Entscheidungsstichwort (Thema)

Ersatzzeitanrechnung bei Auslandsaufenthalt. Umfang der Sachaufklärungspflicht

 

Orientierungssatz

1. Verhindert an der Rückkehr aus dem Ausland iS von § 1251 Abs 1 Nr 3 RVO war der versicherte Nichtkriegsteilnehmer nur dann, wenn er den ernsthaften Willen gehabt hat, während oder nach Beendigung des Krieges in das Inland zurückzukehren. Ein solcher Wille wird nicht schon damit nachgewiesen, daß der Versicherte - ein seit 1923 in Argentinien lebender Deutscher - sich bei Kriegsbeginn bei der dortigen Deutschen Botschaft gemeldet hat (vgl BSG 1971-04-28 12 RJ 258/70 = SozR Nr 55 zu § 1251 RVO).

2. Die Pflicht, den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen, gebietet nicht die Vernehmung aller von einem Beteiligten bezeichneten Zeugen.

 

Normenkette

RVO § 1251 Abs. 1 Nr. 3 Fassung: 1957-02-23; SGG § 103

 

Verfahrensgang

LSG Nordrhein-Westfalen (Entscheidung vom 13.03.1973)

 

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landessozialgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 13. März 1973 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

Der im Jahre 1892 in Leipzig geborene Kläger, der seit November 1923 in Argentinien lebt, begehrt Altersruhegeld aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Die Beklagte berücksichtigte zu seinen Gunsten für die Zeit von 1910 bis 1923 eine Versicherungszeit von 125 Kalendermonaten. Den Antrag auf Altersruhegeld lehnte sie ab (Bescheid vom 20. November 1969), weil die in § 1248 der Reichsversicherungsordnung (RVO) vorgeschriebene Wartezeit von 180 Versicherungsmonaten nicht erfüllt sei. Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 26. Oktober 1970). Die Berufung des Klägers hatte keinen Erfolg (Urteil des Landessozialgerichts - LSG - vom 13. März 1973). In den Gründen seiner Entscheidung hat das LSG u. a. ausgeführt: Der Kläger könne die Wartezeit von 180 Monaten nur dann erfüllt haben, wenn außer den ihm bereits gutgebrachten Versicherungszeiten noch weitere Zeiten hinzugerechnet würden. In diesem Zusammenhang komme allenfalls die Anrechnung einer Ersatzzeit während des 2. Weltkrieges nach § 1251 Abs. 1 Nr. 3 RVO (Zeiten unfreiwilligen Auslandsaufenthalts) in Betracht. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) - SozR Nr. 9 zu § 1249 RVO - könne in Fällen der vorliegenden Art die Wartezeit mit einer Ersatzzeit nur dann aufgefüllt werden, wenn die Voraussetzungen des § 1251 Abs. 2 RVO (zeitlicher Zusammenhang zwischen Ersatzzeit und Versicherungszeiten) gegeben seien. Daran fehle es aber im Falle des Klägers. Er erfülle im übrigen auch nicht die Voraussetzungen des § 1251 Abs. 1 Nr. 3 RVO. Es könne nicht festgestellt werden, daß er während des 2. Weltkrieges gegen seinen Willen an der Rückkehr nach Deutschland verhindert gewesen sei. Der Rückkehrwille müsse nachgewiesen werden. Insoweit fehle aber ein hinreichender Anhalt. Die Meldung des Klägers bei der Deutschen Botschaft in Argentinien zu Kriegsbeginn reiche dafür nicht aus. Zwar habe er die Vernehmung von Zeugen beantragt. Diese Vernehmung habe jedoch unterbleiben können, weil nicht ersichtlich sei, zu welchen Tatsachen im einzelnen die Zeugen hätten gehört werden sollen. Dem Kläger sei ausdrücklich anheimgestellt worden, Umstände mitzuteilen, die geeignet sein könnten, seinen Rückkehrwillen unter Beweis zu stellen. Er habe es jedoch unterlassen, hierzu konkrete Angaben zu machen.

Mit der Revision wendet sich der Kläger gegen die vom LSG vertretene Auffassung, die Anrechnung einer Ersatzzeit sei nur beim Vorliegen der Voraussetzungen des § 1251 Abs. 2 RVO möglich. Ihm sei eine Ersatzzeit nach § 1251 Abs. 1 Nr. 3 RVO gutzubringen. Seinen Rückkehrwillen habe er dargetan. Aus der von ihm vorgelegten Bescheinigung der Deutschen Botschaft in Argentinien ergebe sich, daß er sich zu Kriegsbeginn dort gemeldet habe. Dieser Meldebescheinigung komme eine besondere Bedeutung zu, weil er damals nicht mehr wehrpflichtig gewesen sei. Außerdem habe er zwei Zeugen zum Beweis seines Rückkehrwillens benannt und sich auf ein Gutachten berufen, das von einem Bediensteten der Deutschen Botschaft in Rio de Janeiro erstattet worden sei. Diesem Beweiserbieten sei das LSG nicht nachgegangen.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung der Urteile der Vorinstanzen und des dem Verfahren zugrundeliegenden Bescheides zu verurteilen, ihm vom 1. Juli 1965 an Altersruhegeld zu zahlen,

hilfsweise,

den Rechtsstreit an das LSG zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Die Wartezeit von 180 Kalendermonaten könne - so trägt sie vor - nur unter Anrechnung einer Ersatzzeit nach § 1251 Abs. 1 Nr. 3 RVO erfüllt sein. Die dort genannten Voraussetzungen seien jedoch nicht erfüllt, insbesondere fehle es an dem Nachweis des Rückkehrwillens des Klägers.

Die Revision hat keinen Erfolg. Das LSG hat zu Recht entschieden, daß dem Kläger kein Anspruch auf Altersruhegeld zustehe.

Der von dem Kläger geltend gemachte Anspruch scheitert daran, daß die Wartezeit - eine Versicherungszeit von 180 Kalendermonaten - nicht erfüllt ist (§ 1248 RVO). Sie könnte nur über die Anrechnung einer Ersatzzeit erreicht werden. Die Feststellung des LSG, daß an anrechenbaren Zeiten im übrigen lediglich 125 Kalendermonate in Betracht kommen, wird vom Kläger nicht angegriffen. Im vorliegenden Fall ist - auch darin ist dem LSG zuzustimmen - allenfalls eine Ersatzzeit nach § 1251 Abs. 1 Nr. 3 RVO in Erwägung zu ziehen. Ersatzzeiten sind hiernach u. a. solche Zeiten, in denen der Versicherte während eines Krieges, ohne Kriegsteilnehmer zu sein, durch feindliche Maßnahmen an der Rückkehr aus dem Ausland verhindert gewesen ist. Eine Verhinderung in dem vorbezeichneten Sinne setzt voraus, daß der Versicherte den ernsthaften Willen hatte, seinen Wohnsitz im Ausland als Lebensmittelpunkt aufzugeben und diesen nach Deutschland zu verlegen. Dieser Wille bedarf des Nachweises. Das BSG hat dies in mehreren Entscheidungen klar herausgestellt (vgl. hierzu SozR Nrn 55, 57 zu § 1251 RVO und Nr. 8 zu § 1315 RVO). Es besteht kein Anlaß, davon abzuweichen. - Die in Zusammenhang mit dem vom Kläger behaupteten Rückkehrwillen vom LSG vorgenommene Beweiswürdigung ist nicht zu beanstanden. In der Regel reicht in Fällen der vorliegenden Art die Meldung bei der jeweiligen Deutschen Botschaft zum Nachweis des Rückkehrwillens nicht aus (vgl. BSG in SozR Nr 55 zu § 1251 RVO). Selbst wenn man die Richtigkeit des Vorbringens des Klägers unterstellt, er sei zur Zeit seiner Meldung nicht mehr wehrpflichtig und deshalb zur Meldung nicht verpflichtet gewesen, so läßt sich daraus eine fehlerhafte Beweiswürdigung durch das LSG nicht herleiten. Auch unter diesen Voraussetzungen mußte der Meldung bei der Botschaft nicht die Rückkehr des Klägers nach Deutschland als Zielsetzung innewohnen. Sie konnte vielmehr ausschließlich auf Ableistung des Wehrdienstes gerichtet gewesen sein. - Die Revision macht ferner keinen Verstoß des LSG gegen § 103 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) deutlich. Das Berufungsgericht durfte von der Vernehmung der vom Kläger benannten Zeugen absehen, weil er - trotz Aufforderung durch das Gericht - nicht angegeben hatte, zu welchem Beweisthema im einzelnen die Zeugen gehört werden sollten. Dem LSG mußte sich das Beweisthema auch nicht aus anderen ihm bekannten Gründen aufdrängen. Die Pflicht, den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen, gebietet nicht die Vernehmung aller von einem Beteiligten bezeichneten Zeugen. - Das Gutachten, auf das sich der Kläger beruft, lag den Vorinstanzen vor. Es ist allgemein gehalten und bezieht sich nicht auf den Kläger. Deshalb ist es nicht geeignet, dessen Rückkehrwillen darzutun.

Die Revision muß schon aus diesen Gründen zurückgewiesen werden (§ 170 SGG). Einer Entscheidung darüber, ob auch die übrigen vom LSG dargelegten Gründe die Versagung des Anspruchs rechtfertigen, bedarf es nicht.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1647651

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