Entscheidungsstichwort (Thema)
Hinterbliebenenrente. übereinstimmende Erklärung der Ehegatten. Überleitungsvorschrift verfassungsgemäß
Leitsatz (amtlich)
Zur übereinstimmenden Erklärung der Ehegatten iS von Art 2 § 18 Abs 3 ArVNG.
Orientierungssatz
1. Die Abgabe einer Erklärung durch einen der Ehegatten allein reicht auch nicht in Fällen aus, in denen der andere Ehegatte aufgrund seines gesundheitlichen Zustandes nicht mehr in der Lage gewesen ist, seinerseits eine inhaltlich deckungsgleiche Erklärung abzugeben.
2. In Art 2 § 18 Abs 3 ArVNG ist eine ausfüllungsbedürftige Lücke, die sich auf derartige Fälle beziehen und vom Revisionsgericht geschlossen werden könnte, nicht vorhanden (vgl BSG vom 6.9.1989 5 RJ 70/88).
3. Gegen die Regelung des Art 2 § 18 Abs 3 ArVNG bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken.
Normenkette
GG Art 3 Abs 1; GG Art 14 Abs 1; GG Art 6 Abs 1; ArVNG Art 2 § 18 Abs 3 S 1 Fassung: 1985-07-11
Verfahrensgang
SG Schleswig (Entscheidung vom 06.10.1988; Aktenzeichen S 4 J 51/87) |
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Höhe der Witwenrente der Klägerin.
Der 1932 geborene Ehemann der Klägerin verstarb am 8. Juli 1986. Die 1935 geborene Klägerin war mit ihm seit 20. Mai 1960 verheiratet.
Am 21. Juli 1986 beantragte die Klägerin bei der Beklagten, ihr Hinterbliebenenrente aus der Versicherung ihres Ehemannes zu gewähren. Sie reichte der Beklagten dazu eine von ihr allein unterschriebene Erklärung ein, daß das bis zum 31. Dezember 1985 geltende Hinterbliebenenrecht weiter angewendet werden solle. Auf der Rückseite der Erklärung teilte sie ergänzend mit, daß diese Erklärung auch dem Willen ihres Ehemannes entspreche. Eine gemeinsame Erklärung hätte man nicht mehr abgeben können, da der Versicherte unerwartet verstorben sei. Er sei seit seiner letzten Operation am 17. Dezember 1985 nicht mehr in der seelischen Verfassung gewesen, mit derartigen Dingen belastet zu werden. Zugleich teilte die Klägerin mit, daß sie als Angestellte fortlaufend beschäftigt sei.
Mit Bescheiden vom 24. September und 7. November 1986 gewährte die Beklagte der Klägerin Witwenrente. Mit Bescheiden vom 31. Juli 1987 und 29. Juni 1988 stellte die Beklagte die Rente jeweils neu fest. Die Berechnung erfolgte nach dem seit dem 1. Januar 1986 geltenden Hinterbliebenenrecht unter teilweiser Anrechnung des eigenen Erwerbseinkommens der Klägerin. Den Widerspruch gegen den Bescheid vom 24. September 1986 wies die Beklagte mit Bescheid vom 5. März 1987 zurück, da nicht die erforderliche gemeinsame Erklärung beider Ehegatten vorliege.
Das Sozialgericht (SG) wies die hiergegen im März 1987 erhobene Klage mit Urteil vom 6. Oktober 1988 zurück. Die Beklagte habe der Berechnung der Witwenrente zutreffend das seit dem 1. Januar 1986 geltende Recht zugrunde gelegt und das Erwerbseinkommen der Klägerin teilweise angerechnet. Eine gemeinsame Erklärung der Eheleute über die Weitergeltung des alten Hinterbliebenenrechts iS von Art 2 § 18 Abs 3 des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (ArVNG) liege nicht vor. Es reiche nicht aus, daß sich die Eheleute über die Abgabe einer solchen gemeinsamen Erklärung einig gewesen seien. Der Versicherte habe seinen Willen nicht gegenüber der Beklagten oder einer anderen Behörde erkennbar geäußert, was jedoch nach dem ausdrücklichen Gesetzeswortlaut erforderlich sei. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Neuregelung der Hinterbliebenenrente bestünden nicht.
Die Klägerin hat dieses Urteil mit der vom SG zugelassenen Sprungrevision unter schriftlicher Zustimmung der Beklagten angefochten. Sie rügt die Verletzung materiellen Rechts.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
das Urteil des Sozialgerichts vom 6. Oktober 1988 aufzuheben, die Bescheide der Beklagten vom 24. September und 7. November 1986, 5. März und 31. Juli 1987 sowie 29. Juni 1988 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Witwenrente aus der Versicherung des H. R. unter Zugrundelegung des bis zum 31. Dezember 1985 geltenden Rechts zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Sprungrevision als unbegründet zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
Die kraft Zulassung durch das SG statthafte, form- und fristgerecht mit schriftlicher Zustimmung der Beklagten eingelegte und damit zulässige Sprungrevision der Klägerin ist nicht begründet. Das SG hat zu Recht die Klage gegen die Bescheide der Beklagten vom September 1986 und November 1986 (dieser gemäß § 86 Abs 1 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG- zum Gegenstand des Vorverfahrens geworden) sowie vom Juli 1987 und Juni 1988 (diese gemäß § 96 Abs 1 SGG zum Gegenstand des Verfahrens geworden) abgewiesen. Die Beklagte hat der Berechnung der Witwenrente der Klägerin rechtsfehlerfrei das ab 1. Januar 1986 geltende Hinterbliebenenrecht zugrunde gelegt und demzufolge das eigene Erwerbseinkommen der Klägerin anteilsmäßig berücksichtigt.
Entgegen der Auffassung der Klägerin ist der Berechnung ihrer Witwenrente nicht das bis zum 31. Dezember 1985 geltende Hinterbliebenenrecht zugrunde zu legen. Dieses Recht ist nach Art 2 § 18 Abs 3 Satz 1 ArVNG nur dann weiter anzuwenden, wenn Ehegatten gegenüber dem für einen der Ehegatten zuständigen Träger der gesetzlichen Rentenversicherung bis zum 31. Dezember 1988 übereinstimmend erklärt haben, daß für sie die am 31. Dezember 1985 geltenden Rechtsvorschriften für Renten an Witwen und Witwer anzuwenden seien, beide Ehegatten vor dem 1. Januar 1936 geboren sind und ihre Ehe vor dem 1. Januar 1986 geschlossen worden ist. Zwar sind bei der Klägerin die letzten beiden Voraussetzungen erfüllt. Das erste Tatbestandsmerkmal, daß die "Ehegatten ... gegenüber dem für einen der Ehegatten zuständigen Träger der gesetzlichen Rentenversicherung ... übereinstimmend erklärt" haben, für sie solle das bisherige Recht weitergelten, kann aber nicht bejaht werden. Erforderlich ist hiernach eine zugangsbedürftige Willenserklärung jedes der beiden Ehegatten, die inhaltlich mit der Erklärung des anderen Ehegatten deckungsgleich ist. Rechtlich wirksam wird jede der Erklärungen in entsprechender Anwendung von § 130 Abs 1 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) erst in dem Zeitpunkt, in dem sie dem Träger der Rentenversicherung als dem Erklärungsempfänger zugeht. Die in Art 2 § 18 Abs 3 Satz 1 ArVNG vorgesehene Wirkung tritt erst ein, wenn beide Erklärungen in diesem Sinn dem Rentenversicherungsträger zugegangen sind. Eine Erklärung des Ehemannes der Klägerin, die diesen Anforderungen genügt, ist nicht vorhanden. Das SG hat, für das Revisionsgericht gemäß § 163 SGG bindend, festgestellt, daß die Beklagte lediglich eine Erklärung erhalten hat, die von der Klägerin allein unterschrieben ist, eine gemeinsame Erklärung der Eheleute nicht abgegeben worden ist.
Die Abgabe einer Erklärung durch einen der Ehegatten allein reicht auch nicht in Fällen aus, in denen der andere Ehegatte aufgrund seines gesundheitlichen Zustandes nicht mehr in der Lage gewesen ist, seinerseits eine inhaltlich deckungsgleiche Erklärung abzugeben. Wie der erkennende Senat bereits mit dem zur Veröffentlichung vorgesehenen Urteil vom 6. September 1989 - 5 RJ 70/88 - entschieden hat, ist in Art 2 § 18 Abs 3 ArVNG eine ausfüllungsbedürftige Lücke, die sich auf derartige Fälle beziehen und vom Revisionsgericht geschlossen werden könnte, nicht vorhanden. Wie der Senat aaO ausgeführt hat, hat die Rechtsprechung den Wortlaut des Gesetzes zu beachten und davon auszugehen, daß dieser den Willen des Gesetzgebers zutreffend zum Ausdruck bringt, sofern sich nicht aus der Entstehungsgeschichte sowie aus Inhalt und Zweck der Vorschrift Anhaltspunkte ergeben, die mit hinreichender Sicherheit den Schluß auf ein planwidriges Unterlassen des Gesetzgebers zulassen. Der Wortlaut der hier anzuwendenden Norm ist eindeutig und bietet keinen Anlaß zu Zweifeln. Wie der Senat aaO erläutert hat, wird dieses Ergebnis auch durch einen Vergleich zu § 1251a Abs 2 Satz 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) gestützt. Beide Vorschriften sind durch das Hinterbliebenenrenten- und Erziehungszeiten-Gesetz (HEZG) vom 11. Juli 1985 geschaffen worden. Aus dem Umstand, daß in § 1251a Abs 2 Satz 2 RVO die Möglichkeit einer Erklärung durch einen Ehegatten allein vorgesehen ist, ist zu schließen, daß der Gesetzgeber durchaus erwogen hat, wann ausnahmsweise die Erklärung nur eines der Ehegatten ausreichen soll. Hat er sich mit dieser Ausnahme aber auf den in § 1251a Abs 2 Satz 2 RVO geregelten Sachverhalt beschränkt, so heißt das für den gleichzeitig normierten, aber ohne Ausnahme gebliebenen Tatbestand des Art 2 § 18 Abs 3 ArVNG, daß von einer planwidrigen Lücke in dieser Regelung nicht gesprochen werden kann.
Wie das SG zutreffend ausgeführt hat, bestehen gegen die Regelung des Art 2 § 18 Abs 3 ArVNG auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat mit Beschluß vom 12. Februar 1987 - 1 BvR 79/86, abgedruckt in SozR 5750 Art 2 § 18 Nr 1 - entschieden, daß die Überleitungsvorschrift des Art 2 § 17a Abs 2 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden ist. Der erkennende Senat sieht keinen Grund, daß diese Beurteilung nicht ebenfalls für die Überleitungsvorschrift des Art 2 § 18 Abs 3 ArVNG gilt, die mit Art 2 § 17a Abs 2 AnVNG wortidentisch ist. Die vom BVerfG angestellten Erwägungen zum Gleichheitssatz, Vertrauensschutz im Eigentumsgrundrecht, Verhältnis zwischen Ausmaß des Vertrauensschadens und der Bedeutung des gesetzlichen Anliegens für das Wohl der Allgemeinheit treffen auch für die Regelung des Art 2 § 18 Abs 3 ArVNG zu und führen in gleicher Weise zur Verneinung der Verfassungswidrigkeit der Vorschrift.
Der Revision der Klägerin mußte nach allem der Erfolg versagt bleiben; sie war zurückzuweisen (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs 1 SGG.
Fundstellen