Entscheidungsstichwort (Thema)
Mitwirkungspflicht bei der Beweiserhebung. Rechtliches Gehör. Gegenstand des Verfahrens. Umfang der Revision. Förmlichkeit der mündlichen Verhandlung
Orientierungssatz
1. Versäumt ein Kläger seine Obliegenheit, an der Beweiserhebung mitzuwirken, so treffen ihn die Nachteile, wenn ein anspruchbegründender Umstand nicht zur Überzeugung des Gerichts erweisbar ist. Das Gericht ist berechtigt anzunehmen, daß eine Beweisaufnahme, die der Kläger verhindert, ein ungünstiges Ergebnis gehabt haben würde, soweit nicht dieser Schluß mit dem festgestellten Sachverhalt in Widerspruch steht.
2. Rechtliches Gehör nach § 62 SGG steht dem Kläger indessen nur bezüglich der Vorgänge zu, die das sozialgerichtliche Verfahren betreffen; auf Erhebungen im Verwaltungsverfahren kann die Rüge nicht gestützt werden.
3. Bei einem Streit über die Höhe der MdE wird aber auch ein Entziehungsbescheid Gegenstand des Verfahrens (vgl BSG 1956-10-24 2 RU 114/55 = BSGE 4, 24). Das Unterlassen der Entscheidung über den neuen Verwaltungsakt stellt also einen wesentlichen Mangel des Verfahrens dar.
4. Grundsätzlich hat zwar das Durchgreifen einer Verfahrensrüge die Folge, daß das Urteil in vollem Umfang sachlich nachgeprüft werden kann. Dies gilt aber nur dann, wenn es sich um einen einheitlichen Anspruch handelt, nicht dagegen bei mehreren selbständigen Ansprüchen und Bescheiden (vgl BSG 1958-11-13 8 RV 193/56 = BSGE 8, 232).
5. Nach § 164 ZPO, der nach § 122 Abs 2 SGG auch für das sozialgerichtliche Verfahren gilt, kann die Beobachtung der für die mündliche Verhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten nur durch das Protokoll bewiesen werden; gegen seinen diese Förmlichkeiten betreffenden Inhalt ist nur der Nachweis der Fälschung zulässig.
Normenkette
SGG § 103 Fassung: 1958-08-23, § 62 Fassung: 1958-08-23, § 96 Fassung: 1958-08-23, § 122 Abs. 2 Fassung: 1958-08-23; ZPO § 164
Verfahrensgang
LSG Niedersachsen (Entscheidung vom 26.11.1959) |
SG Braunschweig (Entscheidung vom 14.02.1957) |
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 26. November 1959 insoweit aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen, als es sich um den Bescheid des Versorgungsamts B... vom 16. Juli 1958 handelt.
Im übrigen wird die Revision als unzulässig verworfen.
Von Rechts wegen.
Gründe
I.
Der Kläger bezog wegen tuberkulöser Erkrankungen seit dem 1. April 1951 eine Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 100 v.H. Mit Bescheid vom 26. Mai 1952 setzte das Versorgungsamt (VersorgA) unter Hinweis auf § 62 Abs. 1 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) die Rente mit Wirkung vom 1. Juli 1952 an auf 50 v.H. herab und lehnte gleichzeitig den Antrag des Klägers auf Gewährung einer Pflegezulage ab. In einem weiteren Bescheid vom 16. August 1952 lehnte das VersorgA den Antrag auf Kostenersatz für Kleider- und Wäscheverschleiß ab. Gegen diese Bescheide erhob der Kläger Einspruch. Der Beschwerdeausschuß bewilligte durch Entscheidung vom 14. November 1952 bis zum 31. Oktober 1952 eine Rente nach einer MdE um 100 v.H. und wies im übrigen den Einspruch zurück. Der Kläger beantragte weiter, ihm vegetative Störungen als Schädigungsfolge anzuerkennen. Dieser Antrag wurde am 27. November 1952, bestätigt durch Entscheidung des Beschwerdeausschusses vom 14. April 1953, abgelehnt.
Gegen die Entscheidungen vom 14. November 1952 und 14. April 1953 legte der Kläger Berufung zum Oberversicherungsamt ein, die nach dem Inkrafttreten des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) als Klage auf das Sozialgericht (SG) überging. Das SG verurteilte den Beklagten, dem Kläger wegen der anerkannten Schädigungsfolgen bis zum 31. Oktober 1954 eine Rente nach einer MdE um 70 v.H. und vom 1. November 1954 an nach einer MdE um 50 v.H. zu gewähren, und wies im übrigen die Klage ab. Gegen dieses Urteil legte der Kläger Berufung ein. Er begehrte weiterhin eine Rente nach einer MdE um 100 v.H. über den 31. Oktober 1952 hinaus, ferner die Gewährung einer Pflegezulage und eines Pauschbetrages für Mehrverschleiß an Kleidern und Wäsche sowie die Erstattung verauslagter Fahrtkosten. Durch einen Bescheid vom 16. Juli 1958 entzog das VersorgA, gestützt auf § 7 BVG und § 47 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VerwVG), dem Kläger die Versorgungsleistungen mit Ablauf des Monats März 1958 und forderte die vom 1. April bis 31. Juli 1958 gezahlten Versorgungsleistungen zurück, weil der Kläger sich nach Unbekannt abgemeldet habe und daraus geschlossen werden müsse, daß er sich nicht mehr im Geltungsbereich des BVG aufhalte. Der Kläger wandte sich im Berufungsverfahren auch gegen diesen Bescheid und beantragte weiter, das VersorgA anzuweisen, ihm eine einmalige Unterstützung von 200,-- DM zu zahlen. Letzteren Antrag lehnte das Landesversorgungsamt (LVersorgA) Niedersachsen in einem formlosen Schreiben vom 5. Februar 1959 an den Kläger ab, da er im Hinblick auf § 7 BVG nicht versorgungsberechtigt sei. Durch Urteil vom 26. November 1959 verwarf das Landessozialgericht (LSG) die Berufung, soweit sie den Anspruch auf Erstattung von Fahrgeld betraf, und wies sie im übrigen zurück. Zur Begründung führte es aus, bezüglich des Anspruchs auf Erstattung von Fahrgeld sei die Berufung nach § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG ausgeschlossen und damit unzulässig. Im übrigen sei das Rechtsmittel unbegründet. Gegenstand des Verfahrens seien nur die Bescheide vom 14. November 1952 und 14. April 1953, nicht aber auch die vom 16. Juli 1958 und 5. Februar 1959, weil diese Bescheide den Streitgegenstand des Berufungsverfahrens nicht beeinflussen könnten. Die vegetative Dystonie sei mit ausreichender Wahrscheinlichkeit keine Schädigungsfolge. Ein weiterer Nachweis lasse sich nicht führen, weil der Kläger es abgelehnt habe, der angeordneten Untersuchung Folge zu leisten. Die Herabsetzung der Rente wegen des anerkannten Tbc-Leidens sei gerechtfertigt, weil nach den vorliegenden Gutachten eine Besserung des Zustandes eingetreten sei. Zwar rechtfertigten ärztliche Bescheinigungen die Vermutung, daß beim Kläger wieder eine Verschlimmerung eingetreten sei; die vorgelegten Bescheinigungen allein genügten jedoch nicht, um den Nachweis einer Verschlimmerung zu führen. Da jedoch der Kläger grundlos die vorgesehene Untersuchung und Begutachtung vereitelt habe, sei die Annahme gerechtfertigt, daß die weitere Beweisaufnahme keine Verschlimmerung ergeben habe. Der Kläger könne auch nicht verlangen, daß vor der vom Gericht angeordneten Begutachtung ein Gutachten nach § 109 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) eingeholt werde. Denn das Gericht bestimme die Reihenfolge, in der die Beweise erhoben werden sollten. Nachdem der Kläger die weitere Beweisaufnahme durch Einholung eines Gutachtens verhindert habe, müsse die Beweisaufnahme nach § 109 SGG entfallen. Der Kläger könne auch keine Erhöhung der MdE wegen seelischer Begleiterscheinungen und wegen Nachteilen im Beruf verlangen; denn auch hier könne der Nachweis nicht geführt werden, weil er die insoweit ebenfalls angeordnete Untersuchung und Begutachtung durch seine Weigerung vereitelt habe. Der Anspruch auf Pflegezulage sei nicht begründet, weil keine Hilflosigkeit vorliege. Ein Anspruch auf Gewährung eines Pauschbetrages für Kleider- und Wäscheverschleiß bestehe nicht; denn es sei nicht nachgewiesen, daß der Kläger außergewöhnliche Kosten hierfür aufwenden müsse. Das LSG ließ die Revision nicht zu.
Der Kläger legte gegen das am 5. Dezember 1959 zugestellte Urteil am 5. Januar 1960 Revision ein und begründete sie am 25. Februar 1960, nachdem ihm die Frist hierzu bis dahin verlängert worden war.
Er trägt vor, das Urteil sei von Richtern gefällt worden, die er wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt habe. Er habe sich nicht auf das am 19. Oktober 1959 für unbegründet erklärte Ablehnungsgesuch beschränkt, sondern auch noch in der mündlichen Verhandlung vom 26. November 1959 ein neues Gesuch eingebracht, das weder protokolliert noch beschieden worden sei. Die Ablehnung sei um so mehr gerechtfertigt, als das Gericht Gutachten berücksichtigt habe, bezüglich deren er die Entbindung von der Schweigepflicht der Ärzte zurückgezogen habe. Auch habe er den Urkundsbeamten der Geschäftsstelle S... wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt, ohne daß das Gericht über diesen Antrag entschieden habe.
Das LSG habe auch den Sachverhalt nicht genügend aufgeklärt. Es habe nicht das Urteil des Landesverwaltungsgerichts (LVG) Braunschweig vom 27. Januar 1959 beigezogen, das eine 100 %ige MdE ergeben habe. Bezüglich der vegetativen Dystonie hätte das LSG die Zustände bis zu seiner Einberufung zur Wehrmacht und im Kriegslazarett Beelitz klären müssen. Es hätte, wenn es die vorliegenden Äußerungen nicht als ausreichend angesehen hätte, die betreffenden Ärzte hören müssen. Das LSG habe eine Reihe Gutachten des Tbc-Krankenhauses in B... weder beigezogen noch gewürdigt. Es habe auch bezüglich der Erstattung von Fahrgeldkosten eine Sachaufklärung unterlassen.
Das LSG habe weiterhin gegen § 109 SGG verstoßen, weil es den entsprechenden Antrag des Klägers abgelehnt habe, ohne daß die Ablehnung eine Stütze im Gesetz finde. Denn dieses Gutachten hätte u.U. die Beweisaufnahme durch das Gericht überflüssig gemacht. Dem Kläger sei auch das rechtliche Gehör verweigert worden (§ 62 SGG), weil er sich nicht zu einer Reihe von Gutachten in den Versorgungsakten habe äußern können.
Das LSG habe den § 96 SGG fehlerhaft angewandt, wenn es die Bescheide vom 16. Juli 1958 und 5. Februar 1959 nicht berücksichtigt habe, da diese den Streitgegenstand des anhängigen Verfahrens beeinflußt hätten. Schließlich läge auch ein Verstoß gegen § 128 SGG vor, weil das LSG einzelne Gutachten nicht gewürdigt und die Nichtbefolgung der angeordneten Begutachtung zum Nachteil des Klägers ausgelegt habe. Endlich liege auch ein Verstoß gegen § 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG vor.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des LSG Celle vom 26. November 1959 und das Urteil des SG Braunschweig vom 14. Februar 1957 mit den zugrunde liegenden tatsächlichen; Feststellungen aufzuheben, jedoch das Urteil des SG Braunschweig nur insoweit, als es die Ansprüche des Klägers zurückgewiesen und den Kläger mit den Kosten belastet hat;
das beklagte Land Niedersachsen für verpflichtet zu erklären, das VersorgA B... anzuweisen:
a) dem Kläger nach dem alten rechtskräftigen Erwerbsminderungsgrad 100 % WDB Kriegsbeschädigtenrente ab 1. November 1952 zu zahlen,
b) Kriegsbeschädigtenpflegezulage mindestens ab Mai 1951 zu gewähren,
c) dem Kläger weiterhin die sozialen Vergünstigungen des Schwerkriegsbeschädigtenausweises zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Revision als unzulässig zu verwerfen.
II.
Die form- und fristgerecht eingelegte Revision ist nur insoweit zulässig und begründet, als sie sich gegen die Entscheidung des LSG über den Bescheid vom 16. Juli 1958 wendet. Im übrigen ist sie unzulässig.
Zunächst kann der Kläger nicht als Verfahrensverstoß geltend machen, die von ihm abgelehnten Richter, Senatspräsident Dr. I... und Landessozialgerichtsrat K..., hätten zu Unrecht an dem angefochtenen Urteil mitgewirkt. Denn sein Ablehnungsgesuch ist durch den Senat des LSG in anderer Besetzung am 19. Oktober 1959 abgelehnt worden. Diese Entscheidung kann, wie sich aus § 202 SGG, § 551 Nr. 3 der Zivilprozeßordnung (ZPO) ergibt, im Revisionsverfahren nicht mehr nachgeprüft werden und ist daher bindend (BSG in SozR SGG § 60 Nr. 4) Der Kläger kann auch nicht damit gehört werden, er habe in der mündlichen Verhandlung die genannten Richter ebenfalls abgelehnt, über dieses Gesuch sei jedoch nicht entschieden worden. Das Protokoll über diese mündliche Verhandlung enthält, wie die Revision selbst einräumt, keinen derartigen Antrag. Nach § 122 Abs. 3 SGG, § 160 Abs. 2 Nr. 2 ZPO sind die Anträge in das Protokoll aufzunehmen. Dazu gehören auch diejenigen über die Ablehnung eines Richters (vgl. Peters/Sautter/Wolff, SGG § 122 Anm. 2 S. II/88-8). Nach § 164 ZPO, der nach § 122 Abs. 2 SGG auch für das sozialgerichtliche Verfahren gilt, kann die Beobachtung der für die mündliche Verhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten nur durch das Protokoll bewiesen werden; gegen seinen diese Förmlichkeiten betreffenden Inhalt ist nur der Nachweis der Fälschung zulässig. Der Kläger hat aber nicht behauptet, das Protokoll sei gefälscht. Er hat lediglich vorgetragen, sein Antrag sei nicht protokolliert worden. Überdies hätte der Kläger sein etwaiges Ablehnungsrecht auch dadurch verloren, daß er sich in eine Verhandlung eingelassen und Anträge gestellt hat (§ 60 SGG, § 43 ZPO).
Der Kläger kann auch nicht mit Erfolg vorbringen, das LSG habe nicht über sein Ablehnungsgesuch gegen den Urkundsbeamten S... entschieden. In den Akten befindet sich kein solches Gesuch, auch nicht in den Protokollen. Daher bestand für das LSG kein Anlaß, eine derartige Entscheidung zu fällen. Überdies hat nach dem Protokoll nicht S..., sondern die Angestellte K... als Urkundsbeamtin an der mündlichen Verhandlung teilgenommen.
Die Rüge, der Sachverhalt sei nicht genügend geklärt, greift ebenfalls nicht durch. Das LSG hat sich bei Feststellung der Schädigungsfolgen und des Grades der MdE auf mehrere fachärztliche und klinische Gutachten (Facharzt für innere Krankheiten Dr. B... vom 12. September 1952, Medizinische Poliklinik G... vom 12. Dezember 1952, 31. März und 15. Juni 1954, Schlußbericht des Tbc-Sanatoriums V... vom 9. April 1952, Gutachten des Prof. Dr. Dr. G... vom 6. Juni 1956 und Gutachten des Prof. Dr. H... - Med. Universitätsklinik G... - vom 30. Oktober 1956) gestützt. Das LSG durfte aus diesen Gutachten den Schluß ziehen, daß von der Tbc des Klägers infolge der 1951/1952 durchgeführten Heilbehandlung im Sanatorium V... nur noch "indurierte Herde mit Pleuraverschwartung" nachweisbar seien. Das LSG hat sich auch mit der Möglichkeit befaßt, daß 1957 wieder eine Verschlimmerung des Tbc-Leidens eingetreten ist. Das LSG war indes gehindert, die vom Kläger behauptete Leidensverschlimmerung zu prüfen und eventuell festzustellen, weil der Kläger sich der vom Gericht angeordneten stationären Untersuchung und Begutachtung entzogen hat. Dadurch, daß das LSG die bei anderen Gerichten eingeholten Gutachten, bei denen es auf den ursächlichen Zusammenhang nicht ankam und welche die Erhebungen und Feststellungen vor den Versorgungsbehörden und Sozialgerichten nicht berücksichtigten, nicht benützte, hat es seine Sachaufklärungspflicht (§ 103 SGG) nicht verletzt, weil dem LSG die übrigen Gutachten ausreichen konnten, um sich seine Überzeugung zu bilden. Das LSG war auch nicht verpflichtet, das Urteil des LVG Braunschweig beizuziehen, da sich aus ihm nichts für die Frage ergeben konnte, ob die bei dem Kläger vorliegende MdE auf Einflüssen des Wehrdienstes beruht.
Unter diesen Umständen hat der Kläger selber die weitere Sachaufklärung durch das Gericht verhindert, und das LSG hat das Gesetz nicht dadurch verletzt, daß es von weiteren Erhebungen abgesehen hat. Versäumt ein Kläger seine Obliegenheit, an der Beweiserhebung mitzuwirken, so treffen ihn die Nachteile, wenn ein anspruchsbegründender Umstand nicht zur Überzeugung des Gerichts erweisbar ist. Das Gericht ist berechtigt anzunehmen, daß eine Beweisaufnahme, die der Kläger verhindert, ein ungünstiges Ergebnis gehabt haben würde, soweit nicht dieser Schluß mit dem festgestellten Sachverhalt in Widerspruch steht (Peters/Sautter/Wolff, SGG § 103 Anm. 3 Abs. 3; Teutsch, Wege zur Sozialversicherung, 1954 S. 212; BSG in SozR SGG § 128 Bl. Da 16 Nr. 40 und § 103 Bl. Da 6 Nr. 18).
Das LSG war nicht verpflichtet, den nach § 109 SGG genannten Sachverständigen Dr. W..., P..., zu hören. Zwar muß nach dieser Vorschrift auf Antrag des Versorgungsberechtigten ein bestimmter Arzt gutachtlich gehört werden. Es kann dahinstehen, ob das LSG diesen Antrag nicht schon deshalb ablehnen konnte, weil bereits in erster Instanz ein Gutachten nach § 109 SGG bei Professor Dr. G... eingeholt worden war und eine neue Begutachtung nur verlangt werden kann, wenn besondere Umstände das erneute Verlangen rechtfertigen (BSG Beschluß vom 6. Mai 1958 SozR SGG § 109 Nr. 18). Jedenfalls hat das LSG, wenn es den erneuten Antrag abgelehnt hat, nicht das ihm durch § 109 Abs. 2 SGG eingeräumte Ermessen überschritten, indem es den Antrag als einen Mißbrauch des § 109 angesehen hat. Denn der Kläger hat diesen Antrag erst gestellt, als das Gericht bereits eine Begutachtung von Amts wegen beschlossen hatte. Die Durchführung dieser Begutachtung hat der Kläger aber trotz wiederholter Belehrungen abgelehnt, ohne daß er bei objektiver Würdigung stichhaltige Gründe vorgebracht hätte. Dieses Verhalten aber stellt einen Mißbrauch der dem Kläger durch § 109 SGG eingeräumten Befugnis dar und berechtigte das LSG zu dem Schluß, es handele sich um eine Verschleppung des Verfahrens.
Schließlich greift auch die Rüge des Klägers, ihm sei das rechtliche Gehör hinsichtlich mehrerer Erhebungen verweigert worden, nicht durch. Der Kläger bezieht sich im einzelnen auf den Schlußbericht des Sanatoriums V. vom 9. April 1952, das Gutachten des Waldkrankenhauses Berlin-Spandau vom Mai 1952 und einzelne andere Teile der Versorgungsakten. Rechtliches Gehör nach § 62 SGG steht dem Kläger indessen nur bezüglich der Vorgänge zu, die das sozialgerichtliche Verfahren betreffen; auf Erhebungen im Verwaltungsverfahren kann die Rüge nicht gestützt werden (BSG in SozR SGG § 128 Bl. Da 14 Nr. 34). Da es sich nicht um Vorgänge des sozialgerichtlichen Verfahrens handelt, liegt eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör vor Gericht also nicht vor.
Das LSG hat entgegen der Rüge des Klägers auch nicht die Grenzen seines Rechts auf freie Beweiswürdigung überschritten, indem es dem Gutachten der Universitätsklinik G... (Prof. Dr. H...) vom 30. Oktober 1956 nicht in allen Punkten folgte. Das Gutachten war nach Aktenlage erstattet worden, nachdem der Kläger eine stationäre Untersuchung abgelehnt hatte. Das Gutachten hat nur die MdE für die Zeit von 1952 bis 1956 auf 70 v.H. geschätzt, aber auf Grund der Untersuchungen in G... vom 31. März und 15. Juni 1954 darauf hingewiesen, daß sich eine Besserung des Befundes ergeben werde, weil nur noch indurierte Härten nachweisbar seien. Für den Fall, daß keine Verschlimmerung des Tbc-Leidens vorliege, hat die Klinik den Befund für 1954 auf 50 v.H. geschätzt und sogar weitere Besserungen in Aussicht gestellt, wenn kein neuer tuberkulöser Schub auftrete. Ob ein solcher neuer tuberkulöser Schub eingetreten ist, hat das LSG nicht festgestellt. Es konnte dies auch nicht feststollen, weil der Kläger sich der angeordneten stationären Untersuchung entzogen hat. Das LSG durfte daher davon ausgehen, daß die Besserung des Lungenleidens anhaltend war, ohne die Grenzen des Rechts der freien richterlichen Beweiswürdigung zu überschreiten (§ 128 SGG).
Soweit der Kläger darüber hinaus die Beweiswürdigung des LSG beanstandet, kann der Senat nur prüfen, ob das LSG die Grenzen seines Rechts auf freie richterliche Beweiswürdigung überschritten hat, nicht aber an Stelle des LSG die Beweiswürdigung selbst treffen. Es ist aber nicht vorgetragen, daß das LSG bei einer dem Gesetz entsprechenden Beweiswürdigung zu einem anderen Ergebnis hätte kommen müssen.
Eine Verletzung des Gesetzes bei der Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs liegt ebenfalls nicht vor. Denn das LSG hat schon aus tatsächlichen Gründen einen Zusammenhang der Dystonie und der Verschlimmerung der Tuberkulose mit Einflüssen des Wehrdienstes verneint und ist daher nicht zur Prüfung des rechtlichen Zusammenhangs gekommen, wie es § 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG verlangt (vgl. BSG 1, 268).
Soweit der Kläger eine Verletzung des § 96 SGG rügt, weil das LSG den Bescheid vom 16. Juli 1958 und die Benachrichtigung vom 5. Februar 1959 nicht in das Verfahren einbezogen hat, ist seine Rüge allerdings teilweise durchgreifend. Dem LSG ist zwar insoweit beizupflichten, als es die Benachrichtigung vom 5. Februar 1959 nicht berücksichtigt hat, wobei dahinstehen kann, ob es sich überhaupt um einen Bescheid handelt, der angefochten Werden könnte. Selbst wenn man dies bejaht, beträfe dieser "Bescheid" einen anderen Streitgegenstand als den anhängigen, nämlich die Ablehnung einer einmaligen Unterstützungsleistung, während es sich in dem Verfahren darum handelt, ob dem Kläger eine höhere MdE als 50 v.H., eine Pflegezulage und dergleichen zustehen. Entgegen der Auffassung des LSG ist jedoch der Bescheid vom 16. Juli 1958 Gegenstand des Verfahrens geworden. Denn er hat den im Streit befindlichen Verwaltungsakt über die Höhe der MdE abgeändert und ersetzt. Die früheren Bescheide bewilligten dem Kläger von einem gewissen Zeitpunkt an nur noch eine Rente nach einer MdE um 50 v.H. und lehnten die von dem Kläger gewünschte Erhöhung auf 100 v.H. ab. Der neue Bescheid entzog die Rente überhaupt; er änderte die Beschwer des Betroffenen, indem er sie noch vermehrte, nämlich die Rente ganz entzog (vgl. BSG 5, 158, 162). Der neue Bescheid bewilligte also dem Kläger ebenfalls nicht die gewünschten 100 v.H., sondern verweigerte sie ihm im Endergebnis ebenfalls, nur mit einer anderen Begründung. Bei einem Streit über die Höhe der MdE wird aber auch ein Entziehungsbescheid Gegenstand des Verfahrens (BSG 4, 24), wie diese Entscheidung im einzelnen ausgeführt hat. Das Unterlassen der Entscheidung über den neuen Verwaltungsakt stellt also einen wesentlichen Mangel des Verfahrens dar (BSG 4, 24). Diesen hat der Kläger auch gerügt.
Diese durchgreifende Rüge macht jedoch die Revision nicht im vollen Umfang statthaft. Grundsätzlich hat zwar das Durchgreifen einer Verfahrensrüge die Folge, daß das Urteil in vollem Umfang sachlich nachgeprüft werden kann (BSG 3, 180, 186). Dies gilt aber nur dann, wenn es sich um einen einheitlichen Anspruch handelt, nicht dagegen bei mehreren selbständigen Ansprüchen und Bescheiden (BSG 8, 228, 232). Im vorliegenden Falle handelt es sich um mehrere selbständige Bescheide, über die zwar nach § 96 SGG in einem Verfahren zu entscheiden ist, die jedoch voneinander unabhängig sind, da jeder in seinem Bestand nicht von der Rechtsgültigkeit des anderen abhängt.
Die Revision ist daher nur bezüglich des Bescheides vom 16. Juli 1958 statthaft, aber nicht auch bezüglich der anderen Streitgegenstände des Urteils, weil gegen diese die Revisionsangriffe nicht durchgreifen.
Soweit die Revision statthaft ist, ist sie auch begründet, weil das LSG bei einem ordnungsgemäßen Verfahren u.U. zu einer für den Kläger günstigen Entscheidung über den Bescheid vom 16. Juli 1958 hätte kommen können. Da insoweit tatsächliche Feststellungen fehlen, die dem Senat eine abschließende Entscheidung ermöglicht hätten, muß das angefochtene Urteil aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen werden (§ 170 Abs. 2 SGG).
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens bleibt dem LSG überlassen.
Fundstellen