Leitsatz (amtlich)

Dafür, ob ein Anspruch auf Beitragserstattung besteht, kommt es darauf an, ob zur Zeit der Antragstellung als dem Zeitpunkt der möglichen Entstehung des Anspruchs das Recht der freiwilligen Versicherung besteht.

 

Leitsatz (redaktionell)

Erstattung von Rentenversicherungsbeiträgen nach AVG § 82:

Nach AVG § 82 Abs 1 S 1 (= RVO § 1303 Abs 1 S 1) idF des RRG ist dem Versicherten auf Antrag die Hälfte der entrichteten Rentenversicherungsbeiträge zu erstatten, wenn die Versicherungspflicht in allen Zweigen der gesetzlichen Rentenversicherung entfällt, ohne daß das Recht zur freiwilligen Versicherung besteht.

 

Normenkette

RVO § 1233 Abs. 1 Fassung: 1972-10-16, § 1303 Abs. 1 Fassung: 1972-10-16; AVG § 82 Abs. 1 Fassung: 1972-10-16, § 10 Abs. 1 Fassung: 1972-10-16

 

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 28. Februar 1975 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Revisionsverfahrens sind nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Die 1946 geborene Klägerin war von September 1967 bis Februar 1972 und seitdem nicht mehr rentenversicherungspflichtig beschäftigt. Ihren im Februar 1974 gestellten Antrag auf Beitragserstattung lehnte die Beklagte mit der Begründung ab, die Klägerin sei nach § 10 Abs. 1 des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) i. d. F. des Rentenreformgesetzes (RRG) vom 19. Oktober 1972 zur freiwilligen Versicherung berechtigt.

Die Klage hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Das Landessozialgericht (LSG) hielt es für unerheblich, daß die Klägerin, als die Versicherungspflicht entfiel, sich noch nicht weiterversichern konnte; entscheidend sei die Befugnis im Zeitpunkt der Antragstellung.

Mit der zugelassenen Revision beantragt die Klägerin,

die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Beklagte zur Erstattung der von September 1967 bis Februar 1972 entrichteten Beiträge zu verurteilen.

Sie rügt eine Verletzung des § 82 Abs. 1 AVG. Nach dessen Fassung vor und nach Verkündung des RRG komme es für das Recht zur freiwilligen Versicherung auf den Zeitpunkt an, in dem die Versicherungspflicht entfällt. Das Gesetz lasse nur beim erneuten Eintritt von Versicherungspflicht die rückwirkende Vernichtung des Erstattungsanspruchs zu, nicht auch bei später eintretender Berechtigung zur freiwilligen Versicherung.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision ist nicht begründet; die Klägerin hat keinen Anspruch auf Beitragserstattung.

Da der Erstattungsantrag erst nach Inkrafttreten des RRG gestellt ist und dieses für Erstattungen keine Übergangsvorschriften enthält, ist der Erstattungsanspruch nach § 82 Abs. 1 AVG i. d. F. des RRG zu beurteilen (vgl. BSG 10, 127, 129). Nach dessen Satz 1 ist dem Versicherten auf Antrag die Hälfte der entrichteten Beiträge zu erstatten, wenn die Versicherungspflicht in allen Zweigen der gesetzlichen Rentenversicherung entfällt, ohne daß das Recht zur freiwilligen Versicherung besteht. Nach Satz 3 kann der Anspruch nur geltend gemacht werden, wenn seit dem Wegfall der Versicherungspflicht zwei Jahre verstrichen sind und inzwischen nicht erneut eine versicherungspflichtige Beschäftigung ausgeübt worden ist. Wie das Bundessozialgericht (BSG) wiederholt entschieden hat, entsteht hiernach der Erstattungsanspruch mit der Stellung des Antrags, sofern zu diesem Zeitpunkt die übrigen Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind (BSG 10, 127, 129; SozR Nrn. 14, 15 zu § 1303 RVO). Zur Zeit der Antragstellung aber hatte die Klägerin durch die Neufassung von § 10 Abs. 1 AVG bereits das Recht der freiwilligen Versicherung erlangt; die Voraussetzungen des Erstattungsanspruchs waren damit nicht erfüllt.

Allerdings mag der Wortlaut von § 82 Abs. 1 Satz 1 AVG auch die Deutung zulassen, es komme allein auf das Fehlen eines Versicherungsrechts im Zeitpunkt des Entfallens der Versicherungspflicht an. Eine solche Auslegung, die am buchstäblichen Sinn der auch sonst sprachlich ungenauen (vgl. BSG 10, 127, 130) Vorschrift haftet, widerspricht jedoch Sinn und Zweck der Erstattungsregelung; sie würde zu Ergebnissen führen, die nicht vom Gesetzgeber gewollt sein können.

Die Beitragserstattung wurde 1957 im Hinblick auf die damalige Erschwerung des Weiterversicherungsrechts eingeführt; sie sollte den vom Verlust des Weiterversicherungsrechts Betroffenen einen Ausgleich bieten (BSG 14, 33, 35; BVerfG SozR Nr. 67 zu Art. 3 GG), allein im Bedürfnis eines solchen Ausgleichs findet sie ihre Rechtfertigung (vgl. BSG 10, 127, 129; BVerfG Nr. 16, Ab 15 Rs zu Art. 14 GG). Demgemäß hat das BSG einen Erstattungsanspruch nicht schon deswegen verneint, weil im Zeitpunkt des Entfallens der Versicherungspflicht ein Weiterversicherungsrecht bestand, sondern es allein auf das Bestehen eines solchen Rechts z. Zt. des Antrags abgestellt (vgl. BSG 10, 127, 129; 14, 3, 34 ff). Daran ist auch hier festzuhalten.

Widerspricht es schon dem Sinn und Zweck des § 82 Abs. 1 AVG, dem Versicherten die Wahl zwischen Beitragserstattung und freiwilliger Weiterversicherung zu überlassen (BSG 14, 33, 36; SozR Nr. 14 zu § 1303 RVO), so muß das erst recht dort gelten, wo - wie das hier der Fall ist - eine Beitragserstattung das Recht der freiwilligen Versicherung unberührt lassen würde. Unter der Geltung des früheren Rechts wären in aller Regel durch eine Beitragserstattung die in einer früheren Beitragsleistung zu findenden Grundlagen eines Weiterversicherungsrechts zerstört worden; nur durch eine Entrichtung von mindestens 60 Monatsbeiträgen in der Zukunft hätten diese Voraussetzungen neu geschaffen werden können. Demgegenüber würde eine Beitragserstattung die Klägerin nicht hindern, nach § 10 AVG n. F. freiwillige Beiträge zu entrichten. Es ist kein Grund ersichtlich, der den Gesetzgeber zur Zubilligung eines Erstattungsanspruchs in Fällen dieser Art veranlassen könnte. Eine solche scheinbare Begünstigung eines Teiles der zur freiwilligen Versicherung Berechtigten stünde zudem im Widerspruch zu der auch in der Streichung von § 83 AVG durch das Finanzänderungsgesetz 1967 zum Ausdruck gekommenen Tendenz, den Versicherten den einmal erlangten Versicherungsumfang zu erhalten und ihnen den weiteren Ausbau ihres Versicherungsschutzes zu ermöglichen (vgl. BSG 33, 177, 182).

Nach alledem war die Revision mit der auf § 193 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) beruhenden Kostenentscheidung zurückzuweisen (§ 170 Abs. 1 SGG).

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1646656

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