Leitsatz (redaktionell)

Eine rechtzeitig abgesandte, aber auf dem Postwege verlorengegangene Ausfallanzeige (AFG § 84 Abs 1 Nr 3) ist noch unverzüglich erstattet, wenn sie sofort nach Kenntnis des Verlustes wiederholt wird.

 

Normenkette

AFG § 84 Abs. 1 Nr. 3 Fassung: 1972-05-19; WinterbauAnO § 14 Abs. 3 Fassung: 1972-07-04, § 15 Abs. 3 Fassung: 1972-07-04

 

Verfahrensgang

Bayerisches LSG (Entscheidung vom 05.02.1976; Aktenzeichen L 9 Al 23/75)

SG München (Entscheidung vom 15.01.1975; Aktenzeichen S 34 Al 71/73)

 

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 5. Februar 1976 aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob für den Nachweis der Erstattung von Schlechtwettergeldanzeigen (§ 84 Abs. 1 Nr. 3 des Arbeitsförderungsgesetzes - AFG -) der Nachweis der Aufgabe bei der Post ausreicht.

Die Klägerin zahlte für den 15. Dezember 1972 an 20 ihrer Arbeitnehmer Schlechtwettergeld (SWG) wegen witterungsbedingten Arbeitsausfalls in Höhe von insgesamt 497,70 DM. Sie gibt u. a. an, daß sie den Arbeitsausfall am 15. Dezember 1972 entsprechend den Anweisungen in einem von der Beklagten herausgegebenen Merkblatt mit einfachem Brief angezeigt habe.

Die Beklagte lehnte den Antrag auf Erstattung des SWG mit Bescheid vom 24. Januar 1973 ab, weil eine Anzeige des Arbeitsausfalls bei dem Arbeitsamt nicht eingegangen sei. Der Widerspruch blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 6. Februar 1973).

Die hiergegen erhobene Klage hat das Sozialgericht (SG) München durch Urteil vom 15. Januar 1975 abgewiesen. Die dagegen eingelegte Berufung der Klägerin hat das Bayerische Landessozialgericht (LSG) durch Urteil vom 5. Februar 1976 zurückgewiesen. Es hat dazu ausgeführt: Die unverzügliche Anzeige nach § 84 Abs. 1 Nr. 3 AFG sei eine materielle, den Anspruch begründende Voraussetzung für die Gewährung von SWG. Da mit der Anzeige eines witterungsbedingten Arbeitsausfalls eine bestimmte Rechtsfolge, nämlich die Bewilligung von SWG, verfolgt werde, sei sie eine empfangsbedürftige Willenserklärung oder zumindest eine auf einen Rechtserfolg gerichtete "geschäftsähnliche Handlung", die entsprechend den Vorschriften über die Willenserklärungen im bürgerlichen Recht (§ 130 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -) erst im Zeitpunkt ihres Zugangs wirksam werde. Die Ausfallanzeige könne somit nur dann i. S. des § 84 Abs. 1 Nr. 3 AFG als erstattet angesehen werden, wenn sie tatsächlich dem Arbeitsamt zugegangen sei. Der Nachweis der Absendung genüge nicht, da die Sendung nicht nur bei der Beklagten, sondern auf dem Postwege verlorengegangen sein könne.

Mit der Revision rügt die Klägerin eine Verletzung des § 84 Abs. 1 Nr. 3 AFG iVm § 130 BGB. Sie führt dazu aus: Eine entsprechende Anwendung der bürgerlich-rechtlichen Vorschriften über die Willenserklärungen, denen eine besondere Risikoverteilung zugrunde liege, könne entgegen der Auffassung des LSG im Falle einer Anzeige i. S. des § 84 Abs. 1 Nr. 3 AFG nicht in Betracht kommen. Eine derartige Anzeige sei keine rechtsgeschäftliche Willenserklärung, sondern eine tatbestandssichernde Mitwirkungshandlung, durch die dem Arbeitsamt die Überprüfung der Arbeitseinstellung ermöglicht werden solle. Die Anzeige werde in aller Regel durch Briefpost übermittelt. Der Arbeitgeber habe damit praktisch keine Möglichkeit mehr, den Eingang der Anzeige noch am Tage des Arbeitsausfalls sicherzustellen.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des LSG aufzuheben und den Rechtsstreit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen.

Die Beklagte stellt keinen Antrag.

Beide Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) einverstanden erklärt.

 

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist begründet. Das Urteil des LSG ist aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Zutreffend hat das LSG entschieden, daß es sich bei der Anzeige nach § 84 Abs. 1 Nr. 3 AFG um eine empfangsbedürftige Willenserklärung handelt, die ihre gesetzliche Wirkung grundsätzlich nur dann entfalten kann, wenn sie dem Adressaten zugegangen ist. Dies hat das Bundessozialgericht (BSG) zu der insoweit im Wortlaut gleichen Vorschrift des § 143 e des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) bereits entschieden (BSG SozR Nr. 1 zu § 143 e AVAVG).

Die Anzeige ist demnach im vorliegenden Fall frühestens in dem Zeitpunkt erstattet worden, in dem das Arbeitsamt durch die später zugegangenen SWG-Anträge Kenntnis von dem Arbeitsausfall erhalten hatte. Im Regelfall genügt eine so verspätete Anzeige den gesetzlichen Anforderungen nicht. Im § 84 Abs. 1 Nr. 3 AFG ist ausdrücklich bestimmt, daß die Anzeige unverzüglich erfolgen muß, d. h. ohne schuldhaftes Zögern (§ 121 Abs. 1 Satz 1 BGB). Das BSG hat zu § 143 e AVAVG entschieden, daß diesen Voraussetzungen nur genügt ist, wenn der Arbeitgeber am Tage des Arbeitsausfalls die Anzeige erstattet und dafür einen Weg wählt, der einen Eingang der Anzeige beim Arbeitsamt noch am gleichen Tage sicherstellt (BSG SozR Nr. 1 zu § 143 e AVAVG). Die rechtliche Situation hat sich aber seit dieser Entscheidung geändert. Durch die Anordnung des Verwaltungsrats der Bundesanstalt für Arbeit (BA) über die Förderung der ganzjährigen Beschäftigung in der Bauwirtschaft - Winterbauanordnung - (WA) vom 4. Juli 1972 (ANBA S. 511), die aufgrund der §§ 88, 89 AFG erlassen wurde, ist nunmehr nach § 14 Abs. 2 und § 15 Abs. 3 WA bestimmt, daß die Anzeige "schriftlich" zu erstatten ist. Das bedeutet, daß die Anzeige - von Ausnahmen abgesehen - nunmehr durch Briefpost zu übermitteln ist. Die Übermittlung durch Boten ist zumindest den Unternehmen, die nicht am Ort des Arbeitsamtes liegen, regelmäßig nicht zuzumuten. Die frühere Auffassung, daß der Arbeitgeber den Eingang der Anzeige noch am Tage des Ausfalles sicherstellen muß, kann danach nicht mehr aufrechterhalten werden. Es kann nur verlangt werden, daß er die Anzeige noch am selben Tag zur Post gibt. Verzögerungen auf dem Postweg sind ihm nicht anzulasten. Sie rechtfertigen deshalb auch nicht den Vorwurf, er habe die Anzeige schuldhaft verzögert. Dieser Rechtslage entspricht die Durchführungsanweisung Nr. 30.1 im Runderlaß des Präsidenten der BA Nr. 346/72.4.

Der Klägerin kann somit nicht vorgeworfen werden, daß sie die Anzeige, die auf dem Vordruck der Beklagten schriftlich zu erstatten war, durch Briefsendung übermittelt hat. Demzufolge kann ihr auch eine Verzögerung auf dem Postweg, sei es durch verspätete Zustellung, sei es durch Verlust der Sendung, nicht angelastet werden. Sie hat die Anzeige auch in diesen Fällen ohne schuldhaftes Zögern erstattet, wenn die Anzeige noch verspätet bei dem Arbeitsamt eintrifft oder die Klägerin sie sofort nach Kenntnis des Verlustes der Sendung wiederholt. Das ist hier durch die dem Widerspruch beigefügte Ablichtung der ursprünglichen Anzeige geschehen.

Ausgehend von diesen bereits in dem zur Veröffentlichung bestimmten Urteil des Senats vom 23. Juni 1976 - 12/7 RAr 157/74 - entwickelten Grundsätzen fehlt für eine abschließende Entscheidung noch die Feststellung, ob die Klägerin die Anzeige tatsächlich am 15. Dezember 1972 zur Post aufgegeben hat. Da das BSG diese Feststellung nicht selbst treffen kann, muß die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen werden.

Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1654060

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