Leitsatz (amtlich)
Der Arbeitgeber hat an einen bei einer Ersatzkasse versicherten und deshalb von der Mitgliedschaft bei der zuständigen Pflichtkrankenkasse befreiten Arbeitnehmer die Hälfte des Krankenversicherungsbeitrags, der als Arbeitgeberanteil an die Pflichtkrankenkasse zu entrichten wäre, auch dann abzuführen, wenn der Beitrag der Ersatzkasse niedriger ist als der der Pflichtkrankenkasse.
Leitsatz (redaktionell)
Rechtsweg bei Streit über die Höhe des Arbeitgeberanteils nach § 520 RVO:
Bei Streit über die Höhe des Arbeitgeberanteils für versicherungspflichtige Mitglieder von Ersatzkassen nach § 520 Abs 1 RVO ist der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit gegeben.
Normenkette
RVO § 520 Abs. 1 Fassung: 1923-09-27
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darum, ob die beklagte Firma an den bei ihr beschäftigten, bei einer Ersatzkasse versicherten und gemäß § 517 der Reichsversicherungsordnung (RVO) von der Mitgliedschaft bei einer Pflichtkrankenkasse befreiten Kläger die Hälfte des Krankenversicherungsbeitrages abzuführen hat, den sie für den Kläger im Falle seiner Mitgliedschaft in der Pflichtkrankenkasse aufzubringen hätte, oder nur die Hälfte des - niedrigeren - vom Kläger an die Ersatzkasse entrichteten Beitrages. Der Kläger begehrt die Verurteilung der Beklagten zur Nachzahlung des seit dem Beginn seiner Mitgliedschaft bei der Ersatzkasse am 1. August 1977 aufgelaufenen Differenzbetrages und zur künftigen Abführung der Hälfte des Pflichtbeitrages.
Die Klage und die Berufung des Klägers blieben ohne Erfolg (Urteil des Sozialgerichts -SG- vom 11. Juni 1979, Urteil des Landessozialgerichts -LSG- vom 23. Januar 1980). Das LSG hat zur Begründung seines Urteils ausgeführt, nach der Zielsetzung des § 520 RVO stehe dem Kläger der Arbeitgeberanteil an den Beiträgen zur Krankenversicherung auch dann nur in Höhe der von ihm tatsächlich entrichteten Beiträge zu, wenn die Beiträge zu der Ersatzkasse die Höhe der Beiträge zur Pflichtkrankenkasse nicht erreichen. Andernfalls käme es zu einer "Wettbewerbsverzerrung" zwischen den Pflichtkassen und den Ersatzkassen.
Gegen dieses Urteil richtet sich die - vom LSG zugelassene - Revision des Klägers. Er macht geltend, das LSG habe sich über den klaren Wortlaut des § 520 Abs 1 RVO hinweggesetzt. Eine Wettbewerbsverzerrung trete schon wegen der Unterschiede im Leistungsumfang bei den Pflichtkassen und den Ersatzkassen nicht ein.
Der Kläger beantragt (sinngemäß),
das Urteil des LSG Berlin vom 23. Januar 1980
und das Urteil des SG Berlin vom 11. Juni 1979
aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an ihn
rückwirkend ab 1. August 1977 den Arbeitgeberanteil
zur Krankenversicherung in Höhe von 50 vH des
Krankenversicherungsbeitrages zu der Krankenkasse,
bei der der Kläger ohne die Mitgliedschaft bei der
Ersatzkasse versichert sein würde, abzuführen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Beide Beteiligte haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs 2 des Sozialgerichtsgesetzes -SGG-).
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist begründet. Die Beklagte - Arbeitgeberin des Klägers - hat an ihn den vollen Beitragsteil abzuführen, den sie an die Krankenkasse abzuführen hätte, bei der der Kläger ohne die Mitgliedschaft bei der Ersatzkasse versichert sein würde.
Das LSG ist zutreffend davon ausgegangen, daß für den vom Kläger erhobenen Anspruch der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit gegeben ist. Da der Beitragsanteil des Arbeitgebers nicht Bestandteil des Lohnanspruches des Arbeitnehmers, sondern eine vom Arbeitgeber aufzubringende Soziallast ist, betrifft ein Streit über die Höhe des Beitragsanteils des Arbeitgebers eine Angelegenheit des Sozialversicherungsrechts iSd § 51 SGG (BSGE 11, 218, 220).
Der Kläger ist auch klagebefugt, wie das Bundessozialgericht (BSG) bereits entschieden hat (aaO S 221). Jede andere, lediglich am Wortlaut des § 520 Abs 1 Satz 2 RVO haftende Auslegung des Gesetzes wäre unbefriedigend, weil es dann allein von der Entscheidung der Ersatzkasse abhinge, ob der Arbeitgeber zur Abführung seines Beitragsanteils herangezogen würde.
Ist ein nach § 165 Abs 1 Nr 2 der RVO krankenversicherungspflichtiger Angestellter Mitglied einer Ersatzkasse und hat er von der ihm nach § 517 RVO eröffneten Möglichkeit, sich von der Mitgliedschaft in der Pflichtkasse befreien zu lassen, Gebrauch gemacht, so hat er zwar den gesamten Beitrag selbst an die Ersatzkasse zu zahlen. Das ändert jedoch nichts an der Pflicht des Arbeitgebers, sich an den Krankenversicherungsbeiträgen zu beteiligen. Wie bei der Mitgliedschaft in einer Pflichtkrankenkasse (§ 381 Satz 1 RVO) werden im Falle der Mitgliedschaft eines krankenversicherungspflichtigen Angestellten in einer Ersatzkasse die Beiträge jeweils zur Hälfte vom Arbeitgeber und vom Arbeitnehmer "getragen". Der Arbeitgeber hat jedoch seinen Beitragsanteil nicht unmittelbar an die Ersatzkasse, sondern an den Arbeitnehmer abzuführen (§ 520 Abs 1 Satz 2 RVO), sofern nicht Arbeitgeber, Arbeitnehmer und Ersatzkasse die direkte Abführung des Beitrages durch den Arbeitgeber an die Ersatzkasse vereinbart haben (vgl Sozialrecht RVO § 520 Nr 3).
Schon aus dem Wortlaut des § 520 Abs 1 Satz 1 RVO folgt, daß der Arbeitnehmer den vollen Beitragsanteil erhalten soll, den der Arbeitgeber im Falle der Mitgliedschaft des Arbeitnehmers in der Pflichtkasse aufzubringen hätte. Das entspricht auch der Zielsetzung der Norm. Durch § 520 Abs 1 RVO soll sichergestellt werden, daß der Beitragsanteil des Arbeitgebers auch tatsächlich aufgebracht wird und dem Arbeitnehmer zur Deckung des Gesamtbeitrages, für den er im Verhältnis zur Ersatzkasse allein haftet, zur Verfügung steht. Diese Regelung bezweckt jedoch entgegen der von der Beklagten vertretenen Ansicht nicht, die beitragsrechtliche Position des Arbeitgebers im Verhältnis zum Arbeitnehmer zu verändern; der Arbeitgeber soll wegen der Mitgliedschaft des Arbeitnehmers in einer Ersatzkasse nicht anders - weder besser noch schlechter - gestellt werden, als er im Falle der Mitgliedschaft des Arbeitnehmers bei der zuständigen Pflichtkrankenkasse stünde. Er soll also durch den Beitritt des Arbeitnehmers zu einer Ersatzkasse "weder einen Vorteil noch einen Nachteil haben" (Hoffmann/Kreil, Krankenversicherung, 9. Aufl 1939, § 517 Anm zu Abs 1; ähnlich insoweit Peters, Handbuch der Krankenversicherung, § 520 Anm 2). Deshalb hat der Arbeitnehmer die Differenz zwischen dem vollen Beitragsteil, den der Arbeitgeber an die Pflichtkrankenkasse abzuführen hätte, und der Hälfte des Ersatzkassenbeitrages auch allein zu tragen, wenn der Ersatzkassenbeitrag höher ist als der Beitrag zur gesetzlichen Pflichtkasse. Entsprechendes muß aber auch für den umgekehrten Fall gelten, daß der Mitgliedsbeitrag zur Ersatzkasse niedriger ist als der Beitrag zur Pflichtkasse. Dann muß der Arbeitnehmer, der als Mitglied der Ersatzkasse einen niedrigeren Beitrag zu zahlen hat, als für ihn als Mitglied einer gesetzlichen Krankenkasse zu zahlen wäre, auch vom Arbeitgeber den entsprechenden Differenzbetrag fordern können, weil der Arbeitgeber andernfalls durch die Mitgliedschaft des Arbeitnehmers einen Vorteil hätte (aA insoweit Peters aaO; wie hier dagegen die überwiegend im Schrifttum vertretene Auffassung).
Eine andere Beurteilung ist auch nicht - wie das LSG meint - im Hinblick auf die Entstehungsgeschichte der in § 520 Abs 1 RVO getroffenen Regelung geboten. So hatten die Arbeitgeber, die vor dem Inkrafttreten der RVO für die bei den Vorläuferkassen der heutigen Ersatzkassen versichert gewesenen keine Beitragsteile aufzubringen hatten, nach § 520 Abs 1 RVO in der ursprünglichen Fassung vom 19. Juli 1911 (RGBl S 509) ebenfalls einen Beitragsanteil aufzubringen, diesen aber an die Pflichtkassen abzuführen, obwohl diese keine Leistungen für die Ersatzkassenmitglieder zu erbringen hatten. Später wurde dann den Ersatzkassen der teilweise Rückgriff auf den an die Pflichtkassen gezahlten Beitragsanteil des Arbeitgebers eröffnet (vgl § 518 RVO aF), bis schließlich mit der Neufassung des § 520 Abs 1 RVO durch die VO vom 27. September 1923 (RGBl § 908) der "volle" Beitragsanteil des Arbeitgebers zur Deckung der Beiträge des Arbeitnehmers an die Ersatzkasse zur Verfügung gestellt wurde. Der Gesetzgeber hat damit seit dem Inkrafttreten der RVO zwar sowohl den Nutznießer als auch den tatsächlichen Empfänger des Arbeitgeberanteils wiederholt geändert, jedoch dabei stets den Grundsatz unberührt gelassen, daß der Arbeitgeber die Hälfte des Beitrages, den er zur gesetzlichen Krankenversicherung des Arbeitnehmers zu leisten hätte, für dessen Versicherung bei der Ersatzkasse aufzubringen hat.
Es mag zutreffen, daß ein Arbeitnehmer, der einer Ersatzkasse beitreten kann, sich im Einzelfall wegen eines niedrigeren Ersatzkassenbeitrages zum Wechsel von einer Pflichtkrankenkasse zu einer Ersatzkasse entschließt, zumal wenn der Arbeitgeber mit der Hälfte des (höheren) Pflichtkassenbeitrags sogar noch mehr als die Hälfte des (ohnehin schon niedrigeren) Ersatzkassenbeitrags zu tragen hat. Eine solche Entscheidung muß jedoch hingenommen werden. Im übrigen könnte auch im anderen Falle, daß nämlich der Arbeitgeber nur die Hälfte des (niedrigeren) Ersatzkassenbeitrags zu tragen hätte, ein Wettbewerbsvorteil für die Ersatzkassen entstehen, weil die Arbeitgeber dann möglicherweise eher Arbeitnehmer einstellen würden, die bei Ersatzkassen versichert sind (dieser Gesichtspunkt ist schon bei der Schaffung der RVO im Jahre 1911 erörtert worden, vgl Reichstagsdrucksache zu Nr 340 der 12. Legislaturperiode, S 140). Erwägungen über Wettbewerbsvorteile für die Ersatzkassen oder -nachteile für die Pflichtkassen, wie sie das LSG angestellt hat, führen daher nicht weiter. Der Senat kann deshalb auch offen lassen, ob dieser Umstand bei der Auslegung des § 520 Abs 1 RVO überhaupt zu berücksichtigen wäre.
Gegen die vom erkennenden Senat vertretene Rechtsauffassung spricht schließlich nicht, daß der Zuschuß zum Krankenversicherungsbeitrag für nicht der Pflichtversicherung unterliegende Angestellte (§ 405 Abs 1 RVO) nach § 405 Abs 1 Satz 2 RVO höchstens die Hälfte des Beitrages beträgt, den der Angestellte für seine Krankenversicherung aufzuwenden hat. § 405 Abs 1 RVO erfaßt einen anderen Personenkreis und bezieht sich auch auf private Versicherungsverhältnisse, deren Inhalt von den Merkmalen der gesetzlichen Pflichtversicherung wesentlich abweichen kann. Anders als bei § 520 RVO hat es der Gesetzgeber deshalb in den Fällen des § 405 Abs 1 RVO für geboten gehalten, den vom Arbeitgeber zu zahlenden Zuschuß der Höhe nach auf die Hälfte des Aufwandes des Arbeitnehmers zu begrenzen (vgl auch § 1304e Abs 1 RVO). Schon aus diesem Grunde ist § 405 Abs 1 Satz 2 RVO hier nicht entsprechend anzuwenden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen
NJW 1982, 2143 |
Breith. 1982, 556 |