Tenor

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 20. November 1979 aufgehoben.

Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 28. November 1978 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Februar 1979 verurteilt, dem Kläger die Nachentrichtung von Beiträgen nach Art. 2 § 52 Abs. 1 des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes zu gestatten.

Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des gesamten Verfahrens zu erstatten.

 

Tatbestand

I

Streitig ist die Berechtigung des Klägers zur Nachentrichtung von Beiträgen zur Rentenversicherung nach Art. 2 § 52 Abs. 1 des Arbeiterrentenversicherungs-Neuregelungsgesetzes (ArVNG).

Der am 15. Dezember 1921 geborene Kläger war nach der Schulentlassung von 1935 bis zu seiner Einberufung zur deutschen Wehrmacht am 19. Februar 1941 im elterlichen landwirtschaftlichen Betrieb in Hartessenreuth/Sudetenland beschäftigt. Zwischendurch hatte er vom 1. April 1938 bis 30. März 1940 internatsmäßig die Landwirtschaftsschule in Eger besucht. Bis Kriegsende war er Soldat. Anschließend mußte er in dem unter tschechischer Verwaltung stehenden elterlichen Hof Zwangsarbeit leisten. Im Dezember 1945 kam er als Vertriebener in das Gebiet der jetzigen Bundesrepublik Deutschland, wo er den Beruf des Dentisten erlernte und vom 15. April 1947 ab Pflichtbeiträge zur Rentenversicherung entrichtete. Seit dem 1. August 1950 ist er als Selbständiger tätig. Er besitzt den Vertriebenenausweis A.

Nach dem Tode seines Vaters am 31. Januar 1942 war er nach dem Reichserbhofgesetz (REG) vom 29. September 1933 als Anerbe kraft Gesetzes Eigentümer des elterlichen Erbhofes in der Größe von ca 62 ha geworden. Durch „Einantwortungsurkunde” des Amtsgerichts Eger vom 26. Juli 1944 wurde er als allein berufener Anerbe in den Besitz des Erbhofes eingewiesen. In derselben Urkunde nahm seine Mutter „das ihr gesetzlich zustehende Verwaltungs- und Nutznießungsrecht am Erbhof bis zum vollendeten 25. Lebensjahr des Anerben in Anspruch”.

Am 12. September 1978 beantragte der Kläger die Nachentrichtung von Beiträgen nach Art. 2 § 52 ArVNG für die nicht mit Versicherungsbeiträgen belegten Zeiträume von 1937 bis 1974. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit der Begründung ab, der Kläger sei vor seiner Vertreibung nicht als Selbständiger erwerbstätig gewesen. Im Zeitpunkt der Vertreibung sei seine Mutter – nicht kriegsbedingt, sondern aus rechtlichen Gründen – die landwirtschaftliche Unternehmerin gewesen (Bescheid vom 28. November 1978). Widerspruch des Klägers und Klage sind erfolglos geblieben (Widerspruchsbescheid vom 23. Februar 1979; Urteil des Sozialgerichts –SG– Würzburg vom 20. November 1979). Zur Begründung hat das SG ausgeführt, der Kläger habe die Voraussetzung einer selbständigen Erwerbstätigkeit vor der Vertreibung nicht erfüllt. Er sei mit dem Tode des Vaters Rechtsnachfolger als landwirtschaftlicher Unternehmer geworden. Wenn er auch wegen seines Kriegseinsatzes den landwirtschaftlichen Betrieb nicht persönlich habe führen können, so sei er doch ab 1. Februar 1942 landwirtschaftlicher Unternehmer gewesen, auf dessen Rechnung und Namen der Betrieb gelaufen sei. Diese Rechtsstellung als landwirtschaftlicher Unternehmer und damit als selbständig Erwerbstätiger habe mit der Annahme des gesetzlichen Verwaltungs- und Nutznießungsrechts durch die Mutter am 26. Juli 1944 ihr Ende gefunden. Die Verwaltung und Nutznießung sei nicht wegen der kriegsbedingten Abwesenheit des Klägers vereinbart worden. Seine Unternehmereigenschaft sei deshalb nicht aus kriegsbedingten Gründen beendet worden. Daß er ohne die Kriegsereignisse (Enteignung und Flucht) ab seinem 25. (richtig 26.) Lebensjahr wieder selbständiger Landwirt geworden wäre, sei für die rechtliche Beurteilung nicht maßgebend. Art. 2 § 52 ArVNG verlange, daß er bis zur Flucht tatsächlich selbständig Erwerbstätiger gewesen sei oder daß die selbständige Erwerbstätigkeit vor der Flucht nur durch die Kriegsereignisse verhindert worden sei.

Mit der vom SG im Urteil zugelassenen Sprungrevision macht der Kläger geltend, die Wirtschaftsführung sei nur wegen seines Kriegsdienstes an seine Mutter übertragen worden. Er habe als Anerbe mit dem Tode seines Vaters den Erbhof kraft Gesetzes erworben, ohne daß es einer Einweisung durch das Gericht bedurft hätte. Als Eigentümer und Besitzer habe ihm das Nutzungs- und Wirtschaftsrecht zugestanden. Die Bestimmung des erst am 1. Oktober 1943 in Kraft getretenen § 7 der Erbhoffortbildungsverordnung (EHFV) vom 30. September 1943 (RGBl I 549) könne auf seinen Fall keine Anwendung finden, weil sie nach § 50 dieser Verordnung uneingeschränkt nur für Fälle gelte, in denen der zu den Abkömmlingen gehörende Anerbe die Bewirtschaftung des Hofes noch nicht persönlich übernommen habe. Er habe aber die Bewirtschaftung des Hofes bereits übernommen gehabt und seine Mutter als Stellvertreterin beauftragt, soweit er sich als Soldat im Krieg befunden habe. Während der Urlaubszeit habe er die Bewirtschaftung selbst ausgeführt. Zur Einräumung des Verwaltungs- und Nutznießungsrechts für seine Mutter sei es in der Einantwortungsurkunde vom 26. Juli 1944 auf freiwilliger Basis gekommen, weil er infolge kriegsbedingter Verhältnisse zur selbständigen Führung des landwirtschaftlichen Betriebes nicht in der Lage gewesen sei.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des SG aufzuheben und (sinngemäß) die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 28. November 1978 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. Februar 1979 zu verurteilen, die Nachentrichtung von Beiträgen nach Art. 2 § 52 ArVNG zu gestatten.

Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Sie vertritt die Auffassung, daß der Kläger zu keinem Zeitpunkt selbständig erwerbstätig im Sinne des Art. 2 § 52 ArVNG gewesen sei. Der Kläger sei bereits vor dem Erbfall Soldat gewesen. Allein dieser Umstand habe verhindert, daß er als Selbständiger erwerbstätig geworden sei.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§ 124 Abs. 2 des Sozialgerichtsgesetzes –SGG–).

 

Entscheidungsgründe

II

Die Revision des Klägers ist begründet.

Der Kläger ist berechtigt, gemäß Art. 2 § 52 Abs. 1 Sätze 1 und 2 ArVNG Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung nachzuentrichten. Nach diesen Vorschriften können ua Personen im Sinne der §§ 1 bis 4 des Bundesvertriebenengesetzes (BVFG), die vor der Vertreibung als Selbständige erwerbstätig waren und binnen drei Jahren nach der Vertreibung oder nach Beendigung einer Ersatzzeit im Sinne des § 1251 Abs. 1 Nr. 6 der Reichsversicherungsordnung (RVO) eine versicherungspflichtige Beschäftigung oder Tätigkeit aufgenommen haben, abweichend von der Regelung des § 1418 RVO Beiträge für die Zeit vor Vollendung des 65. Lebensjahres bis zum 1. Januar 1924 zurück nachentrichten, auch wenn eine Versicherung vor der Zeit, für die Beiträge nachentrichtet werden, nicht bestanden hat.

Der Kläger ist Vertriebener im Sinne des BVFG. Er hat am 15. April 1947 und damit innerhalb von drei Jahren nach seiner im Dezember 1945 erfolgten Vertreibung eine versicherungspflichtige Beschäftigung aufgenommen. Er erfüllt auch – entgegen der Auffassung des SG und der Beklagten – die Voraussetzung einer selbständigen Erwerbstätigkeit vor der Vertreibung.

Das Vordergericht hat angenommen, daß der Kläger ab 1. Februar 1942 bis zum 26. Juli 1944 landwirtschaftlicher Unternehmer gewesen sei; es hat dazu tatsächlich festgestellt, daß auf seine Rechnung und seinen Namen der Betrieb gelaufen sei, wenngleich er ihn wegen seines Kriegseinsatzes nicht persönlich habe führen können. Gegen diese Tatsachenfeststellung sind wirksame Verfahrensrügen nicht erhoben worden, so daß sie für das Revisionsgericht bindend sind (§ 163 SGG) und seiner rechtlichen Beurteilung zugrunde gelegt werden müssen. Die Folgerung, die das SG aus seiner Feststellung gezogen hat, daß nämlich der Kläger bis zum 26. Juli 1944 landwirtschaftlicher Unternehmer gewesen sei, steht auch mit dem damaligen Rechtszustand nach dem REG in Einklang. Nach § 19 Abs. 2 REG ging ein Erbhof kraft Gesetzes ungeteilt auf den Anerben über. Vor der Rechtsänderung durch die EHFV am 1. Oktober 1945 bedurfte eine Übertragung der Verwaltung und Nutznießung auf den überlebenden Ehegatten des Hofeigentümers einer Anordnung des Erblassers (§ 26 REG). Da eine solche hier aber nicht ergangen war, war mit dem Erbfall auch die Verwaltung und Nutznießung kraft Gesetzes auf den Kläger übergegangen. Demnach ist davon auszugehen, daß der Kläger bis zum 26. Juli 1944 als landwirtschaftlicher Unternehmer zum Personenkreis der selbständig Erwerbstätigen gehörte. Daß er bereits vor der Begründung seiner Unternehmerstellung Soldat geworden war und deshalb, wie die Beklagte meint, an der tatsächlichen Ausübung der selbständigen Erwerbstätigkeit gehindert war, ist unerheblich. Die Unternehmerstellung ist an die tatsächliche Ausübung der Betriebsführung nicht gebunden. Diese kann stellvertretend Dritten übertragen werden. Zudem war die Verhinderung an der persönlichen Ausübung der Unternehmertätigkeit durch die Kriegsdienstleistung des Klägers bedingt und deshalb unschädlich, denn ein bereits vor der Vertreibung aus kriegsbedingten Gründen eingetretener Verlust der selbständigen Erwerbstätigkeit steht dem Zusammenhang mit der Vertreibung nicht entgegen (BSGE 24, 146, 148 = SozR Nr. 8 zu Art. 2 § 52 ArVNG; Urteil des erkennenden Senats vom 30. Juni 1971, SozR a.a.O. Nr. 14). Dies gilt nicht nur dann, wenn ein bereits tatsächlich Erwerbstätiger durch kriegsbedingte Gründe gehindert wird, die selbständige Erwerbstätigkeit fortzusetzen, sondern auch, wenn er durch den Kriegsdienst daran gehindert wird, seine rechtlich bereits begründete Unternehmerstellung persönlich wahrzunehmen. In beiden Fällen hat er letztlich durch die Vertreibung seine auf selbständiger Erwerbstätigkeit beruhende wirtschaftliche Existenzgrundlage verloren.

Daß der Feststellung des SG zufolge die Unternehmerstellung des Klägers am 26. Juli 1944 rechtlich beendet wurde, steht dem streitigen Nachentrichtungsrecht nicht entgegen. Dieser Umstand ist nämlich gleichermaßen auf die Kriegsdienstleistung des Klägers zurückzuführen. Nur weil er als Soldat gehindert war, die Bewirtschaftung des Hofes persönlich zu übernehmen, war nach 7 iVm § 50 Abs. 3 der EHFV für die Mutter des Klägers ein rechtlich begründeter Anspruch auf Verwaltung und Nutznießung am Erbhof bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres des Klägers entstanden. Wäre der Kläger nicht kriegsbedingt an der Betriebsführung gehindert gewesen, hätte § 7 EHFV nicht angewendet werden können (§ 50 Abs. 3 Satz 1 EHFV). Der Fall, wonach auch bei schon erfolgter Übernahme der Bewirtschaftung durch den noch nicht 25 Jahre alten Anerben die Verwaltung und Nutznießung dem überlebenden Ehegatten auf dessen Antrag oder auf Antrag des Landesbauernführers übertragen werden konnte (§ 50 Abs. 3 Satz 2 EHFV) oder, wie der Kläger für den vorliegenden Fall annimmt, die Verwaltung durch eine freiwillige Vereinbarung zwischen ihm und seiner Mutter auf diese übertragen worden war, lag nach dem Inhalt der Einantwortungsurkunde vom 26. Juli 1944 nicht vor, worauf die Beklagte zutreffend hingewiesen hat. Im übrigen wäre auch in einem solchen Fall eine Beendigung der Unternehmerstellung des Klägers am 26. Juli 1944 Folge seiner kriegsbedingten Abwesenheit vom Hof gewesen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

 

Fundstellen

Dokument-Index HI1064912

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