Leitsatz (amtlich)
Der Dienst eines zu einer Reichskreditkasse abgeordneten Reichsbankbeamten ist kein militärähnlicher Dienst im Sinn des BVG § 3 Abs 1 Buchst d.
Auf diesen Dienst ist mangels einer Dienstverpflichtung oder eines Arbeitsvertrages bei der Wehrmacht auch die Vorschrift des BVG § 3 Abs 2 nicht anzuwenden.
Normenkette
BVG § 3 Abs. 1 Buchst. d Fassung: 1950-12-20, Abs. 2 Fassung: 1950-12-20; RKredKassV
Tenor
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landessozialgerichts Berlin vom 1. Juli 1955 wird zurückgewiesen. Die Beteiligten haben einander außergerichtliche Kosten nicht zu ersetzen.
Von Rechts wegen.
Gründe
Der Ehemann der Klägerin war Reichsbanksekretär und während des 2. Weltkriegs zur Reichskreditkasse Riga abgeordnet. Er starb 1943 während eines Urlaubs in Berlin am Herzschlag. Die Klägerin begehrt Witwenrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) mit der Begründung, der Ehemann habe militärähnlichen Dienst geleistet und der Tod sei eine Folge von Überanstrengung im Dienst.
Das Versorgungsamt (VersorgA.) II Berlin hat mit Bescheid vom 11. Juli 1952 Hinterbliebenenversorgung abgelehnt, weil der Ehemann keinen militärähnlichen Dienst geleistet habe.
Den Einspruch der Klägerin vom 10. Oktober 1952 hat das Landesversorgungsamt (LVersorgA.) Berlin durch Einspruchsentscheidung vom 27. März 1953 als verspätet zurückgewiesen. Es hat ausgeführt, daß der Bescheid vom 11. Juli 1952 mangels rechtzeitigen Einspruchs Rechtskraft erlangt habe und daß eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht gewährt werden könne. Im übrigen sei der Anspruch auch unbegründet. Das Sozialgericht (SG.) Berlin hat im Urteil vom 24. September 1954 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt. Es hat auf Grund einer von der Klägerin überreichten eidesstattlichen Erklärung der Frau S... unterstellt, daß die Klägerin durch Frau S... innerhalb der Einspruchsfrist rechtzeitig eine Postkarte zur Post gegeben hat, mit welcher sie Einspruch einlegen wollte, und daß der Nichteingang dieser Postkarte beim VersorgA. auf unabwendbaren Zufall zurückzuführen sei. Als Rechtsgrundlage für die Wiedereinsetzung hat das SG. nicht den § 49 des Berliner KVG angenommen, der die Bestimmungen über die Fristen - und damit über die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand - der Reichsversicherungsordnung (RVO) für anwendbar erklärt, weil diese Bestimmung im Zeitpunkt des Bescheides und der Einspruchsentscheidung nicht mehr in Kraft gewesen sei. Das SG. hat den § 131 RVO als allgemein gültigen Rechtsgrundsatz angewendet. Sachlich hat das SG. jedoch die Klage abgewiesen, weil der Ehemann der Klägerin keinen militärähnlichen Dienst geleistet habe.
Das Landessozialgericht (LSG.) Berlin hat die Berufung der Klägerin mit Urteil vom 1. Juli 1955 zurückgewiesen. Es hat ausgeführt, die Voraussetzungen des § 3 Abs. 1 Buchst. d BVG lägen nicht vor. Bei der Geldversorgung in den besetzten Gebieten handele es sich nicht um eine Unterstützung militärischer Maßnahmen. Es fehle auch die Unterstellung unter einen militärischen Befehlshaber. Der Verstorbene habe der Reichskreditkasse und diese wiederum der Reichsbank unterstanden. Die örtliche Militärverwaltung habe keine Weisungsbefugnis gehabt. Der Begriff des Wehrmachtsgefolges sei im BVG nicht erwähnt. Revision ist zugelassen worden.
Die Revision ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden ( § 164 Abs. 1, § 166 Sozialgerichtsgesetz - SGG -). Sie ist infolge Zulassung nach § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG statthaft.
Der Senat hatte zunächst zu prüfen, ob Verfahrensmängel vorliegen, die von Amts wegen in jeder Instanz zu berücksichtigen sind, weil sie gegen prozeßrechtliche Grundsätze verstoßen, die im öffentlichen Interesse zu beachten sind, und deren Befolgung dem Belieben der Beteiligten entzogen ist (BSG. 2 S. 245 [253], 3 S. 293 [297], BSG. v. 15.12.1955 in SozR. SGG § 162 Da 8 Nr. 40). Das Urteil der 1. Instanz ist von der 38. Kammer (Hilfskammer) des SG. Berlin erlassen. Wie der Senat bereits entschieden hat, sind die Urteile dieser Hilfskammer wirksam (BSG. 5 S. 289). Von Amts wegen zu berücksichtigen ist ferner die Zulässigkeit der im bisherigen Verfahren eingelegten Rechtsbehelfe. Dazu gehört deren Rechtzeitigkeit. Die Klägerin hatte die Frist zur Einlegung des Einspruchs gegen den Bescheid vom 11. Juli 1952 versäumt. Das SG. hat ihr in seinem Urteil Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt. Es hat die Voraussetzungen der Wiedereinsetzung nach dem in Berlin vor Inkrafttreten des SGG geltenden Verfahrensrecht beurteilt, weil die Versäumung und der Wegfall des Hindernisses bereits 1952 stattgefunden haben (BSG. 1 S. 44). Das Verfahrensrecht für die KOV. war in dem (Berliner) Gesetz über die Versorgung von Kriegs- und Militärdienstbeschädigten sowie ihren Hinterbliebenen vom 24. Juli 1950 (VOBl. S. 318) - KVG - niedergelegt. § 49 KVG , der für die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand § 131 RVO heranzog, war durch Art. 4 des Berliner Kriegsopferversorgungsgesetzes vom 12. April 1951 (GVBl. S. 317) mit Wirkung ab 1. Oktober 1950 aufgehoben worden, ohne daß eine andere Vorschrift über die Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen Versäumung von gesetzlichen Verfahrensfristen erlassen worden wäre. Das SG. hat diese Lücke im Gesetz durch Heranziehung der Gedanken des § 131 RVO ausgefüllt. Wie der erkennende Senat mit Urteil vom 4. März 1958 (vgl. SozR. SGG § 162 Da 23 Nr. 90) entschieden hat, kann das Revisionsgericht diese Rechtsanwendung nicht nach § 162 Abs. 2 SGG nachprüfen, weil es sich um nicht revisibles Landesrecht handelt. Der Senat konnte daher nur feststellen, daß die Vorinstanzen die Folgen der Versäumung der Einspruchsfrist durch Wiedereinsetzung in den vorigen Stand behoben haben. Der Einspruch ist somit rechtzeitig eingelegt. Auch die Klage- und Berufungsfrist ist eingehalten. Die Vorinstanz hat deshalb zu Recht sachlich entschieden. Die Revision ist jedoch nicht begründet.
Die Revision macht mit der Rüge einer Verkennung des § 3 Abs. 1 Buchst. d und des § 3 Abs. 2 BVG die Verletzung materiellen Recht geltend. Mit dem Vorbringen, das LSG. habe den angebotenen Beweis nicht erhoben, rügt sie einen wesentlichen Verfahrensmangel durch Verstoß gegen § 103 SGG .
Der gerügte wesentliche Verfahrensmangel liegt nicht vor. Nach § 103 SGG erforscht das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen, ohne an das Vorbringen der Beteiligten gebunden zu sein. Danach ist das Gericht nicht verpflichtet, einem Beweisantrag stattzugeben. Es hat vielmehr von Amts wegen diejenigen Ermittlungen anzustellen, die nach seinem richterlichen Ermessen von seiner sachlich-rechtlichen Auffassung des erhobenen Anspruchs ausgehend, zur Feststellung des Tatbestandes erforderlich sind. Das LSG. ist bei der Feststellung der tatsächlichen Verhältnisse bei der Beschäftigung des Ehemanns an der Reichskreditkasse R. von dem eigenen Vorbringen der Klägerin ausgegangen. Diese hat ihre Angaben durch eine im Verfahren vor dem SG. vorgelegte Erklärung des ehemaligen Leiters der Reichskreditkasse Riga, Bankdirektor a.D. N... bekräftigt. Die Klägerin hat nicht dargelegt, aus welchen Gründen das LSG. sich hätte gedrängt fühlen müssen, darüber hinaus Bankdirektor N... noch als Zeugen zu vernehmen. Das LSG. hat die Angaben der Klägerin und des Bankdirektors N... als den Tatsachen entsprechend angenommen, soweit sie die tatsächlichen Verhältnisse betreffen. Es ist lediglich in der versorgungsrechtlichen Beurteilung der Tatsachen der Auffassung der Klägerin und des Bankdirektors N... nicht gefolgt. Eine Verletzung des § 103 SGG durch das LSG. ist nicht erkennbar.
Die Revision greift auch nicht durch, soweit sie die Verletzung materiellen Rechts und eine Verletzung des § 3 Abs. 1 Buchst. d und Abs. 2 BVG rügt.
Nach § 3 Abs. 1 Buchst. d BVG gilt als militärähnlicher Dienst im Sinn des § 1 Abs. 1 BVG der Dienst der Beamten der Zivilverwaltung, die auf Befehl ihrer Vorgesetzten zur Unterstützung militärischer Maßnahmen verwendet und damit einem militärischen Befehlshaber unterstellt waren. Das LSG. hat zu Recht entschieden, daß der Ehemann weder zur Unterstützung militärischer Maßnahmen verwendet noch einem militärischen Befehlshaber unterstellt war. Militärische Maßnahmen im Sinn dieser Vorschrift sind Maßnahmen der Kriegführung, und zwar solche militärischer Art, wie sie im wesentlichen der Abwehr feindlicher Angriffe und dem Gegenangriff dienen. Maßnahmen organisatorischer und verwaltungstechnischer Art, die zwar auch im Hinblick auf die Bedürfnisse und Aufgaben der Wehrnacht geschehen, aber ihrerseits militärische Maßnahmen der Wehrmacht erst allgemein ermöglichen helfen, fallen nicht darunter. Unterstützung militärischer Maßnahmen bedeutet eine Mitwirkung bei der Ausführung der einzelnen jeweiligen militärischen Maßnahmen, nicht bei der allgemeinen organisatorischen und verwaltungsmäßigen Vorbereitung militärischer Maßnahmen überhaupt oder der nachträglichen Aufrechterhaltung erlangter militärischer Erfolge der Wehrmacht.
Nach der Verordnung über die Reichskreditkassen vom 3. Mai 1940 (RGBl. I S. 743) i.d.F. vom 15. Mai 1940 (RGBl. I S. 774), waren die Reichskreditkassen errichtet worden, zunächst um die deutschen Truppen und dann auch die deutschen Verwaltungsbehörden in den besetzten Gebieten mit Geldzeichen zu versehen (§ 1 Abs. 1 der VO) ferner zur Aufrechterhaltung des Zahlungsverkehrs mit der Wirtschaft in diesen Gebieten. Nach § 3 der Verordnung über die Errichtung und den Geschäftskreis von Reichskreditkassen vom 15. Mai 1940 (RGBl. I S. 771) waren die Reichskreditkassen befugt, den Geld-, Zahlungs- und Kreditverkehr in den besetzten Gebieten zu regeln, u.a. Wechsel- und Schecks zu kaufen, zu verkaufen, verzinsliche Darlehn zu gewähren, bankmäßige Auftragsgeschäfte aller Art auszuführen usw. Nach dieser Zwecksetzung kann in der Tätigkeit bei einer Reichskreditkasse nicht die Unterstützung militärischer Maßnahmen in dem dargelegten Sinn gesehen werden. Die Reichskreditkassen dienten vielmehr der Erfüllung allgemeiner organisatorischer und verwaltungsmäßiger Aufgaben, wie sie die Besetzung fremder Gebiete mit sich bringt.
Die Beschäftigung bei einer Reichskreditkasse war auch nicht mit der Unterstellung unter einen militärischen Befehlshaber verbunden. Dies ergibt sich aus der Organisation der Reichskreditkassen. Sie unterstanden einer Hauptverwaltung in Berlin. Diese wurde von einem Vorstand geleitet. Er wurde vom Verwaltungsrat bestellt (§ 2 der VO). Der Verwaltungsrat mit dem Sitz in Berlin bestand aus den vom Präsidenten der deutschen Reichsbank zu bestimmenden Mitgliedern, darunter dem Vorsitzenden, und aus je einem Vertreter des Reichsministers der Finanzen, des Reichswirtschaftsministers, des OKW (später zwei Vertreter des OKW gemäß der ErgänzungsVO vom 6.8.1941 - RGBl. I S. 474) und eines Vertreters des Oberbefehlshabers des Heeres (§ 1 Abs. 2 der VO). Der Verwaltungsrat war über die Maßnahmen der Hauptverwaltung laufend zu unterrichten (§ 3 der VO). Die Hauptverwaltung bestellte die Vorstände der Reichskreditkassen in den besetzten Gebieten, bestimmte deren Sitz und Einrichtung und regelte den Geschäftsbetrieb (VO über die Errichtung und den Geschäftskreis von Reichskreditkassen in den besetzten Gebieten v. 15.5.1940 - RGBl. I S. 771). Nach diesen Vorschriften bestand die Mitwirkung von militärischen Stellen nur in der Vertretung im Verwaltungsrat. Eine Unterstellung des Ehemanns der Klägerin unter einen militärischen Befehlshaber im Sinn des § 3 Abs. 1 Buchst. d BVG ist darin nicht zu erblicken. Selbst bei engerer Beziehung zwischen den einzelnen Reichskreditkassen in den besetzten Gebieten und den jeweiligen örtlichen militärischen Befehlshabern kann es sich nach dem Gesetz nicht um die Unterstellung unter einen militärischen Befehlshaber, sondern nur um die Zusammenarbeit mit den militärischen Dienststelle gehandelt haben. Der Ehemann der Klägerin hat demnach keinen militärähnlichen Dienst im Sinn des § 3 Abs. 1 Buchst. d BVG geleistet.
Auch die Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 BVG liegen nicht vor. Diese Vorschrift setzt eine Dienstverpflichtung oder einen Arbeitsvertrag bei der Wehrmacht voraus. Der Verstorbene war als Beamter nicht dienstverpflichtet nach der Verordnung des Beauftragten für den Vierjahresplan zur Sicherstellung des Kräftebedarfs für Aufgaben von besonderer staatspolitischer Bedeutung vom 13. Februar 1939 (RGBl. I S. 206), sondern er war abgeordnet im beamtenrechtlichen Sinn. Auch bestand das Arbeits- bzw. Dienstverhältnis des Ehemanns der Klägerin nicht mit der Wehrmacht, sondern mit der Reichsbank, bzw. der Reichskreditkasse. Da schon diese Voraussetzungen des § 3 Abs. 2 BVG nicht gegeben sind, kommt es nicht darauf an, ob die Tätigkeit des Ehemanns mit besonderen kriegseigentümlichen Gefahren für die Gesundheit verbunden war.
Auch nach anderen Bestimmungen des BVG ist ein Versorgungsanspruch der Klägerin nicht gegeben.
Die Revision war somit nicht begründet. Sie war deshalb gemäß § 170 Abs. 1 Satz 1 SGG zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG .
Fundstellen
RegNr, 568 |
SozR, Nr 1 zu ReichskreditkassenVO allg v 3.5.1940 (Leitsatz) |
SozR, (Leitsatz und Gründe) |