Leitsatz (redaktionell)

Voraussetzung des § 589 Abs 2 RVO - MdE von mindestens 50 vH:

Die Voraussetzung des § 589 Abs 2 RVO gilt auch dann als erfüllt, wenn für den Versicherten wegen einer Berufskrankheit zZt des Todes bereits eine Verletztenrente nach einer MdE um mindestens 50 vH bindend festgestellt war, es sei denn, daß sie offenkundig nicht oder nicht in dieser Mindesthöhe vorgelegen hat.

 

Orientierungssatz

Voraussetzung für die Anwendung des RVO § 589 Abs 2 ist eine zu Lebzeiten tatsächlich bestehende, durch die Berufskrankheit bedingte MdE von mindestens 50 %. Die Rechtsansicht, es komme für die Anwendung des RVO § 589 Abs 2 nur darauf an, in welcher Höhe der Versicherte wegen der Berufskrankheit entschädigt worden sei, ist unrichtig.

 

Normenkette

RVO § 589 Abs. 2 Fassung: 1963-04-30

 

Verfahrensgang

LSG Rheinland-Pfalz (Entscheidung vom 24.06.1976; Aktenzeichen L 5 KnU 7/74)

SG Koblenz (Entscheidung vom 15.05.1974; Aktenzeichen S 5 KnU 147/73)

 

Tenor

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 24. Juni 1976 aufgehoben; der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob der Klägerin Hinterbliebenenentschädigung aus der Unfallversicherung ihres verstorbenen Ehemannes nach § 589 der Reichsversicherungsordnung (RVO) zusteht.

Der Ehemann der Klägerin bezog zu seinen Lebzeiten von der Beklagten wegen Silikose eine Verletztenrente, die mit Bescheid vom 27. September 1971 auf 50 v.H. der Vollrente erhöht wurde. Er starb am 14. November 1972. Eine Leichenöffnung hat nicht stattgefunden. Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 10. Dezember 1973 die Gewährung von Sterbegeld, Witwenrente und Überbrückungshilfe aus der Unfallversicherung ab, weil es nach den vorliegenden Gutachten offensichtlich sei, daß der Versicherte an den Folgen eines silikoseunabhängigen Lungenkrebses gestorben sei.

Das Sozialgericht (SG) Koblenz hat mit Urteil vom 15. Mai 1974 die Klage abgewiesen. Das Landessozialgericht (LSG) Rheinland-Pfalz hat mit Urteil vom 24. Juni 1976 auf die Berufung der Klägerin das Urteil des SG sowie den Bescheid der Beklagten vom 10. Dezember 1973 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, der Klägerin Hinterbliebenenentschädigung zu gewähren. Zur Begründung hat das LSG im wesentlichen ausgeführt, nach § 589 Abs. 2 Satz 1 RVO sei davon auszugehen, daß der Ehemann der Klägerin an den Folgen der Silikose gestorben sei, da er wegen dieser Berufskrankheit eine Verletztenrente von 50 v.H. bezogen habe. Es sei ohne Bedeutung, ob die von einem Sachverständigen geäußerte Ansicht zutreffe, die Erhöhung der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 30 auf 50 v.H. im Jahre 1971 sei zu Unrecht vorgenommen worden. Es komme nur darauf an, in welcher Höhe der Versicherte wegen der Silikose tatsächlich entschädigt worden sei. Da zwei namhafte medizinische Gutachter trotz ernsthaften Bemühens bei der Beurteilung der Zusammenhangsfrage zu völlig verschiedenen Erkenntnissen gelangt seien, sei es im Sinne des § 589 Abs. 2 Satz 2 RVO nicht offenkundig, daß der Tod mit der Berufskrankheit nicht in ursächlichem Zusammenhang stehe.

Die Beklagte hat dieses Urteil mit der - vom erkennenden Senat zugelassenen - Revision angefochten. Sie ist der Ansicht, bei der Prüfung der tatsächlichen Voraussetzungen des § 589 Abs. 2 RVO sei auch die Höhe der bindend festgestellten MdE nachprüfbar. Das LSG hätte also der Frage nachgehen müssen, ob - wie Dr. F es in seinem Gutachten ausgeführt habe - die MdE tatsächlich weniger als 50 v.H. betragen habe. Sei aber § 589 Abs. 2 RVO nicht anwendbar, so komme es nach § 589 Abs. 1 RVO darauf an, ob der ursächliche Zusammenhang zwischen Silikose und Tod nachgewiesen sei. Im übrigen habe das LSG mangels einer anderen Aussage zur Höhe der MdE dem in der Berufungsinstanz gestellten Beweisantrag folgen müssen, wenn es insoweit das Gutachten des Dr. F nicht für überzeugend gehalten habe.

Die Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil aufzuheben und die Berufung zurückzuweisen;

hilfsweise den Rechtsstreit an die Vorinstanz zurückzuverweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil im Ergebnis für richtig und die Revision der Beklagten für unbegründet.

Die Vermutung des § 589 Abs. 2 RVO sei auch im Falle einer bindend festgestellten MdE von 50 v.H. anzuwenden, es sei denn, daß sie offenkundig, d.h. ohne jeden ernsthaften Zweifel zur Zeit des Todes tatsächlich nicht bestanden habe. Ein solcher Schluß könne aber aus dem Gutachten des Sachverständigen Dr. F nicht gezogen werden. Im übrigen habe der Sachverständige Prof. Dr. B den ursächlichen Zusammenhang zwischen Tod und Silikose so eindeutig bejaht, daß es der Anwendung der Vermutung des § 589 Abs. 2 RVO nicht bedürfe.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision der Beklagten hat insofern Erfolg, als das angefochtene Urteil aufgehoben und der Rechtsstreit an das LSG zurückverwiesen wird. Die festgestellten Tatsachen reichen zur abschließenden Entscheidung nicht aus. Nach § 589 Abs. 1 RVO ist die Hinterbliebenenentschädigung bei Tod durch Arbeitsunfall zu gewähren. Nach Abs. 2 aaO steht dem Tod durch Arbeitsunfall der Tod eines Versicherten gleich, dessen Erwerbsfähigkeit durch die Folgen einer Silikose um 50 und mehr v.H. gemindert war. Dies gilt nicht, wenn offenkundig ist, daß der Tod mit der Berufskrankheit nicht in ursächlichem Zusammenhang steht. Voraussetzung für die Anwendung des § 589 Abs. 2 RVO ist eine zu Lebzeiten bestehende, durch die Silikose bedingte MdE von mindestens 50 v.H. Das LSG ist der Frage nicht nachgegangen, wie hoch die silikosebedingte MdE beim Ehemann der Klägerin tatsächlich war. Seine Rechtsansicht, es komme für die Anwendung des § 589 Abs. 2 nur darauf an, in welcher Höhe der Versicherte wegen der Silikose entschädigt worden sei, ist unrichtig. Der erkennende Senat hat bereits entschieden, daß Voraussetzung für die Anwendung des § 589 Abs. 2 RVO grundsätzlich ist, daß eine durch die Berufskrankheit bedingte MdE um 50 oder mehr v.H. zur Zeit des Todes tatsächlich vorgelegen hat. Diese Voraussetzung gilt auch dann als erfüllt, wenn für den Versicherten wegen einer solchen Berufskrankheit zur Zeit des Todes bereits eine Verletztenrente nach einer MdE um mindestens 50 v.H. bindend festgestellt war, es sei denn, daß sie offenkundig nicht oder nicht in dieser Mindesthöhe vorgelegen hat (vgl. SozR Nr. 7 zu § 589 RVO). Das LSG hätte also vor Anwendung des § 589 Abs. 2 RVO prüfen und feststellen müssen, ob die MdE offenkundig, d.h. ohne jeden ernsthaften Zweifel weniger als 50 v.H. betragen hat, ob also die Erhöhung der MdE auf 50 v.H. durch Bescheid vom 27. September 1971 offenkundig unrichtig war. Anlaß zu dieser Prüfung gab das Gutachten des Dr. F vom 21. August 1973, in dem dieser seine Beurteilung der MdE aus dem Gutachten vom 31. August 1971, die zur Erhöhung der Verletztenrente geführt hatte, als irrtümlich und unrichtig bezeichnete. Das LSG wird die hiernach erforderliche Feststellung, die der erkennende Senat nicht treffen kann, nachzuholen haben. Da das LSG sich nicht mit der Frage auseinandergesetzt hat, welchem der sich widersprechenden ärztlichen Ansichten zur Frage des ursächlichen Zusammenhangs der Vorzug zu geben ist, läßt sich das angefochtene Urteil - im Gegensatz zur Ansicht der Klägerin - auch nicht nach § 589 Abs. 1 RVO halten, denn es fehlt die Feststellung, ob der Tod des Ehemannes der Klägerin durch die Silikose wesentlich mitverursacht worden ist.

Der erkennende Senat hat auf die danach begründete Revision der Beklagten das angefochtene Urteil aufgehoben und den Rechtsstreit an das LSG zurückverwiesen. Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1654139

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