Leitsatz (amtlich)
Wird ein Arbeitsverhältnis durch den Arbeitgeber aus einem von dem Verhalten des Versicherten unabhängigen Grunde unter Einhaltung der tariflichen Kündigungsfrist gekündigt, danach aber der Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Versicherten um wenige Tage vorverlegt, so darf jedenfalls wegen dieser Vorverlegung allein das Arbeitslosengeld nicht durch Verhängung einer Sperrfrist versagt werden.
Normenkette
AVAVG § 80 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1957-04-03, § 97 Fassung: 1957-04-03, § 88 Abs. 1 S. 1 Fassung: 1959-12-07
Tenor
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts Niedersachsen vom 27. September 1968 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Revisionsverfahrens zu erstatten.
Gründe
Der Kläger war zuletzt vom 30. Oktober 1964 bis zum 4. Januar 1965 bei der Firma B und M AG, Niederlassung B, Bauabteilung W, als Eisenflechter beschäftigt. Die Arbeitgeberin kündigte das Arbeitsverhältnis am 4. Januar 1965 wegen Beendigung der Arbeiten unter Einhaltung der tarifvertraglichen Kündigungsfrist. Der Kläger legte die Arbeit bereits am Tage der Kündigung nieder, um Gelegenheit zu haben, sich schnellstens eine neue Arbeitsstelle zu suchen. Es gelang ihm jedoch nicht, eine neue Arbeitsstelle zu finden. Er meldete sich deshalb am 5. Januar 1965 arbeitslos und beantragte die Gewährung von Arbeitslosengeld (Alg).
Das Arbeitsamt (ArbA) U bewilligte dem Kläger Alg ab 7. Januar 1965 in Höhe von wöchentlich 97,20 DM einschließlich Familienzuschlags für drei Personen. Hierbei ging es von einem Ruhen des Alg für zwei Tage gemäß § 97 des Gesetzes über Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung (AVAVG) aus, weil der Kläger das Arbeitsverhältnis vor Ablauf der Kündigungsfrist aufgegeben hatte. Mit Bescheid vom 15. April 1965 setzte das ArbA U eine Sperrfrist von 12 Wochentagen gegen den Kläger fest, weil er seine Arbeitsstelle ohne wichtigen oder berechtigten Grund aufgegeben habe. Mit demselben Bescheid forderte das ArbA die für die Zeit vom 7. bis zum 18. Januar 1965 erbrachten Leistungen in Höhe von 162,00 DM zurück. Der Widerspruch des Klägers wurde durch Bescheid vom 24. Mai 1965 zurückgewiesen.
Das angerufene Sozialgericht (SG) Lüneburg hob durch Urteil vom 5. Oktober 1965 die angefochtenen Bescheide auf. Das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen wies die zugelassene Berufung der Beklagten durch Urteil vom 27. September 1968 zurück. Es ist der Auffassung, daß der Anspruch auf Alg nach § 97 AVAVG ruhe, wenn der Arbeitnehmer nach der Kündigung durch den Arbeitgeber auf die Einhaltung der Kündigungsfrist mit dessen Zustimmung verzichte. Ruhe jedoch der Anspruch auf Alg nach §§ 96, 97 AVAVG, so könne daneben keine Sperrfrist nach § 80 AVAVG verhängt werden, denn die Verhängung einer Sperrfrist setze voraus, daß ein Anspruch auf Leistungen zunächst einmal entstanden sei. Damit werde aber der Versicherungsfall vorausgesetzt, während beim Ruhen des Anspruchs der Versicherungsfall noch nicht als gegeben angesehen werde.
Für die Zeit nach dem Ruhen des Anspruchs dürfte eine Sperrfrist ebenfalls nicht verhängt werden, denn der Verzicht des Klägers auf die Einhaltung der Kündigungsfrist sei für die der Zeit des Ruhens nachfolgende Arbeitslosigkeit nicht kausal gewesen. Wesentliche Bedingung für die Arbeitslosigkeit des Klägers sei nicht der Verzicht auf Einhaltung der Kündigungsfrist, sondern allein die Kündigung des Arbeitsverhältnisses durch die Firma B und M AG.
Mit der zugelassenen Revision rügt die Beklagte die unrichtige Anwendung der §§ 80, 97 AVAVG. Durch den sogenannten "Verzicht auf Einhaltung der Kündigungsfrist" durch den Kläger sei das Arbeitsverhältnis nicht durch Kündigung, sondern durch einen Aufhebungsvertrag aufgelöst worden. Eine andere Auslegung verstoße gegen die Unabdingbarkeit tariflicher Mindestbedingungen. Das Mitwirken des Klägers am Abschluß des Vertrages zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses sei als Aufgabe der Arbeitsstelle im Sinne von § 80 Abs.1 Satz 1 AVAVG zu werten; die Sperrfrist sei gerechtfertigt, weil ein wichtiger oder berechtigter Grund zur Aufgabe der Arbeitsstelle nicht vorhanden gewesen sei. Die Ansicht des LSG, neben dem Ruhen des Anspruchs könne keine Sperrfrist verhängt werden, finde keine Stütze im Gesetz. Nach seinem Wortlaut erfasse § 97 AVAVG nur die Aufgabe von Ansprüchen, die nach Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses erfolge.
Nach einer einverständlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses könne jedoch ein Anspruch auf Einhaltung einer Kündigungsfrist nicht mehr Gegenstand eines Verzichts sein, weil die Aufgabe des gesamten Arbeitsverhältnisses ein Spezialfall der Aufgabe von Ansprüchen aus dem Arbeitsverhältnis sei. Aus § 88 AVAVG lasse sich ein Vorrang des § 97 AVAVG nicht entnehmen. Hinsichtlich der Ursächlichkeit komme es schließlich nicht auf die Fortdauer, sondern lediglich auf den Eintritt der Arbeitslosigkeit an. Der Eintritt der Arbeitslosigkeit sei jedoch durch das Verhalten des Klägers hervorgerufen worden. An diese Verantwortlichkeit des Arbeitnehmers knüpfe die Gesetzesregelung an und pauschaliere wegen der Praktikabilität die Dauer der Sperrfrist. Weder die Entstehungsgeschichte des § 97 und des § 80 AVAVG noch das ursprünglich angeordnete Ruhen des Anspruchs für den 5. und 6. Januar 1965 stehe der von der R Revision vertretenen Auffassung entgegen.
Die Beklagte beantragt,
unter Aufhebung des angefochtenen Urteils und des Urteils des SG Lüneburg vom 5. Oktober 1965 die Klage abzuweisen und zu entscheiden, daß außergerichtliche Kosten nicht zu erstatten sind.
Der Kläger beantragt,
die Revision der Beklagten gegen das Urteil des LSG Celle vom 27. September 1968 (als unbegründet) zurückzuweisen.
Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend und weist ergänzend auf die amtliche Begründung zur AVAVG-Novelle 1956 hin (BT-Drucks. II/1274 S. 135), in der der Verzicht auf Einhaltung der Kündigungsfrist ebenfalls als ein Fall des § 97 AVAVG angesehen werde.
II
Die Revision ist nicht begründet.
Die Vorinstanzen haben zu Recht erkannt, daß die Voraussetzungen für die Verhängung einer Sperrfrist nicht vorgelegen haben.
Die Voraussetzungen des § 80 Abs. 1 AVAVG, auf die allein die Verhängung einer Sperrfrist gestützt werden könnte, liegen nicht vor. Der Kläger hat seine Arbeitsstelle nicht aufgegeben. Das Arbeitsverhältnis wurde vielmehr durch die Kündigung des Arbeitgebers am 4. Januar 1965 zum 6. Januar 1965 beendet. Mit dem Ausspruch dieser Kündigung stand der Arbeitsplatzverlust als solcher fest. Wenn der Kläger, veranlaßt durch den Arbeitsplatzverlust, die Arbeit mit stillschweigender Billigung des Arbeitgebers bereits am 4. Januar 1965 niedergelegt hat, so ist damit nur der Endzeitpunkt des Arbeitsvertrages vertraglich um wenige Tage vorverlegt, die Kündigung als solche aber nicht rückgängig gemacht worden. Daher hat sich an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch eine Kündigung des Arbeitgebers nichts geändert. Der Ansicht, auch in diesen Fällen müsse davon ausgegangen werden, daß die Kündigung durch einen Aufhebungsvertrag ersetzt worden ist und eine unter den hier vorliegenden Umständen abgeschlossene Vereinbarung über das vorzeitige Wirksamwerden der Kündigung wie ein Aufhebungsvertrag behandelt werden müsse, vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Fälle, in denen es sich nicht, wie hier, um eine kurze zeitliche Vorverlegung des Wirksamwerdens der Kündigung handelt, sondern die Vorverlegung einen längeren Zeitraum, etwa mehr als 12 Tage, betrifft, deshalb ebenso wie eine echte Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Vertrag behandelt werden müssen, weil dann die Vorverlegung rechtlich eine erhebliche Eigenbedeutung gewinnt; denn ein solcher Fall liegt hier nicht vor.
Daß nur diese Auslegung dem Sinn und Zweck des Gesetzes entspricht, wird auch durch § 80 Abs. 2 Satz 2 AVAVG bestätigt. Nach dieser Vorschrift ist von der Verhängung einer Sperrfrist abzusehen, wenn ein Arbeitsloser seine Arbeitsstelle deshalb freiwillig aufgegeben hat, weil sonst der Arbeitgeber aus einem von dem Verhalten des Arbeitnehmers unabhängigen Gründe gekündigt hätte. Wenn aber die Verhängung einer Sperrfrist schon unterbleiben soll, wenn ein Arbeitnehmer durch seine Kündigung der Kündigung des Arbeitgebers zuvorkommt, dann muß das erst recht gelten, wenn der Arbeitgeber gekündigt hat und der Arbeitnehmer danach lediglich die Vorverlegung des Zeitpunktes des Wirksamwerdens dieser Kündigung um wenige Tage bewirkt. Aus der Sonderregelung des § 80 Abs. 2 Satz 2 AVAVG ergibt sich, daß bei Anwendung des § 80 Abs. 1 AVAVG letztlich der wahre Grund maßgebend zu sein hat, der zum Verlust des Arbeitsplatzes geführt hat, das aber ist hier die Kündigung durch den Arbeitgeber.
Ob für die Zeit der Verkürzung der Kündigungsfrist ein Ruhen des Anspruchs auf Arbeitslosengeld zumindest in entsprechender Anwendung des § 97 AVAVG eintritt (vgl. Begründung des Regierungsentwurfs des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des AVAVG, BT-Drucks. 1274, 2. Wahlperiode, S. 135), bedarf im vorliegenden Fall keiner Entscheidung, weil der Kläger die zunächst erfolgte Anordnung, daß das Arbeitslosengeld bis zum 6. Januar 1965 ruht, nicht angefochten hat und diese daher bindend geworden ist.
Da eine Sperrfrist nicht verhängt werden durfte, ist der angefochtene Rückforderungsbescheid nicht aufrechtzuerhalten.
Die Revision der Beklagten war daher als unbegründet zurückzuweisen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Fundstellen