Entscheidungsstichwort (Thema)
Kein berechtigtes Interesse
Leitsatz (amtlich)
Nach 8. DV AVAVG § 2 Nr 1 idF vom 1965-10-18 (BGBl 1 1851) ist die Gewährung von Schlechtwettergeld in Betrieben des Gerüstbaugewerbes zulässig, die überwiegend Bauaufzüge und Baugerüste für Betriebe des Baugewerbes aufstellen, gleichgültig ob dies für den eigenen Betrieb oder für fremde Betriebe geschieht. Unternehmen dagegen, die ausschließlich Gerüstbaumaterial vermieten, sind nicht begünstigt.
Leitsatz (redaktionell)
Wenn im sozialgerichtlichen Verfahren das Klagebegehren ersichtlich auf Aufhebung eines Verwaltungsaktes und Verurteilung zur Leistung oder Verpflichtung zur Bescheiderteilung gerichtet ist, dann darf nicht zugleich auf Feststellung erkannt werden.
Wird dagegen verstoßen, liegt ein wesentlicher Mangel des Verfahrens vor, der von Amts wegen zu beachten ist.
Normenkette
AVAVG § 143d Abs. 2 Fassung: 1959-12-07; AVAVGDV 8 § 2 Nr. 1 Fassung: 1965-10-18; SGG § 54 Abs. 1 Fassung: 1953-09-03, Abs. 4 Fassung: 1953-09-03, § 55 Fassung: 1953-09-03, § 162 Abs. 1 Nr. 2 Fassung: 1953-09-03
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Hamburg vom 13. Oktober 1967 aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Gründe
I
Die Klägerin, eine Gerüstbaufirma in H, betreibt das Vermieten und Aufstellen von Leiter- und Rohrgerüsten. Zugunsten ihrer Arbeitnehmer hatte sie bereits in den Jahren 1963, 1964 sowie zu Beginn des Jahres 1965 Schlechtwettergeld (SWG) bezogen. Für den 18., 22. und 25. November 1965 zeigte sie dem Arbeitsamt H abermals witterungsbedingten Arbeitsausfall an. Diesen Antrag auf SWG lehnte die Beklagte jedoch ab (Bescheid vom 9. Dezember 1965), da das Unternehmen der Klägerin nicht zu den Betrieben des Baugewerbes gehöre, die nach der am 1. November 1965 in Kraft getretenen Dritten Verordnung zur Änderung und Ergänzung der Achten Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (8. DVO/AVAVG) vom 18. Oktober 1965 (BGBl I 1651) zum Bezug von SWG zugelassen sind. Der Widerspruch der Klägerin wurde zurückgewiesen (Widerspruchsbescheid vom 19. Januar 1966). Auf ihre Klage hob das Sozialgericht (SG) durch Urteil vom 8. Dezember 1966 die ablehnenden Bescheide der Beklagten auf und stellte fest, daß die Gewährung von SWG im Betrieb der Klägerin zulässig sei. Es verurteilte darüber hinaus die Beklagte, auf Grund des Antrags der Klägerin einen Verwaltungsakt über die Gewährung von SWG zu erlassen. Berufung wurde zugelassen.
Die von der Beklagten eingelegte Berufung wies das Landessozialgericht (LSG) zurück (Urteil vom 13. Oktober 1967): Die Klägerin unterhalte einen baugewerblichen Betrieb i.S. des § 2 Nr. 1 der 8. DVO/AVAVG. Dies folge bereits daraus, daß das Aufstellen von Bauaufzügen und Baugerüsten als besondere bauliche Arbeit in § 2 Nr. 1 der 8. DVO/AVAVG genannt sei. Die Klägerin erbringe aber auch "sonstige bauliche Leistungen" i.S. der Protokollnotiz Nr. 2 Abs. 2 zum Geltungsbereich des Bundesrahmentarifvertrages für das Baugewerbe (BRTV-Bau) vom 6. September 1965, da sie mit dem Aufstellen von Baugerüsten Arbeiten ausführe, die "der Erstellung, Instandsetzung, Instandhaltung, Änderung oder Beseitigung von Bauwerken dienen". Damit zähle die Klägerin zu den Betrieben, in denen die Gewährung von SWG zulässig ist. Überdies gehöre sie auch dem Zentralverband des Deutschen Baugewerbes und damit einem Tarifpartner des BRTV-Bau an und werde von diesem Tarifvertrag erfaßt. Nach Sinn und Zweck der SWG-Regelung sei es im übrigen ungerechtfertigt, den einem Gerüstbaubetrieb angehörenden Gerüstbauern das SWG zu versagen; denn sie seien den Unbilden der Witterung in gleicher Weise ausgesetzt wie jene Gerüstbauer, die in Bauten erstellenden Betrieben tätig seien. Die Revision wurde zugelassen.
Die Beklagte hat Revision eingelegt und beantragt,
das angefochtene Urteil sowie das Urteil vom 8. Dezember 1966 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Sie rügt Verletzung des § 143 d AVAVG und des § 2 der 8. DVO/AVAVG idF vom 18. Oktober 1965 und hat hierzu im wesentlichen ausgeführt: Für die Frage, ob ein Gerüstbaubetrieb von dem BRTV-Bau und der 8. DVO/AVAVG erfaßt werde, komme es nicht darauf an, ob er in Hamburg oder anderswo seinen Sitz habe. Diese Frage könne nur einheitlich dahin beantwortet werden, daß die Betriebe des Gerüstbaus in ihrer Gesamtheit, ungeachtet ihrer verbandsmäßigen Zugehörigkeit im Einzelfall, weder den Baubetrieben i.S. des BRTV-Bau noch i.S. des § 143 d AVAVG, § 2 Nr. 1 der 8. DVO/AVAVG zuzurechnen seien, weil sie keine Bauten erstellten und keine sonstigen baulichen Leistungen erbrächten. Bauliche Leistungen verrichte oder erbringe ein Betrieb bei zutreffender Interpretation der Protokollerklärung der Tarifpartner zum Geltungsbereich des BRTV-Bau vom 7. September 1965 nur dann, wenn er unmittelbar der "Erstellung, Instandsetzung, Instandhaltung, Änderung oder Beseitigung von Bauwerken" diene; davon könne aber bei dem Gerüstbaubetrieb der Klägerin keine Rede sein. Es handele sich vielmehr um einen Betrieb, der ausschließlich Leiter- und Rohrgerüste "vermietet". Dem stehe nicht entgegen, daß er die Baugerüste auch aufstelle; denn bereits sprachlich bedeute das Vermieten von Gerüsten die Überlassung der gebrauchsfertig aufgestellten Gerüste. Schon rechtlich sei der Vermieter verpflichtet, dem Mieter die vermietete Sache in einem zum vertragsgemäßen Gebrauche geeigneten Zustand zu überlassen (§ 536 BGB). Der vertragsgemäße Gebrauch sei aber nur bei dem fertiggestellten Gerüst möglich; der Auf- und Abbau des Gerüstes sei damit lediglich Bestandteil des Mietvertrages.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Der Auf- und Abbau der Gerüste stelle im Hinblick auf Arbeitszeit und Kosten die Hauptleistung der Gerüstbaubetriebe dar; ihr gegenüber trete die Vermietung der Baugerüste in den Hintergrund. Die Gerüstmontagearbeiten seien für die Klägerin im Verhältnis zur Vermietung das "dominierende Geschäft". Schließe man die infolge ihrer Außentätigkeit wetterabhängigen Gerüstbaubetriebe von der SWG-Regelung aus, so zwinge man sie, im Winter Massenentlassungen durchzuführen, mit der Folge, daß auch andere auf Gerüste angewiesene Bauzweige zum Erliegen kämen.
II
Die Revision der Beklagten ist zulässig und statthaft. Sie hat insofern Erfolg, als die Sache unter Aufhebung des angefochtenen Urteils zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen werden muß.
Was zunächst die prozessuale Seite des Rechtsstreits anbelangt, so erachtet der Senat die Auffassung der Vorinstanzen für fehlsam, daß der Klägerin für den zusätzlichen Antrag auf Feststellung, für ihren Betrieb sei die Gewährung von SWG zulässig, ein Rechtsschutzbedürfnis zusteht. Streitig ist der Anspruch auf SWG für mehrere, im einzelnen genau bestimmte Tage im November 1965. Demzufolge erstrebt die Klägerin in erster Linie eine Verurteilung der Beklagten zu der entsprechenden Leistung für diese Zeit, nämlich zur Gewährung des SWG bzw. zur Verpflichtung, unter Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide einen zuerkennenden Verwaltungsakt zu erlassen. Prozeßrechtlich kommt im vorliegenden Fall daher nur eine Aufhebungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 4 des Sozialgerichtsgesetzes - SGG -) oder aber eine Aufhebungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 SGG) in Betracht. Für eine besondere Feststellungsklage (§ 55 SGG) fehlt daher insoweit das berechtigte Interesse an der baldigen Feststellung. Wenn im sozialgerichtlichen Verfahren das Klagebegehren ersichtlich auf Aufhebung eines Verwaltungsaktes und Verurteilung zur Leistung oder Verpflichtung zur Bescheiderteilung gerichtet ist, so darf nicht zugleich auf Feststellung erkannt werden. Das SG hätte das Feststellungsbegehren der Klägerin als unzulässig verwerfen, das LSG hätte den auf einem wesentlichen Verfahrensmangel beruhenden Feststellungsteil des Urteils des SG aufheben müssen (vgl. BSG 5, 121 ff; 7, 4 ff). Diese Mängel im vorausgegangenen Verfahren mußte das Revisionsgericht von Amts wegen beachten.
Materiell-rechtlich müssen für den Anspruch auf SWG nach § 143 d AVAVG jeweils
a) bestimmte arbeitsrechtliche, insbesondere tarifrechtliche Erfordernisse (§ 143 d Abs. 1 Nr. 1 und 2) erfüllt sein,
ferner muß es sich
b) um einen Betrieb des Baugewerbes handeln, der in der nach Maßgabe des § 143 d Abs. 2 erlassenen Rechtsverordnung aufgeführt ist.
Der im Stadtgebiet von Hamburg ansässige Betrieb der Klägerin erfüllt, was die Beteiligten nicht anzweifeln, die Voraussetzungen unter a), wie sich auch aus der jahrelang geübten Auszahlungspraxis der beklagten Bundesanstalt ergibt. Bis zum 31. Oktober 1965 konnte nicht zweifelhaft sein, daß im Betrieb der Klägerin die Gewährung von SWG zulässig war; denn die bis dahin geltende Fassung der 8. DVO/AVAVG vom 9. Dezember 1959 (BGBl I 720) enthielt in der enumerativen Aufstellung des § 2 unter 10. ausdrücklich die Betriebe "des Gerüstbaugewerbes". Nunmehr ist nach der durch die Dritte Verordnung zur Änderung und Ergänzung der Achten Verordnung zur Durchführung des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung vom 18. Oktober 1965 (BGBl I 1651) bewirkten Neufassung des § 2 (in Kraft getreten am 1. November 1965) die Gewährung von SWG in solchen Betrieben zulässig, die nach ihrer Zweckbestimmung und betrieblichen Einrichtung Bauten aller Art erstellen oder sonstige bauliche Leistungen erbringen, insbesondere die dort unter Nr. 1 nach Arbeitsverrichtungen und Produktionsaufgaben beispielhaft (katalogartig) bezeichneten Arbeiten ausführen. Hierunter benennt der Verordnungsgeber ausdrücklich das "Aufstellen von Bauaufzügen und Baugerüsten, jedoch nicht in Betrieben, die ausschließlich Leiter- oder Rohrgerüste vermieten". Der einzige nach dem Wortlaut der Neufassung erkennbar vom Verordnungsgeber gewollte Ausschluß von der Gewährung des SWG bezieht sich also auf Betriebe, die nur Gerüstmaterial vermieten, ohne es selbst aufzustellen (sog. reine Vermietungsbetriebe). Mit dieser alleinigen Ausnahme, die schon dadurch vertretbar erscheint, daß die bloßen Vermieter von Leiter- oder Rohrgerüsten kaum Arbeitnehmer (Lagerkräfte, Ausgeber, Fuhrleute) beschäftigen, die unmittelbar von witterungsbedingten Arbeitsausfällen betroffen werden, sieht offenbar der Verordnungsgeber, der für die Neufassung des § 2, wie die "Amtliche Begründung" (vgl. BABl 1965, 835) erweist, auf Übereinstimmung mit dem neu gefaßten fachlichen Geltungsbereich des BRTV-Bau und den dazugehörigen Protokollnotizen der Tarifpartner bedacht war, allgemein die Voraussetzung baulicher Leistungen (Generalklausel) für das Gerüstbaugewerbe als gegeben an. Der erkennende Senat ist deshalb der Auffassung, daß § 2 Nr. 1 der 8. DVO/AVAVG idF vom 18. Oktober 1965 alle Betriebe erfaßt, die Bauaufzüge und Baugerüste aufstellen, gleichgültig ob das für den eigenen Baubetrieb oder - mit Vermietung - für fremde Baubetriebe geschieht. Im letzteren Falle werden Gerüstbaubetriebe nur dann begünstigt, wenn sie die Gerüste ausschließlich oder zumindest überwiegend zur Ingangsetzung oder zur Durchführung von Bauarbeiten aufstellen und vermieten. Nicht hierunter fällt beispielsweise die Betätigung von Gerüstbaufirmen für Werbe- und Demonstrationszwecke, Sportveranstaltungen oder sonstige Kundgebungen. Die erforderlichen Ermittlungen, welcher Art der Betrieb der Klägerin ist (Unternehmenszweck, Produktionsaufgaben), wird das LSG noch zu treffen haben.
Mangels ausreichender Feststellungen konnte der Senat die Sache nicht abschließend entscheiden. Daher war die Zurückverweisung an das LSG geboten (§ 170 Abs. 2 und 4 SGG).
Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.
Fundstellen