Orientierungssatz
Der Anspruch auf Erstattung von Beiträgen, der auf G131 § 73 Abs 4 gestützt wird, fällt - anders als der Anspruch auf Beitragserstattung nach G131 § 74 (vergleiche BSG 1959-10-22 4 RJ 34/57 = SozR Nr 9 zu § 74 G131) - nicht unter SGG § 144 Abs 1 Nr 1 (Anspruch auf eine einmalige Leistung), sondern unter SGG § 149 (Streitigkeit wegen Erstattung von Beiträgen).
Auch eine nachträgliche Zuerkennung der Rechtsstellung eines Beamten zur Wiederverwendung im Wiedergutmachungsverfahren muß als Feststellung dieses Rechtsstandes iS von G131 § 73 Abs 4 angesehen werden.
Normenkette
SGG § 144 Abs. 1 Nr. 1 Fassung: 1953-09-03, § 149 Fassung: 1958-06-25; G131 § 73 Abs. 4 Fassung: 1951-05-11, § 74 Fassung: 1951-05-11
Tenor
Die Urteile des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 26. Januar 1960 und des Sozialgerichts Freiburg vom 7. April 1959 sowie die Bescheide der Beklagten vom 27. März und 2. Juli 1958 werden aufgehoben.
Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger den Betrag von 540,99 DM zu zahlen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Mit Schreiben an die Beklagte vom 16. Februar 1956 beantragte der Kläger die Erstattung der Arbeitgeberanteile aus den Beiträgen für seinen früheren Angestellten M H er berief sich dabei auf § 73 Abs. 4 des Gesetzes zu Art. 131 des Grundgesetzes (GG). Die Beklagte lehnte den Antrag ab. Daraus entstand der vorliegende Rechtsstreit. M H (nachstehend Geschädigter genannt) war bis Kriegsende als unkündbarer Kreisangestellter der Vergütungs-Gruppe VIb TO.A beim Landratsamt R versicherungspflichtig beschäftigt. Am 1. September 1951 wurde er beim Finanzamt Säckingen, einer Behörde des Klägers, als Angestellter eingestellt; vom 1. September 1951 bis 30. November 1953 wurden für ihn Beiträge zur Angestelltenversicherung (AV) entrichtet, davon trug der Kläger 540,99 DM (Arbeitgeberanteile). Am 21. Oktober 1953 schloß der Geschädigte vor dem Landesverwaltungsgericht Köln in seinem Rechtsstreit gegen den Bundesminister des Innern wegen Wiedergutmachung einen Vergleich: Unter Bezugnahme auf § 21 Abs. 3 des Gesetzes zur Regelung der Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts für Angehörige des öffentlichen Dienstes (BWGöD) vom 11. Mai 1951 - jetzt gültig in der Fassung vom 24. August 1961 (BGBl I 1627) - wurde dem Geschädigten die Rechtsstellung eines am 1. April 1939 ernannten und bis zum 8. Mai 1945 im Amt gewesenen Kreisinspektors (Beamter auf Lebenszeit) zuerkannt; ihm wurde außerdem die Berechtigung zuerkannt, diese Amtsbezeichnung mit dem Zusatz z. Wv. zu führen. Auf Grund dieses Vergleichs wurde der Unterbringungsschein vom 6. Oktober 1952 dahin geändert, daß entsprechende Verwendung nach § 19 Abs. 1 des Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der unter Art. 131 des Grundgesetzes fallenden Personen vom 11. Mai 1951 (G 131) - jetzt gültig in der Fassung vom 21. August 1961 (BGBl I 1578) - bei Wiederverwendung als Beamter auf Lebenszeit in der Dienststellung eines Inspektors in Besoldungsgruppe A 4 c 2 BBO vorliege (Berichtigter Unterbringungsschein vom 20. Mai 1954). Mit Wirkung vom 1. Februar 1955 wurde der Geschädigte in dieses Beamtenverhältnis übernommen. Die Arbeitnehmeranteile aus den Beiträgen zur AV für die Zeit vom 1. April 1939 bis zum 30. November 1953 wurden dem Geschädigten von der Beklagten im April 1956 erstattet. Den Antrag des Klägers auf Erstattung der Arbeitgeberanteile vom 16. Februar 1956 lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 27. März 1958 ab; der Widerspruch des Klägers wurde zurückgewiesen (Widerspruchsbescheid vom 2. Juli 1958). Das Sozialgericht (SG) Freiburg, das die Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (BfArb) zum Verfahren beilud, wies die Klage durch Urteil vom 7. April 1959 ab; die Berufung des Klägers wurde vom Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg am 26. Januar 1960 zurückgewiesen: Die Berufung sei zwar nach § 149 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) statthaft, sie sei jedoch nicht begründet; der Kläger könne die Erstattung der Arbeitgeberanteile weder nach § 73 Abs. 4 G 131 noch nach anderen Vorschriften beanspruchen; die nachträgliche Zuerkennung der Rechtsstellung eines Beamten z. Wv. im Wiedergutmachungsverfahren sei nicht als nachträgliche "Feststellung" dieses Rechtsstandes im Sinne des § 73 Abs. 4 G 131 mit den sich daraus ergebenden Rechtswirkungen anzusehen; es handele sich dabei nicht - wie es die Anwendung dieser Vorschrift erfordere - um eine deklaratorische Feststellung, sondern um einen konstitutiven Akt; durch den Vergleich im Wiedergutmachungs-Rechtsstreit sei nicht nachträglich für den Geschädigten der Rechtsstand eines Beamten z. Wv. festgestellt worden, diese Rechtsstellung sei dem Geschädigten erst durch den Vergleich ex nunc verliehen worden.
Das LSG ließ die Revision zu.
Das Urteil des LSG wurde dem Kläger am 28. April 1960 zugestellt; am 21. Mai 1960 legte er Revision ein und beantragte,
das Urteil des LSG aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger die für den Geschädigten vom 1. September 1951 bis zum 30. November 1953 entrichteten Arbeitgeberanteile zur AV zu erstatten.
Der Kläger begründete die Revision - nach Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist bis zum 28. Juli 1960 - am 19. Juli 1960: Das LSG habe § 73 Abs. 4 G 131 unrichtig angewandt; der Wiedergutmachungsanspruch des Geschädigten richte sich nach § 21 Abs. 3 BWGöD; der Geschädigte sei im Rahmen der Wiedergutmachung unter Anwendung des G 131 so zu behandeln, wie wenn er am 1. April 1939 aus dem Angestelltenverhältnis in das Beamtenverhältnis übergeführt worden wäre. Dieser Anspruch sei ein Feststellungsanspruch; er gehe nicht nur auf Übernahme in das Beamtenverhältnis zu bestimmten besoldungsrechtlichen Bedingungen, sondern - wie sich aus dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 13. Januar 1960, VIII c 87/59, ergebe - auf die Feststellung, daß die Überführung des Geschädigten in das Beamtenverhältnis für den 8. Mai 1945 als nachgeholt anzusehen sei. Das aber bedeute, daß hier für den Geschädigten durch den Vergleich vom 21. Oktober 1953 nachträglich der Rechtsstand eines Beamten z. Wv. festgestellt sei. Es sei deshalb § 73 Abs. 4 G 131 anzuwenden, der dem Arbeitgeber das Recht gebe, seine Beitragsanteile zurückzufordern. Auch der Erstattungsanspruch des Geschädigten ergebe sich aus dieser Vorschrift und nicht, wie das LSG angenommen habe, aus § 31 e BWGöD; diese Vorschrift beziehe sich nur auf Beamte und Berufssoldaten, denen ein Anspruch auf Wiedergutmachung nach den §§ 9, 10, 11, 20 BWGöD zustehe.
Die Beklagte beantragte,
die Revision des Klägers zurückzuweisen.
Kläger, Beklagte und Beigeladene beantragten, ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden.
Die Beigeladene stellte keine Anträge.
II.
Die Revision ist zulässig; sie ist auch begründet.
Das LSG hat mit Recht ein Sachurteil erlassen. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des SG ist nach § 143 SGG zulässig gewesen. Diese Frage ist bei einer zulässigen Revision auch ohne ausdrückliche Rüge eines Beteiligten von Amts wegen zu prüfen (BSG 2, 225; 3, 124, 235). Der Anspruch des Klägers auf Erstattung von Beiträgen, der auf § 73 Abs. 4 G 131 gestützt wird, fällt - anders als der Anspruch auf Beitragserstattung nach § 74 G 131 (vgl. BSG im SozR Bl. Aa 4 Nr. 9 zu § 74 G 131) - nicht unter § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG (Anspruch auf eine einmalige Leistung), sondern unter § 149 SGG (Streitigkeit wegen Erstattung von Beiträgen). Die Rechtsprechung sieht die Vorschriften in den §§ 144 und 149 SGG - soweit sie sich auf die Rückgewähr von Beiträgen beziehen - entsprechend der Gesetzessystematik als in der Weise gegeneinander abgegrenzt an, daß unter § 149 SGG die Ansprüche auf Erstattung zu Unrecht geleisteter Beiträge, unter § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGG dagegen die Ansprüche auf Erstattung zu Recht geleisteter Beiträge fallen. Die Erstattung nach § 73 G 131 ist jedoch - anders als diejenige nach § 74 G 131 - der Erstattung zu Unrecht geleisteter Beiträge zuzuordnen; dies geht auch daraus hervor, daß hier der Ausdruck "Rückforderung" verwendet ist, der sich ebenso in § 146 AVG findet. Hier ist aber gerade die Rückforderung zu Unrecht geleisteter Beiträge geregelt. Für die Zulässigkeit der Berufung des Klägers ist es also nach § 149 SGG auf die Höhe des Beschwerdewertes angekommen. Dieser hat aber hier mit 540,99 DM die im Gesetz genannte Grenze von 50,- DM überstiegen.
Das angefochtene Urteil ist im Jahre 1960 auf Grund des damals geltenden Rechts ergangen. Inzwischen haben sich die Rechtsgrundlagen geändert. Sowohl das G 131 als auch das BWGöD haben im August 1961 eine neue Fassung erhalten. Dabei sind auch Rechtsvorschriften geändert worden, die hier zu erörtern sind. Die Änderungen sind teilweise rückwirkend in Kraft getreten (vgl. Art. VIII des Sechsten Änderungsgesetzes zum BWGöD vom 18. August 1961); sie erfassen nach ihrem zeitlichen Geltungswillen auch die Bescheide der Beklagten vom 27. März 1958 und 2. Juli 1958. Der Senat muß die Rechtsänderungen, die während des Revisionsverfahrens eingetreten sind, berücksichtigen (vgl. BSG 3, 95, 103; 5, 247) und bei seiner Entscheidung von dem gegenwärtig geltenden Recht ausgehen.
In Ermangelung sonstiger einschlägiger Vorschriften kommt als Rechtsgrundlage für den Anspruch des Klägers auf Rückerstattung der Beitragsanteile nur § 73 Abs. 4 G 131 (vgl. Art. IX Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. Art. I Nr. 70 e des Zweiten Änderungsgesetzes zu G 131) in Betracht. Diese Vorschrift ist am 1. April 1951 in Kraft getreten; sie bezieht sich auf den Fall, daß ein Beamter z. Wv. nach dem Inkrafttreten des G 131 (1. April 1951) im öffentlichen Dienst als Angestellter oder Arbeiter beschäftigt und dabei als sozialversicherungspflichtig geführt worden ist, weil seine Rechtsstellung als Beamter z. Wv. und die dadurch gegebene Versicherungsfreiheit kraft Gesetzes erst nachträglich, d. h. erst nach der Begründung des Beschäftigungsverhältnisses erkannt oder anerkannt worden sind. Für diesen Fall sieht das Gesetz die Rückforderung der Beiträge (Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteile) entsprechend der Regelung in Abs. 1 vor, d. h. in gleichem Umfang, wie sie bei den außerhalb des öffentlichen Dienstes nach dem Inkrafttreten des G 131 versicherungspflichtig beschäftigten Beamten z. Wv. stattfindet. Der Annahme des LSG, daß § 73 Abs. 4 G 131 auf den vorliegenden Sachverhalt nicht anzuwenden sei, kann der Senat nicht beitreten. Auch eine nachträgliche Zuerkennung der Rechtsstellung eines Beamten z. Wv. im Wiedergutmachungsverfahren muß als Feststellung dieses Rechtsstandes im Sinne von § 73 Abs. 4 G 131 angesehen werden. Dabei ist gleich, ob die Zuerkennung dieser Rechtsstellung durch Bescheid der Verwaltung, durch Urteil oder - wie hier - durch gerichtlichen Vergleich erfolgt; in jedem Falle hat die Zuerkennung nicht konstitutiven, sondern feststellenden Charakter; es wird - konkret und individuell - festgestellt, daß für den Geschädigten die im BWGöD abstrakt und generell geregelte nachträgliche Übernahme in das Beamtenverhältnis mit dem Zeitpunkt der Schädigung, also vor dem 8. Mai 1945 als nachgeholt anzusehen ist. Dabei ist - wie es auch hier in dem Vergleich über den Wiedergutmachungsanspruch vom Oktober 1953 vor dem Landesverwaltungsgericht geschehen ist - von der Vorschrift des § 21 Abs. 3 BWGöD auszugehen. Danach sind Angestellte und Arbeiter, die ihr Dienstherr nicht in das Beamtenverhältnis übergeführt hat, obwohl die Voraussetzungen dafür bei Anwendung rechtsstaatlicher Grundsätze vorgelegen haben (Schädigung im Sinne des § 5 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. e des Gesetzes), unter entsprechender Anwendung des § 9 Abs. 2 und unter entsprechender Festsetzung des Besoldungsdienstalters und der ruhegehaltsfähigen Dienstzeit nachträglich in das Beamtenverhältnis zu überführen. Die Verweisung auf § 9 Abs. 2 stellt klar, daß einem Geschädigten die Rechtsstellung und Besoldung zu gewähren ist, die er erreicht hätte, wenn er rechtzeitig , d. h. im Zeitpunkt der Schädigung, in das Beamtenverhältnis übernommen worden wäre. Dieser gesetzlichen Regelung trägt der Vergleich vom Oktober 1953 Rechnung; der Geschädigte hat danach die Rechtsstellung eines bis zum 8. Mai 1945 im Amt gewesenen Kreisinspektors (Beamter auf Lebenszeit) erhalten. Ihm ist deshalb auch nach dem G 131 die Anwartschaft auf lebenslängliche Alters- und Hinterbliebenenversorgung gewährleistet. Dieser Rechtsstand des Geschädigten ist im Sinne von § 73 Abs. 4 des Gesetzes zu Art. 131 "nachträglich festgestellt" worden. Nach § 73 Abs. 4 und 1 des Gesetzes zu Art. 131 hat daher der Kläger Anspruch auf Erstattung der Arbeitgeberanteile. Daran ändert auch nichts, daß die Arbeitnehmeranteile bereits im Jahre 1956 nach § 31 e BWGöD erstattet worden sind; diese Sondervorschrift gilt nur für die - weitergehenden - Ansprüche des Geschädigten selbst; sie schließt aber den Erstattungsanspruch des Arbeitgebers nach anderen Vorschriften nicht aus (vgl. auch § 21 Abs. 3 und § 14 Abs. 2 BWGöD, wo ausdrücklich auf das Gesetz zu Art. 131 - und damit auch auf § 73 Abs. 1 und 4 dieses Gesetzes - verwiesen ist). Die Höhe des Anspruchs des Klägers auf Erstattung der Arbeitgeberanteile, die mit 540,99 DM angegeben ist, hat die Beklagte nicht bestritten. Unter Aufhebung der Urteile des SG Freiburg vom 7. April 1959 und des LSG Baden-Württemberg vom 26. Januar 1960 sowie der angefochtenen Bescheide ist deshalb die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 540,99 DM zu zahlen.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 Abs. 4 SGG.
Fundstellen