Leitsatz (redaktionell)
1. Hat ein Beschädigter keinen Antrag auf Rente nach den Bestimmungen des BVG gestellt, kann einem geltend gemachten Anspruch auf Witwenbeihilfe, da der Antrag materiell-rechtliche Voraussetzung für einen Rentenanspruch ist, nicht entsprochen werden.
Witwenbeihilfe nach § 89 BVG:
2. Hat die Versorgungsbehörde die Gewährung einer Witwenbeihilfe im Rahmen des BVG § 89 Abs 1 mit der Begründung abgelehnt, daß der Ehemann der Klägerin nicht in der Zeit zwischen dem Zusammenbruch im Jahre 1945 und der Wiederaufnahme der Zahlung von Versorgungsbezügen nach den vor dem BVG maßgebend gewesenen versorgungsrechtlichen Vorschriften und auch nicht später außerhalb des Geltungsbereichs des BVG gestorben ist, dann wird diese Einschränkung des Begriffs der besonderen Härte iS des BVG § 89 Abs 1 dem Inhalt des unbestimmten Rechtsbegriffs besondere Härte im Hinblick auf die von der Klägerin begehrte Witwenbeihilfe nach BVG § 48 Abs 1 S 2 nicht gerecht.
Normenkette
BVG § 48 Abs. 1 S. 2 Fassung: 1964-02-21, S. 2 Fassung: 1966-12-28, § 89 Abs. 1 Fassung: 1964-02-21
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 29. Mai 1968 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung bleibt dem abschließenden Urteil vorbehalten.
Gründe
Der Ehemann der Klägerin bezog als Kriegsbeschädigter des 1. Weltkrieges wegen "Magenleiden und nervösen Störungen, hervorgerufen durch Strapazen des Feldzuges" Versorgung, und zwar bis 1945 nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 100 v. H., später in der sowjetischen Besatzungszone nach einer MdE um 70 v. H..
Die Klägerin und ihr Ehemann flohen aus der sowjetisch besetzten Zone und erhielten durch Beschluß des Aufnahmeausschusses in B vom 8. November 1956 die Aufenthaltserlaubnis in der Bundesrepublik Deutschland; sie wohnten anschließend in B. Mit Datum vom 23. Mai 1957 erhielten sie die Ausweise für Vertriebene und Flüchtlinge, die mit dem Stempelvermerk versehen waren: "Zur Inanspruchnahme von Rechten und Vergünstigungen gemäß § 10/1 BVFG nicht berechtigt". Der Ehemann der Klägerin verstarb am 16. Juni 1957 an einem Herzinfarkt. Bis zu seinem Tode wurde von ihm ein Antrag auf Versorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) nicht gestellt.
Mit Schriftsatz vom 19. Februar 1965 beantragte die Klägerin Hinterbliebenenversorgung. Das Versorgungsamt lehnte diesen Antrag durch Bescheid vom 3. Mai 1966 ab. Zur Begründung führte es aus, daß die Voraussetzungen für die Zahlung einer Witwenbeihilfe nach § 48 Abs. 1 Satz 2 BVG nicht erfüllt seien, weil der Ehemann der Klägerin zur Zeit seines Todes keine Rente bezogen und darauf auch keinen Anspruch gehabt habe. Die Zahlung einer Witwenbeihilfe im Wege des Härteausgleichs nach § 89 Abs. 1 BVG (Verwaltungsvorschrift Nr. 4 zu § 48 BVG) sei ebenfalls nicht möglich, weil der Ehemann der Klägerin nicht in der Zeit zwischen dem Zusammenbruch im Jahre 1945 und der Wiederaufnahme der Zahlung von Versorgungsbezügen nach den vor dem BVG maßgeblich gewesenen versorgungsrechtlichen Vorschriften und auch nicht später außerhalb des Geltungsbereichs des BVG gestorben sei. Der Widerspruch der Klägerin war erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 13. Oktober 1966).
Das Sozialgericht (SG) Detmold hat durch Urteil vom 10. Februar 1967 den Beklagten verurteilt, der Klägerin einen neuen Bescheid über die Zahlung der Witwenbeihilfe zu erteilen.
Das Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen hat durch Urteil vom 29. Mai 1968 die Berufung des Beklagten zurückgewiesen. Es hat in den Entscheidungsgründen ausgeführt, daß die Versorgungsbehörde ihr Ermessen fehlerhaft ausgeübt habe. Entgegen ihrer Ansicht seien die Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 BVG idF des Dritten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Kriegsopferrechts vom 20. Januar 1967 (BGBl I, 141 - 3. NOG -), wonach Witwenbeihilfe gewährt werden könne, wenn ein Beschädigter im Zeitpunkt seines Todes einen Anspruch auf eine Rente nach einer MdE von wenigstens 70 v. H. habe, erfüllt. Die Auffassung des Beklagten, der Ehemann der Klägerin habe zur Zeit seines Todes keinen Versorgungsanspruch gehabt, weil er keinen Antrag gestellt habe, sei unrichtig. Der Auffassung des Bundessozialgerichts (BSG), nach der dem Antrag materiell-rechtliche Bedeutung zukomme, könne nicht gefolgt werden. Die materiellen Voraussetzungen eines Versorgungsanspruchs ergäben sich - ohne Rücksicht auf eine Antragstellung - allein aus dem Gesetz. Die Antragstellung selbst diene der Geltendmachung des kraft Gesetzes bestehenden Versorgungsanspruchs. Für diese Auffassung spreche auch die Neufassung des § 48 Abs. 1 Satz 2 BVG durch das 3. Gesetz zur Änderung und Ergänzung des Kriegsopferrechts (3. NOG), nach der ein Beschädigter nicht mehr bis zu seinem Tode eine bestimmte Rente bezogen haben müsse (§ 48 Abs. 1 Satz 2 idF vor dem 3. NOG), sondern im Zeitpunkt seines Todes "einen Anspruch auf eine Rente" gehabt haben müsse (§ 48 Abs. 1 Satz 2 BVG idF des 3. NOG).
Aber auch wenn man der Auffassung des BSG von der materiell-rechtlichen Natur des Antrags folge, stehe der Klägerin die Witwenbeihilfe zu. Der Vermerk in den Flüchtlingsausweisen der Klägerin und ihres Ehemannes habe bei diesen den Irrtum hervorgerufen, daß sie überhaupt keine Rechte in Anspruch nehmen dürften. Wenn dieser Irrtum von der Versorgungsbehörde benutzt werde, der Klägerin vorzuhalten, ihr Ehemann habe keinen Antrag gestellt, so sei dies eine mit Treu und Glauben nicht zu vereinbarende unzulässige Rechtsausübung. Ferner sei zu berücksichtigen, daß der Ehemann der Klägerin bereits kurz nach dem Übertritt in die Bundesrepublik gestorben sei. Die Unterlassung der Antragstellung durch den Ehemann der Klägerin könne ihr nicht entgegengehalten werden, denn ihr Ehemann habe die für die Prüfung eines Versorgungsantrages billigerweise einzuräumende Zeit nicht gehabt. Der Klägerin stehe somit nach § 48 Abs. 1 Satz 2 BVG ein Anspruch zu. Dies gelte auch für die Zeit vor dem 3. NOG, denn nach der Verwaltungsvorschrift Nr. 1 zu § 48 BVG idF des Zweiten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Kriegsopferrechts vom 21. Februar 1964 (BGBl I, 85 - 2. NOG -) seien die Voraussetzungen für eine Witwenbeihilfe in gleicher Weise festgelegt, wie in § 48 BVG idF des 3. NOG. Im übrigen müsse davon ausgegangen werden, daß der Ehemann der Klägerin bis zu seinem Tode in seiner Erwerbsfähigkeit um mindestens 70 v. H. gemindert gewesen sei. Zur weiteren Darstellung der Ausführungen des LSG wird auf die Urteilsgründe verwiesen.
Das LSG hat die Revision zugelassen.
Der Beklagte hat gegen das ihm am 28. Juni 1968 zugestellte Urteil mit Schriftsatz vom 17. Juli 1968, eingegangen beim BSG am gleichen Tage, Revision eingelegt und diese mit einem weiteren Schriftsatz vom 26. August 1968, eingegangen beim BSG am 27. August 1968, begründet.
Er beantragt,
die Urteile des LSG Nordrhein-Westfalen vom 29. Mai 1968 und des SG Detmold vom 10. Februar 1967 abzuändern bzw. aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Beklagte rügt eine Verletzung der §§ 103, 128, 136 Abs. 1 Ziff. 6 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG), 1, 48 Abs. 1 BVG und 242 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) durch das LSG. Er trägt hierzu insbesondere vor, daß eine Beschädigtenrente nach § 9 BVG nur derjenige erhalten könne, der die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 BVG erfülle. Zu diesen Voraussetzungen gehöre auch der Antrag auf Versorgung. Daß dieser Antrag sachlich-rechtliche Bedeutung habe, ergebe sich in erster Linie aus dem Wortlaut des § 1 BVG, weil der Antrag gleichwertig neben den übrigen sachlich-rechtlichen Voraussetzungen des Versorgungsanspruchs aufgeführt sei. Insoweit verweist der Beklagte auf die Rechtsprechung des BSG - insbesondere auf das Urteil vom 23. März 1956 (BSG 2, 289) hin. Die anderweitige Auffassung des LSG sei nicht überzeugend. Die Neufassung des § 48 Abs. 1 BVG durch das 3. NOG gebe keinen Anlaß, von der bisherigen Auffassung über die sachlich-rechtliche Natur des Antrags abzuweichen. Durch diese Neufassung sei lediglich § 48 Abs. 1 BVG dem ebenfalls geänderten § 40 a Abs. 3 BVG angepaßt worden. Ferner könne der Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) nicht zu einer Anspruchsberechtigung der Klägerin führen. Die Versorgungsverwaltung habe bei dem Ehemann der Klägerin keinen Irrtum erregt. Nach der Rechtsprechung des BSG komme es nicht darauf an, aus welchen Gründen ein Antrag nicht gestellt worden sei, insbesondere ob eine andere Behörde einen Irrtum hervorgerufen habe, durch den die Antragstellung verhindert worden sei.
Die Feststellung des LSG, der Ehemann der Klägerin sei bis zu seinem Tode in seiner Erwerbsfähigkeit wenigstens um 70 v. H. gemindert, sei verfahrensrechtlich fehlerhaft getroffen worden. Insoweit rügt der Beklagte mit näheren Ausführungen eine Verletzung der §§ 103, 128 und § 136 SGG durch das LSG. Zur Darstellung des weiteren Vorbringens des Beklagten wird auf seine Revisionsbegründung vom 26. August 1968 verwiesen.
Die Klägerin ist im Revisionsverfahren nicht vertreten.
Die durch Zulassung gemäß § 162 Abs. 1 Nr. 1 SGG statthafte Revision des Beklagten ist form- und fristgerecht eingelegt und auch rechtzeitig begründet worden (§§ 164, 166 SGG); die Revision ist zulässig. Sie ist auch begründet. Das LSG hat zu Unrecht angenommen, daß der Klägerin eine Witwenbeihilfe nach § 48 Abs. 1 Satz 2 BVG zusteht.
Der Anspruch der Klägerin auf Witwenbeihilfe richtet sich nach § 48 Abs. 1 Satz 2 BVG idF des 2. und 3. NOG, denn die Klägerin hat während der Geltungsdauer des 2. NOG ihren Antrag gestellt und begehrt die Witwenbeihilfe als laufende Leistung auch für die Zeit nach dem Inkrafttreten des 3. NOG, dem 1. Januar 1967. Nach § 48 Abs. 1 Satz 2 BVG idF des 2. NOG kann Witwenbeihilfe gewährt werden, wenn ein Beschädigter bis zum Tode Rente nach einer MdE um wenigstens 70 v. H. bezogen hat, während nach § 48 Abs. 1 Satz 2 BVG idF des 3. NOG die Witwenbeihilfe gewährt werden kann, wenn ein Beschädigter im Zeitpunkt seines Todes einen Anspruch auf Rente nach einer MdE um wenigstens 70 v. H. hatte. Aus dem Wort "kann" in diesen Vorschriften ergibt sich, daß es sich bei der Gewährung der Witwenbeihilfe um eine sogenannte Ermessensleistung handelt, auf die ein Rechtsanspruch nicht besteht. Die Ausübung des Ermessens durch die Verwaltungsbehörde ist von dem Gericht nur daraufhin nachprüfbar, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten worden sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist (§ 54 Abs. 2 Satz 2 SGG). Im vorliegenden Fall hat die Versorgungsbehörde jedoch gar nicht von ihrem Ermessen Gebrauch gemacht; sie hat nämlich nicht etwa wegen fehlender Bedürftigkeit oder wegen eines anderen Umstandes, den sie bei Ausübung ihres Ermessens für erheblich gehalten hat, die Gewährung der Witwenbeihilfe abgelehnt, sondern deshalb, weil die gesetzlichen Voraussetzungen - im vorliegenden Falle ein Anspruch des Ehemannes der Klägerin auf Rente im Zeitpunkt seines Todes - nicht vorgelegen haben. Die in § 48 Abs. 1 Satz 2 BVG näher beschriebenen gesetzlichen Voraussetzungen müssen aber zunächst einmal vorliegen, damit die Versorgungsbehörde ihr Ermessen ausüben kann. Das Vorliegen der für eine Kannleistung im Gesetz näher beschriebenen Voraussetzungen stellt erst die materiell-rechtliche Grundlage für die Ermessensentscheidung der Versorgungsbehörde dar. Die Versorgungsbehörde hat in dem angefochtenen Bescheid die Gewährung der Witwenbeihilfe mit der Begründung abgelehnt, daß der Ehemann der Klägerin im Zeitpunkt seines Todes keinen Anspruch auf Rente gehabt hat. Dieses Tatbestandsmerkmal ist von den Gerichten bei einer Entscheidung der Versorgungsbehörde über die Ermessensleistung nachzuprüfen; das bedeutet, daß im vorliegenden Fall nachgeprüft werden muß, ob der Ehemann der Klägerin entweder bis zu seinem Tode Rente nach einer MdE von mindestens 70 v. H. bezogen (§ 48 Abs. 1 Satz 2 BVG idF des 2. NOG) oder aber im Zeitpunkt seines Todes Anspruch auf eine solche Rente gehabt hat (§ 48 Abs. 1 Satz 2 BVG idF des 3. NOG).
Nach den bindenden Feststellungen des LSG hat der Ehemann der Klägerin bis zu seinem Tode unstreitig keine Rente nach dem BVG bezogen, so daß schon aus diesem Grunde die Gewährung einer Witwenbeihilfe nach § 48 Abs. 1 Satz 2 BVG idF des 2. NOG entfällt. Die Versorgungsbehörde geht allerdings trotz des Wortlauts des § 48 Abs. 1 Satz 2 BVG idF des 2. NOG - "wenn ein Beschädigter bis zum Tode Rente nach einer MdE um wenigstens 70 v. H. bezogen hat" - auch während der Geltungsdauer dieses Gesetzes davon aus, daß die Leistungen als im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 2 BVG "bezogen" gelten, wenn im Zeitpunkt des Todes des Beschädigten hierauf ein Anspruch bestand (VV Nr. 1 zu § 48 BVG vom 23. Januar 1965 - BVBl 1965, 14). Diese Auslegung des Wortlauts des § 48 Abs. 1 Satz 2 BVG idF des 2. NOG durch die Versorgungsbehörde bedeutet, daß die Anspruchsvoraussetzungen für die Gewährung einer Witwenbeihilfe gem. § 48 Abs. 1 Satz 2 BVG idF des 2. NOG denjenigen entsprechen, die in § 48 Abs. 1 Satz 2 BVG idF des 3. NOG den Anspruch auf Witwenbeihilfe begründen; denn in dieser Vorschrift wird nunmehr für die Zeit nach dem 1. Januar 1967 bestimmt, daß die Witwenbeihilfe auch dann gewährt werden kann, wenn der Beschädigte "im Zeitpunkt seines Todes einen Anspruch auf eine Rente ... hatte". Es kann dahinstehen, ob die von der Versorgungsbehörde vorgenommene Auslegung des § 48 Abs. 1 Satz 2 BVG idF des 2. NOG, wonach die Leistungen "bis zum Tode" als "bezogen" gelten, wenn hierauf "im Zeitpunkt des Todes des Beschädigten ein Anspruch bestand", zutrifft; selbst wenn man dieser Deutung des Wortlauts des § 48 Abs. 1 Satz 2 BVG idF des 2. NOG folgt, so steht der Klägerin dennoch keine Witwenbeihilfe zu, und zwar weder nach § 48 Abs. 1 Satz 2 BVG idF des 2. NOG noch nach dieser Vorschrift idF des 3. NOG.
Entgegen der Auffassung des LSG hatte der Ehemann der Klägerin im Zeitpunkt seines Todes nämlich keinen Anspruch auf Rente nach einer MdE um wenigstens 70 v. H.. Nach den bindenden Feststellungen des LSG (§ 163 SGG) hat der Ehemann der Klägerin bei den Versorgungsbehörden der Bundesrepublik keinen Antrag auf Rente gestellt. Wie der erkennende Senat bereits in seinem Urteil vom 23. März 1956 (BSG 2, 289) ausgesprochen hat, ist aber ein Antrag (§ 1 BVG) erforderlich, damit der Anspruch auf Versorgung entsteht. In dieser Entscheidung hat der erkennende Senat unter Hinweis auf die geschichtliche Entwicklung, den Wortlaut des § 1 Abs. 1 BVG, in welchem der Antrag auf Versorgung neben den übrigen eine Versorgung begründenden Tatbestandsmerkmalen ausdrücklich aufgeführt ist, sowie Sinn und Zweck dieser Vorschrift mit eingehender Begründung dargelegt, daß der Anspruch auf Versorgung nach dem BVG nicht schon allein mit der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes, soweit er vom Willen des Berechtigten unabhängig ist (Eintritt des schädigenden Ereignisses und der Schädigungsfolgen), entsteht; vielmehr müsse zu diesen Tatbestandsmerkmalen der Antrag des Berechtigten als "weiterer rechtsbegründender Faktor" hinzukommen (s. dazu insbesondere BSG 2, 293). Dieser Rechtsprechung sind die übrigen Kriegsopfersenate des BSG gefolgt (Urt. vom 23. November 1962 - 8 RV 769/61 -; Urt. vom 25. November 1965 - 9 RV 256/64 - in BVBl 1966, 48; siehe dazu auch BSG 7, 117, 120; 7, 187, 190; BSG in SozR BVG § 45 Nr. 12 und Urteil des erkennenden Senats vom 24. Juli 1964 - 10 RV 319/62 -). Von dieser Rechtsprechung abzuweichen, besteht kein Anlaß. Der vom BSG vertretenen Auffassung über den Antrag als einer materiell-rechtlichen Voraussetzung für die Gewährung eines Versorgungsanspruches steht nicht entgegen, daß - wie das LSG meint - "logisch allein haltbar ist, daß der Antrag der Geltendmachung eines Anspruchs in den im Gesetz bestimmten Fällen dient". Zunächst übersieht das LSG hierbei, daß der Gesetzgeber selbst den Antrag auf Versorgung neben den sonstigen, einen Versorgungsanspruch begründenden Tatbestandsmerkmalen in § 1 Abs. 1 BVG einbezogen hat, ohne zwischen dem Versorgungsantrag und den übrigen anspruchsbegründenden Tatbestandselementen zu unterscheiden. Hieraus kann nur gefolgert werden, daß er die vom Willen des Berechtigten unabhängigen Tatbestandsmerkmale des Versorgungsanspruchs und den Versorgungsantrag in materiell-rechtlicher Hinsicht gleichbedeutend als rechtsbegründende Faktorenansicht und behandelt wissen wollte. Hierbei wird nicht übersehen - und das BSG hat dies in den oben zitierten Entscheidungen verschiedentlich auch zum Ausdruck gebracht -, daß dem Antrag eines Berechtigten eine doppelte Bedeutung zukommen kann, nämlich sowohl für den Gang des Verwaltungsverfahrens und den Beginn der Rente, als auch für die Entstehung des Anspruchs selbst. Inwieweit es bei dieser möglichen doppelten Bedeutung des Antrags - wie das LSG weiter ausführt notwendig sein soll, daß der Berechtigte zunächst einen Antrag stellen müßte, um materiell-rechtlich den Erfordernissen des § 1 Abs. 1 BVG zu entsprechen und danach verpflichtet wäre, einen zweiten Antrag zu stellen, um formell eine Leistung zu erhalten, ist nicht ersichtlich. Kommt dem Antrag die doppelte Bedeutung zu, wie sie oben gekennzeichnet ist, so erfüllt der Berechtigte nämlich mit dem von ihm einmal gestellten Antrag sowohl den beabsichtigten Zweck, das Verwaltungsverfahren in Gang zu setzen (formelle Bedeutung des Antrags) als auch die in § 1 Abs. 1 BVG normierte materiell-rechtliche Voraussetzung des Versorgungsanspruchs (materiell-rechtliche Bedeutung des Antrags). Auch der Hinweis des LSG auf die Entscheidung des 9. Senats des BSG vom 25. November 1965 (aaO), wonach dieser Senat dem "juristischen Sprachgebrauch" des LSG folge, geht fehl. Auch der 9. Senat des BSG ist in jener Entscheidung davon ausgegangen, daß der Antrag materiell-rechtliche Voraussetzung eines Versorgungsanspruchs ist. Er hat nämlich ausgeführt, die Revision verkenne, "daß der Versorgungsanspruch nicht schon allein mit der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes, soweit er vom Willen des Berechtigten unabhängig ist, entsteht, sondern daß der Antrag des Berechtigten als weiterer rechtsbegründender Faktor hinzukommen muß". Insoweit hat sich der 9. Senat des BSG auf die Entscheidungen des BSG 2, 290, 293; 4, 115; 7, 120 bezogen, in denen dieselbe Rechtsauffassung vertreten worden ist. Ebenso kann die Verweisung des LSG auf die Vorschriften der §§ 60 ff BVG zu keinem anderen Ergebnis führen, denn bei diesen Vorschriften handelt es sich nur darum, von welchem Zeitpunkt an der bestehende Anspruch zu einer Leistung führt. Die §§ 60 ff BVG besagen also nichts darüber, ob dem Antrag eines Berechtigten neben seiner formellen Bedeutung - hier für den Zeitpunkt des Beginnes von Versorgungsleistungen - auch eine materielle Bedeutung zukommt, was, wie oben dargetan, der Vorschrift des § 1 Abs. 1 BVG zu entnehmen ist. Den Vorschriften über den Beginn einer Rente kann daher nichts entnommen werden, was gegen die vom BSG vertretene Auffassung über den Versorgungsantrag als einer materiell-rechtlichen Voraussetzung des Versorgungsanspruchs spricht. Ist aber davon auszugehen, daß der Antrag eines Beschädigten auf Versorgung materiell-rechtliche Voraussetzung des Versorgungsanspruchs ist, so hat der Ehemann der Klägerin im Zeitpunkt seines Todes keinen Anspruch auf eine Rente nach einer MdE von mindestens 70 v. H. gehabt, denn er hat von seiner Übersiedlung in die Bundesrepublik bis zu seinem Tode nicht den zur Erlangung des Versorgungsanspruchs erforderlichen Antrag gestellt. Somit fehlt es aber bereits an den Voraussetzungen des § 48 Abs. 1 Satz 2 BVG idF des 2. und 3. NOG für die Zuerkennung einer Witwenbeihilfe an die Klägerin.
Die weitere Erwägung des LSG, einen Anspruch des Ehemannes der Klägerin im Zeitpunkt seines Todes auf die entsprechende Rente müsse deshalb angenommen werden, weil er durch den Vermerk im Flüchtlings-ausweis "Zur Inanspruchnahme von Rechten und Vergünstigungen gemäß § 10 Abs. 1 BVFG nicht berechtigt" von einer Antragstellung beim Versorgungsamt abgehalten worden sei, führt zu keinem anderen Ergebnis. Wie der 9. Senat des BSG in dem bereits zitierten Urteil vom 25. November 1965 ausgeführt hat, spielt es grundsätzlich keine Rolle, aus welchen Gründen eine frühere Antragstellung unterblieben ist. Von diesem Grundsatz will der 9. Senat des BSG offenbar dann eine Ausnahme gelten lassen, wenn die Versorgungsbehörde eine Antragstellung vereitelt habe. Diese Ausnahme von dem Grundsatz, wonach es keine Rolle spielt, aus welchen Gründen eine Antragstellung unterblieben ist, betrifft die Frage, wann der Versorgungsbehörde der Grundsatz von Treu und Glauben entgegengehalten werden kann, wenn der Berechtigte aus bestimmten Gründen keinen Antrag gestellt hat. Wenn der Grundsatz von Treu und Glauben auch im öffentlichen Recht gilt, so muß jedoch derjenige, dem insoweit ein treuwidriges Verhalten vorgeworfen wird, selbst oder doch zumindest durch Organe, die für ihn zu handeln befugt sind oder seiner Organisationsgewalt unterstehen, im Rahmen seines Aufgabenkreises und des zwischen ihm und dem Berechtigten bestehenden oder anzuknüpfenden Rechtsverhältnisses in einer Weise gehandelt haben, daß diese Handlungen entweder gegen ein Gesetz verstoßen oder in anderer Weise als Unrecht angesehen werden können (s. dazu auch die Entscheidung des 8. Senats des BSG vom 23. November 1962 - 8 RV 769/61 -). Handlungen oder Unterlassungen anderer Behörden, wenn sie nicht im Auftrag der Versorgungsbehörde erfolgt sind, können daher dieser nicht zugerechnet werden, so daß - selbst wenn die andere Behörde treuwidrig gehandelt haben sollte - der Versorgungsbehörde gegenüber der Einwand von Treu und Glauben nicht entgegengehalten werden kann. So liegt der Fall aber hier. Es kann dahinstehen, wie der näher bezeichnete Vermerk in dem Flüchtlingsausweis des Ehemannes der Klägerin rechtlich zu deuten ist und ob er auf Grund dieses Vermerkes irrtümlich angenommen hat, er sei nicht befugt, bei der Versorgungsbehörde einen Versorgungsantrag zu stellen. Jedenfalls ist dieser Vermerk weder von der Versorgungsbehörde selbst veranlaßt worden, noch hat die zuständige Behörde in Berlin, die der Organisationsgewalt der Versorgungsbehörde nicht untersteht, jenen Vermerk in deren Auftrag oder auf deren Anweisung in den Flüchtlingsausweis aufgenommen. Irgendwelche Feststellungen dafür, daß es anders gewesen ist, hat das LSG nicht getroffen. Da somit die Versorgungsbehörde selbst oder eine andere ihr unterstellte oder sonst ihrem Organisationsbereich eingeordnete Behörde nicht den Ehemann der Klägerin veranlaßt hat, von einer Antragstellung abzusehen, verstößt sie somit auch nicht gegen Treu und Glauben, wenn sie in dem angefochtenen Bescheid die Bewilligung einer Witwenbeihilfe gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 BVG mit der Begründung abgelehnt hat, daß dem Ehemann der Klägerin - mangels Antrages - im Zeitpunkt seines Todes kein Anspruch auf eine Rente nach einer MdE um mindestens 70 v. H. zugestanden hat.
Da somit das LSG § 48 BVG verletzt hat, ist die Revision des Beklagten begründet, so daß das angefochtene Urteil aufgehoben werden mußte. Jedoch konnte der Senat in der Sache selbst noch nicht entscheiden.
In dem angefochtenen Bescheid hat der Beklagte neben der Ablehnung der Witwenbeihilfe nach § 48 Abs. 1 Satz 2 BVG auch eine Gewährung dieser Leistung im Wege des Härteausgleichs gemäß § 89 Abs. 1 BVG abgelehnt. Der Bescheid betrifft somit zwei selbständige Entscheidungen, nämlich die über die Gewährung der Witwenbeihilfe gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 BVG und ferner darüber, ob die Klägerin - weil ihr eine Witwenbeihilfe nach dieser Vorschrift nicht zusteht - diese Leistung im Wege des Härteausgleichs gemäß § 89 Abs. 1 BVG erhalten kann. Das LSG hat - aufgrund seiner anderweitigen Rechtsauffassung über den Begriff des Versorgungsanspruchs und der materiell-rechtlichen Wirkung des Versorgungsantrages - nicht geprüft (und auch nicht zu prüfen brauchen), ob der angefochtene Bescheid hinsichtlich des Ausspruchs, daß der Klägerin auch keine Witwenbeihilfe gemäß § 89 Abs. 1 BVG gewährt werden kann, rechtmäßig ist. Nach § 89 Abs. 1 BVG idF des 2. und 3. NOG kann mit Zustimmung des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung ein Ausgleich gewährt werden, sofern sich in einzelnen Fällen aus den Vorschriften dieses Gesetzes besondere Härten ergeben. Wie der erkennende Senat in seinem Urteil vom 1. Februar 1968 (BSG 27, 286, 287) ausgeführt hat, handelt es sich bei dem Begriff "besondere Härte" im Sinne des § 89 Abs. 1 BVG um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der einen Beurteilungsspielraum auflöst und der mit einem bestimmten Inhalt ausgefüllt werden muß. Die Wertung der gegebenen Tatsachen daraufhin, ob diese eine besondere Härte darstellen, d. h. die Beurteilung der Tatsachen, ob sie sich unter den Begriff "besondere Härte" subsumieren lassen, läßt zwar der Verwaltungsbehörde einen gewissen Spielraum, jedoch ändert das nichts an der Nachprüfbarkeit der Verwaltungsentscheidung in der Richtung, ob sie den Spielraum bei der Abgrenzung und Auslegung dieses Begriffes eingehalten hat. Es widerspricht ganz allgemein schon einem unbestimmten Rechtsbegriff, mit dem ein gewisser Beurteilungsspielraum eingeräumt wird, sich in seinem Umfang auf eine einzige "richtige" Lösung im konkreten Falle zu beschränken. Dies ist für den Begriff der "besonderen Härte" im Rahmen des § 89 Abs. 1 BVG um so weniger möglich, als hier eine "besondere Härte aus den Vorschriften dieses Gesetzes" bei verschiedensten Ansprüchen eintreten kann, die das BVG nach seinen Vorschriften gewährt. Der Begriff "besondere Härte" muß jeweils an dem geltend gemachten Versorgungsanspruch gemessen und zu seiner Auslegung herangezogen werden. Wenn demnach der Begriff "besondere Härte" nur im Hinblick auf den jeweils geltend gemachten Versorgungsanspruch Inhalt und Bedeutung gewinnen kann, so muß dieser Begriff im vorliegenden Fall in dem Anspruch der Klägerin auf Witwenbeihilfe gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 BVG idF des 2. und 3. NOG seine Deutung finden (BSG 27, 288). Die Versorgungsbehörde hat im vorliegenden Fall die Gewährung einer Witwenbeihilfe im Rahmen des § 89 Abs. 1 BVG mit der Begründung abgelehnt, daß der Ehemann der Klägerin nicht in der Zeit zwischen dem Zusammenbruch im Jahre 1945 und der Wiederaufnahme der Zahlung von Versorgungsbezügen nach den vor dem BVG maßgebend gewesenen versorgungsrechtlichen Vorschriften und auch nicht später außerhalb des Geltungsbereichs des BVG gestorben ist. Dieser Begründung, die der Verwaltungsvorschrift Nr. 4 zu § 48 BVG idF vom 23. Februar 1965 entspricht, muß entnommen werden, daß die Versorgungsbehörde - wenn die Voraussetzungen für die Gewährung einer Witwenbeihilfe nach § 48 Abs. 1 Satz 2 BVG nicht erfüllt sind - nur darin eine besondere Härte nach den Vorschriften des BVG im Sinne des § 89 Abs. 1 erblickt, wenn der Beschädigte zwischen dem Zusammenbruch 1945 und der Wiederaufnahme der Zahlung von Versorgungsbezügen nach altem Recht oder aber zu einem späteren Zeitpunkt - also nach Inkrafttreten des BVG - außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes verstorben ist. Diese Einschränkung des Begriffs der "besonderen Härte" im Sinne des § 89 Abs. 1 BVG wird aber dem Inhalt des unbestimmten Rechtsbegriffs "besondere Härte" im Hinblick auf die von der Klägerin begehrte Witwenbeihilfe nach § 48 Abs. 1 Satz 2 BVG nicht gerecht. Es sind nämlich auch Fälle denkbar, - und das zeigt der hier vorliegende Fall - in denen ein Beschädigter nicht nur deshalb im Zeitpunkt seines Todes keinen Anspruch auf Rente nach einer MdE um mindestens 70 v. H. hatte, weil er - wie dies die Verwaltungsvorschrift Nr. 4 zu § 48 BVG zum Ausdruck bringt - frühzeitig verstorben ist. Abgesehen von Rechtsunkenntnis oder einer irrtümlichen Beurteilung der Rechtslage, die insoweit bei der Ausfüllung des Begriffs "besondere Härte" ausscheiden muß, sind auch andere Umstände denkbar, durch die der Beschädigte von einer Antragstellung abgehalten worden ist, so daß seine Witwe daher - mangels eines entsprechenden Versorgungsanspruchs - keine Witwenbeihilfe nach § 48 Abs. 1 Satz 2 BVG erhalten kann.
Der erkennende Senat hat in seinem Urteil vom 18. Februar 1970 (10 RV 75/68) zu dem Begriff der "besonderen Härte" gemäß § 89 Abs. 1 BVG zum Ausdruck gebracht, daß diese dann vorliegt, wenn die Gestaltung der persönlichen Verhältnisse - im vorliegenden Fall, also die Stellung eines Versorgungsantrages durch den Ehemann der Klägerin in der Zeit von seiner Übersiedlung in das Bundesgebiet bis zu seinem Tode - durch "den Zwang der Verhältnisse, die außerhalb seines freien Willens lagen", nicht möglich war. Ob der Ehemann der Klägerin aber aus einem solchen Grund in dem bezeichneten Zeitraum an einer Antragstellung verhindert gewesen ist, hat das LSG nicht festgestellt, so daß der Senat über die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides, soweit er die Ablehnung der Witwenbeihilfe im Wege des Härteausgleichs gemäß § 89 Abs. 1 BVG betrifft, nicht abschließend entscheiden konnte. Daher war die Sache an das LSG zurückzuverweisen, das bei seiner abschließenden Prüfung, sofern es das Vorliegen einer besonderen Härte bejaht, auch darüber zu entscheiden haben wird, ob der Ehemann der Klägerin durch die bei ihm anerkannten Schädigungsfolgen im Zeitpunkt seines Todes in seiner Erwerbsfähigkeit um mindestens 70 v. H. eingeschränkt war.
Fundstellen