Leitsatz (amtlich)
Ein Kraftradfahrer ist auch bei Nachtfahrten erst bei einem Blutalkoholgehalt von 1,3 0/00 absolut, das heißt unabhängig von sonstigen Beweisanzeichen, fahruntüchtig (Weiterführung BSG 1960-06-30 2 RU 86/56 = SozR Nr 28 zu § 543 RVO).
Normenkette
RVO § 542 Abs. 1 Fassung: 1942-03-09
Tenor
Das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 6. Mai 1958 wird mit den ihm zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen.
Gründe
I
Der Kläger erlitt am 24. September 1955 gegen 19.30 Uhr auf der Fahrt mit seinem Kraftrad einen Unfall. Er fuhr auf einer knapp 7 m breiten Straße am Ortseingang von B/Hessen gegen einen Personenkraftwagen, der von einem amerikanischen Soldaten gesteuert wurde. Dieser Wagen war von der Stadt her gekommen und nach dem Überqueren der Straße in einen Seitenweg eingebogen; er ragte aber noch 70 cm in die Hauptstraße herein, als der Kläger mit erheblicher Geschwindigkeit auf den hinteren rechten Kotflügel des Wagens auffuhr und nach links abprallte. Das Kraftrad kam an dem gegenüber liegenden Bordstein zum Sturz; der Kläger wurde über die Lenkstange hinweg 8 m weit auf die Straße geschleudert. Er trug schwere Verletzungen davon, die vor allem zum Verlust des rechten Fußes führten. Dieser mußte im Unterschenkel abgesetzt werden. Die Operation wurde unter Evipan - und Äthernarkose durchgeführt. Eine anschließend - gegen 22.00 Uhr - entnommene Blutprobe wies nach der Auswertung im Institut für gerichtliche und soziale Medizin der Universität F einen Blutalkoholwert von 1,11 0 / 00 auf. Der Kläger hatte am Tage Apfelwein getrunken.
Den Entschädigungsanspruch aus der gesetzlichen Unfallversicherung lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 22. November 1955 mit der Begründung ab, der Kläger sei auf der zum Unfall führenden Fahrt nicht zu geschäftlichen Zwecken unterwegs gewesen und habe daher nicht unter Versicherungsschutz gestanden.
Die Klage hiergegen ist erfolglos geblieben. Nachdem das Sozialgericht (SG.) Gießen über den Zweck der Fahrt Zeugenbeweis erhoben hatte, hat die Beklagte ihren Klagabweisungsantrag zusätzlich damit begründet, daß der Kläger im Zeitpunkt des Unfalls infolge Alkoholbeeinflussung fahruntüchtig gewesen sei. Das SG. hat in seinem klagabweisenden Urteil vom 15. Januar 1957 die Frage unentschieden gelassen, ob der Kläger wesentlich zu geschäftlichen Besprechungen unterwegs war, als er verunglückte, und den Versicherungsschutz mit folgender Begründung versagt: Der Kläger sei infolge Alkoholgenusses fahruntüchtig gewesen. Nach einer Mitteilung des Instituts für gerichtliche und soziale Medizin der Universität Frankfurt/Main an die Polizeiverwaltung in Büdingen vom 28. September 1955 habe er im Zeitpunkt des Unfalls 1,41 0 / 00 Blutalkoholgehalt gehabt. Da ein Kraftradfahrer schon bei einer Blutalkoholkonzentration (BAK.) von 1,3 0 / 00 absolut fahruntüchtig sei, habe die zum Unfall führende Fahrt des Klägers nicht mehr mit seiner betrieblichen Tätigkeit in rechtlich erheblichem Zusammenhang gestanden.
Im Berufungsverfahren ist von dem erwähnten Institut für gerichtliche und soziale Medizin ein eingehendes Gutachten über die Rückrechnung der BAK. auf den Unfallzeitpunkt eingeholt worden. Danach hat in diesem Zeitpunkt der Blutalkoholgehalt des Klägers entgegen dem höheren Ergebnis der ursprünglichen, nur vorläufigen Berechnung weniger als 1,2 0 / 00 betragen, sicherlich aber nicht unter 1,1 0 / 00 gelegen. Durch Urteil vom 6. Mai 1958 hat das Landessozialgericht (LSG.) die Berufung zurückgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Auf Grund des Ergebnisses der Beweisaufnahme vor dem SG. stehe fest, daß der Kläger wesentlich zu geschäftlichen Zwecken unterwegs gewesen sei. Den dadurch an sich begründeten Versicherungsschutz habe er aber durch Alkoholeinfluß verloren. Er sei, wie die einwandfrei festgestellte BAK. im Zeitpunkt des Unfalls ergeben habe, infolge Alkoholeinwirkung fahruntüchtig gewesen. Bei Unfällen zur Nachtzeit sei die absolute Fahruntüchtigkeit schon bei einem niedrigeren Grenzwert als 1,3 0 / 00 Blutalkoholgehalt anzunehmen; dieser Grenzwert werde jedenfalls mit 1,1 0 / 00 erreicht. Die alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit des Klägers ergebe sich auch aus seiner Fahrweise. Der Zusammenstoß hätte vermieden werden können, wenn der Kläger das Fahrthindernis rechtzeitig hätte bemerken können und noch in der Lage gewesen wäre, richtig zu reagieren. Dazu sei er bei seiner hohen Geschwindigkeit von 80 bis 90 km/Std. aber wegen seines alkoholbeeinflußten Verhaltens nicht mehr imstande gewesen. Der Versicherungsschutz entfalle daher ohne Rücksicht auf den ursächlichen Zusammenhang zwischen dem Unfall und der Alkoholwirkung. Abgesehen davon sei der Unfall aber auch durch die Fahruntüchtigkeit des Klägers herbeigeführt worden; in der auf Alkoholbeeinflussung zurückzuführenden leichtsinnigen Fahrweise habe wahrscheinlich die wesentliche Unfallursache gelegen.
Das LSG. hat die Revision zugelassen, weil die Frage, ob bei Kraftradfahrern die absolute Fahruntüchtigkeit zur Nachtzeit bei einem unter 1,3 0 / 00 liegenden Blutalkoholgehalt anzunehmen sei, grundsätzliche Bedeutung habe.
Gegen das Urteil, das am 24. Mai 1958 zugestellt worden ist, hat der Kläger bereits am 10. Mai 1958 Revision eingelegt und sie gleichzeitig sowie mit weiteren Schriftsätzen, zuletzt vom 11. August 1960, begründet. Die Revision bringt vor: Das LSG. habe den Begriff des Arbeitsunfalls verkannt. Es komme nicht nur auf den Blutalkoholgehalt an, sondern auch darauf, ob bei gleichem Unfallgeschehen ein nüchterner Kraftfahrer denselben Unfall erleide wie ein unter Alkohol stehender Fahrer. Das LSG. habe daher zu Unrecht nicht den genauen Unfallkomplex festgestellt; der Unfall sei dadurch entstanden, daß der Kraftwagen rückwärts aus dem Nebenweg auf die Hauptstraße herausgestoßen sei und den Kläger auf der rechten Straßenseite angefahren habe. Wenn das LSG. lediglich darauf abstelle, der Kläger sei infolge Alkoholeinflusses fahruntüchtig gewesen, hätte es folgerichtig seinen Blutalkoholgehalt genau und nicht nur nach Annäherungswerten feststellen müssen; außerdem wäre zu prüfen gewesen, ob er unter Berücksichtigung seiner Konstitution durch die Alkoholbeeinflussung tatsächlich fahruntüchtig war. Das LSG. hätte beachten müssen, daß der hohe Blutalkoholgehalt, der nicht von dem Genuß des gespritzten Apfelweins habe herrühren können, wesentlich durch die Narkosemittel Evipan und Äther bedingt worden sei.
Der Kläger beantragt,
unter Aufhebung der Urteile des SG. Gießen vom 15. Januar 1957 und des Hessischen LSG. vom 6. Mai 1958 die Beklagte zur Zahlung einer angemessenen Unfallrente zu verurteilen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie nimmt auf die Ausführungen des angefochtenen Urteils Bezug.
II
Die durch Zulassung statthafte Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Die Rechtsmittelschrift war zwar bereits vor der Zustellung des Urteils beim Bundessozialgericht (BSG.) eingegangen; dies steht jedoch der Wirksamkeit der Revisionseinlegung nicht entgegen (vgl. RGZ. 112 S. 167; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, Bd. I, S. 250 y; Peters-Sautter-Wolff, Komm. zur Sozialgerichtsbarkeit, 2. Aufl., 5. Nachtrag, § 151 SGG Anm. 2 S. III/73). Die Revision ist somit zulässig. Sie ist auch begründet.
Das LSG. hat festgestellt, daß der Kläger auf der zum Unfall führenden Fahrt zu Besprechungen mit Geschäftskunden über Bauvorhaben unterwegs war und daß er nur bei Gelegenheit dieser Fahrt seine Braut besuchen wollte. Diese Feststellung ist von der Beklagten nicht beanstandet worden. Von der Annahme des LSG., daß die Unfallfahrt wesentlich geschäftlichen Zwecken diente und demzufolge geeignet war, den Versicherungsschutz für den Kläger zu begründen, ist daher unbedenklich auszugehen. Dagegen konnte der Auffassung des LSG., der Kläger habe den Versicherungsschutz dadurch verloren, daß er im Zeitpunkt des Unfalls mit einer BAK. von mindestens 1,1 0 / 00 infolge Alkoholeinwirkung fahruntüchtig, d.h. nicht in der Lage gewesen sei, sein Kraftrad verkehrssicher zu führen, nicht beigetreten werden.
Zwar hat das LSG. mit Recht die Grenze der absoluten Fahruntüchtigkeit für Kraftradfahrer niedriger gezogen als diejenige für Kraftwagenfahrer. Wie der erkennende Senat in seinem Urteil vom 30. Juni 1960 - 2 RU 86/56 - ausgeführt hat, werden an Kraftradfahrer im Straßenverkehr erheblich höhere Anforderungen gestellt als an Kraftwagenfahrer. Dies beruht vor allem auf dem Erfordernis, das Kraftrad nicht nur zu lenken, sondern auch im Gleichgewicht zu halten, ferner auf dem höheren Beschleunigungsvermögen eines Kraftrades bei verlängertem Bremsweg und auf der Beschaffenheit der Lenkeinrichtung, die schon bei geringfügiger Fehlleistung in der Führung eine erhebliche Änderung der Fahrtrichtung auslöst. Der Senat ist deshalb in Übereinstimmung mit dem Bundesgerichtshof (NJW. 1959 S. 1046 und 1047) und der herrschenden Meinung im Schrifttum zu dem Ergebnis gelangt, daß ein Kraftradfahrer nicht erst wie der Kraftwagenfahrer bei einem Blutalkoholgehalt von 1,5 0 / 00 , sondern schon bei einem solchen von 1,3 0 / 00 absolut fahruntüchtig ist.
Es erscheint jedoch entgegen der Auffassung des LSG. nicht gerechtfertigt, bei Nachtfahrten von Kraftradfahrern die Grenze der absoluten Fahruntüchtigkeit noch weiter herabzusetzen. Dem LSG. ist zwar darin zuzustimmen, daß in der Regel bei Dunkelheit besondere Anforderungen an die Konzentrationsfähigkeit des Kraftfahrers gestellt werden. Mit Recht hat es auf die vermehrten Schwierigkeiten hingewiesen, die bei Nachtfahrten die fahrtechnische Handhabung eines Motorrades mit sich bringt. Diese Hinweise hat Ponsold in seinem Lehrbuch der gerichtlichen Medizin (2. Aufl. S. 267) verdeutlicht. Danach benötigt der Kraftradfahrer zur Aufrechterhaltung des Gleichgewichts optische Anhaltspunkte, die ihm die Beleuchtung seines Fahrzeuges nicht in ausreichendem Maße schaffen kann. Die um die Hälfte schwächere Ausleuchtung der Fahrbahn bei nur einem Scheinwerfer verringert die Wahrnehmungszeit und erhöht die Blendgefahr bei Begegnung mit beleuchteten Kraftwagen. Andererseits ist jedoch nicht zu verkennen, daß nachts erfahrungsgemäß mancherlei Verkehrsschwierigkeiten, die auch bei Tage gemeistert werden müssen, in ihrer die Fahrsicherheit beeinträchtigenden Wirkung an Bedeutung zurücktreten. Der nächtlicherweile stillere Verkehr sowie die Möglichkeit, begegnende und die Fahrbahn kreuzende Fahrzeuge infolge deren Scheinwerferlichts schon von weitem zu erkennen, schaffen sogar erhebliche Verkehrserleichterungen. Die Sicherung von Kurven durch Rückstrahler und ähnliche auffallende Markierungen sowie die moderne Straßenbeleuchtung innerhalb städtischer Siedlungen gleichen beim nächtlichen Fahren allgemein die Sichtbehinderung weitgehend aus. Es kann jedenfalls für den Kraftfahrer in nicht seltenen Fällen auch nachts Verkehrssituationen geben, welche sich von denjenigen, die bei Tage auftreten, hinsichtlich der Verkehrssicherheit nicht wesentlich unterscheiden. Daher ist der erkennende Senat der Auffassung, daß ein Kraftradfahrer auch bei Nachtfahrten erst bei einem Blutalkoholgehalt von 1,3 0 / 00 fahruntüchtig ist. Diese Auffassung wird auch vom Bundesgerichtshof mit dem Hinweis vertreten, daß den besonderen Schwierigkeiten, die beim Fahren im Dunkeln auftreten, durch Ermittlung der Fahruntüchtigkeit im Einzelfall am besten Rechnung getragen werden könne (vgl. BGH. a.a.O. S. 1047 re.Sp.).
Da der Blutalkoholgehalt des Klägers nach den vom LSG. getroffenen, das Revisionsgericht insoweit bindenden Feststellungen (§ 163 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) im Zeitpunkt des Unfalls weniger als 1,3 0 / 00 betrug, war der Kläger nicht ohne weiteres fahruntüchtig. Das LSG. hat allerdings den Ausschluß des Versicherungsschutzes nicht allein auf die Annahme der absoluten Fahruntüchtigkeit des Klägers gestützt; vielmehr hat es auch aus sonstigen Beweisanzeichen geschlossen, daß er nicht mehr fähig gewesen sei, sein Motorrad verkehrssicher zu führen. Es hat festgestellt, daß der Kläger infolge Alkoholeinwirkung im Zeitpunkt des Unfalls relativ fahruntüchtig gewesen sei, weil er den vor ihm einbiegenden Kraftwagen zu spät bemerkt, deshalb seine hohe Fahrtgeschwindigkeit nicht rechtzeitig herabgesetzt habe und im Augenblick der vermeintlichen Gefahr nicht imstande gewesen sei, durch Ausweichen nach links richtig zu reagieren.
Ob die Revision diese Feststellungen angreifen will, ist ihrem Vorbringen nicht eindeutig zu entnehmen. Daß der Kläger im Zeitpunkt des Unfalls überhaupt unter Alkoholeinfluß gestanden habe, stellt er selbst nicht in Abrede. Er wendet sich insoweit nur gegen die Richtigkeit der mit 1,1 0 / 00 ermittelten BAK. und weist hierzu lediglich auf die Möglichkeit fehlerhafter Blutalkoholbestimmungen im allgemeinen hin, ohne substantiiert darzulegen, inwiefern im vorliegenden Falle ein unrichtiger Blutalkoholwert festgestellt worden sei. Hierin ist kein den gesetzlichen Formerfordernissen des § 164 Abs. 2 Satz 2 SGG genügender Revisionsangriff zu erblicken. Gegen die Feststellung der BAK. von mindestens 1,1 0 / 00 bestehen daher keine Bedenken. Soweit sich die Revision dagegen wendet, daß das LSG. die alkoholbedingte - relative - Fahruntüchtigkeit des Klägers aus seiner Fahrweise zur Unfallzeit hergeleitet hat, könnte in dem schriftsätzlichen Vorbringen vom 11. August 1960 eine schlüssig begründete Verfahrensrüge im Sinne der §§ 103, 128 SGG enthalten sein. Denn der Kläger macht geltend, das LSG. sei nicht darauf eingegangen, daß sich der Unfall auch ohne Rücksicht auf die BAK. des Klägers ereignet hätte, weil der Kraftwagenfahrer sein Fahrzeug aus einem Seitenweg rückwärts auf die Hauptstraße hinausgestoßen habe, ohne auf den Verkehr zu achten, und deshalb den Unfall durch verkehrswidriges Verhalten verursacht habe. Es kann indessen dahingestellt bleiben, ob es sich bei diesem Vorbringen um eine wirksame Verfahrensrüge handelt. Wenn dies der Fall wäre und die Rüge noch berücksichtigt werden dürfte, obwohl sie erst nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist erhoben worden ist, wäre die Feststellung der relativen Fahruntüchtigkeit des Klägers fehlerhaft zustande gekommen, und es hätte schon deswegen die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das LSG. zurückverwiesen werden müssen. Läge hingegen insoweit kein wirksamer Revisionsangriff vor, wäre also die Feststellung der relativen Fahruntüchtigkeit im Zeitpunkt des Unfalls für das Revisionsgericht im Sinne des § 163 SGG bindend, so müßte auch in diesem Falle die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden, da der festgestellte Sachverhalt nicht ausreicht, schon jetzt zu einer abschließenden Entscheidung über die Entschädigungsansprüche des Klägers zu gelangen. Für die Versagung der Entschädigungsleistung aus der gesetzlichen Unfallversicherung genügt nach der neueren Rechtsprechung des erkennenden Senats nicht allein die Feststellung, daß der Kraftfahrer im Zeitpunkt des Unfalls infolge Alkoholbeeinflussung fahruntüchtig war. Die frühere Auffassung des Senats (BSG. 3 S. 116 ff.), daß der durch Alkoholeinfluß fahruntüchtige Kraftfahrer ohne Rücksicht auf sein Verhalten im einzelnen den ursächlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit verloren habe, bedeutete, wie in dem oben angeführten Urteil vom 30. Juni 1960 näher ausgeführt ist, eine Überbewertung der bei Fahruntüchtigkeit bestehenden Alkoholbeeinflussung. Wer infolge Alkoholbeeinflussung sein Fahrzeug nicht mehr verkehrssicher führen, aber immerhin noch fahren kann, ist einem arbeitsunfähigen Versicherten - etwa im Zustand des Vollrausches - rechtlich nicht gleichzustellen. Die Fahruntüchtigkeit infolge Alkoholgenusses ist ein Zustand, der zwar eine bestimmte Gefahr in sich birgt, die jedoch nicht notwendig zur Auswirkung kommen muß. Bei einer solchen Alkoholbeeinflussung kann der Zusammenhang zwischen der Tätigkeit und dem Unternehmen noch hergestellt und aufrechterhalten werden, so daß die Verhaltensweise des Kraftfahrers trotz seiner Trunkenheit noch der versicherten Tätigkeit zugerechnet werden muß. Es fehlt jedoch an dem als Voraussetzung für die Entschädigung aus der gesetzlichen Unfallversicherung erforderlichen ursächlichen Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Unfallereignis, wenn die Fahruntüchtigkeit infolge Alkoholbeeinflussung, die mit dem Unternehmen bzw. der versicherten Tätigkeit nicht zusammenhängt, für den Eintritt des Unfalls die einzige rechtlich erhebliche Ursache im Sinne der im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung herrschenden Kausallehre gewesen ist. Es muß also auf Grund der getroffenen tatsächlichen Feststellungen die Annahme gerechtfertigt sein, daß die alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit die unternehmensbedingten Umstände derart in den Hintergrund gedrängt hat, daß diese als rechtlich nicht wesentliche Mitursache für die Frage der Verursachung unberücksichtigt bleiben müssen. Als rechtlich allein wesentliche Ursache ist die alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit gegenüber den betriebsbedingten Umständen dann zu werten, wenn nach der Erfahrung des täglichen Lebens davon auszugehen ist, daß der Verkehrsteilnehmer ohne Alkoholbeeinflussung bei gleicher Sachlage wahrscheinlich nicht verunglückt wäre. Unter diesen in der angeführten Entscheidung des erkennenden Senats entwickelten rechtlichen Gesichtspunkten hat das LSG., das den Unfallversicherungsschutz auch wegen der Verursachung des Unfalls durch die Alkoholbeeinflussung des Klägers verneint hat, den Sachverhalt nicht geprüft. Der in dem angefochtenen Urteil festgestellte Sachverhalt reicht zur Beantwortung der Frage nicht aus, ob die alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit des Klägers die allein rechtlich wesentliche Ursache seines Unfalls war. Das LSG. hat von sich aus keine Feststellungen darüber getroffen, ob der Kraftwagen, auf den der Kläger aufgefahren ist, sich zu diesem Zeitpunkt noch bewegte, insbesondere ob er nach rückwärts fuhr. Es ist auch nicht festgestellt, ob, wenn dies nicht zutrifft, der Fahrer dieses Kraftwagens Maßnahmen, wie z.B. die Betätigung des Bremslichtes oder die Einschaltung eines Rückscheinwerfers, getroffen hat, die beim Kläger den Eindruck erwecken konnten, der Wagen wolle zurückstoßen. In diesem Falle wäre zu prüfen, ob der Kläger den Unfall auch in nüchternem Zustand wahrscheinlich nicht hätte vermeiden können.
Da somit noch tatsächliche Feststellungen zu treffen sind, konnte das BSG. in der Sache nicht selbst entscheiden. Es bedurfte daher der Zurückverweisung an die Vorinstanz (§ 170 Abs. 2 SGG).
Über die Kosten des Verfahrens wird im abschließenden Urteil zu entscheiden sein.
Fundstellen
BSGE, 13 |
NJW 1960, 2263 |
MDR 1960, 960 |