Verfahrensgang
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 25. Juli 1957 wird zurückgewiesen.
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 25. Juli 1957 wie folgt geändert:
Das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 1. September 1955 wird aufgehoben und die Klage in vollem Umfang abgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Von Rechts wegen.
Gründe
Die Klägerin begehrt die Erhöhung der Witwenrente, die sie aus der Angestelltenversicherung ihres am 16. Juli 1953 verstorbenen Ehemannes erhält. Die Landesversicherungsanstalt (LVA.) Baden, die damals in ihrem Bereich die Aufgaben der Angestelltenversicherung wahrnahm, bewilligte durch Bescheid vom 2. November 1953 Witwenrente vom 1. August 1953 an, gewährte aber keine Steigerungsbeträge für die Zeit der Notdienstverpflichtung und Kriegsgefangenschaft des Versicherten im zweiten Weltkrieg (1.9.1939 bis 26.7.1945). Auf die Klage hin verurteilte das Sozialgericht (SG.) die inzwischen in das Verfahren eingetretene Beklagte, bei der Berechnung der Rente die streitige Zeit rentensteigernd zu berücksichtigen (Urteil vom 1.9.1955). Das Landessozialgericht (LSG.) schränkte diese Verpflichtung auf die Leistungen vom 1. Januar 1957 an ein (Urteil vom 25.7.1957): Steigerungsbeträge seien bis zum 31. Dezember 1956 für die streitigen Ersatzzeiten nur dann zu gewähren, wenn vor ihrem Beginn; am 1. September 1939 die Versicherung bestanden habe. Dies sei aber nicht der Fall. Für die Leistungen vom 1. Januar 1957 an seien dagegen nach Art. 2 §§ 17,8 des Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (AnVNG) in Verbindung mit den §§ 26 bis 28 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) n.F. die streitigen Zeiten als Ersatzzeiten anzurechnen, weil der Versicherte innerhalb von zwei Jahren nach Beendigung der Ersatzzeit wieder eine rentenversicherungspflichtige Tätigkeit aufgenommen habe. Das LSG. liess die Revision zu.
Beide Beteiligten haben Revision eingelegt, die Klägerin durch einen Angestellten der Kreishandwerkerschaft Mannheim. Mit ihrer Revision begehrt die Klägerin Berücksichtigung der Notdienst-Verpflichtung und Kriegsgefangenschaft auch für die Zeit vor dem 1. Januar 1957, die Beklagte mit der ihren die Aufhebung der Urteile des LSG. und des SG. und die Abweisung der Klage.
Die Revision der Beklagten ist zulässig. Weil alle übrigen Voraussetzungen vorliegen, ist auch die Revision der Klägerin zulässig, falls die Kreishandwerkerschaft in Mannheim eine Vereinigung von Arbeitgebern im Sinne des § 166 Abs. 2 des Sozialgerichtsgeseztes (SGG) ist oder einer solchen gleichgestellt werden kann. Der Senat hat dies bejaht. Dies Kreishandwerkerschaftem sind nach § 79 des Gesetzes zur Ordnung des Handwerks (HO) vom 17. September 1953 - BGBl. I S. 1411 - eine Zusammenfassung aller in ihrem Bezirk bestehenden Innungen. Die Innungen sind Zusammenschlüsse der selbständigen Handwerker desselben oder verwandter Handwerke (§ 47 HO); sie können nach ausdrücklicher Vorschrift des Gesetzes (§ 49 Abs. 3 Nr. 1 HO) auch Tarifverträge abschließen. Sie sind also Vereinigungen von Arbeitgebern auch im engeren Sinne des Arbeitsrechts. Für die Kreishandwerkerschaften ist im Gesetz keine entsprechende Befugnis vorgesehen, sie sind aber - anders als etwa die Handwerkskammern (§§ 83, 86 Abs. 1 HO) - ein Zusammenschluß von Arbeitgebervereinigungen, und zwar nur von solchen. Im § 166 Abs. 2 SGG werden zwar die Angestellten solcher Zusammenschlüsse - anders als im § 11 des Arbeitsgerichtsgesetzes (ArbGG) - nicht ausdrücklich unter den beim Bundessozialgericht (BSG.) zugelassenen Prozeßbevollmächtigten genannt. Der Senat ist aber - wie das BSG. schon bei anderer Gelegenheit entschieden hat - der Auffassung, daß auch Angestellte solcher Dachorganisationen Prozeßbevollmächtigte sein können (BSG. 6 S. 47 ff.). Nun sind die Handwerkerschaften zwar nicht tariffähig, weil sie Zusammenschlüsse kraft Gesetzes sind (§ 79 HO) (s. auch Hueck - Nipperdey - Tophoven, Tarifvertragsgesetz § 2 Anm. 20); aber sie sind Zusammenschlüsse tariffähiger Arbeitgebervereinigungen mit im wesentlichen gleichen wirtschafts-, berufs- und sozialpolitischen Aufgaben (§ 80 HO). Die Tatsache, daß der Zusammenschluß der freien Innungen eines Stadt- oder Landkreises auf Gesetz beruht, steht den Zwecken nicht entgegen, die das SGG damit verfolgt, daß es Mitglieder und Angestellte von Vereinigungen der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer unter bestimmten Voraussetzungen als Prozeßbevollmächtigte vor dem BSG zuläßt. Der Senat hat daher keine Bedenken, die Angestellten der Kreishandwerkerschaften zu den Personen zu rechnen, die nach § 166 Abs. 2 SGG Prozeßbevollmächtigte sein können.
Weil für die Zeiten, in denen der Ehemann der Klägerin Notdienst geleistet hat, keine Versicherungsbeiträge festgestellt worden sind, konnten nach dem bis zum 31. Dezember 1956 geltenden Recht für diese Zeiten nur dann Steigerungsbeträge gewährt werden, wenn bei ihrem Beginn ein Versicherungsverhältnis bestanden hätte (§ 4 der 2. Durchführungsverordnung zur Notdienstverordnung vom 10.10.1939 – RGBl. I S. 2018 – in Verbindung mit § 3 der Verordnung vom 13. Oktober 1939 – RGBl. I S. 2030 –). Der Ehemann der Klägerin war damals aber kein Versicherter. Die Anwartschaft aus seinen Beiträgen zur Invalidenversicherung in der Zeit bis 1922 ist erloschen. Sie ist auch nicht etwa nach dem Gesetz über die Verbesserungen der Leistungen in der Rentenversicherung vom 24. Juli 1941 – RGBl. I S. 443 – noch während des Notdienstes wieder aufgelebt, so daß der Ehemann der Klägerin von da an „als Versicherter” Notdienst geleistet hätte; denn die Beiträge sind sämtlich vor dem 1. Januar 1924 entrichtet worden. Der Ehemann der Klägerin war freilich seit dem 1. Januar 1939 als selbständiger Handwerker wieder versicherungspflichtig geworden, hatte aber bis zum Beginn des Notdienstes noch keine Beiträge entrichtet und war also bis dahin nicht versichert. Auch die – an sich zulässige – Nachentrichtung der Beiträge für 1939 im Jahre 1947 konnte die rechtlichen und tatsächlichen Verhältnisse zu Beginn des Notdienstes, auf die es allein ankommt, nicht mehr ändern, sondern nur bewirken, daß die Steigerungsbeträge zu gewähren sind für die nachentrichteten Beiträge selbst und für die früheren Beiträge, aus denen die Anwartschaft nach § 4 Abs. 2 des Sozialversicherungs-Anpassungsgesetzes (SVAG) infolge der Beitragszahlungen im Jahre 1947 erhalten ist (vgl. Urteil des Senats vom 11.12.1956 – BSG. 4 S. 186). Das LSG. hat daher mit Recht für die Zeit bis zum 31. Dezember 1956 die begehrte Rentenerhöhung abgelehnt.
Die Rente der Klägerin kann aber auch nicht etwa vom 1. Januar 1957 an wegen der Notdienstzeit erhöht werden. Denn § 28 AVG in der von da an geltenden Passung ist entgegen der Auffassung des LSG. für Versicherungsfälle, die zwischen dem 1. April 1945 und dem 31. Dezember 1956 eingetreten sind, nicht anwendbar. Der Notdienst des Ehemanns der Klägerin ist daher nicht als Ersatzzeit anzurechnen, obwohl er innerhalb von zwei Jahren nach seiner Beendigung eine versicherungspflichtige Tätigkeit aufgenommen hat. Art. 2 § 8 AnVNG, auf den das LSG. seine Ansichten stützt, verweist zurück auf § 26 AVG n.F., aber er läßt damit nur die in dieser Vorschrift enthaltene Neuordnung des Anwartschaftsrechts für solche Versicherungsfälle gelten und dehnt nicht etwa auch das neue Ersatzzeitenrecht des " 28 AVG n.F. auf sie aus. Dies hat der erkennende Senat in seinem Urteil vom 28. Januar 1959 (BSG. 9 S. 92 ff.) eingehend dargelegt und ebenso der 4. Senat des BSG. in seinem Urteil vom 8. Juli 1959 zu den gleichlautenden Vorschriften des Art. 2 § 8 AnVGN - § 1251 der Reichsversicherungsordnung - RVO - (BSG. 10 S. 151 ff.).
Da die Klägerin somit weder für die Rentennachzahlung vor dem 1. Januar 1957 noch für die Zahlungen nach dem 31. Dezember 1956 Anspruch auf Berücksichtigung der Zeiten hat, in denen ihr verstorbener Ehemann zu dem Notdienst herangezogen worden und im Anschluß daran in Kriegsgefangenschaft geraten war, war ihre Revision zurückzuweisen und waren auf die Revision der Beklagten hin die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Klage in vollem Umfang abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Unterschriften
Schneider
Penquitt
Dr. Krebs
Fundstellen