Entscheidungsstichwort (Thema)

Wiederaufleben einer Witwenrente

 

Leitsatz (amtlich)

Zur Anrechnung erstatteter Prämien aus einem Leibrentenversicherungsvertrag in Gestalt einer Altersrente ohne Hinterbliebenenversorgung, jedoch unter Mitversicherung einer Prämienrückgewähr, falls der Versicherte den Beginn der Altersrente nicht erlebt.

 

Normenkette

AVG § 68 Abs. 2 S. 1 Hs. 2; RVO § 1291 Abs. 2 S. 1 Hs. 2

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten werden das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 23. März 1973 sowie das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 21. September 1972 aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I.

Die Klägerin hatte von der Beklagten aus der Versicherung ihres im letzten Kriege gefallenen ersten Ehemannes Witwenrente bezogen. Am 29. November 1951 heiratete sie den Kaufmann Heinrich-Ludwig R. Dieser schloß am 15. November 1966 im Alter von 71 Jahren mit der G Lebensversicherung auf Gegenseitigkeit in G einen Vertrag über eine Leibrentenversicherung in Gestalt einer Altersrente ohne Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung. Danach sollte ihm vom 1. Dezember 1973 ab eine Jahresrente von 4.295,20 DM gezahlt werden oder auf entsprechendes Verlangen eine Kapitalabfindung von 36.484,- DM. Der Beitrag für diese Versicherung betrug 5.000,- DM jährlich. Mitversichert wurde die Rückgewähr von fällig gewordenen Beiträgen, d.h., wenn H.-L. R vor dem 1. Dezember 1973 sterben sollte, war die Summe der fällig gewordenen Beiträge zurückzuzahlen. Als Empfangsberechtigte hierfür bestimmte der Versicherte die Klägerin, um für diese eine Rücklage zu schaffen.

Am 31. Januar 1971, also noch vor dem vorgesehenen Beginn der Altersrentenzahlung, ist H.-L. R gestorben. Deshalb zahlte die G Lebensversicherung nach seinem Tode die inzwischen geleisteten Jahresbeiträge in Höhe von 25.000,- DM sowie ein Ansammlungsguthaben einschließlich Zinsen von 1.127,30 DM, insgesamt also 26.127,30 DM, an die Klägerin aus.

Mit Bescheid vom 23. November 1971 erkannte die Beklagte das Wiederaufleben der Witwenrente aus der ersten Ehe der Klägerin an. Sie rechnete dabei jedoch aufgrund des letzten Halbsatzes in § 68 Abs. 2 Satz 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) den ausgezahlten Betrag mit monatlich 170,- DM an und kürzte die Rente dementsprechend. Hiergegen wandte sich die Klägerin mit der Begründung, daß es sich bei der ausgezahlten Summe lediglich um eine Beitragsrückerstattung handele und nicht um einen anrechnungsfähigen und anrechnungspflichtigen Versorgungs- oder Rentenanspruch.

Das Sozialgericht (SG) Duisburg hat die Beklagte antragsgemäß in Abänderung ihres Bescheides vom 23. November 1971 verurteilt, die wiederaufgelebte Witwenrente ohne Anrechnung der aufgeführten 170,- DM monatlich auszuzahlen. Die Berufung der Beklagten ist erfolglos geblieben. In seinem Urteil vom 23. März 1973 führte das Landessozialgericht (LSG) für das Land Nordrhein-Westfalen aus, H.-L. R habe nur für sich selbst einen Rentenvertrag geschlossen, nicht aber für die Klägerin, obwohl dies ohne weiteres möglich gewesen wäre. Weil nur seine Alters-Leibrente versichert gewesen sei, habe er - und nur so sei dies überhaupt möglich gewesen - die Rückgewähr von fälligen Beiträgen mitversichert, vgl. § 1 vor A Satz 3 und § 1 D der Allgemeinen Versicherungsbedingungen der Leibrentenversicherung (AVBL). Und nur für die Rückzahlung dieser Beiträge und der evtl. angesammelten Überschußanteile habe er für den Fall seines Vorversterbens die Klägerin als Bezugsberechtigte eingesetzt. Damit habe nicht deren künftiger Lebensunterhalt ganz oder teilweise gesichert werden sollen, vielmehr sei nur die Beitragsrückgewähr und das Ansammlungsguthaben dem Zugriff der leiblichen Kinder entzogen und der Klägerin zugewendet worden. Ein solcher Fall werde nicht von § 68 Abs. 2 Satz 1 AVG erfaßt.

Das LSG hat die Revision zugelassen. Die Beklagte hat dieses Rechtsmittel eingelegt mit den Antrage,

das Urteil des LSG vom 23. März 1973 sowie das Urteil des SG Duisburg vom 21. September 1972 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Gerügt wird unrichtige Anwendung des § 68 AVG. Die Auffassung des LSG stimme nicht mit der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung überein.

Die Klägerin beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Ihr habe lediglich ein Anspruch auf Rückzahlung fällig gewordener Beiträge wegen Nichterfüllung des Leibrentenvertrages zugestanden, falls ihr Ehemann, der den Versicherungsvertrag zu seiner Versorgung abgeschlossen habe, vorher sterben sollte. Einen neuen Versorgungs-, Unterhalts- oder Rentenanspruch habe sie damit infolge des Todes ihres zweiten Ehemannes nicht erworben.

II.

Die Revision der Beklagten ist begründet. Der Auffassung der Vorinstanzen kann nicht gefolgt werden.

Hat sich eine Witwe wieder verheiratet und deshalb ihre bisherige Witwenrente verloren und wird die neue Ehe aufgelöst oder für nichtig erklärt, so lebt nach § 68 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 AVG (= § 1291 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 der Reichsversicherungsordnung - RVO -) der Anspruch auf Witwenrente wieder auf; nach § 68 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 AVG ist ein von der Witwe "infolge Auflösung der Ehe erworbener neuer Versorgungs-, Unterhalts- oder Rentenanspruch" auf die Witwenrente anzurechnen. Entsprechende Bestimmungen finden sich ua in § 615 Abs. 2 Satz 2 RVO sowie in § 44 Abs. 5 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG).

Versorgungsansprüche sind in erster Linie Ansprüche auf beamtenrechtliche oder beamtenähnliche Versorgung und Ansprüche nach dem BVG, Unterhaltsansprüche vor allem solche, die sich aufgrund der Vorschriften des Ehegesetzes ergeben oder auf Unterhaltsurteilen beruhen, aber auch vertraglich vereinbarte. Rentenansprüche sind vorwiegend Renten aus den gesetzlichen Rentenversicherungen und aus der Unfallversicherung. Zu den Versorgungs- und Rentenansprüchen gehören aber nicht nur solche öffentlich-rechtlicher Natur, sondern zB auch solche, die auf privat-rechtlicher Grundlage beruhen, insbesondere aufgrund eines entsprechenden Lebensversicherungsvertrages bestehen, vgl. BSG 25, 262, 264. Dabei ist im übrigen unerheblich, ob es sich um eine laufende und wiederkehrende Leistung handelt oder um eine einmalige. Das war bereits in den Verwaltungsvorschriften vom 9. August 1956 zu § 44 BVG idF des 5. Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des BVG vom 6. Juni 1956 (BGBl I 463) anerkannt, der erstmals das Wiederaufleben des Anspruches auf Witwenrente bei Auflösung der zweiten Ehe vorsah und auch bereits die Anrechnungspflicht infolge der Auflösung oder Nichtigerklärung der neuen Ehe erworbener Versorgungs-, Renten- oder Unterhaltsansprüche anordnete. Dort hieß es in Nr. 7 zu § 44 BVG, daß als solche Ansprüche gelten "alle Ansprüche auf Leistungen, die laufend oder einmalig zu gewähren sind ohne Rücksicht darauf, ob sie auf gesetzlicher Vorschrift oder Vertrag beruhen; bei einmaligen Leistungen ist der Betrag als Versorgung oder Unterhaltsleistung anzurechnen, der sich aus dieser einmaligen Leistung als monatlicher Rentenbetrag ergeben würde". Später ist diese Regelung ergänzt und verbessert worden. In den Verwaltungsvorschriften vom 26. Juni 1969 zu § 44 BVG derzeitiger Fassung wird insbesondere unter Nr. 6 bestimmt, daß bei einmaligen Leistungen zur Feststellung des anzurechnenden Monatsbetrages das im Versicherungswesen für die Verrentung des Kapitals übliche Verfahren angewandt werden kann, das auf das Lebensalter und die Sterblichkeitswahrscheinlichkeit der Berechtigten abgestellt ist. Für § 1291 Abs. 2 RVO und § 68 AVG wird keine andere Auffassung vertreten. Danach ist auch hier die Anrechnung von einmaligen Leistungen möglich, vgl. ua VerbKomm. § 1291 RVO Anm. 11.

Allerdings muß sich die Witwe nicht alle aus der Auflösung der neuen Ehe erworbenen Vorteile anrechnen lassen, also zB ua nicht solche, die sie aufgrund einer Erbschaft oder eines Vermächtnisses erhält, wenn sie weder Versorgungs-, Renten- oder Unterhaltscharakter tragen, vgl. Wilke/Wunderlich, BVG, 4. Aufl § 44 Anm. III 2. Dagegen ist zweifelhaft, ob grundsätzlich alle Ansprüche aufgrund von entsprechenden Lebens- bzw. Unfallversicherungsverträgen der Ehegatten anzurechnen sind oder nur solche, die als "adäquat kausal" zu bezeichnen sind, wie dies zB Bürkle in der Rentenversicherung 1966, 128 vorschlägt, der dazu sogar noch grundsätzlich die Auffassung vertritt, daß die oben wiedergegebenen Vorschriften zwar eine Doppelversorgung vermeiden sollten, aber doch wohl nicht bezweckten, eine Rente insoweit nicht zu gewähren, als aufgrund privaten Aufwands das finanzielle Risiko verringert worden sei (ähnlich Mösch in Sozialversicherung 1969, 36 ff, insbesondere S. 40 unter II 3 c). Solche oder entsprechende Einschränkungen werden jedoch überwiegend mit Recht als zu weitgehend abgelehnt, vgl. ua Trolldenier, Das Wiederaufleben von W-Renten, Mitt. LVA Rheinprovinz 1971, 350 ff, 388 ff, 395. Eine dahingehende Auffassung würde den subsidiären Charakter der wiederauflebenden Witwenrente verkennen. Im Urteil des 10. Senats des Bundessozialgerichts (BSG) vom 11. November 1966 (BSG 25, 262) wird zutreffend ausgeführt, die Anrechnung der aus privaten Lebensversicherungsverträgen erworbenen Ansprüche rechtfertigt sich aus der subsidiären Natur der wiederauflebenden Witwenrente, die allein eine nach Auflösung der zweiten Ehe noch bestehende Versorgungslücke schließen soll (aaO S. 264). Dieser Auffassung hat sich der 9. Senat des BSG angeschlossen (9 RV 490/70 vom 16. 5. 1972). Ihr ist auch für die Rentenversicherung zuzustimmen. Hier ist ebenfalls die Witwenrente eine grundsätzlich nur hilfsweise zu gewährende Leistung, wie sich aus der vorgeschriebenen Anrechnungspflicht ergibt (BSG 30, 220). Wie in BSG 33, 280, 284 ausgeführt ist, soll die Möglichkeit des Wiederauflebens einer Witwenrente unerwünschten Rentenkonkubinaten entgegenwirken und als Anreiz für das Eingehen einer neuen Ehe wirken. Die Witwe soll deshalb bei einer Auflösung ihrer zweiten Ehe im Ergebnis materiell wieder so gestellt werden, wie sie stehen würde, wenn sie nicht ein zweites Mal geheiratet hätte (BSG 30, 222). Dieser Zweck läßt ein unbeschränktes Wiederaufleben der Witwenrente nur dann zu, wenn die geschiedene Frau aus der zweiten Ehe nichts zur Sicherung ihrer Versorgung erhält.

Unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte kann das Ergebnis der Vorinstanzen nicht gebilligt werden. Der der Klägerin zugeflossene Betrag von 26.127,30 DM beruht auf einem von ihrem zweiten Ehemann abgeschlossenen Versicherungsvertrag, der allerdings grundsätzlich nur eine Leibrentenversicherung für ihn selbst vorsah, daneben aber auch die Mitversicherung der Rückgewähr der fällig gewordenen Beiträge enthielt, sofern der Versicherte den Beginn der Altersrente nicht erlebte, und hierfür war die Klägerin als Bezugsberechtigte bestimmt worden. Dabei muß hier auf den tatsächlichen Ablauf der Ereignisse abgestellt werden und nicht darauf, was der Fall gewesen wäre, wenn der Versicherte den vorgesehenen Beginn der Altersrente erlebt hätte. Danach kann nicht zweifelhaft sein, daß die Klägerin den ihr zugeflossenen Betrag insoweit aufgrund eines Versicherungsvertrages im Zusammenhang mit der Auflösung ihrer zweiten Ehe durch den Tod ihres Ehemannes erhalten hat. Es lag also nicht nur, wie die Klägerin meint, eine Rückzahlung wegen Nichterfüllung des Leibrentenvertrages vor, sondern eine echte Versicherungsleistung. Das angesammelte Kapital sollte nach den Feststellungen des LSG nicht in den Nachlaß fallen, d.h. dem Zugriff der Kinder entzogen werden und statt dessen der Ehefrau des Versicherten zukommen.

Unerheblich ist, inwieweit zur Zeit des Vertragsabschlusses damit ihre Versorgung nach dem Tode ihres Ehemannes sichergestellt werden sollte und konnte. Das wäre wesentlich von dem nicht vorhersehbaren Umstand abhängig gewesen, wann der Versicherte sterben würde. Jedenfalls handelte es sich um einen beachtlichen Betrag, der der Klägerin aus Anlaß der Auflösung ihrer zweiten Ehe durch den Tod ihres neuen Ehemannes zugeflossen ist und der im Ergebnis jedenfalls teilweise der Sicherung ihres Lebensunterhalts dient. Es ist kein Grund ersichtlich, ihr diesen Vermögensvorteil nicht in der von der Beklagten vorgenommenen Art auf die Witwenrente anzurechnen. Es kann nicht angehen, Zufälligkeiten der gewählten rechtlichen Konstruktion und der Vertragsgestaltung im einzelnen über die Anrechnungspflicht entscheiden zu lassen, wenn wirtschaftlich das Ergebnis das gleiche ist wie bei den sonst üblichen und unzweifelhaft anrechnungspflichtigen Leistungen aus Lebensversicherungsverträgen. Das Wiederaufleben der Witwenrente soll die Witwe nicht besserstellen, als wenn sie die neue Ehe nicht geschlossen und aus ihr keine Sicherung des Lebensunterhalts erworben hätte (BSG 34, 103, 105 für § 44 Abs. 5 BVG). Die Klägerin würde sich aber wesentlich besserstellen, wenn sie die ungekürzte Witwenrente neben dem ihr zugeflossenen Betrag behalten dürfte.

Nach alledem war unter Aufhebung der ergangenen Vorentscheidung die Klage gegen den Bescheid vom 23. November 1971 als unbegründet abzuweisen, da gegen die Berechnung des anzurechnenden Monatsbetrages im übrigen nichts einzuwenden ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1646881

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