Leitsatz (amtlich)

1. Der Anspruch auf Beitragserstattung entsteht mit der Stellung des Antrags, sofern zu diesem Zeitpunkt die übrigen Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind (Anschluß an BSG 1959-07-01 4 RJ 239/57 = BSGE 10, 127, 129; BSG 1972-10-31 4 RJ 125/72 = SozR Nr 14 zu § 1303 RVO und BSG 1972-11-30 12 RJ 360/71 = SozR Nr 15 zu § 1303 RVO).

2. Ein Erstattungsanspruch besteht nicht, wenn zwar nicht zur Zeit des Entfallens der Versicherungspflicht, wohl aber zur Zeit des Antrags auf Beitragserstattung ein Recht zur freiwilligen Versicherung besteht.

 

Normenkette

RVO § 1233 Abs. 1 Fassung: 1972-10-16, § 1303 Abs. 1 Fassung: 1972-10-16; AVG § 10 Abs. 1 Fassung: 1972-10-16, § 82 Abs. 1 Fassung: 1972-10-16

 

Tenor

Auf die Sprungrevision der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts München vom 26. September 1974 aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Der Kläger war von Juli 1968 bis Dezember 1970 versicherungspflichtig beschäftigt. Seinen im März 1973 gestellten Antrag auf Beitragserstattung lehnte die Beklagte mit der Begründung ab, daß der Kläger zur freiwilligen Versicherung berechtigt sei. Mit der dagegen erhobenen Klage machte der Kläger geltend, die Beklagte habe ihn nicht darauf hingewiesen, daß er in der zweiten Hälfte des Jahres 1972 einen Antrag auf Beitragserstattung mit der Bitte um Bearbeitung zum 31. Dezember 1972 habe stellen können; ohne diese Unterlassung hätte nach Ansicht des Klägers auch die Änderung der Gesetzeslage einer Beitragserstattung nicht entgegengestanden.

Das Sozialgericht (SG) hat der Klage mit der Begründung stattgegeben, daß im Zeitpunkt der Entstehung des Rechtes zur freiwilligen Versicherung durch das Rentenreformgesetz (RRG) vom 16. Oktober 1972 (BGBl I S. 1965) ein Anspruch des Klägers auf Beitragserstattung bereits gegeben gewesen sei; nur die Geltendmachung des Anspruchs sei vom Ablauf einer Zweijahresfrist abhängig gewesen. Dieser Anspruch sei durch das RRG nicht rückwirkend beseitigt worden.

Das SG hat die Berufung zugelassen. Die Beklagte hat mit Einwilligung des Klägers Sprungrevision eingelegt.

Sie beantragt,

unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.

Zur Begründung macht sie geltend, das SG habe die materiell-rechtliche Bedeutung des Erstattungsantrages verkannt. Ein solcher Antrag habe vom Kläger zu keinem Zeitpunkt wirksam gestellt werden können.

Der Kläger beantragt

Zurückweisung der Revision.

Die Beteiligten sind mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet; der Kläger hat keinen Anspruch auf Beitragserstattung.

Nach § 82 Abs. 1 Sätze 1, 3 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) ist dem Versicherten auf Antrag die Hälfte der seit dem Währungsschnitt entrichteten Beiträge zu erstatten, wenn die Versicherungspflicht in allen Zweigen der gesetzlichen Rentenversicherung entfällt, ohne daß das Recht zur freiwilligen Versicherung besteht; der Anspruch kann nur geltend gemacht werden, wenn seit dem Wegfall der Versicherungspflicht zwei Jahre verstrichen sind und inzwischen nicht erneut eine versicherungspflichtige Beschäftigung ausgeübt worden ist. Der Kläger ist nicht rentenversicherungspflichtig und hat seinen Wohnsitz im Geltungsbereich des AVG; er hat somit nach § 10 Abs. 1 AVG idF des RRG das Recht, freiwillige Beiträge zu entrichten. Dieses Recht schließt einen Anspruch auf Beitragserstattung aus.

Wie das Bundessozialgericht (BSG) wiederholt entschieden hat, entsteht der Erstattungsanspruch nach § 82 Abs. 1 AVG mit der Stellung des Antrages, sofern zu diesem Zeitpunkt die übrigen Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind (BSG 10, 127, 129; SozR Nrn. 14, 15 zu § 1303 RVO). Der erkennende Senat sieht keinen Anlaß, von dieser Rechtsprechung abzuweichen. Wenn das SG unter Berufung auf die Wortfassung des § 82 Abs. 1 Satz 3 AVG zwischen einer Entstehung des Anspruchs im Zeitpunkt des Entfallens von Versicherungspflicht und der Möglichkeit der Geltendmachung nach Ablauf der Zweijahresfrist unterscheidet, verkennt es Sinn und Zweck der Erstattungsregelung.

Die Beitragserstattung wurde 1957 im Hinblick auf die damalige Erschwerung des Weiterversicherungsrechts eingeführt; sie sollte den vom Verlust dieses Rechts Betroffenen einen Ausgleich bieten (BSG 14, 33, 35; BVerfG, SozR Nr. 67 zu Art. 3 GG); allein im Bedürfnis nach einem solchen Ausgleich findet sie ihre Rechtfertigung (vgl. BSG 10, 127, 129; BVerfG Nr. 16 Ab 15 Rs zu Art. 14 GG). Es widerspräche dieser Zielsetzung, wollte man dem Versicherten die Wahl zwischen Beitragserstattung und freiwilliger Versicherung überlassen (BSG 14, 33, 36; SozR Nr. 14 zu § 1303 RVO). Demgemäß hat es das BSG, was das Bestehen oder Nichtbestehen eines Weiterversicherungsrechts betrifft, nicht auf die Verhältnisse z. Zt. des Entfallens der Versicherungspflicht, sondern allein auf den Zeitpunkt des Antrags abgestellt (vgl. BSG 10, 127, 129; 14, 33, 34 ff); erst zu dem letztgenannten Zeitpunkt kann daher ein Erstattungsanspruch entstehen. Wollte man der Ansicht des SG folgen, so wäre der Versicherte in Fällen, wie dem hier vorliegenden, in der Lage, nach Beitragserstattung nicht nur für die Zukunft freiwillige Beiträge zu entrichten, sondern sogar nunmehr freigewordene Zeiträume nach Art. 2 § 49 a Abs. 2 Angestelltenversicherungs-Neuregelungsgesetz (AnVNG) erneut mit Beiträgen zu belegen; es kann dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden, ein solches Ergebnis gewollt oder in Kauf genommen zu haben.

Der Kläger hat den Antrag auf Erstattung erst gestellt, als er bereits zur freiwilligen Versicherung berechtigt war; die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Beitragserstattung waren mithin nicht erfüllt. Sie wären im übrigen auch nicht erfüllt gewesen, wenn die Beklagte dem Kläger eine frühere Antragstellung empfohlen oder anheimgestellt und der Kläger entsprechend gehandelt hätte. Denn auch ein früherer Antrag hätte erst nach Ablauf der Zweijahresfrist (vgl. SozR Nr. 14 zu § 1303 RVO), also frühestens am 1. Januar 1973 und mithin erst zu einem Zeitpunkt wirksam werden können, als es wegen des Bestehens des Rechts zur freiwilligen Versicherung an der Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen im übrigen fehlte.

Daß die Entstehung eines Erstattungsanspruchs allein durch eine Gesetzesänderung ausgeschlossen worden ist, vermag eine andere Beurteilung nicht zu rechtfertigen. Denn selbst wenn man annehmen wollte, daß der Kläger bereits mit dem Entfallen der Versicherungspflicht eine Anwartschaft auf Begründung eines Erstattungsanspruchs erlangt hatte, würde doch der Eingriff des Gesetzgebers in eine solche Position verfassungsrechtlichen Bedenken nicht begegnen (vgl. BSG 33, 177, 178 ff).

Nach alledem war die Klage unter Aufhebung des angefochtenen Urteils abzuweisen (§ 170 Abs. 2 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

BSGE, 89

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