Entscheidungsstichwort (Thema)

Ersatzzeitanrechnung. Rückkehrverhinderung

 

Orientierungssatz

Verhindert an der Rückkehr aus dem Ausland iS von § 1251 Abs 1 Nr 3 RVO war der versicherte Nichtkriegsteilnehmer nur dann, wenn er den ernsthaften Willen gehabt hat, während oder nach der Beendigung des Krieges in das Inland zurückzukehren (vgl BSG 1971-04-28 12 RJ 258/70 = SozR Nr 55 zu § 1251 RVO, BSG 1971-08-18 4 RJ 25/71 = BSGE 33, 107).

 

Normenkette

RVO § 1251 Abs. 1 Nr. 3 Fassung: 1965-06-09

 

Verfahrensgang

LSG Niedersachsen (Entscheidung vom 17.03.1971)

SG Hannover (Entscheidung vom 21.04.1970)

 

Tenor

Das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 17. März 1971 wird aufgehoben. Der Rechtsstreit wird an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Gründe

Der Kläger begehrt bei der Berechnung seiner Rente die Berücksichtigung einer Ersatzzeit - Zeit seines Aufenthalts in Chile während des 2. Weltkrieges und in der Nachkriegszeit - nach § 1251 Abs. 1 Nr. 3 der Reichsversicherungsordnung (RVO).

Die Beklagte hat die Zeit des Auslandsaufenthalts bei der Feststellung der Rente des Klägers nicht berücksichtigt (Bescheid vom 18. Februar 1969). Die Klage hatte keinen Erfolg (Urteil des Sozialgerichts - SG - Hannover vom 21. April 1970), dagegen hat das Landessozialgericht (LSG) die Beklagte unter Abänderung ihres Bescheides und Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils verurteilt, bei der Berechnung der dem Kläger bewilligten Rente die Zeit von Juni 1941 (Beginn des Krieges mit Rußland) bis Juni 1948 (Währungsreform, Beginn normaler Reisemöglichkeiten) als Ersatzzeit anzurechnen. Diese Verpflichtung - so hat es ausgeführt - ergebe sich aus § 1251 Abs. 1 Nr. 3 RVO. Der Kläger sei, ohne Kriegsteilnehmer gewesen zu sein, in dieser Zeit durch feindliche Maßnahmen an der Rückkehr aus Chile verhindert gewesen. Der damals allein mögliche Rückweg - über Japan und die Sowjetunion - sei ihm durch den Ausbruch des Krieges zwischen Deutschland und Rußland abgeschnitten worden. Der Feststellung eines Rückkehrwillens des Klägers bedürfe es nicht, eine solche Voraussetzung schreibe das Gesetz nicht vor. Die Vorschrift des § 1251 Abs. 1 Nr. 3 RVO gehe davon aus, daß ein Versicherter, der beim Ausbruch eines Krieges im Ausland lebe, sich regelmäßig in den Staat zurückbegeben wolle, in dem er nicht Ausländer, sondern Inländer sei. Es sei ohne Bedeutung, daß sich Chile mit Deutschland nicht im Kriegszustand befunden habe. Auch das Verweilen in einem nichtkriegführenden Staat sei als Ersatzzeit zu werten, wenn - wie hier - Feindmächte die Rückkehr in die Heimat vereitelten.

Mit der Revision rügt die Beklagte, das LSG habe § 1251 Abs. 1 Nr. 3 RVO unrichtig ausgelegt. Die Anrechnung des Auslandsaufenthalts komme nur beim Nachweis der Rückkehrwilligkeit des Versicherten in Betracht. Sie beantragt,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG zurückzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Revision zurückzuweisen,

hilfsweise,

den Rechtsstreit an das LSG zurückzuverweisen.

Er beruft sich auf die Gründe des angefochtenen Urteils. Wenn man dieser Entscheidung jedoch nicht folgen wolle, so seien durch das Berufungsgericht die erforderlichen Tatsachenfeststellungen hinsichtlich seines -tatsächlich vorhanden gewesenen - Rückkehrwillens zu treffen.

Die Revision der Beklagten führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils. Der Auffassung des LSG, der Feststellung eines Rückkehrwillens bedürfe es im Rahmen des § 1251 Abs. 1 Nr. 3 RVO nicht, vermag der erkennende Senat nicht zu folgen. An der Rückkehr aus dem Ausland kann nur verhindert gewesen sein, wer den ernsthaften Willen hatte, nach Deutschland zurückzukehren. Dies hat das Bundessozialgericht (BSG) wiederholt ausgesprochen (vgl. BSG SozR Nr. 55 zu § 1251 RVO; Urteil vom 28. April 1971 - 12 RJ 456/70 -). Der erkennende Senat hat sich dieser Rechtsprechung in seiner Entscheidung vom 18. August 1971 - 4 RJ 75/71 - angeschlossen; er hält auch nach erneuter Prüfung der Rechtslage an dieser Rechtsauffassung fest. Ihre Anwendung kann jedoch im vorliegenden Fall nicht zu einer abschließenden Entscheidung führen. In dem angefochtenen Urteil fehlt es insoweit an den erforderlichen Tatsachenfeststellungen. Diese sind vom Berufungsgericht zu treffen, der Rechtsstreit muß deshalb an dieses Gericht zurückverwiesen werden. Bei seiner Entscheidung wird das LSG darauf zu achten haben, daß dem vom Kläger behaupteten Rückkehrwillen nur dann Bedeutung zukommt, wenn insoweit der Nachweis erbracht ist. Drauf kann nicht verzichtet werden (vgl. BSG aaO sowie das zu § 1315 RVO ergangene Urteil des erkennenden Senats vom 18. August 1971 - 4 RJ 25/71 -). Der Wille zur Rückkehr kann nicht schon daraus gefolgert werden, daß sich ein Versicherter nach Kriegsausbruch - den damaligen wehrrechtlichen Vorschriften folgend - bei einer deutschen Botschaft oder einem deutschen Konsulat gemeldet hat.

Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens bleibt dem LSG vorbehalten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1647473

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