussetzungen im vorliegenden Fall gegeben sind, kann offen bleiben, da der angefochtene Bescheid schon deshalb nicht darauf gestützt werden kann, weil eine vorherige Zustimmung des Landesversorgungsamtes nicht erteilt wurde. Daß dieses den Widerspruch der Klägerin zurückgewiesen hat, heilt jenen Mangel nicht (vgl. BSG SozR VerwVG § 41 Nr. 17).

Die Neufeststellung kann auch nicht auf § 13 Abs. 1 LVO 1968 gestützt werden. Danach werden die bisher gewährten Berufsschadensausgleiche und Schadensausgleiche von Amts wegen neu festgestellt, soweit sie durch die DVO 1968 eine Änderung erfahren haben. Eine Änderung in diesem Sinn liegt hier aber nicht vor, weil - wie dargelegt - die Regelung des § 5 Abs. 1 Satz 3 DVO 1968 bereits im zeitlichen Geltungsbereich der DVO 1964 zu beachten war. Die Voraussetzungen des § 13 Abs. 1 DVO 1968 sind daher hier nicht erfüllt. Im übrigen wäre ein Regelungsinhalt dergestalt, daß § 13 DVO 1968 eine Ergänzung zu § 62 BVG darstellte, durch die Ermächtigung des § 30 Abs. 7 BVG nicht gedeckt, worauf auch der 8. Senat des BSG in dem zitierten Urteil vom 29. September 1970 bereits ausdrücklich hingewiesen hat.

Die Revision ist daher begründet; das angefochtene Urteil mußte aufgehoben werden. Es war gemäß dem Revisionsantrag der Klägerin zu erkennen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1670068

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