Leitsatz (amtlich)
Der Streit darüber, ob ein Leiden durch Einflüsse des Wehrdienstes einfach oder richtunggebend verschlimmert worden ist, betrifft nicht den ursächlichen Zusammenhang zwischen Wehrdienst und Schädigungsfolge (SGG § 150 Nr 3).
Leitsatz (redaktionell)
SGG § 150 Nr 3 umfaßt den Streit über den ursächlichen Zusammenhang in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht; darunter fällt auch ein Streit darüber, ob ein Leiden durch Einflüsse des Wehrdienstes entstanden oder verschlimmert worden ist; nicht aber, ob das Leiden durch Einflüsse des Wehrdienstes einfach oder richtunggebend verschlimmert worden ist.
Normenkette
SGG § 150 Nr. 3 Fassung: 1953-09-03
Tenor
Auf die Revision der Kläger wird das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 17. Dezember 1958 aufgehoben.
Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Wiesbaden vom 12. Juni 1958 wird als unzulässig verworfen.
Der Beklagte hat den Klägern die außergerichtlichen Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
I.
Die Klägerin zu 1) ist die Witwe, die Kläger zu 2) und 3) sind Kinder des am 4. September 1955 verstorbenen S., sie sind gleichzeitig seine Erben. R... hatte 1953 die Gewährung von Versorgungsbezügen beantragt. Mit Bescheid vom 8. Juli 1955 erkannte der Beklagte organisches Nervenleiden (multiple Sklerose), verschlimmert im Sinne einer einmaligen Verschlimmerung eines auf körpereigener Ursache beruhenden Leidens, als Wehrdienstbeschädigung mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 30 v.H. an. Der Widerspruch wurde am 25. Mai 1956 zurückgewiesen. Auf die Klage hin, mit der die Anerkennung einer richtunggebenden Verschlimmerung und einer höheren MdE begehrt wurde, verurteilte das Sozialgericht (SG) den Beklagten, den Klägern für die Zeit vom 1. März 1953 bis 30. September 1955 Rente unter Zugrundelegung einer MdE von 50 v.H. zu gewähren, wobei es annahm, die multiple Sklerose sei durch Einflüsse der Kriegsgefangenschaft richtunggebend verschlimmert worden. Auf die Berufung des Beklagten wies das Landessozialgericht (LSG) die Klage ab (Urteil vom 17. Dezember 1958). Es sah die Berufung als zulässig an, weil ein Streit darüber, ob die Verschlimmerung eine einmalige oder eine richtunggebende sei, den Ursachenzusammenhang betreffe (§ 150 Nr. 3 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -). Eine richtunggebende Verschlimmerung sei nicht anzunehmen, die im Jahre 1950 aufgetretenen Schübe der multiplen Sklerose könnten nicht mehr auf Einflüsse der Kriegsgefangenschaft zurückgeführt werden. Das LSG ließ die Revision zu.
Gegen das am 14. April 1959 zugestellte Urteil legten die Kläger am 8. Mai 1959 Revision ein und begründeten sie am 10. Juni 1959.
Sie meinen, das LSG habe zu Unrecht die Berufung des Beklagten als zulässig angesehen, weil diese nach § 148 Nr. 2 SGG ausgeschlossen und nicht nach § 150 Nr. 3 SGG statthaft gewesen sei. Denn ein Streit darüber, ob eine einfache oder eine richtunggebende Verschlimmerung vorliege, betreffe nicht den ursächlichen Zusammenhang des Leidens mit dem Wehrdienst, sondern nur die Höhe des wehrdienstlich bedingten Verschlimmerungsanteils. Vorsorglich rügen die Kläger auch Verletzung der §§ 103 und 128 SGG: Das Gutachten, auf das sich das LSG gestützt habe, sei in sich widerspruchsvoll und gehe von Voraussetzungen aus, die tatbestandsmäßig nicht festgestanden hätten.
Die Kläger beantragen,
das Urteil des Hessischen LSG vom 17. Dezember 1958 aufzuheben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des SG Wiesbaden vom 12. Juni 1958 als unzulässig zu verwerfen,
hilfsweise,
die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
II.
Die durch die Zulassung statthafte, auch form- und fristgerecht eingelegte Revision ist begründet, weil das LSG rechtsirrtümlich die Berufung des Beklagten als zulässig angesehen hat.
Nach § 148 Nr. 2 SGG (in der Fassung vom 23. August 1958) ist in Angelegenheiten der Kriegsopferversorgung die Berufung nicht zulässig, soweit sie nur Versorgung für bereits abgelaufene Zeiträume betrifft. Um einen solchen Streit handelt es sich hier, weil das SG im Juni 1958 über die den Klägern bis zum 30. Juni 1955 etwa zustehenden Rentenansprüche (als Erben des verstorbenen S... R...) entschieden hat. Die Berufung wäre daher, nachdem das SG sie weder zugelassen noch der Beklagte vor dem LSG einen wesentlichen Mangel des Verfahrens gerügt hat, nur dann zulässig, wenn der ursächliche Zusammenhang einer Gesundheitsstörung mit einer Schädigung im Sinne des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) streitig gewesen wäre (§ 150 Nr. 3 SGG). Ein Streit um den ursächlichen Zusammenhang liegt aber nicht vor. Die Vorschrift des § 150 Nr. 3 SGG umfaßt den Streit über den ursächlichen Zusammenhang in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht. Darunter fällt auch ein Streit darüber, ob das Leiden des Versorgungsberechtigten durch Einflüsse des Wehrdienstes entstanden oder verschlimmert worden ist (BSG 6, 87, 89, 192). Im vorliegenden Rechtsstreit hatte das LSG aber nicht über diese Frage zu entscheiden, sondern nur darüber, ob das Leiden des S... R... durch Einflüsse des Wehrdienstes einfach oder richtunggebend verschlimmert worden ist. Zwar hat das Bayerische LSG in einem Urteil vom 23. Oktober 1956 (Breith. 1957, 246) ausgesprochen, ein Streit über den ursächlichen Zusammenhang liege auch dann vor, wenn die Frage streitig sei, ob eine Gesundheitsschädigung durch schädigende Einwirkungen im Sinne des § 1 BVG lediglich eine einfache oder begrenzte oder aber eine richtunggebende, d.h. den weiteren Leidensablauf bestimmende Verschlimmerung erfahren habe; denn zur Frage des ursächlichen Zusammenhangs gehöre auch das Ausmaß dieses Zusammenhangs, insbesondere aber die Frage, ob der Militärdienst die alleinige, die überwiegende oder nur eine unwesentliche Teilursache der Gesundheitsschädigung dargestellt habe. Dieser Auffassung haben sich ohne Begründung Peters/Sautter/Wolff (§ 150 Anm. 4), Rohwer/Kahlmann (§ 150 Anm. 65) und Mellwitz (Ergänzungsband § 150 Anm. 14) angeschlossen. Auch v. Schuch vertritt diese Ansicht (Die Kriegsopferversorgung 1956, 119). Dieser Meinung kann der erkennende Senat jedoch nicht folgen. Es handelt sich in dem vorliegenden Streit nicht um die Frage des ursächlichen Zusammenhangs, sondern um das Ausmaß der durch die Schädigung eingetretenen MdE, also um die Höhe der wehrdienstbedingten Verschlimmerung. Es wird nicht darüber gestritten, ob überhaupt das Leiden durch Einflüsse des Wehrdienstes verschlimmert worden ist, sondern darüber, wie hoch der Verschlimmerungsanteil als erwerbsmindernd zu bewerten ist.
Die Qualifizierung des Leidens als einfache oder als richtunggebende Verschlimmerung ist nicht nur für den jetzigen Rechtsstreit, sondern auch für künftige ohne Bedeutung, soweit es sich um die Frage des ursächlichen Zusammenhangs handelt. Wenn ein Leiden im Sinne der Verschlimmerung als Schädigungsfolge anerkannt ist, bleibt bei jeder weiteren Leidenverschlimmerung stets zu prüfen, ob und inwieweit diese noch eine Schädigungsfolge ist (BSG 6, 87). Ferner hat das Bundessozialgericht (BSG) in BSG 6, 192 ausgesprochen, soweit über die Frage zu entscheiden sei, ob ein Leiden durch den Wehrdienst verschlimmert worden sei, sowie darüber, welchen Anteil die Verschlimmerung an der festgestellten Gesamt-MdE habe, handele es sich nicht um die Anwendung einer Kausalitätsnorm, sondern um dies Feststellung von Tatsachen; dies gelte auch dann, wenn streitig sei, ob etwa deshalb, weil die Verschlimmerung eine richtunggebende gewesen sei, die MdE in vollem Umfang als Folge des Wehrdienstes anzusehen sei. Allerdings betrifft dieser Beschluß die Zulässigkeit der Revision nach § 162 Abs. 1 Nr. 3 SGG, der einen anderen Wortlaut als § 150 Nr. 3 SGG hat. Jedoch hat das BSG in einem weiteren Urteil vom 3. Juli 1958 (SozR BVG § 1 Nr. 5) unter Bezugnahme auf diesen Beschluß dargelegt, es müsse bei jeder neuen Bescheiderteilung (auf Grund des § 62 BVG) jeweils erneut geprüft werden, ob bei einem im Sinne der Verschlimmerung anerkannten Leiden eine geltend gemachte weitere Verschlimmerung noch auf Einflüsse des Wehrdienstes zurückgeführt werden könne. Dies gelte ebenfalls bei einer richtunggebenden Verschlimmerung eines Leidens; denn auch hier brauchte eine spätere weitere Verschlimmerung nicht mehr auf Einflüssen des Wehrdienstes zu beruhen; sie könne auch durch davon gänzlich unabhängige Umstände verursacht sein. Schließlich hat das BSG (BSG 11, 161) entschieden, bei der Entscheidung über den Versorgungsanspruch sei stets auch festzustellen, ob die anerkannten Schädigungsfolgen durch den Wehrdienst hervorgerufen oder nur verschlimmert worden seien; insoweit handele es sich um die Subsumtion tatsächlicher Feststellungen unter die Tatbestandsmerkmale des Versorgungsanspruchs unter Beachtung der Kausalitätsnorm und um die Abgrenzung der Folgen verschiedener Kausalitätsreihen. Dem BVG sei aber nicht zu entnehmen, daß im entscheidenden Teil des Verwaltungsaktes oder des Urteils auch anzugeben sei, ob eine Verschlimmerung richtunggebend sei oder nicht; diese Entscheidung habe allerdings der Praxis der Versorgungsbehörden entsprochen. Wichtig für die Beurteilung des Anspruchs sei nur, daß die Tatsachen festgestellt würden, aus denen sich der Anteil einer Verschlimmerung an dem gesamten Leidenszustand ergebe. Auch Wilke (BVG § 1 Anm. V Nr. 8) vertritt die Auffassung, daß die bei Anerkennung einer Gesundheitsstörung im Sinne der Verschlimmerung in den Rentenbescheiden vielfach gemachten Zusätze "einmalig abgegrenzt", "einmalig nicht richtunggebend" oder "richtunggebend" keine rechtsverbindlichen Wirkungen hätten. Es beständen gegen sie auch deshalb Bedenken, weil sie zu einer Schematisierung in der späteren Bearbeitung der Versorgungsangelegenheit und zur Präjudizierung einer späteren Entscheidung des Versorgungsamts (VersorgA) führen würden. "Richtunggebend" oder "nicht richtunggebend" bedeute nur, daß der bisherige, also der zurückliegende Verlauf der Krankheit eine bestimmte Richtung genommen habe, ohne daß damit in jedem Falle gleichzeitig der weitere Verlauf beurteilt werden könne.
Es wird also bei einem Streit darüber, ob ein Leiden richtunggebend oder nicht richtunggebend verschlimmert ist, nur über den Anteil der augenblicklich vorliegenden Verschlimmerung entschieden, ohne daß damit auch für die Zukunft irgendwie festgelegt wäre, ob auch die weitere Entwicklung des Leidens auf Einflüssen des Wehrdienstes beruht. Aus dem genannten Urteil BSG 11, 161 ist auch nichts Gegenteiliges zu entnehmen, wenn es darin heißt, der Kläger sei dann beschwert, wenn das SG auf den Antrag, ein Leiden als Schädigungsfolge im Sinne der Verschlimmerung festzustellen, in der Urteilsformel die Verschlimmerung als abgegrenzt bezeichnet habe. Denn in diesem Rechtsstreit war die Berufung nach allgemeinen Gesichtspunkten zulässig; der Streit ging darum, ob der Kläger durch die Bezeichnung "abgegrenzte Verschlimmerung" beschwert sei. Das BSG hat dies bejaht, weil ja die Feststellung der Schädigungsfolge nach der Urteilsformel des SG bedeute, daß nicht nur der Zustand des Leidens, der vor dem Wehrdienst bestanden habe, sondern auch eine künftige Verschlimmerung nicht als Schädigungsfolge anzusehen sei; diese Feststellung wolle ausschließen, daß eine weitere Verschlimmerung der anerkannten Schädigungsfolge zugerechnet werde. Das Urteil hat also gerade deshalb die Beschwer des Klägers bejaht, weil dann die bei der späteren Verschlimmerung vorzunehmende Prüfung, ob eine weitere Verschlimmerung des Leidens auf Einflüssen des Wehrdienstes beruhe, durch die Bezeichnung "abgegrenzte Verschlimmerung" rechtlich ausgeschlossen sei.
Die Frage, ob ein Leiden durch Wehrdiensteinflüsse einfach oder richtunggebend verschlimmert worden ist, spielt mithin nur für das betreffende Verfahren eine Rolle und bezieht sich hier nur darauf, welchen Anteil die auf Einflüssen des Wehrdienstes beruhenden Schädigungsfolgen an dem augenblicklichen Gesamtleidenszustand haben. Es wird aber damit nicht entschieden, ob künftig weitere Verschlimmerungen als Wehrdienstfolge anzuerkennen sind oder nicht, weil darüber in jedem Falle in einem neuen Verfahren ohne Bindung an das alte Urteil zu befinden ist. Auch im vorliegenden Fall wird nicht darüber entschieden, ob eine neue Verschlimmerung eingetreten ist, die noch auf der alten beruht (vgl. BSG 11, 161), sondern nur darüber, welcher Leidenszustand überhaupt vorliegt und wie hoch der Wehrdienstanteil daran zu bewerten ist.
Auch für etwaige Hinterbliebenenansprüche ist die Frage, ob eine einfache oder eine richtunggebende Verschlimmerung angenommen war, ohne Bedeutung. Nach § 36 Abs. 1 BVG beträgt das Bestattungsgeld 300,- DM, wenn der Tod die Folge einer Schädigung ist, sonst die Hälfte; der Tod gilt stets dann als Folge einer Schädigung, wenn ein Beschädigter an einem Leiden stirbt, das als Folge einer Schädigung anerkannt und für das im Zeitpunkt des Todes Rente zuerkannt war. Nach § 38 BVG hat die Witwe ... Anspruch auf Hinterbliebenenrente, wenn ein Beschädigter an den Folgen einer Schädigung gestorben ist; der Tod gilt auch hier stets dann als Folge einer Schädigung, wenn ein Beschädigter an einem Leiden stirbt, das als Folge einer Schädigung anerkannt und für das im Zeitpunkt des Todes Rente zuerkannt war. Zu § 38 BVG hat das BSG entschieden: "Stirbt der Beschädigte an einem Leiden, das nur im Sinne der Verschlimmerung als Schädigungsfolge anerkannt ist, so trifft die Rechtsvermutung der §§ 36 und 38 nur zu, wenn die Verschlimmerung für den Tod ursächlich gewesen ist; ob dies der Fall ist, ist auch dann zu prüfen, wenn die als Schädigungsfolge anerkannte Verschlimmerung mit einer MdE um 50 v.H. oder mehr bewertet worden ist" (BSG 7, 53). "Stirbt der Beschädigte an einem Leiden, das nur im Sinne der Verschlimmerung als Schädigungsfolge anerkannt ist, so trifft die Rechtsvermutung der §§ 36 und 38 zu, wenn die Verschlimmerung für den Tod ursächlich im Sinne des Versorgungsrechts geworden ist; dies gilt auch dann, wenn die als Schädigungsfolge anerkannte Verschlimmerung als einmalig bezeichnet und nur mit einer MdE von 30 v.H. bewertet worden ist" (BSG 12, 213). Es wird daher auch hier jeweils geprüft, ob die Verschlimmerung für den Tod ursächlich gewesen ist, ohne daß es von Bedeutung wäre, ob sie als einmalig oder richtunggebend verschlimmert anzusehen ist. Auch insoweit ist also die Entscheidung über die Art der Verschlimmerung ohne Bedeutung, es wird damit auch für die Hinterbliebenenansprüche keine verbindliche Vorentscheidung getroffen.
Es handelt sich damit nicht um einen Streit über den ursächlichen Zusammenhang, wie ihn § 150 Nr. 3 SGG verlangt. Die Zulässigkeit der Berufung kann daher nicht aus dieser Vorschrift hergeleitet werden.
Da das LSG die Berufung nicht zugelassen und der Beklagte keinen Verfahrensmangel gerügt hat, war die Berufung des Beklagten nicht zulässig. Das Urteil des LSG muß daher aufgehoben und die Berufung gegen das Urteil des SG als unzulässig verworfen werden.
Die Kostenentscheidung ergeht gemäß § 193 SGG.
Fundstellen