Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Rentenversicherung. Ersatzzeit. Tatbestand des “Festgehaltenwerdens”. Tatbestand der “Rückkehrverhinderung”. Begriff der “unverschuldeten Verzögerung”
Leitsatz (redaktionell)
Wer der russischen Kommandaturaufsicht unterstand, wurde gemäß § 250 Abs. 1 Nr. 3 SGB VI auf Grund feindlicher Maßnahmen festgehalten. Die Kommandanturaufsicht ist stets als feindliche Maßnahme i.S. des § 250 Abs. 1 Nr. 3 SGB VI zu verstehen, die sich gezielt gegen die deutsche Volksgruppe gerichtet hat.
Für den Tatbestand der Rückkehrverhinderung/des Festgehaltenwerdens kommt es nicht auf einen durchgehenden Rückkehrwillen auch nach dem Ende der Kommandanturaufsicht an, sondern allein darauf, inwieweit während der geltend gemachten Ersatzzeit ein solcher bestand.
Für die Auslegung des Tatbestandsmerkmals der “unverschuldeten Verzögerung” i.S. des § 250 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI ist auf den in das SGB VI übernommenen Rechtszustand unter Geltung des früheren § 1 Abs. 6 HkG abzustellen. Danach ist die Verzögerung der Rückkehr aus Gebieten außerhalb des Geltungsgebiets der Reichsversicherungsgesetze oder danach des Sozialgesetzbuches unverschuldet, wenn der Heimkehrer nach Beendigung der Internierung in angemessener Zeit das ihm auch unter seinen persönlichen Umständen Zumutbare getan hat, sobald ihm eine Übersiedelung möglich war.
Der Begriff der “Kriegsgefangenheit” i.S. des § 250 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI ist in seinem herkömmlichen, im Völkerrecht gebräuchlichen Sinne anzuwenden. Wer von einer feindlichen Macht in Gewahrsam genommen worden ist, ohne vorher selbst, bzw. bei Kindern ein Elternteil, einem militärischen oder militärähnlichen Verband eingegliedert gewesen zu sein, war nicht Kriegsgefangener.
Normenkette
SGB VI § 250 Abs. 1 Nrn. 1-3; HkG § 1 Abs. 6
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 9. Februar 2004 aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
I
Der Kläger begehrt die Berücksichtigung der Zeit von Mai 1953 bis Januar 1956 als Ersatzzeit bei Berechnung der ihm gewährten vorgezogenen Altersrente wegen Arbeitslosigkeit.
Der am 17. Mai 1939 geborene Kläger wurde mit seiner Familie im Juni 1941 – nach dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion – von G.…, Gebiet R.…, in das Gebiet von N.… verschleppt und bis Januar 1956 unter Kommandanturaufsicht gestellt. Nach deren Ende blieb die Familie zunächst in der Gegend von N.… und nahm 1958 ihren Wohnsitz im A.…. Im Mai 1992 übersiedelte er zusammen mit seiner aus E.…, Gebiet S.…, stammenden Ehefrau in die Bundesrepublik Deutschland. Der Kläger sowie seine Ehefrau sind deutscher Volkszugehörigkeit.
Der Kläger ist Inhaber des Vertriebenenausweises “B” und hat für die Zeit von Januar 1947 bis Januar 1956 Entschädigung nach dem Kriegsgefangenenentschädigungsgesetz (KgfEG) erhalten. Im April 1995 beantragte er bei der Beklagten die Klärung seines Versicherungskontos. Im Fragebogen zur Klärung von Ersatzzeiten nach § 250 Abs 1 Nr 2 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI) gab er auf die Frage, wann er erstmals den Willen gehabt habe, aus der GUS auszureisen, um den ständigen Aufenthalt bzw den Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland zu nehmen, an: “02.01.1977”.
Nach den Feststellungen des LSG bewilligte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 9. November 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12. August 2002 antragsgemäß vorgezogene Altersrente wegen Arbeitslosigkeit ab Januar 2000. Die Anerkennung der Ersatzzeit ab Vollendung des 14. Lebensjahres des Klägers (Mai 1953) bis Januar 1956 lehnte sie jedoch ab, weil der Kläger nach Aufhebung der Kommandanturaufsicht eigenen Angaben zufolge keinen durchgehenden Rückkehrwillen gehabt habe.
Das Sozialgericht hat die Beklagte verurteilt, die Zeit vom 17. Mai 1953 bis 30. Januar 1956 als Ersatzzeit anzuerkennen, soweit dieser Zeitraum nicht mit Beitragszeiten belegt sei (Urteil vom 10. April 2003; Berichtigungsbeschluss vom 20. Juni 2003). Das Landessozialgericht (LSG) hat auf die Berufung der Beklagten das erstinstanzliche Urteil “geändert” und die Klage abgewiesen. Es hat insbesondere den Ersatzzeittatbestand des § 250 Abs 1 Nr 2 SGB VI nicht für erfüllt gehalten, weil der Kläger nicht innerhalb von zwei Monaten nach seiner Entlassung aus der Kommandanturaufsicht im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland ständigen Aufenthalt genommen habe und auch nicht unverschuldet an der Rückkehr gehindert gewesen sei.
Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Der Erstreckungstatbestand einer “unverschuldeten Verzögerung der Rückkehr” nach § 250 Abs 1 Nr 2 SGB VI setze einen durchgehenden, dh für den gesamten Zeitraum vom Ende der Internierung bis zur Aufenthaltnahme in der Bundesrepublik Deutschland feststellbaren, nach dem Maßstab der Glaubhaftmachung zu belegenden Rückkehrwillen voraus. Bis Anfang Januar 1977 habe der Kläger nach seiner eigenen Erklärung keinen entsprechenden Willen gehabt. Die bezüglich des geforderten Rückkehrwillens schon vor Inkrafttreten des SGB VI bestehende Rechtslage (§ 1251 Abs 1 Nr 2 der Reichsversicherungsordnung ≪RVO≫) sei durch das Inkrafttreten des SGB VI inhaltlich nicht geändert worden; im Vorgriff auf die Aufhebung des Heimkehrergesetzes (HkG) durch Gesetz vom 20. Dezember 1991 (BGBl I 2317) sei für die Anrechnung von Zeiten der Internierung und der Verschleppung als Ersatzzeiten in der Rentenversicherung mit § 250 SGB VI eine eigenständige Vorschrift geschaffen worden, die jedoch die nach dem HkG und der hierzu ergangenen Verwaltungsvorschriften bestehende Rechtslage nicht geändert habe. Ansprüche auf Anerkennung von Ersatzzeiten folgten auch weder aus § 250 Abs 1 Nr 1 SGB VI noch aus der Nr 3 dieser Vorschrift. Zwar habe der Kläger eine Entschädigung nach dem KgfEG erhalten; bei seiner Unterstellung unter russische Kommandanturaufsicht habe es sich jedoch nicht um Kriegsgefangenschaft iS des § 250 Abs 1 Nr 1 SGB VI gehandelt. Denn beim Kläger seien keine Umstände ersichtlich, die seine tatsächliche Zugehörigkeit zu einer militärischen oder militärähnlichen Organisation nahe legten. Die Annahme einer Rückkehrverhinderung iS des § 250 Abs 1 Nr 3 SGB VI scheitere jedenfalls an dem nicht durchgehend vorhandenen Rückkehrwillen.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt der Kläger sinngemäß die Verletzung materiellen Rechts (§ 250 Abs 1 Nr 1, 2 und 3 SGB VI). Zur Begründung führt er im Wesentlichen aus: Ein durchgehender Rückkehrwille auch in Zeiten der tatsächlichen Unmöglichkeit einer Ausreise sei für die Anerkennung als Ersatzzeit nach § 250 Abs 1 Nr 2 SGB VI nicht erforderlich. Für die Auslegung des Begriffs der unverschuldeten Verzögerung seien die rechtlichen Erkenntnisse zum Unterlassungsdelikt zu berücksichtigen. Verschuldet könne eine Ausreiseverzögerung daher erst ab einem Zeitpunkt sein, in welchem die Möglichkeit der Rückkehr bestanden habe. Im Übrigen sei bei ihm auch die Erfüllung der Ersatzzeittatbestände des § 250 Abs 1 Nr 1 und 3 SGB VI nicht ausgeschlossen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 9. Februar 2004 aufzuheben und die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 10. April 2003 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 20. Juni 2003 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil im Ergebnis für zutreffend.
Entscheidungsgründe
II
Die zulässige Revision ist im Sinne der Aufhebung und Zurückverweisung begründet (§ 170 Abs 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes ≪SGG≫). Auf der Grundlage der bisherigen tatsächlichen Feststellungen lässt sich nicht abschließend beurteilen, ob der Kläger einen Anspruch auf Berücksichtigung der Zeit ab Vollendung seines 14. Lebensjahres (Mai 1953) bis zum Ende der russischen Kommandanturaufsicht (Januar 1956) als Ersatzzeit iS des § 250 Abs 1 Nr 3 SGB VI bei Berechnung seiner vorgezogenen Altersrente hat.
Nach dieser Vorschrift sind Ersatzzeiten solche vor dem 1. Januar 1992 liegenden Zeiten, in denen Versicherungspflicht nicht bestanden hat und Versicherte nach vollendetem 14. Lebensjahr während oder nach dem Ende eines Krieges, ohne Kriegsteilnehmer zu sein, durch feindliche Maßnahmen bis zum 30. Juni 1945 an der Rückkehr aus Gebieten außerhalb des jeweiligen Geltungsbereichs der Reichsversicherungsgesetze oder danach aus Gebieten außerhalb des Geltungsbereichs dieser Gesetze, soweit es sich nicht um das Beitrittsgebiet handelt, verhindert gewesen oder dort festgehalten worden sind.
In der Zeit der Kommandanturaufsicht, der der Kläger zusammen mit seinen Eltern unterstand, war der objektive Tatbestand des Festgehaltenwerdens auf Grund feindlicher Maßnahmen unzweifelhaft erfüllt. Zwar scheidet nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) idR die Annahme einer feindlichen Maßnahme aus, wenn nicht hauptsächlich Deutsche oder deutsche Volkszugehörige, sondern die Gesamtbevölkerung der Freiheitsbeschränkung durch Ausreiseverbote unterworfen war (vgl BSG Urteile vom 25. Oktober 1978 – 1 RA 21/78 – BSGE 47, 113 = SozR 2200 § 1251 Nr 52, vom 20. Dezember 1978 – 4 RJ 101/77 – SozR 2200 § 1251 Nr 58, vom 8. April 1987 – 5a RKn 13/86 – SozR 2200 § 1251 Nr 126 ≪Anschluss an BSG Urteile vom 23. Juni 1965 – 11 RA 26/64 – SozR Nr 13 zu § 1251 RVO und vom 16. Dezember 1981 – 11 RA 82/80 – BSGE 53, 37 = SozR 2200 § 1251 Nr 91≫, vom 18. Januar 1995 – 5 RJ 78/93 – veröffentlicht bei Juris, vom 12. Dezember 1995 – 8 RKn 4/94 – Kompaß 1996, 201, veröffentlicht auch bei Juris, und vom 30. Juni 1997 – 8 RKn 7/96 – SozR 3-2600 § 250 Nr 4; Niesel in KasselerKomm, Stand Oktober 1991, RdNr 74 ff zu § 250 SGB VI). Diese Rechtsprechung bezieht sich jedoch allein auf Zeiten nach dem Ende der Kommandanturaufsicht (bzw einer entsprechenden Internierung). Die Kommandanturaufsicht ist stets als feindliche Maßnahme iS des § 250 Abs 1 Nr 3 SGB VI zu verstehen, die sich gezielt gegen die deutsche Volksgruppe gerichtet hat (in diesem Sinne deutlich bereits zB BSG vom 30. Juni 1997 – 8 RKn 7/96 – SozR 3-2600 § 250 Nr 4 S 10 mwN: “Nur jene Personen erleiden ein ‘doppeltes Vertreibungsschicksal’ und sind ≪bei genereller Betrachtung≫ derart entwurzelt, dass sich für sie das alle Bürger der UdSSR treffende Ausreiseverbot als eine auch nach dem Jahre 1956 fortwirkende feindliche Maßnahme darstellt”).
Entgegen der Ansicht der Beklagten ist für ihre (gegenteilige) Auffassung, diese “einengende Abgrenzung” gelte auch für die Zeit der Kommandanturaufsicht, dem Urteil des BSG vom 17. Dezember 1976 (5 RJ 52/76 – teilweise veröffentlicht in SozR 2200 § 1251 Nr 29) auch im Volltext nichts zu entnehmen.
Soweit das LSG (auch) für die Ersatzzeit nach § 250 Abs 1 Nr 3 SGB VI das Vorliegen der subjektiven Tatbestandsvoraussetzungen (Bestehen eines Rückkehrwillens) verneint hat, hat es auf die Person des damals minderjährigen Klägers abgestellt. Hierauf kommt es nach gefestigter Rechtsprechung des BSG indes nicht an.
Wie der erkennende Senat im Urteil vom 9. September 1998 (B 13 RJ 63/97 R – veröffentlicht bei Juris) entschieden hat, teilen bei dem Tatbestand der Rückkehrverhinderung/des Festgehaltenwerdens des § 250 Abs 1 Nr 3 SGB VI (zuvor § 1251 Abs 1 Nr 3 RVO) die Kinder im Hinblick auf ihre völlige rechtliche und wirtschaftliche Abhängigkeit von den Eltern deren Schicksal (vgl dazu auch BSG Urteile vom 23. Juni 1965 – 11 RA 26/64 – SozR Nr 13 zu § 1251 RVO und vom 30. Juni 1997 – 8 RKn 7/96 – SozR 3-2600 § 250 Nr 4; ebenso zum Tatbestand der Verschleppung: BSG Urteile vom 25. Februar 1992 – 5 RJ 34/91 – SozR 3-2200 § 1252 Nr 2, vom 29. September 1994 – 4 RA 28/93 – SozR 3-2200 § 1251 Nr 6 und vom 12. Dezember 1995 – 8 RKn 4/94 – Kompaß 1996, 201, veröffentlicht auch bei Juris). Deshalb ist in vorliegendem Zusammenhang allein auf einen Rückkehrwillen der Eltern des Klägers abzustellen. Insoweit kommt es – anders als nach Meinung des LSG für § 250 Abs 1 Nr 2 SGB VI – im Übrigen nicht auf einen durchgehenden Rückkehrwillen auch nach dem Ende der Kommandanturaufsicht an, sondern allein darauf, inwieweit während der geltend gemachten Ersatzzeit ein solcher bestand (BSG Urteil vom 24. November 1971 – 4 RJ 55/69 – SozR Nr 57 zu § 1251 RVO). Entsprechende Feststellungen wird das LSG nachzuholen haben.
Vor dem Hintergrund dieser – nachzuholenden – Ermittlungen erübrigt sich ein näheres Eingehen auf die in den Vorinstanzen maßgeblich diskutierte Frage, ob der Kläger selbst im Anschluss an eine Zeit der Internierung unverschuldet an der Rückkehr in die Bundesrepublik Deutschland gehindert war (§ 250 Abs 1 Nr 2 SGB VI), sodass seine Ausreise aus dem Herkunftsgebiet im Mai 1992 noch rechtzeitig (“innerhalb von zwei Monaten nach der Entlassung”) war.
Allerdings erwiese sich die Beantwortung auch dieser Frage nach den bisherigen Tatsachenfeststellungen des LSG als problematisch, weil Zeiten einer unverschuldeten Verzögerung der Rückkehr in die zwei Monate nicht eingerechnet werden. Zweifelhaft ist insbesondere, inwiefern das Tatbestandsmerkmal der “unverschuldeten Verzögerung” in § 250 Abs 1 Nr 2 SGB VI – wie bisher vom LSG angenommen – auch das Vorhandensein eines subjektiven Tatbestandselements in Form des Rückkehrwillens erfordert. Das LSG hat für die Auslegung des Ersatzzeittatbestands zu Recht auf den in das SGB VI übernommenen Rechtszustand unter Geltung des früheren (vgl Art 1, 4 des Gesetzes zur Aufhebung des HkG und zur Änderung anderer Vorschriften vom 20. Dezember 1991, BGBl I 2317) § 1 Abs 6 HkG abgestellt. Die insoweit maßgebende höchstrichterliche Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) hat das LSG nur sehr unvollkommen ausgewertet.
Es sei insoweit insbesondere auf folgende Urteile hingewiesen: BVerwG vom 20. Januar 1954 – II C 147/53 – NJW 1954, 770; vom 24. September 1954 – IV C 19.54 – BVerwGE 1, 193; vom 19. November 1954 – IV C 036/54 – NJW 1955, 605; vom 17. März 1960 – III C 383.58 – Buchholz 427.3 § 230 LAG Nr 30; vom 18. Oktober 1960, BVerwGE 11, 161; vom 5. September 1966 – V C 103.65 – ZLA 1967, 47; vom 22. Februar 1968 – III C 159.66 – ZLA 1968, 324 (in Buchholz 427.3 § 230 LAG Nr 89 nur teilweise abgedruckt). Hiernach scheint es sich auf die Prüfung konzentriert zu haben, ob der Heimkehrer nach Beendigung der Internierung in angemessener Zeit das ihm auch unter seinen persönlichen Umständen Zumutbare getan hat, sobald ihm eine Übersiedelung möglich war; dann war die Verzögerung seiner Rückkehr “unverschuldet”.
Ein Anspruch auf Anerkennung von Ersatzzeiten folgt jedenfalls nicht aus § 250 Abs 1 Nr 1 SGB VI. Diese Vorschrift setzt – in der hier allein interessierenden Tatbestandsalternative – für die Anrechenbarkeit einer Zeit als Ersatzzeit voraus, dass der Betroffene “kriegsgefangen” gewesen sein muss. Durch die Unterstellung des Klägers unter russische Kommandanturaufsicht – bereits im Kleinkindalter mit seinen Eltern zusammen – wird das Tatbestandsmerkmal der Kriegsgefangenschaft indes nicht erfüllt.
Hierfür wird vielmehr vorausgesetzt, dass der Betroffene selbst – bzw ein Elternteil – einem militärischen oder militärähnlichen Verband vor der Gefangennahme angehört hat. Der Begriff der Kriegsgefangenschaft ist in seinem herkömmlichen, im Völkerrecht gebräuchlichen Sinne anzuwenden. Wer von einer feindlichen Macht in Gewahrsam genommen worden ist, ohne vorher selbst einem militärischen oder militärähnlichen Verband eingegliedert gewesen zu sein, war danach nicht Kriegsgefangener (vgl BSG SozR 3-2200 § 1251 Nr 3). Weder der Kläger noch ein Elternteil aber haben einem im Hinblick auf die Sowjetunion feindlichen derartigen Verband angehört. Die “Trud-Armee” war eine sowjetische “Arbeitsarmee” oder “Arbeitseinheit” (vgl BSG Urteile vom 19. März 1997 – 5/4 RA 113/94 – SozR 3-2200 § 1251 Nr 11 und vom 18. Juni 1997 – 5 RJ 20/96 – veröffentlicht bei Juris), also weder “feindlich” noch “militärisch oder militärähnlich”.
Auch der Umstand, dass der Kläger eine Entschädigung nach § 2 Abs 2 Nr 2a iVm § 3 KgfEG erhalten hat, weil nach diesem Gesetz auch Deutsche als Kriegsgefangene anzuerkennen waren, die als Zivilisten in ursächlichem Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg im Ausland wegen ihrer Volkszugehörigkeit oder ihrer Staatsangehörigkeit auf eng begrenztem Raum unter dauernder Bewachung festgehalten worden sind (“unechte Kriegsgefangene”), verhilft ihm nach alledem nicht zu einer Ersatzzeit iS des § 250 Abs 1 Nr 1 SGB VI.
Bei seiner Entscheidung wird das LSG schließlich zu berücksichtigen haben, dass es sich bei dem angefochtenen Bescheid vom 9. November 2001 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 12. August 2002 augenscheinlich nicht um den (ursprünglichen) Rentenbewilligungsbescheid handelt, sondern dass dieser wohl auf einen Antrag des Klägers nach § 44 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch ergangen ist (vgl sein Antragsschreiben vom 12. September 2000 sowie den entsprechenden Hinweis im Widerspruchsbescheid).
Die Kostenentscheidung bleibt der den Rechtsstreit abschließenden Entscheidung vorbehalten.
Fundstellen