Leitsatz (amtlich)
Niederländische Staatsangehörige, die während des 2. Weltkrieges im Gebiet des jetzigen Landes Berlin einen Arbeitsunfall erlitten haben, sind auch für Zeiten zwischen dem 1946-01-31 und dem 1952-11-01 (5. ZVbg Abk Niederlande SV Art 1 Abs 1) von dem Unfallversicherungsträger zu entschädigen, dessen Zuständigkeitsbereich auf das Land Berlin erstreckt worden ist.
Normenkette
RVO § 615 Abs. 1 Nr. 3 Fassung: 1925-07-14; SVAbkZVbg NLD 5 Art. 1, 3 Abs. 2-3
Tenor
Auf die Revision des Klägers werden die Urteile des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 10. Juli 1969 und des Sozialgerichts Hannover vom 21. November 1968 sowie der Bescheid der Beklagten vom 24. Oktober 1967 aufgehoben.
Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger Verletztenrente für die Zeit vom 1. Februar 1946 bis zum 31. März 1952 zu gewähren.
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.
Gründe
I
Der Kläger ist niederländischer Staatsangehöriger und lebt in den Niederlanden. Während des zweiten Weltkriegs war er bei der Firma R AG in B beschäftigt. Am 26. November 1943 erlitt er in diesem Unternehmen dadurch einen Unfall, daß er bei einem Luftangriff von einem Bombensplitter am linken Unterarm getroffen wurde; dieser wurde auf der Grenze zwischen mittlerem und oberem Drittel amputiert. Durch Bescheid vom 8. Juni 1944 gewährte die damals zuständige Nordöstliche Eisen- und Stahl-Berufsgenossenschaft (BG) dem Kläger, der wieder in seine Heimat zurückgekehrt war, eine vorläufige Rente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 60 v.H., die ihm bis einschließlich Januar 1945 überwiesen wurde.
Streitig ist der Anspruch des Klägers auf Rentennachzahlung für die Zeit vom 1. Februar 1946 bis zum 31. März 1952.
Einen am 12. Juni 1953 gestellten Antrag des Klägers auf Wiedergewährung der Rente lehnte die beklagte Nordwestliche Eisen- und Stahl-BG mit Schreiben vom 8. Oktober 1953 ab: Der Anspruch ruhe nach § 615 Abs. 3 der Reichsversicherungsordnung (RVO) aF wegen des Auslandsaufenthalts des Klägers; das deutsch-niederländische Abkommen über Sozialversicherung vom 29. März 1951 gelte nicht für Unfälle, die sich außerhalb des Gebietes der Bundesrepublik Deutschland ereignet hätten.
Nachdem 1959 das Land Berlin in das deutsch-niederländische Abkommen einbezogen worden war, gewährte die Beklagte dem Kläger auf den Antrag vom 8. Februar 1961 durch Bescheid vom 7. März 1962 Dauerrente nach einer MdE um 50 v.H. für die Zeit vom 1. April 1952 an. Sie nahm ua auf den Antrag des Klägers vom 12. Juni 1953 Bezug und führte ferner aus: "Über Ansprüche vor dem 1.4.1952 ist in diesem Bescheid nicht zu befinden. Es wird jedoch bemerkt, daß die in der Zeit vom Zusammenbruch bis zum 31. 3. 1952 für die B Sozialversicherung zuständig gewesene Versicherungsanstalt B (VAB) keine Möglichkeit hatte, Rente an Personen zu zahlen, die außerhalb Berlins ihren Wohnsitz hatten. Soweit in diesem Bescheid Leistungen ab 1. 4. 1952 festgestellt worden, wird auf die Einrede der Verjährung gemäß § 29 RVO verzichtet."
Im September 1967 beantragte der Kläger, ihm die Rente für die Zeit bis zum 31. März 1952 nachzuzahlen. Diesen Antrag lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 24. Oktober 1967 mit der Begründung ab, sie sei für die Rentengewährung aus Arbeitsunfällen in Berlin-West vor dem 1. April 1952 nicht leistungspflichtig; nach der am 1. Juli 1959 in Kraft getretenen 5. Zusatzvereinbarung (ZV) zum deutsch-niederländischen Abkommen seien für die Zeit vom 31. Januar 1946 bis 1. November 1952 Leistungen zu gewähren, die nach den innerstaatlichen Rechtsvorschriften geschuldet würden; die für die Beklagte maßgebende Vorschrift, nach welcher sich ihre Zuständigkeit und der Zahlungsbeginn bestimme, sei das am 1. April 1952 in Kraft getretene Fremdrenten- und Auslandsrentengesetz (FAG); für vorausgehende Zeiten sei die ehemalige VAB zuständig gewesen, deren Satzungsbestimmungen jedoch Rentenzahlungen an Berechtigte mit Wohnsitz außerhalb Berlins nicht vorgesehen hätten; im übrigen wäre der Anspruch auf Leistungen vor dem 1. April 1952 ohnehin verjährt; denn der Antrag des Klägers vom 12. Juni 1953 könne, weil er bereits vor dem Inkrafttreten der 5. ZV gestellt worden sei, nicht auf diese Vereinbarung bezogen werden, der Antrag vom 8. Februar 1961 sei nicht - wie Art. 6 der 5. ZV voraussetze - innerhalb eines Jahres nach dem Inkrafttreten der 5. ZV gestellt worden.
Das Sozialgericht (SG) Hannover hat die auf Rentennachzahlung für die Zeit vom 1. Februar 1946 bis zum 31. März 1952 gerichtete Klage durch Urteil vom 21. November 1968 mit der im angefochtenen Bescheid gegebenen Begründung abgewiesen.
Das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen hat die - vom SG zugelassene - Berufung des Klägers durch Urteil vom 10. Juli 1969 zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im wesentlichen ausgeführt: Nach Art. 1 Abs. 1 der 5. ZV setze der Nachzahlungsanspruch voraus, daß der in Anspruch genommene deutsche Versicherungsträger Leistungen "schulde". Daran fehle es jedoch für Zeiten vor dem 1. April 1952 (Inkrafttreten des FAG). Der Kläger sei bei der - nicht mehr bestehenden - Nordöstlichen Eisen- und Stahl-BG versichert gewesen. Die Beklagte sei - jedenfalls soweit eine Leistungspflicht aus Arbeitsunfällen im Gebiet der Stadt Berlin in Betracht komme - nicht Rechtsnachfolgerin dieses Versicherungsträgers. Die Leistungspflicht der Beklagten sei erst durch das FAG mit Wirkung vom 1. April 1952 begründet worden (§§ 8, 20 FAG). - Auch aus Art. 3 der 5. ZV sei die Zuständigkeit der Beklagten nicht herzuleiten. Nach Abs. 2 Satz 4 dieser Vereinbarung sei, wenn der Versicherungsträger, der die Rente festgestellt habe, nicht mehr bestehe, der Antrag auf Nachzahlung bei den in Abs. 3 bezeichneten Versicherungsträgern einzureichen. Art. 3 Abs. 3 der 5. ZV bestimme als zuständig den Versicherungsträger, bei dem der Versicherte zur Zeit des Unfalls versichert gewesen sei. Hierin liege ein Widerspruch, der nicht zu lösen sei, jedenfalls nicht in dem Sinne, daß anstelle des untergegangenen Versicherungsträgers ein bestehender anderer Versicherungsträger leistungspflichtig sein solle.
Mit der - vom LSG zugelassenen - Revision macht der Kläger im wesentlichen geltend: Art. 1 Abs. 2 der 5. ZV bestimme, daß innerstaatliche Vorschriften über das Ruhen von Leistungen wegen des Wohnortes im Ausland nicht der zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich der Niederlande vereinbarten Rentennachzahlung entgegenständen. Damit sei § 615 Abs. 1 Nr. 3 RVO aF rückwirkend vom 1. Februar 1946 an (Art. 1 Abs. 1 der 5. ZV) auf den Kläger nicht mehr anwendbar. Für die Frage, ob der deutsche Versicherungsträger die rückständige Rente i.S. von Art. 1 Abs. 1 der 5. ZV "nach innerstaatlichem Recht schulde", müsse die zum innerstaatlichen Recht gehörende Ruhensvorschrift (§ 615 RVO aF) außer Betracht bleiben, weil andernfalls die Nachzahlungsvereinbarung keinen Sinn haben würde. Für die zurückliegende Zeit vom 1. Februar 1946 an sei davon auszugehen, daß der nicht untergegangene Anspruch des Klägers sich nach dem Wegfall der Nordöstlichen Eisen- und Stahl-BG gegen deren Funktionsnachfolgerin, mithin die Beklagte, gerichtet habe, ohne daß es hierfür besonderer Bestimmungen, insbesondere des FAG, bedürfe. Da der Anspruch auf Leistungen aus der deutschen gesetzlichen Unfallversicherung nicht auf einer Beitragsleistung des Verletzten selbst beruhe, komme es nicht auf die Rechtsnachfolge im allgemeinen Sinne, sondern allein auf die Funktionsnachfolge an.
Der Kläger beantragt,
die Entscheidungen der Vorinstanzen sowie den Bescheid der Beklagten aufzuheben und diese zu verurteilen, ihm Verletztenrente nach einer MdE um 50 v.H. auch für die Zeit vom 1. Februar 1946 bis zum 31. März 1952 zu gewähren,
hilfsweise,
festzustellen, welcher Versicherungsträger zuständig ist.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil im Ergebnis und in der Begründung für zutreffend. Sie meint, die Auffassung der Revision würde zu dem Ergebnis führen, daß der Kläger bessergestellt wäre als die deutschen Versicherten, denen gegen die Beklagte erst für die Zeit vom 1. April 1952 an durch das FAG Entschädigungsansprüche eingeräumt worden seien. Die Beklagte sei entgegen der Meinung der Revision nicht Funktionsnachfolgerin der Nordöstlichen Eisen- und Stahl-BG, weil dies, jedenfalls für den Bereich, den die Fremdrentengesetzgebung geregelt habe, nicht vorgesehen sei.
II
Die zulässige Revision hatte Erfolg.
Die gegen den Bescheid der Beklagten vom 24. Oktober 1967 erhobene Klage ist zulässig. Die Beklagte hatte zwar bereits zuvor formlos durch Schreiben vom 8. Oktober 1953 die Wiedergewährung der bis Januar 1945 von der Nordöstlichen Eisen- und Stahl-BG gezahlten Unfallrente allgemein abgelehnt und durch Bescheid vom 7. März 1962 die Rente lediglich für die Zeit vom 1. April 1952 an festgestellt; hiergegen hat der Kläger die gegebenen Rechtsbehelfe nicht eingelegt (vgl. § 77 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -). Es war deshalb zu prüfen, ob die Beklagte in dem streitbefangenen Bescheid vom 24. Oktober 1967, durch den sie Leistungen für die Zeit vor dem 1. April 1952 versagt hat, frühere, bindend gewordene Verwaltungsakte ohne erneute sachliche Prüfung nur wiederholt, um dem Kläger den Rechtsweg für eine gerichtliche Entscheidung wieder zu eröffnen; unter diesen Umständen wäre die Klage unzulässig (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 2. März 1971 - 2 RU 81/68-in Breithaupt 1971, 954). Indessen hindert die mit Schreiben vom 8. Oktober 1953 ausgesprochene Ablehnung der Rentengewährung schon wegen der nachträglichen Änderung der Rechtslage - durch Einbeziehung des Landes Berlin in das deutsch-niederländische Abkommen - nicht eine erneute, mit der Klage anfechtbare Entscheidung, und in dem Bescheid vom 7. März 1962 hat die Beklagte, wie in diesem ausdrücklich hervorgehoben, über Ansprüche für die Zeit vor dem 1. April 1952 keine - der Bindungswirkung zugängliche - Entscheidung getroffen.
Die Klage ist auch begründet. Der Kläger erhält wegen der Folgen seines Arbeitsunfalls vom 26. November 1943 Rente aus der deutschen gesetzlichen Unfallversicherung, wie die damals zuständige Nordöstliche Eisen- und Stahl-BG bereits anerkannt hatte und die Beklagte für die Zeit seit dem 1. April 1952 in ihrem Bescheid vom 7. März 1962 bindend festgestellt hat. Aufgrund der Fünften Zusatzvereinbarung vom 21. Dezember 1956 zum Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich der Niederlande über Sozialversicherung vom 29. März 1951 - Abkommen - über die Zahlung von Renten für die Zeit vor dem Inkrafttreten des Abkommens (BGBl 1959 II 436 - 5. ZV) hat er jedoch Anspruch auf Rente aus der deutschen gesetzlichen Unfallversicherung gegen die Beklagte auch für die Zeit vom 1. Februar 1946 bis zum 31. März 1952.
Die am 1. Juli 1959 (BGBl 1959 II 840) in Kraft getretene 5. ZV ist weiterhin in Kraft und im vorliegenden Fall anwendbar. Die Verordnung Nr. 3 des Rates der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft über die Soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer vom 25. September 1958 (BGBl 1959 II 473 - EWG - VO Nr. 3) ist zwar, soweit diese Verordnung nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt, hinsichtlich der Personen, auf die sie Anwendung findet, ua an die Stelle der zwischen zwei Mitgliedstaaten geschlossenen Abkommen über Soziale Sicherheit und der Zusatzvereinbarung getreten (Art. 5 Buchstabe a der EWG-VO Nr. 3). Selbst wenn man aber davon ausgeht - den tatsächlichen Feststellungen des LSG ist dies nicht zu entnehmen -, daß der Kläger vor oder nach seiner Beschäftigung in Berlin als Arbeitnehmer den Vorschriften über soziale Sicherheit eines Mitgliedstaates der EWG-unterstand oder untersteht und deshalb die EWG-VO Nr. 3 auf ihn Anwendung findet (vgl. Art. 4 Abs. 1 der EWG-VO Nr. 3), gründet sich der Nachzahlungsanspruch auf die 5. ZV, die nach Art. 6 Abs. 2 Buchstabe e der EWG-VO Nr. 3 durch Aufnahme in den Anhang D ungeachtet dieser Verordnung anwendbar bleibt.
Nach Art. 1 Abs. 1 der 5. ZV, die auch für das Land Berlin gilt (Art. 8), sind rückständige Renten aus der Unfallversicherung, die für Zeiten zwischen dem 31. Januar 1946 und dem 1. November 1952 (Inkrafttreten des Abkommens - BGBl 1953 II 2) von einem Versicherungsträger eines der beiden Vertragsstaaten Personen, die im Gebiet eines der beiden Vertragsstaaten wohnen oder sich dort aufhalten und einem der beiden Staaten angehören, nach den für diesen Träger maßgebenden innerstaatlichen Vorschriften geschuldet werden, nach Inkrafttreten dieser Vereinbarung nachzuzahlen. Innerstaatliche Vorschriften über den Ausschluß, das Ruhen oder die Entziehung von Leistungen wegen des Wohnortes oder des Aufenthalts im Ausland (s. § 615 Abs. 1 Nr. 3 RVO idF vor dem Unfallversicherungs-Neuregelungsgesetz vom 30. April 1963 - BGBl I 241 - RVO aF; § 625 RVO) stehen den Bestimmungen des Absatzes 1 nicht entgegen (Art. 1 Abs. 2). Die Leistung hat somit rückwirkend vom 31. Januar 1946 an nicht wegen des freiwilligen gewöhnlichen Auslandsaufenthalts des Klägers geruht.
Die Leistungspflicht der deutschen gesetzlichen Unfallversicherung vom 31. Januar 1946 an (Art. 1 Abs. 1 der 5. ZV) ist für die Zeit bis zum Inkrafttreten des Fremdrenten- und Auslandsrentengesetzes vom 7. August 1953 (BGBl I 848 - FAG -) am 1. April 1952 nicht deshalb ausgeschlossen, weil die Nordöstliche Eisen- und Stahl-BG, die für die Entschädigung des Klägers im Unfallzeitpunkt zuständig gewesen ist und die Rente zuerst festgestellt hat, nicht mehr besteht. Nach Art. 3 Abs. 1 der 5. ZV werden die Nachzahlungen aufgrund eines Antrags des Berechtigten bei dem verpflichteten Versicherungsträger oder von Amts wegen gewährt; in Art. 3 Abs. 2 bis 4 sind die Stellen bezeichnet, bei denen die Nachzahlung zu beantragen ist; hierbei ist ausdrücklich auch der - hier gegebene Fall erwähnt, daß die Rente bereits früher festgestellt worden ist, der die Rente feststellende Versicherungsträger jedoch nicht mehr besteht (Art. 3 Abs. 2 Satz 1 und Satz 4). Diese Regelung macht deutlich, daß die vertragschließenden Staaten die Verpflichtung der deutschen gesetzlichen Unfallversicherung zur Nachzahlung der Rente nicht von dem Fortbestand des Versicherungsträgers abhängig gemacht haben, der die Rente früher festgestellt hat.
Die Beklagte ist auch der für die Nachzahlung der Rente vor dem 1. April 1952 zuständige Versicherungsträger. Art. 3 Abs. 2 der 5. ZV regelt allerdings nicht, wer im Einzelfall zu leisten hat, wenn der Versicherungsträger, der die Rente festgestellt hat, nicht mehr besteht. Daraus ist aber - entgegen der Auffassung des LSG - nicht zu folgern, für Nachzahlungen vor dem 1. April 1952 bestehe eine Lücke in der 5. ZV, die nicht in dem Sinne geschlossen werden könne, daß anstelle des nicht mehr bestehenden Versicherungsträgers ein anderer Versicherungsträger leistungspflichtig sein solle. Ebenso wie die Dritte Zusatzvereinbarung zum Allgemeinen Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Belgien über Soziale Sicherheit vom 7. Dezember 1957 über die Zahlung von Renten für die Zeit vor dem Inkrafttreten des Abkommens, ebenfalls vom 7. Dezember 1957 (BGBl 1963 II 404), im Verhältnis zwischen dem Königreich Belgien und der Bundesrepublik Deutschland eine Sonderregelung auf dem Gebiet des Fremdrenten- und Auslandsrentenrechts darstellt (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 16. Dezember 1971 - 2 RU 14/68 -), trifft dies für die 5. ZV im Verhältnis zwischen dem Königreich der Niederlande und der Bundesrepublik Deutschland zu. Die 5. ZV geht als völkerrechtlicher Vertrag dem deutschen innerstaatlichen Recht vor. Ob eine Lücke in ihren Vorschriften besteht und wie diese gegebenenfalls zu schließen ist, muß deshalb zunächst aus ihrer Gesamtregelung beurteilt werden. Das gilt nach den Grundsätzen des Völkerrechts jedenfalls für zwischenstaatliche Vereinbarungen, die - wie die 5. ZV - generelle Regelungen enthalten (vgl. Verdross, Völkerrecht, 5. Aufl., 1964 S. 175). Die 5. ZV regelt nicht einen Einzelfall, sie gilt vielmehr, wie die Fassung des Art. 1 erkennen läßt, für eine Vielzahl von Fällen. Der Tatbestand, an den bestimmte Rechtsfolgen geknüpft sind, wird generell beschrieben. Der Senat entscheidet über die analoge Anwendung ebenso wie über die Auslegung von Bestimmungen der 5. ZV auch nur für den innerstaatlichen Bereich (vgl. BVerfG 6, 309, 366; Brackmann, Handbuch der Sozialversicherung, 1. - 7. Aufl., S. 296 h III).
Die Gesamtregelung der 5. ZV ergibt, daß niederländische Staatsangehörige, die im Gebiet des Landes Berlin vor dem Inkrafttreten des FAG einen Arbeitsunfall erlitten haben, für die Zeit vom 31. Januar 1946 an von dem Unfallversicherungsträger zu entschädigen sind, dessen Zuständigkeit auf das Land Berlin erstreckt worden ist. Art. 1 begründet - wie bereits dargelegt - einen Anspruch des Klägers auf Rente aus der deutschen gesetzlichen Unfallversicherung vom 31. Januar 1946 an, und zwar ungeachtet innerstaatlicher - deutscher - Vorschriften über den Ausschluß eines Anspruchs oder die Entziehung von Leistungen wegen des Wohnortes oder des Aufenthalts im Ausland (Art. 1 Abs. 2). Aus den Bestimmungen des Art. 3 Abs. 2 Satz 1 iVm Satz 4 der 5. ZV über die Stellen, bei denen die Nachzahlung zu beantragen ist, wenn der Versicherungsträger, der die Rente früher festgestellt hat, nicht mehr besteht, ist ferner zu entnehmen, daß der Nachzahlungsanspruch - auch für Zeiten vor dem 1. April 1952 - nicht von dem Fortbestand des ursprünglich zuständig gewesenen Versicherungsträgers abhängen soll. Da die Vereinbarung auch für das Land Berlin gilt (Art. 8), wäre die Regelung - gegebenenfalls bis auf den Geltungsbereich des Gesetzes über Zulagen und Mindestleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung und zur Überleitung des Unfallversicherungsrechts im Lande Berlin vom 29. April 1952 (BGBl I 253 - UZG) - gegenstandslos, wenn ein zuständiger deutscher Unfallversicherungsträger lediglich mit Inkrafttreten des FAG und damit erst seit dem 1. April 1952 gegeben wäre. Art. 1 und Art. 3 sind deshalb sowohl nach ihrem Wortlaut als auch nach Sinn und Zweck der Gesamtregelung der 5. ZV entsprechend dahin auszulegen, daß für die Zeit vor dem 1. April 1952 ein bestehender Unfallversicherungsträger die Leistungen für den nicht mehr vorhandenen übernimmt und daß für Arbeitsunfälle, die sich im Gebiet des Landes Berlin ereignet haben, derjenige Unfallversicherungsträger leistungspflichtig ist, dessen Zuständigkeitsbereich auf das Land Berlin erstreckt worden ist (vgl. §§ 12, 13 UZG). Dies ist im vorliegenden Fall die beklagte Nordwestliche Eisen- und Stahl-BG, deren Zuständigkeitsbereich aufgrund der in § 13 Abs. 1 Satz 2 UZG enthaltenen Ermächtigung auf Berlin ausgedehnt worden ist (vgl. Brackmann, aaO, S. 152 d).
Zu Unrecht hat sich die Beklagte im angefochtenen Bescheid hilfsweise darauf berufen, daß der Anspruch des Klägers auf Leistungen vor dem 1. April 1952 verjährt sei. Nach Art. 6 der 5. ZV kann der Ablauf von Verjährungs- oder Ausschlußfristen innerhalb eines Jahres nach Inkrafttreten dieser Vereinbarung nicht geltend gemacht werden. Ungeachtet ihres nicht eindeutigen Wortlauts ist diese Vorschrift nach der Auffassung des erkennenden Senats dahin zu verstehen, daß der Versicherungsträger die Verjährung nicht geltend machen kann, wenn die Nachzahlung spätestens innerhalb eines Jahres nach Inkrafttreten der 5. ZV (1. Juli 1959) beantragt worden ist. Ein Antrag auf Nachzahlung der Rente, der - wie im vorliegenden Fall - schon vor dem Inkrafttreten der 5. ZV gestellt worden ist, schließt somit die Befugnis des Versicherungsträgers, sich auf Verjährung zu berufen, ebenso aus wie ein erst nach dem Inkrafttreten der 5. ZV innerhalb eines Jahres eingereichter Nachzahlungsantrag (vgl. die im Ergebnis hiermit übereinstimmende Regelung in Art. 2 Abs. 2 Satz 2 der Dritten Zusatzvereinbarung zum deutsch-belgischen Abkommen vom 7. Dezember 1957, aaO).
Der Nachzahlungsanspruch des Klägers ist demnach aufgrund der 5. ZV für den gesamten im Streit stehenden Zeitraum begründet. Es kann dahinstehen, ob der Kläger - wie die Beklagte meint - hierdurch bessergestellt ist als deutsche Versicherte, denen gegen die Beklagte erst für die Zeit vom 1. April 1952 an durch das FAG Entschädigungsansprüche eingeräumt worden sind, und ob dies eine Verletzung des Gleichheitssatzes bedeutet. Denn selbst wenn die Regelung der 5. ZV zum Teil gegen den Gleichheitssatz verstieße, müßte der Senat von der völkerrechtlichen Bindung der Bundesrepublik Deutschland an die 5. ZV und damit von den von ihr begründeten Ansprüchen der niederländischen Staatsangehörigen ausgehen (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 16. Dezember 1971 - 2 RU 14/68 - mit Nachweisen).
Der Senat brauchte den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) nicht anzurufen, weil er nicht über die Gültigkeit und Auslegung von Handlungen der Organe der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zu entscheiden hat (Art. 177 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft vom 25. März 1957 - BGBl II 766 -; vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 16. Dezember 1971 - 2 RU 14/68 -).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen