Verfahrensgang
SG Nürnberg (Urteil vom 19.07.1978) |
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 19. Juli 1978 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Beklagte zu Recht einen Bescheid zurückgenommen hat, worin die Teilnahme der Klägerin am Ausgleich von Arbeitgeberaufwendungen nach dem Lohnfortzahlungsgesetz (LFZG) für 1977 festgestellt war.
Auf die Angabe der Klägerin, sie habe 1976 weniger als 21 Arbeitnehmer beschäftigt, hatte die Beklagte mit Bescheid vom 11. Januar 1977 zunächst die Teilnahme festgestellt. Wie sie danach erfuhr, beschäftigte der Firmeninhaber der Klägerin jedoch insgesamt über 20 Arbeitnehmer, wenn man seinen weiteren Betrieb in K. mitberücksichtigte. Daraufhin hob die Beklagte am 2. Februar 1977 ihren Bescheid vom 11. Januar 1977 mit der Begründung auf, bei der maßgebenden Beschäftigtenzahl sei nicht auf die Arbeitnehmer im einzelnen Betrieb, sondern auf die Zahl der vom Arbeitgeber insgesamt beschäftigten Arbeitnehmer abzustellen. Der Widerspruch gegen diesen Bescheid blieb erfolglos.
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen, die Revision zugelassen und dazu ua ausgeführt: Der Inhaber der Klägerin und des Betriebes in K. sei Arbeitgeber iS des § 10 LFZG. Hinsichtlich der Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer stelle die Vorschrift ausdrücklich auf den Arbeitgeber ab und nicht auf den einzelnen Betrieb. Wenn in Absatz 2 Satz 3 der Vorschrift erstmals der „Betrieb” erwähnt werde, dann nur deshalb, weil dort näher geregelt werde, wann der Tatbestand der Beschäftigung von nicht mehr als 20 Arbeitnehmern gegeben sei. Praktische Erwägungen sprächen dagegen auch unter Berücksichtigung der Tatsache nicht, daß die einzelnen Betriebe im Bezirk verschiedener Träger des Ausgleichs liegen könnten. Denn nach § 10 Abs. 5 LFZG sei der Arbeitgeber verpflichtet, die für die Durchführung des Ausgleichs erforderlichen Angaben zu machen, dh dem Krankenversicherungsträger auch mitzuteilen, wieviele Beschäftigte er möglicherweise in mehreren Betrieben habe. Die Beklagte sei nach den Grundsätzen des allgemeinen Verwaltungsrechts über die Rücknahme von Verwaltungsakten auch berechtigt gewesen, den Bescheid vom 11. Januar 1977 zurückzunehmen. Da die Klägerin selbst unzutreffende Angaben über die Beschäftigtenzahl gemacht habe, falle die Fehlerhaftigkeit des Verwaltungsakts in ihren Verantwortungsbereich, so daß das öffentliche Interesse an der Herstellung des gesetzmäßigen Zustandes überwiege. Daß die Klägerin die Fehlerhaftigkeit des Verwaltungsaktes kannte bzw kennen mußte, ergebe sich aus folgendem: Die Rückseite des Erhebungsbogens habe den Hinweis enthalten, daß die Gesamtzahl aller Beschäftigten maßgebend sei, wenn derselbe Arbeitgeber mehrere Betriebe unterhalte.
Die Klägerin hat gegen das am 31. Juli 1978 zugestellte Urteil am 15. August 1978 Revision eingelegt. Dieser war die Fotokopie einer Abschrift der Verhandlungsniederschrift des SG vom 19. Juli 1978 beigefügt, in der Klägerin und Beklagte ihre Zustimmung zur Einlegung der Sprungrevision erklären. Die Akten des SG mit dem urschriftlichen Verhandlungsprotokoll sind beim Bundessozialgericht (BSG) am 28. August 1978 eingegangen.
Mit der Revision macht die Klägerin geltend, bei den beiden Betrieben, deren Beschäftigtenzahl das SG zusammengezählt habe, handele es sich um zwei in fachlicher, organisatorischer und wirtschaftlicher Hinsicht gänzlich voneinander getrennte Betriebe, nämlich um ein Spezialunternehmen des Ausbaugewerbes und eine Baufirma. Der Ausgleich der Arbeitgeberaufwendungen nach LFZG solle nicht nur dem wirtschaftlichen Interesse des einzelnen Arbeitgebers dienen, sondern vor allem die Existenz der Kleinbetriebe und die darin beschäftigten Arbeitnehmer sichern. Daraus sei zu schließen, daß es für die Abgrenzung der Teilnahme am Ausgleich der Arbeitgeberaufwendungen nach § 10 LFZG auf die Funktion des Arbeitgebers als zur Krankenlohnzahlung verpflichteten Inhabers eines Betriebes ankomme.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Nürnberg vom 19. Juli 1978 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, festzustellen, daß die Klägerin am Ausgleichsverfahren nach § 10 LFZG für das Jahr 1977 teilnimmt.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision ist zulässig. Die nach § 161 Abs. 1 Satz 3 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) der Revisionsschrift beizufügende schriftliche Zustimmung der Beklagten zur Sprungrevision liegt vor. Zwar hat die Klägerin lediglich die Fotokopie einer Abschrift der Verhandlungsniederschrift eingereicht. Jedoch sind die Akten des SG mit dem urschriftlichen Verhandlungsprotokoll, welches die Zustimmung der Beklagten zur Sprungrevision enthält, innerhalb der Revisionsfrist eingegangen. Mit der eingereichten Fotokopie hat die Klägerin darauf auch hingewiesen. Daß eine in den sozialgerichtlichen Akten befindliche Zustimmungserklärung als Nachweis ausreicht, wenn darauf innerhalb der Revisionsfrist verwiesen worden ist, hat das BSG bereits entschieden (SozR 1500 § 161 SGG Nr. 2). Das gleiche muß für die die Zustimmung protokollierende Verhandlungsniederschrift gelten.
Die Revision ist jedoch nicht begründet. Zu Recht hat das SG den Rücknahmebescheid über die Teilnahme der Klägerin an Ausgleich von Arbeitgeberaufwendungen nach dem LFZG für 1977 bestätigt. Denn der zurückgenommene Feststellungsbescheid war rechtswidrig, und auch die weiteren Rücknahmevoraussetzungen lagen hier vor. Nach § 10 Abs. 1 LFZG idF durch § 6 Nr. 2 des Gesetzes vom 28. August 1975 (BGBl I 2289) nehmen an dem Ausgleich der Arbeitgeberaufwendungen nur Arbeitgeber teil, die in der Regel ausschließlich der zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten nicht mehr als 20 Arbeitnehmer beschäftigen. Nach Absatz 2 der Vorschrift idF vom 27. Juli 1969 (BGBl I 946) hat der Träger der gesetzlichen Krankenversicherung jeweils zum Beginn eines Kalenderjahres festzustellen, welche Arbeitgeber für die Dauer dieses Kalenderjahres an dem Ausgleich teilnehmen.
Nach den Feststellungen des SG war der Inhaber der Klägerin Arbeitgeber von insgesamt mehr als 20 Arbeitnehmern, die in zwei Betrieben beschäftigt wurden. Allein auf die Person des Arbeitgebers stellen jedoch § 10 Abs. 1 und 2 Satz 2 LFZG bei der Frage nach der Anzahl der beschäftigten Arbeitnehmer ihrem Wortlaut nach ab. Auf wieviele Betriebe sich die Arbeitnehmer verteilen, ist unerheblich. Zwar taucht in § 10 Abs. 2 Satz 3 LFZG der Begriff des Betriebes auf. Damit wird jedoch der Arbeitgeberbegriff nicht in der Weise eingeschränkt, daß darunter nur der Arbeitgeber als Inhaber eines Betriebes fiele (vgl. Töns DOK 1969, 755, 757). Denn dort wird der Sonderfall geregelt, ob und wann der Arbeitgeber am Ausgleichsverfahren teilnimmt, wenn „der Betrieb” nicht während eines ganzen Jahres bestanden hat oder im Laufe eines Jahres errichtet worden ist. Dieses Problem kann durchaus auch bei mehreren Betrieben eines Arbeitgebersauftreten. Wenn für die Teilnahme am Ausgleichsverfahren die Anzahl der Arbeitnehmer eines Betriebes hätte maßgeblich sein sollen, hätte dies im Wortlaut des Gesetzes deutlicher zum Ausdruck kommen müssen, wie zB in § 245 Abs. 1 der Reichsversicherungsordnung (RVO). Danach kann ein Arbeitgeber für jeden Betrieb, in dem er regelmäßig mindestens 450 Versicherungspflichtige beschäftigt, eine Betriebskrankenkasse errichten.
Die Entstehungsgeschichte der Vorschrift spricht ebenfalls dafür, hinsichtlich der Teilnahme am Ausgleichsverfahren allein auf den Arbeitgeber abzustellen. In § 9 des Gesetzentwurfs der CDU-Fraktion über die Fortzahlung des Arbeitsentgelts im Krankheitsfall vom 18. März 1969 (BT-Drucks V/3985) taucht der Begriff des Betriebes überhaupt nicht auf, sondern ausschließlich der des Arbeitgebers. Diese Vorschrift wurde vom Ausschuß für Arbeit in § 10 LFZG übernommen (vgl. schriftlichen Bericht vom 4. Juni 1969 zu BT-Drucks V/4285). Absatz 2 sollte den in Absatz 1 enthaltenen Begriff „in der Regel nicht mehr als 20 Arbeitnehmer” konkretisieren. Wenn es in der Begründung dann weiter heißt, diese Regelung – das Abstellen auf einen Zeitraum von 8 Monaten – solle gewährleisten, daß nur Kleinbetriebe, nicht aber Saisonbetriebe, die in der Regel nicht zum Kreis der Kleinbetriebe gehörten, in das Ausgleichsverfahren einbezogen würden, so läßt dies nicht den Schluß zu, der Gesetzgeber habe dabei nur die in einem Betrieb eines Arbeitgebers Beschäftigten berücksichtigen wollen. Augenscheinlich ist er bei dieser Formulierung von dem in der Praxis vorherrschenden Normalfall ausgegangen, daß nämlich ein Arbeitgeber Inhaber eines Betriebes, insbesondere eines Kleinbetriebes ist.
Aus Sinn und Zweck des Gesetzes folgt aber, daß dann, wenn ein Arbeitgeber mehrere Betriebe besitzt, allein auf die Zahl der von ihm beschäftigten Arbeitnehmer abzustellen ist. Der Ausgleich der Arbeitgeberaufwendungen wurde nämlich geschaffen, weil in Kleinbetrieben das mit der Lohnfortzahlung verbundene Risiko besonder hoch ist. Denn hier kann – anders als in Großbetrieben – die Krankheitshäufigkeit der Beschäftigten wegen ihrer geringen Zahl von den statistischen Wahrscheinlichkeitswerten erheblich abweichen, so daß die Lohnfortzahlungspflicht den Arbeitgeber je nach dem zufälligen Krankenstand seiner Arbeitnehmer unverhältnismäßig härter trifft und mit abnehmender Beschäftigtenzahl für ihn kaum noch als Faktor seiner Kostenrechnung kalkulierbar ist (vgl. BSGE 36, 16, 20 – SozR Nr. 1 zu § 10 LFZG). Das Gesetz bezweckt mithin eine Liquidationssicherung des einzelnen Arbeitgebers. Biese muß jedoch unabhängig von der Anzahl der einzelnen Betriebe gesehen werden. Wenn die Schutzbedürftigkeit des Arbeitgebers bei einer Beschäftigten zahl von über 20 verneint wird, kann es nicht darauf ankommen, ob die Arbeitnehmer in einem oder in mehreren Betrieben tätig sind (so auch Peters, Handbuch der Krankenversicherung, Bd. II/4 60. Nachtrag, § 10 LFZG S A 220; Kehrmann/Pelikan, Lohnfortzahlungsgesetz, Komm, 2. Aufl 1973, § 10 RdNr. 3; Becher, Lohnfortzahlungsgesetz 1971, § 10 RdNr. 10; Kaiser Lohnfortzahlungsgesetz, Komm 1970, § 10 RdNr. 11; Töns aaO S 759; im Ergebnis wohl auch Doetsch/Schnabel/Paulsdorff, Lohnfortzahlungsgesetz, Komm, 4. Aufl 1975 § 10 RdNr. 6; Schneider, Die Beiträge 1971, 97, 99; Schulte-Mimberg, SdO 1980, 15, 17; anderer Ansicht Schmatz-Fischwasser, Vergütung der Arbeitnehmer bei Krankheit und Mutterschaft, 6. Aufl, Stand: VIII 1979 § 10 LFZG, Anm. II. 1 S D 015).
Diesem Ergebnis stehen praktische Erwägungen nicht ernsthaft entgegen. Auch wenn die einzelnen Betriebe in den Bereich verschiedener Träger des Ausgleichs der Arbeitgeberaufwendungen fallen, dürfte die Feststellung ihrer Teilnahme nicht auf größere Schwierigkeiten stoßen (so aber Schmatz-Fischwasser, aaO). Denn nach § 10 Abs. 5 LFZG hat der Arbeitgeber, worauf das SG zu Recht hingewiesen hat, dem zuständigen Träger die für die Durchführung des Ausgleichs erforderlichen Angaben zu machen. Wenn – wie hier – die Krankenkasse einen entsprechenden Hinweis gegeben hat, dürfte es dem Arbeitgeber nicht schwerfallen, zutreffende Angaben über die Zahl aller seiner Beschäftigten zu machen.
Zu Recht hat das SG die Beklagte ferner für berechtigt gehalten, den – wie ausgeführt rechtswidrigen – Bescheid vom 11. Januar 1977, womit sie zunächst die Teilnahme der Klägerin am Ausgleichsverfahren für 1977 festgestellt hatte, zurückzunehmen. Dabei hat die Beklagte die – seinerzeit noch – maßgeblichen Grundsätze des allgemeinen Verwaltungsrechts zutreffend angewandt (zu deren Geltung im Sozialversicherungsrecht bei Nichtleistungsbescheiden vgl. die ständige Rechtsprechung des BSG, BSGE 15, 252, 256 = SozR Nr. 2 zu § 173 RVO; BSGE 17, 295, 298 = SozR Nr. 4 zu § 1286 RVO; BSGE 30, 17, 20 = SozR Nr. 63 zu § 77 SGG; BSGE 47, 288, 289 = SozR 2200 § 183 RVO Nr. 19; BSG Urteil vom 21. September 1977 – 4 RJ 113/76 – DAngVers 1978, 397, 398). Die Regelung in §§ 44, 45 des Sozialgesetzbuches – Verwaltungsverfahren – (SGB X) über die Rücknahme von Verwaltungsakten kann für den vorliegenden Fall noch keine Wirkung entfalten, weil nach Art. 2 § 40 Abs. 2 diese Vorschriften erstmals anzuwenden sind, wenn nach dem 31. Dezember 1980 ein Verwaltungsakt aufgehoben wird.
Bei der Feststellung der Teilnahme am Ausgleichsverfahren handelte es sich um einen Verwaltungsakt, der sowohl begünstigende (Anspruch auf Erstattung der Arbeitgeberaufwendungen) als auch belastende (Pflicht zur Zahlung der Umlagebeträge) Elemente enthält (vgl. dazu Wolff-Bachof, Verwaltungsrecht Bd. 1, 9. Aufl 1974, § 47 VIc S 395). Auch wenn man diesen insgesamt als begünstigend wertet (so Kopp, Verwaltungsverfahrensgesetz mit Erläuterungen, 2. Aufl 1980, § 48 RdNr. 47), durfte er zurückgenommen werden – die Rücknehmbarkeit eines belastenden Verwaltungsakts wäre jedenfalls leichter als diejenige eines begünstigenden (vgl. Wolff-Bachof aaO S 394). Nach den allgemeinen Grundsätzen des Verwaltungsrechts ist die Rücknahme rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakte zulässig, wenn das öffentliche Interesse an der Rücknahme das schutzwürdige Interesse des Begünstigten an der Aufrechterhaltung überwiegt (vgl. ua BSGE 31, 190, 196). Das ist hier der Fall. Da der Erlaß des rechtswidrigen Verwaltungsakts in den Verantwortungsbereich der Klägerin fiel – ihr Inhaber hatte unzutreffende Angaben über die Beschäftigtenzahl gemacht, obwohl die Beklagte ihn auf der Rückseite des Erhebungsbogens auf die Notwendigkeit, Beschäftigte in mehreren Betrieben zusammenzuzählen, hingewiesen hatte –, verdient das Interesse an der Herstellung des gesetzmäßigen Zustandes Vorrang. Daß sich die Rücknahme auf einen – wenn auch äußerst kurzfristigen – Zeitraum in der Vergangenheit erstreckt, ist im vorliegenden Fall unerheblich. Da weder die Klägerin noch die Beklagte im Hinblick auf den Bescheid irgendwelche Leistungen erbracht haben, steht das im Sozialversicherungsrecht allgemein geltende Prinzip, daß in der Vergangenheit abgeschlossen zurückliegende Versicherungsverhältnisse Dicht nachträglich rückwirkend umgestaltet werden dürfen (vgl. BSGE 24, 45, 48 = SozR Nr. 7 zu § 73 G 131; BSGE 35, 195, 198 = SozR Nr. 4 zu § 1403 RVO; Urteil vom 28. Mai 1980 – 5 RKn 21/79 –), der Rücknahme nicht entgegen.
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des SG war deshalb zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen