Leitsatz (amtlich)
Die Rückforderung zu Unrecht entrichteter Beiträge ist wegen Gewährung einer Heilbehandlung auch dann ausgeschlossen (RVO § 1424 Abs 3), wenn dem Versicherungsträger die Ungültigkeit der Beiträge zu Beginn der Heilbehandlung bekannt war, er die Leistung aber nach gesetzlicher Vorschrift gewähren mußte (Vergleiche BSG 1968-02-14 1 RA 51/66 = SozR Nr 1 zu § 72a G 131). Unerheblich ist es, daß die Verpflichtung zur Leistung sich auch aufgrund anderer wirksamer Beiträge ergeben hätte.
Normenkette
RVO § 1424 Abs. 3 Fassung: 1957-02-23
Tenor
Die Revision gegen das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 24. Januar 1967 wird zurückgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
Der Ehemann der Klägerin bezog seit 1934 Rente aus der knappschaftlichen Pensionsversicherung und der Invalidenversicherung. In den Jahren 1948 bis 1958 war er wieder als Arbeiter gegen Entgelt beschäftigt. Während dieser Zeit wurden für ihn Beiträge zur Arbeiterrentenversicherung (ArV) entrichtet. Ende 1958 erkrankte er an Tuberkulose. Ihm wurden deswegen vom 31. Dezember 1958 an stationäre Heilbehandlung und Übergangsgeld gewährt. Bereits vorher - am 8. Dezember 1958 - hatte die beklagte Landesversicherungsanstalt (LVA) das örtlich zuständige Versicherungsamt ersucht, den Versicherten davon zu unterrichten, daß er während des Rentenbezugs bis Ende 1956 versicherungsfrei gewesen sei (§ 172 Nr. 7 der Reichsversicherungsordnung - RVO - aF; Sozialversicherungsdirektive - SVD - Nr. 20 Buchst. a und f) und daß ihm die Arbeitnehmeranteile der für diese Zeit eingezahlten Beiträge erstattet werden könnten. Von diesem Ersuchen erfuhr der Versicherte vor Beginn der Heilbehandlung nichts mehr. Den Antrag auf Beitragsrückvergütung stellte er erst im September 1959. Die Beklagte lehnte diesen Antrag - am 15. Februar 1960 aufrechterhalten im Widerspruchsbescheid vom 2. Dezember 1960 - ab, weil aus diesen Beiträgen eine Regelleistung bewilligt worden sei (§ 1424 Abs. 3 RVO).
Mit der Klage, welche die Ehefrau des Versicherten nach dessen Tode weiterverfolgt, wird in erster Linie die Feststellung erstrebt, daß die beanstandeten Beiträge rechtswirksam seien; hilfsweise wird die Verurteilung der Beklagten zur Beitragsrückzahlung erbeten. Das Sozialgericht (SG) hat dem primär gestellten Klageantrag entsprochen. Es hat in tatsächlicher Hinsicht ermittelt, daß der Versicherte in der fraglichen Zeit nicht invalide gewesen sei. Hieraus hat es gefolgert, daß er sich habe freiwillig versichern können. Dagegen hat das Landessozialgericht (LSG) der Berufung der LVA stattgegeben und die Klage abgewiesen. Da der Versicherte Rente wegen Invalidität bezogen habe, sei in der Zeit vor 1956 seine Versicherungsfähigkeit auch auf freiwilliger Grundlage zu verneinen. Die Beklagte habe infolgedessen die Beiträge zu Recht beanstandet, dürfe sie aber nicht zurückgewähren, nachdem sie sich in der Leistung des Heilverfahrens niedergeschlagen hätten. - Dieser Entscheidung stehe die Erklärung der Beklagten vom 8. Dezember 1958 nicht entgegen. Die Erklärung sei nicht unmittelbar an den Versicherten adressiert gewesen; sie lasse auch nicht erkennen, daß die Beklagte das Rückforderungsrecht des Versicherten habe verbindlich anerkennen wollen.
Die Klägerin hat die - zugelassene - Revision eingelegt. Sie beantragt, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das erstinstanzliche Urteil zurückzuweisen. Sie meint, daß die Beklagte im gegenwärtigen Streitfalle die Tuberkulosehilfe auch ohne die beanstandeten Beiträge hätte gewähren müssen. Die Leistung sei also nicht, wie es das Gesetz voraussetze, "aus diesen Beiträgen bewilligt" worden. Sollten die Beiträge aber trotzdem im Vermögen der Rentenversicherung verbleiben, so müßten sie wie Beiträge der Weiterversicherung gewertet werden.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Die Revision hat keinen Erfolg.
Die für die Jahre 1948 bis 1956 entrichteten Beiträge sind unwirksam. Dieses Ergebnis hat das Berufungsgericht zutreffend daraus hergeleitet, daß der Ehemann der Klägerin in diesen Jahren Rente wegen Invalidität bezogen hatte und versicherungsfrei war (§ 172 Nr. 7 RVO aF). Aus diesem Grunde war trotz Ausübung einer versicherungspflichtigen Beschäftigung der Arbeitnehmeranteil zu den Beiträgen nicht zu entrichten (SVD Nr. 20 Buchst. a und f). Aber auch eine freiwillige Versicherung kam in dieser Zeit nicht in Betracht. Dafür könnte sprechen, daß die Bewilligung der Rente der wirksamen Verwendung freiwilliger Beiträge überhaupt entgegengestanden habe (vgl. RVA, Amtl. Nachr. 1925, 48). Diese Rechtsfolge war nämlich in § 1443 RVO aF ausdrücklich nur für die Zeit nach Eintritt der Invalidität angeordnet. Damit nahm das Gesetz indessen nur auf denjenigen Tatbestand Bezug, der regelmäßig eine Voraussetzung des Anspruchs auf Invalidenrente war. Das legt den Gedanken nahe, daß dann, wenn schon die Erfüllung der Anspruchsvoraussetzung die Versicherungsberechtigung ausschloß, das gleiche erst recht gelten müsse, wenn wegen Verwirklichung dieses Tatbestandes sogar die Leistung erbracht wurde. Daß letzteres das erste einschließt, ist der Regelfall, auf den hin das Gesetz zugeschnitten war. Es ist zudem nicht erkennbar, daß der Gesetzgeber die Rechtsfolge des Rentenbezugs abstrahiert von ihrem tatsächlichen Grunde, nämlich von der Invalidität, habe behandelt wissen wollen. Die entgegenstehende Ansicht hätte im übrigen zur Folge, daß Tatsachen, die weit zurückliegen, ermittelt werden müßten. Bei der Unaufklärbarkeit, mit der hierbei vielfach in bezug auf die Invaliditätsfrage zu rechnen wäre, müßte man in der Praxis eine ungleiche Gesetzesanwendung befürchten. Das könnte den Senat veranlassen, dem Vorschlag des Berufungsgerichts zu folgen und die abweichende, in BSG 1, 52, 54 veröffentlichte Entscheidung aufzugeben. Doch ist eine solche abschließende Stellungnahme im gegenwärtigen Streitfall nicht nötig, weil das gleiche Ergebnis aus anderen Erwägungen herzuleiten ist.
Der Ehemann der Klägerin hatte 1948 bereits das 40. Lebensjahr vollendet und vermochte somit nicht mehr freiwillig in die Versicherung einzutreten (§ 1243 RVO aF). Um sich weiterversichern zu können, hätte er mindestens 26 Wochenbeiträge auf Grund der Versicherungspflicht nachweisen müssen (§ 1244 Satz 1 RVO aF). Die von ihm vor 1948 zurückgelegten Beitragszeiten waren aber bei der Feststellung der Invalidenrente "angerechnet" worden. Sie waren daher als Versicherungsbasis "verbraucht" und standen als Vormonate für eine freiwillige Fortsetzung der Versicherung nicht mehr zur Verfügung (RVA AN 1926, 278). Andere Beitragszeiten als Grundlage der Weiterversicherung waren nicht vorhanden. Infolgedessen scheidet die Möglichkeit aus, die zunächst in der irrtümlichen Annahme der Versicherungspflicht abgeführten Beiträge als solche der Weiterversicherung zu werten (§ 1422 RVO).
Des weiteren hat die beklagte LVA nicht damit, daß sie eine Heilbehandlung gewährte, zugleich die Gültigkeit der Beiträge anerkannt (vgl. BSG SozR Nr. 3 zu § 1421 RVO). Wenn die Versicherungsanstalt jemandem ein Heilverfahren hat zuteil werden lassen, so darf sie gleichwohl noch nachher die Versicherungspflicht oder die Versicherungsberechtigung des Betreffenden in Zweifel ziehen. Eine andere Auffassung wäre unerwünscht, weil die Versicherungsträger sonst gehalten wären, vor Gewährung von Maßnahmen zur Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit in genaue, vielleicht zeitraubende Ermittlungen über die Rechtsgültigkeit von Beiträgen einzutreten. Der dadurch verursachte Zeitverlust wäre dem Ziel einer Heilbehandlung abträglich.
Hiernach sind die Beiträge, um deren Gültigkeit es geht, "zu Unrecht entrichtet worden" (§ 1424 Abs. 1 RVO). Sie können jedoch nicht zurückgefordert werden, nachdem der Ehemann der Klägerin auch "aus diesen Beiträgen" Heilbehandlung und Übergangsgeld, also Regelleistungen, erhalten hat (§ 1235 Nr. 1; § 1424 Abs. 3 RVO). Allerdings ist der Revision zuzugeben, daß ein unmittelbar konkret nachweisbarer Zusammenhang zwischen den erbrachten Leistungen und den zurückverlangten Beiträgen nicht dargetan ist, ja, daß die Beklagte zu den Rehabilitationsmaßnahmen sogar ohne diese Beiträge verpflichtet gewesen wäre. Denn der Ehemann der Klägerin war Rentner und wohl auch Versicherter im Sinne des § 1244 a Abs. 2 RVO; er zählte damit sowohl in der einen als auch in der anderen Eigenschaft zu dem Personenkreis, der Anspruch auf Tuberkulosehilfe gegen den Träger der Rentenversicherung erheben kann. Es kommt indessen für den Ausschluß der Rückforderung gemäß § 1424 Abs. 3 RVO nicht darauf an, daß der einzelne Beitrag sich auf die rechtliche Grundlage und die Berechnung der jeweiligen Leistung ausgewirkt hat. Dieser Nachweis wäre bei Regelleistungen, die unabhängig von einem bestimmten Beitragsguthaben gegeben werden, nicht zu liefern. Gleichwohl bezieht sich § 1424 Abs. 3 RVO auch auf solche Regelleistungen. Für sie kann deshalb nur gelten, was das Gesetz in Verbindung mit Beitragserstattungen anordnet, nämlich, daß dann, wenn "eine Regelleistung aus der Versicherung gewährt worden" ist, "nur die später entrichteten Beiträge zu erstatten" sind (§ 1303 Abs. 5 RVO). Die Ergänzung des § 1424 Abs. 3 RVO durch diesen Gedanken erscheint erlaubt, weil der Gesetzgeber selbst beide Formulierungen an anderer Stelle, so in § 72 a Abs. 1 Satz 6 des Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Art. 131 des Grundgesetzes fallenden Personen zusammenfügt. Ob gleichwohl aus beiden Wendungen dort, wo sie getrennt auftreten, unterschiedliche Folgerungen zu ziehen sind, insbesondere, ob § 1424 Abs. 3 RVO eine genaue Aussonderung solcher Beiträge gebietet, die sich - nach Art der Regelleistung - von anderen unterscheidbar in dieser Leistung wiederfinden, ist hier nicht zu beantworten. Für die Entscheidung dieses Rechtsstreits genügt es, im einzelnen auf die Grundsätze Bezug zu nehmen, die das Bundessozialgericht (BSG) zu § 72 a Abs. 1 Satz 6 G 131 entwickelt hat (SozR Nr. 1 zu G 131 § 72 a) und die in dem aufgezeigten Rahmen auch für § 1424 Abs. 3 RVO gelten. Wie dort ist auch in dem gegenwärtig zu beurteilenden Fall die Regelleistung zu einem Zeitpunkt bewirkt worden, in dem der beklagten LVA die Unwirksamkeit bestimmter vorher entrichteter Beiträge bekannt war oder bekannt sein mußte. Gleichwohl ist die Versicherungsanstalt nicht gehindert, der Rückforderung mit dem Einwand zu begegnen, die Beiträge seien nicht mehr verfügbar. Sie war zur Gewährung der Wiederherstellungsmaßnahmen von Gesetzes wegen verpflichtet (§ 1244 a RVO). Die Rechtslage, die dem Versicherten in bezug auf die Rückforderung entgegensteht, ist also von der Versicherungsanstalt nicht aus freiem Entschluß herbeigeführt worden; sie kann somit auch nicht treuwidrig gehandelt haben. Dann allerdings hätte die Tatsache der Regelleistung außer Betracht zu bleiben (vgl. § 162 Abs.2 des Bürgerlichen Gesetzbuches - BGB -).
Schließlich kann aus der Erklärung, welche die Beklagte am 8. Dezember 1958 - also noch vor Beginn der Heilbehandlung des Versicherten - an das Versicherungsamt richtete, kein verbindliches Anerkenntnis der Rückforderung entnommen werden. Diese Erklärung, die an den Ehemann der Klägerin weitergegeben werden sollte, mag zwar als eine Beanstandung der Beiträge aufgefaßt werden. Doch bedeutet eine solche Beanstandung keine feststellende oder gar gestaltende Regelung. Sie dient dem Zweck, den Versicherten darüber aufzuklären, daß der Versicherungsträger die näher bezeichneten Beiträge nicht als rechtswirksam ansieht. Darauf soll sich der Versicherte einrichten können. Eine Bindungswirkung, wie sie von einem Verwaltungsakt ausgeht, ist der Beanstandung aber nicht eigen (BSG 24, 13, 14).
Aus diesen Erwägungen heraus, die das Berufungsgericht richtig erkannt hat, ist die Revision mit der auf § 193 SGG beruhenden Kostenentscheidung zurückzuweisen.
Fundstellen