Leitsatz (redaktionell)
Die nach SVG § 11 gezahlten Übergangsgebührnisse sind auf den Einkommensausgleich nach BVG § 17 anzurechnen.
Normenkette
BVG § 17 Fassung: 1964-02-21; SVG § 83 Abs. 1 Fassung: 1961-07-28, Abs. 1 Fassung: 1964-08-06, § 11 Abs. 1 Fassung: 1957-07-26, § 80 Abs. 1 Fassung: 1957-07-26
Tenor
Auf die Sprungrevision des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Schleswig vom 19. Februar 1965 aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.
Gründe
Der Kläger, der sich für sieben Jahre zum Dienst in der Bundeswehr verpflichtet hatte, befand sich vom August 1963 bis April 1964 wegen einer als Wehrdienstbeschädigung im Sinne der Verschlimmerung mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 70 v.H. anerkannten Lungentuberkulose im Krankenhaus. Am 31. Mai 1964 wurde er wegen Dienstunfähigkeit aus dem Dienst der Bundeswehr entlassen. Im Juni 1964 beantragte er die Gewährung eines Einkommensausgleichs nach § 83 des Gesetzes über die Versorgung für die ehemaligen Soldaten der Bundeswehr und ihre Hinterbliebenen (SVG) in Verbindung mit § 17 des Bundesversorgungsgesetzes (BVG). Die Kreiskrankenkasse Schleswig zahlte ihm auch einen Einkommensausgleich, rechnete darauf jedoch die dem Kläger nach § 11 SVG gezahlten Übergangsgebührnisse an. Den Antrag des Klägers, ihm den vollen Einkommensausgleich zu gewähren, lehnte das Versorgungsamt (VersorgA) mit Bescheid vom 11. August 1964 ab. Der Widerspruch hatte keinen Erfolg. Das Sozialgericht (SG) Schleswig hat mit Urteil vom 19. Februar 1965 den Bescheid des VersorgA sowie den Widerspruchsbescheid aufgehoben und den Beklagten verurteilt, den Einkommensausgleich ohne Anrechnung der Übergangsgebührnisse zu gewähren. Es hat zur Begründung ausgeführt, die Übergangsgebührnisse nach § 11 SVG gehörten weder zu den in § 17 Abs. 2 Satz 2 BVG genannten Einkunftsarten noch zu den nach § 17 Abs. 5 BVG anzurechnenden Leistungen. Sie seien kein Einkommen aus einer Arbeitsleistung, sondern beruhten auf dem früheren Dienstverhältnis bei der Bundeswehr, das nicht als Erwerbstätigkeit anzusehen sei. Es handle sich auch nicht um gesetzliche Geldleistungen, die der Beschädigte wegen seiner Arbeitsunfähigkeit erhalte, weil ihre Zahlung nicht vom Grad der Erwerbsfähigkeit abhängig sei. Die Anrechnung der nach § 11 SVG gezahlten Übergangsgebührnisse auf den Einkommensausgleich sei auch nach dem Sinn und Zweck dieser Leistung nicht zulässig, weil sie der Sicherstellung des Lebensunterhalts während einer durch Schädigungsfolgen bedingten Arbeitsunfähigkeit oder einer stationären Behandlung dienen solle (vgl. Schriftlicher Bericht des Ausschusses für Kriegsopfer- und Heimkehrerfragen, BT-Drucks. Nr. 1825 zu § 17 BVG). Die Übergangsgebührnisse dagegen sollten den aus dem Dienst der Bundeswehr entlassenen Soldaten die wirtschaftliche Anpassung an die veränderten Verhältnisse ermöglichen. Hätten sie nur den Zweck, für eine Übergangszeit den Lebensunterhalt sicherzustellen, so müßte der Anspruch entfallen, wenn unmittelbar nach der Entlassung aus dem Dienst der Bundeswehr eine neue Erwerbstätigkeit aufgenommen werde. Nach § 11 SVG bestehe jedoch auch dann Anspruch auf Übergangsgebührnisse, wenn diese nicht für den Lebensunterhalt benötigt werden. Schließlich würde auch die Anrechnung der Übergangsgebührnisse auf den Einkommensausgleich zur Benachteiligung derjenigen ehemaligen Soldaten führen, die infolge einer Wehrdienstbeschädigung ihren Lebensunterhalt nicht durch Arbeit erwerben können, während diejenigen, die nach Ablauf der Dienstzeit ohne Minderung ihrer Leistungsfähigkeit ausgeschieden sind, neben ihrem Arbeitslohn die vollen Übergangsgebührnisse erhalten. Das SG hat die Berufung gemäß § 150 Nr. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zugelassen und dabei auf die seiner Rechtsauffassung entgegenstehende Anordnung des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung vom 19. Mai 1964 (BVBl 1964, 90) hingewiesen, wonach die Übergangsgebührnisse auf den Einkommensausgleich anzurechnen sind.
Gegen dieses am 24. Februar 1965 zugestellte Urteil hat der Beklagte mit Schriftsatz vom 11. März 1965, beim Bundessozialgericht (BSG) eingegangen am 12. März 1965, Sprungrevision eingelegt und ein Schreiben des Prozeßbevollmächtigten des Klägers vom 2. März 1965 vorgelegt, in dem sich dieser mit der Einlegung der Sprungrevision einverstanden erklärt hat. Der Beklagte beantragt,
das Urteil des SG Schleswig vom 19. Februar 1965 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
In der am 31. März 1965 beim BSG eingegangenen Begründung der Sprungrevision vom 29. März 1965, auf die Bezug genommen wird, rügt der Beklagte eine unrichtige Anwendung des § 17 Abs. 5 BVG. Er meint, zu dem Einkommen aus nicht selbständiger Arbeit, das nach dieser Vorschrift anzurechnen ist, gehörten auch die Bezüge aus einem früheren Arbeitsverhältnis. Einem früheren Arbeitsverhältnis sei aber ein beendetes Beamtenverhältnis oder Dienstverhältnis eines Soldaten gleichzusetzen, so daß die Übergangsgebührnisse bei sinnvoller Auslegung des § 17 BVG als Einkommen aus nichtselbständiger Arbeit auf den Einkommensausgleich anzurechnen seien.
Der Kläger beantragt,
die Sprungrevision des Beklagten gegen das Urteil des SG Schleswig vom 19. Februar 1965 als unbegründet zurückzuweisen und dem Beklagten die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.
Er hält die Auffassung des SG für zutreffend und dessen Urteil für richtig.
Die Sprungrevision des Beklagten ist statthaft. Nach § 161 Abs. 1 Satz 1 SGG kann gegen die nach § 150 SGG mit der Berufung anfechtbaren Urteile der Sozialgerichte unter Umgehung des Berufungsverfahrens die Revision unmittelbar beim BSG (Sprungrevision) eingelegt werden, wenn der Rechtsmittelgegner einwilligt. Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Die Berufung ist nach § 150 Nr. 1 SGG zugelassen worden und die schriftliche Einwilligung des Rechtsmittelgegners zur Einlegung der Sprungrevision liegt vor. Die Sprungrevision ist auch in der für die Revision vorgeschriebenen Frist und Form eingelegt und begründet worden (§§ 164, 166 SGG) und daher zulässig. Sie ist auch begründet. Das SG hat die nach § 11 SVG gezahlten Übergangsgebührnisse zu Unrecht nicht als Einkommen aus nichtselbständiger Arbeit im Sinne des § 17 Abs. 5 BVG angesehen.
Nach § 80 Abs. 1 SVG erhalten Soldaten, die eine Wehrdienstbeschädigung erlitten haben, nach Beendigung des Dienstverhältnisses wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Schädigung Versorgung entsprechend den Vorschriften des BVG, soweit im SVG nichts anderes bestimmt ist. Sonach steht beschädigten ehemaligen Soldaten grundsätzlich auch ein Einkommensausgleich gemäß § 17 BVG zu. Für die Gewährung dieses Ausgleichs sind im § 83 Abs. 1 SVG in der hier anzuwendenden Fassung des Gesetzes vom 28. Juli 1961 (BGBl I S. 1085 und vom 6. August 1964 BGBl I S. 603) besondere Vorschriften gegeben, die aber im vorliegenden Fall, wie auch vom Beklagten anerkannt ist, der Gewährung des begehrten Einkommensausgleichs nicht im Wege stehen. Der Beklagte hat dagegen mit Recht geltend gemacht, daß der im vorliegenden Fall - bei der Geltendmachung eines Schadensausgleichs für die Zeit vom 1. Juni 1964 an - anzuwendende § 17 BVG i.d.F. des 2. Neuordnungsgesetzes (NOG) vom 21. Februar 1964 (BGBl I 65) die Gewährung des vollen Einkommensausgleichs nicht zuläßt. Nach § 17 Abs. 5 Satz 1 BVG sind auf den Einkommensausgleich sowohl alle gesetzlichen Geldleistungen, die der Beschädigte für sich und seine Familienangehörigen wegen der Arbeitsunfähigkeit empfängt, als auch die Nettoeinkünfte anzurechnen, die der Beschädigte während des Zeitraums, in dem er Einkommensausgleich erhält, aus den in Abs. 2 Satz 2 bezeichneten Einkunftsarten erzielt. Zu den dort angeführten Einkünften gehören auch die Einkünfte aus "nichtselbständiger Arbeit". Sie sind neben den Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb und selbständiger Arbeit erwähnt. Die gleichen Arten von Einkünften sind in § 33 Abs. 2 Nr. 1 BVG (§ 41 Abs. 3, § 47 Abs. 2 BVG) aufgezählt, wobei die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit in Buchst. a ausdrücklich als solche im Sinne des § 19 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) gekennzeichnet sind. Auch im § 1 Abs. 3 der Verordnung zur Durchführung des § 33 BVG idF vom 22. Juli 1964 ist hervorgehoben, daß Einkünfte im Sinne des § 33 Abs. 2 Nr. 1 BVG auch solche sind, die "nach den Vorschriften des Einkommensteuerrechts" den in § 33 Abs. 2 Nr. 1 BVG aufgeführten Einkunftsarten zugerechnet werden. Hierzu steht nicht etwa § 1 Abs. 1 der Durchführungsverordnung (DVO) zu § 33 BVG im Gegensatz, der nur besagt, daß Einkünfte unbeschadet ihrer steuerrechtlichen Zuordnung nicht anzurechnen sind, wenn das BVG ihre Nichtanrechnung vorschreibt. Im Gegenteil muß auch aus dieser Vorschrift gefolgert werden, daß Ausgangspunkt der Beurteilung der Anrechenbarkeit zunächst die steuerrechtliche Zugehörigkeit von Einkünften der genannten Art ist. Wenn demnach das BVG an den erwähnten Stellen als Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit solche im Sinne des Steuerrechts gemeint hat, so muß daraus für § 17 BVG gefolgert werden, daß das BVG dort mit den gleichen Worten über die Einkunftsarten die gleichen Begriffe verbunden hat, d.h., daß als Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit solche im Sinne des Steuerrechts anzusehen sind. Nach Abs. 1 Nr. 2 des § 19 EStG, in dem die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit angeführt sind, gehören dazu Wartegelder, Ruhegelder, Witwen- und Waisengelder und andere Bezüge und Vorteile aus früheren Dienstleistungen. Zu den Bezügen aus einer früheren Dienstleistung gehören aber wiederum die Übergangsgebührnisse nach § 11 SVG. Sie werden nach § 11 Abs. 1 SVG den Soldaten auf Zeit mit einer Wehrdienstzeit von mehr als einem Jahr gewährt, wenn ihr Dienstverhältnis wegen Zeitablaufs oder wegen einer nicht auf eigenes grobes Verschulden zurückzuführenden Dienstunfähigkeit endet. Sie beruhen allein auf der früheren Dienstleistung in der Bundeswehr und sind Vorteile, die der aus der Bundeswehr ausscheidende Soldat durch freiwillige, den Grundwehrdienst von zwölf Monaten übersteigende Dienstleistung erlangt. Die Übergangsgebührnisse werden sonach gerade wegen der früheren Dienstleistung gezahlt und nach deren Länge richtet sich auch ihre Höhe. Sie werden zudem auch nach den Dienstbezügen des letzten Monats vor Beendigung der Dienstleistung bemessen (§ 11 Abs. 2 SVG) und in Monatsbeträgen wie die Dienstbezüge gezahlt. Die Übergangsgebührnisse sind sonach zwar - wie zutreffend auch das SG angenommen hat - keine gesetzlichen Geldleistungen, die wegen der Arbeitsunfähigkeit gezahlt werden, weil sie nicht von der Feststellung einer Dienstbeschädigung oder der Dienstunfähigkeit abhängen, sie sind aber unverkennbar Bezüge aus einer früheren Dienstleistung im Sinne des § 19 Nr. 2 EStG und gehören damit auch zu den in § 17 Abs. 2 Satz 2 BVG bezeichneten Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit, die nach Abs. 5 auf den Einkommensausgleich anzurechnen sind.
Diese Auslegung entspricht auch dem Sinn und Zweck des Einkommensausgleichs, der nach § 17 Abs. 1 BVG nur gewährt wird, soweit und solange das Einkommen des Beschädigten infolge der Arbeitsunfähigkeit gemindert ist. Diese Voraussetzung entfällt aber, wenn anstelle der bis zur Beendigung des Wehrdienstes empfangenen Dienstbezüge für eine Übergangszeit Gebührnisse gezahlt werden. Selbst wenn diese Gebührnisse unabhängig davon gezahlt werden, ob der Empfänger daneben andere Einkünfte, auch solche aus nichtselbständiger Arbeit, hat - worauf der Kläger hinweist -, so ergibt sich daraus kein vernünftiger Grund, der die Anrechenbarkeit dieser Gebührnisse auf den Einkommensausgleich ausschlösse, und zwar entgegen der eindeutigen gesetzlichen Regelung.
Das SG hat sonach § 17 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 5 BVG nicht richtig angewandt. Die Sprungrevision des Beklagten ist mithin begründet. Das Urteil des SG war daher aufzuheben. Da jedoch Feststellungen des SG über die Berechnung des Einkommensausgleichs an sich und die Höhe der anzurechnenden Übergangsgebührnisse nach § 11 SVG fehlen, konnte der Senat nicht selbst entscheiden. Die Sache mußte deshalb an das SG zurückverwiesen werden (§ 170 Abs. 2 Satz 2 SGG).
Fundstellen