Entscheidungsstichwort (Thema)
Private Pflegeversicherung. Kostenerstattung. Verhinderungspflege. Ersatzpflege. Urlaubspflege. Reisekosten. Reisefreizeit. Ferienheim. Behinderteneinrichtung. Tagessatz
Leitsatz (amtlich)
1. Die Ersatz- bzw Verhinderungspflege kann auch in Form der Betreuung des Pflegebedürftigen während einer Ferienreise erfolgen, die von einer Behinderteneinrichtung durchgeführt wird (Abgrenzung zum BSG-Urteil vom 17.6.1999 – B 3 P 1/98 R).
2. Der Anspruch auf Ersatz- bzw Verhinderungspflege ist nicht ausgeschlossen, wenn Pflegeperson und Pflegebedürftiger gleichzeitig Urlaub machen.
3. Die Kostenerstattung für Ersatz- bzw Verhinderungspflege ist nicht auf einen Tagessatz von 100 DM beschränkt.
Normenkette
SGB XI § 23 Abs. 1 S. 2, §§ 25, 39 Fassung: 1996-06-14; VVG §§ 178a, 178b Abs. 4
Beteiligte
Central Krankenversicherung AG |
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 27. April 1999 aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten über einen Anspruch auf Erstattung von Kosten einer Verhinderungspflege.
Der Kläger erhält als Beamter für seine Kinder Beihilfeleistungen in Höhe von 80 vH der Aufwendungen. Im Hinblick darauf besteht bei der Beklagten eine private Pflegeversicherung zum Ergänzungstarif von 20 vH. Dementsprechend bezieht der Kläger von der Beklagten für seine schwerpflegebedürftige Tochter Pflegegeld nach der Pflegestufe II in Höhe von monatlich 160 DM.
In der Zeit vom 17. bis 27. Mai 1997 nahm die Tochter an einer vom Behindertenzentrum S. eV im Rahmen des Familienentlastenden Dienstes veranstalteten Ferienreise teil. In der gleichen Zeit machten der Kläger, seine Ehefrau (Pflegeperson) und sein Sohn am Bodensee Urlaub. Die Kosten der Reise der Tochter betrugen 2.298,46 DM. Die Beklagte erstattete hiervon nur 220 DM, nämlich 20 vH eines Tagessatzes von 100 DM für jeden der elf Reisetage. Sie vertritt die Auffassung, aus der in § 39 Sozialgesetzbuch Elftes Buch (SGB XI) angeordneten Begrenzung der Verhinderungspflege nach Dauer (28 Tage je Kalenderjahr) und Höhe (2.800 DM je Kalenderjahr) ergebe sich ein gesetzlicher Tageshöchstsatz von 100 DM. Der Kläger könne daher nur 20 vH des Tagessatzes von 100 DM und nicht 20 vH der tatsächlich aufgewendeten täglichen Kosten von 208,95 DM beanspruchen (Schreiben vom 8. Juli 1997 und 3. November 1997). Der Kläger verlangte demgegenüber die Erstattung weiterer 239,69 DM. Er sieht für die von den privaten Pflegeversicherungsunternehmen – abweichend von den Trägern der sozialen Pflegeversicherung – geübte Praxis, bei der Verhinderungspflege täglich maximal 100 DM zu erstatten, keine rechtliche Grundlage.
Das Sozialgericht (SG) hat die Beklagte zur Zahlung weiterer 239,69 DM verurteilt (Urteil vom 29. Mai 1998). Im Berufungsverfahren hat der Kläger die Klage hinsichtlich des 124,77 DM übersteigenden Betrages zurückgenommen, nachdem die Beklage darauf hingewiesen hatte, daß in dem Reisepreis von 2.298,46 DM auch nicht pflegebedingte Kosten enthalten seien, so daß allenfalls 75 vH des Reisepreises, also 1.723,85 DM, zu berücksichtigen seien. Das Landessozialgericht (LSG) hat den Anspruch auf Erstattung weiterer 124,77 DM für berechtigt erachtet und die Berufung der Beklagten zurückgewiesen (Urteil vom 27. April 1999). Zur Begründung hat das LSG ausgeführt, weder § 39 SGB XI noch der insoweit inhaltsgleiche Versicherungsvertrag beschränkten die Verhinderungspflege auf einen Tageshöchstsatz von 100 DM. Der gesetzliche Höchstbetrag von 2.800 DM je Kalenderjahr könne auch dann ausgeschöpft werden, wenn die Ersatzpflege an weniger als 28 Tagen stattfinde. Dem Anspruch stehe auch nicht der Umstand entgegen, daß die Pflegeperson gleichzeitig in Urlaub gefahren sei und die Ersatzpflege nicht im elterlichen Haushalt, sondern – unter der Verantwortung des Behindertenzentrums S. eV – in einem Ferienheim erfolgt sei. Es sei auch nicht zu beanstanden, den pflegebedingten Aufwand derartiger Reisefreizeiten pauschal zu errechnen und auf 75 vH festzusetzen.
Mit der Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 39 SGB XI und der inhaltsgleichen Bestimmungen der dem Versicherungsvertrag zugrundeliegenden Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die private Pflegeversicherung – Bedingungsteil MB/PPV 1996: Die Klage sei dem Grunde und der Höhe nach unbegründet. Eine Verhinderungspflege iS des § 39 SGB XI liege nicht vor, wenn der Aufwand erst dadurch entstehe, daß der Pflegebedürftige an einer Reisefreizeit teilnehme und die Pflegeperson die Abwesenheit des Pflegebedürftigen dazu nutze, selbst in Urlaub zu fahren. Außerdem beschränke § 39 SGB XI die Erstattung auf einen Tageshöchstsatz von 100 DM.
Die Beklagte beantragt,
die Urteile des LSG Baden-Württemberg vom 27. April 1999 und des SG Stuttgart vom 29. Mai 1998 zu ändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er verteidigt das angefochtene Urteil.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung nach den §§ 124 Abs 2, 153 Abs 1 und 165 Sozialgerichtsgesetz (SGG) einverstanden erklärt.
Entscheidungsgründe
II
Die Revision der Beklagten ist im Sinne der Aufhebung des Berufungsurteils und der Zurückverweisung des Rechtsstreits zur erneuten Verhandlung und Entscheidung durch das LSG (§ 170 Abs 2 SGG) begründet. Der Anspruch auf Erstattung der Kosten der Verhinderungspflege ist dem Grunde nach gegeben. Die bisher getroffenen Feststellungen des LSG reichen jedoch nicht aus, über die Höhe des Anspruchs eine abschließende Entscheidung zu treffen.
I. Die Klage ist zulässig.
1. Der Kläger ist zur Prozeßführung befugt. Streitgegenstand ist zwar ein Anspruch gegen die Beklagte auf eine Leistung der privaten Pflegeversicherung zugunsten seiner schwerpflegebedürftigen Tochter. Dieser Leistungsanspruch steht aber nicht der Tochter als eigenes Recht zu. Rechtsinhaber – und damit aktivlegitimiert – ist vielmehr nur der Kläger selbst. Dies ergibt sich aus dem Versicherungsvertrag iVm § 178a Abs 1 und Abs 3 Satz 1 des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG) vom 30. Mai 1908 (RGBl S 263) idF des Gesetzes vom 21. Juli 1994 (BGBl I S 1630). Danach stehen die Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag allein dem Versicherungsnehmer zu, auch wenn es nicht um einen ihn selbst betreffenden Versicherungsfall geht, sondern um einen Versicherungsfall einer dritten Person, auf die der Versicherungsnehmer die Krankenversicherung oder die – hier fragliche – „Pflegekrankenversicherung” (§ 178b Abs 4 VVG) „genommen” hat. Versicherungsnehmer ist allein der Kläger; seine schwerpflegebedürftige Tochter ist nur eine der mit dem Versicherungsvertrag gegen das Risiko der Pflegebedürftigkeit versicherten Personen. Die Stellung einer lediglich mitversicherten Person unterscheidet sich daher in der privaten Pflegeversicherung von der in der sozialen Pflegeversicherung. Nach § 25 SGB XI sind in der sozialen Pflegeversicherung der Ehegatte und die Kinder unter den dort genannten Voraussetzungen im Wege der Familienversicherung versichert und besitzen bei Eintritt eines Versicherungsfalls einen eigenen Leistungsanspruch. Der Umstand, daß § 110 Abs 1 Nr 2f und Abs 3 Nr 6 SGB XI für die private Pflegeversicherung die beitragsfreie Mitversicherung der Kinder des Versicherungsnehmers unter denselben Voraussetzungen vorschreibt, wie sie in § 25 SGB XI festgelegt sind, bewirkt lediglich eine Verpflichtung zur Gleichstellung der Kinder in der sozialen und privaten Pflegeversicherung bezüglich des Beitragsrechts und des materiellen Leistungsrechts (vgl dazu auch § 23 Abs 1 SGB XI), läßt jedoch die Stellung des Versicherungsnehmers als alleinigen Anspruchsberechtigten in der privaten Pflegeversicherung unberührt.
Aus der Aktivlegitimation des Klägers folgt sein prozessuales Recht, den Anspruch zugunsten seiner Tochter im eigenen Namen geltend zu machen (Prozeßführungsbefugnis).
2. Die hier erhobene isolierte Leistungsklage (§ 54 Abs 5 SGG) ist die zulässige Klageart. Einer zusätzlichen Anfechtungsklage bedurfte es nicht. Die Beklagte ist als privates Versicherungsunternehmen nicht befugt, zur Regelung der zwischen ihr und ihren Versicherten bestehenden Rechtsverhältnisse Verwaltungsakte zu erlassen. Demgemäß hat die Beklagte die Ablehnung der Leistung in der begehrten Höhe auch nur durch eine schriftliche Mitteilung, nicht aber durch einen förmlichen Bescheid (Verwaltungsakt) ausgesprochen. Mangels Verwaltungsakts bedurfte es auch keines Vorverfahrens (§ 78 SGG) als Klagevoraussetzung. Es reicht vielmehr aus, daß die vom Kläger beanspruchte Leistung zunächst bei der Beklagten geltend gemacht und von dieser endgültig abgelehnt worden ist, so daß der Rechtsschutz nur noch durch Beschreitung des Klageweges gewährt werden kann.
3. Nach § 17 Abs 1 der dem Versicherungsvertrag zugrundeliegenden Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die private Pflegeversicherung/Bedingungsteil MB/PPV 1996, die unverändert auch im hier maßgeblichen Jahr 1997 galten, ist eine Klagefrist von sechs Monaten nach Ablehnung des Leistungsantrags einzuhalten. Diese Frist ist gewahrt. Das letzte Ablehnungsschreiben der Beklagten datiert vom 3. November 1997. Bereits am 20. November 1997 ist die Klage beim SG eingegangen.
II. Der Anspruch ist dem Grunde nach gerechtfertigt. Er folgt aus dem Versicherungsvertrag (§ 4 Abs 6 MB/PPV 1996) iVm § 178b Abs 4 VVG. In der Pflegekrankenversicherung haftet der Versicherer gemäß § 178b Abs 4 VVG im Fall der Pflegebedürftigkeit in dem vereinbarten Umfang für Aufwendungen, die für die Pflege der versicherten Person entstehen (Pflegekostenversicherung) oder er leistet das vereinbarte Tagegeld (Pflegetagegeldversicherung). Der Leistungsumfang der hier vorliegenden Pflegekostenversicherung bestimmt sich demgemäß nach den im Versicherungsvertrag vereinbarten Konditionen. Für die Verhinderungspflege (auch Ersatzpflege oder Urlaubspflege genannt) ist die Regelung des § 4 Abs 6 MB/PPV 1996 maßgeblich: „Ist eine Pflegeperson wegen Erholungsurlaubs, Krankheit oder aus anderen Gründen an der Pflege gehindert, werden Aufwendungen einer notwendigen Ersatzpflege für längstens vier Wochen je Kalenderjahr gemäß Nr 3 des Tarifs PV erstattet. Voraussetzung ist, daß die Pflegeperson die versicherte Person vor der erstmaligen Verhinderung mindestens zwölf Monate in ihrer häuslichen Umgebung gepflegt hat.” Nach Nr 3 des Tarifs PV ist die Erstattung im Einzelfall auf 2.800 DM je Kalenderjahr begrenzt, wobei in der Tarifstufe PVB die Beträge auf den tariflichen Prozentsatz (hier 20 vH gemäß Tarifstufe PVB 20) gekürzt werden.
1. Die zum Vertragsinhalt gewordene Regelung des § 4 Abs 6 MB/PPV 1996 ist gesetzeskonform. Nach § 23 Abs 1 Satz 2 SGB XI muß ein Vertrag der privaten Pflegeversicherung ab dem Zeitpunkt des Eintritts der Versicherungspflicht (hier: 1. April 1995) für den Versicherungsnehmer und seine Angehörigen, für die in der sozialen Pflegeversicherung nach § 25 SGB XI eine Familienversicherung bestünde, Vertragsleistungen vorsehen, die nach Art und Umfang den Leistungen des Vierten Kapitels (§§ 28 bis 45 SGB XI) gleichwertig sind. Dabei tritt an die Stelle der Sachleistungen eine der Höhe nach gleiche Kostenerstattung (§ 23 Abs 1 Satz 3 SGB XI). Diesen Bedingungen wird die Regelung des § 4 Abs 6 MB/PPV 1996 gerecht. Maßstab für die Frage der Gleichwertigkeit des Leistungsanspruchs bei der Verhinderungspflege ist § 39 SGB XI idF des 1. SGB XI-Änderungsgesetzes (nF) vom 14. Juni 1996 (BGBl I S 830), das am 25. Juni 1996 in Kraft getreten ist (Art 8 Abs 1 1. SGB XI-ÄndG). Danach übernimmt die Pflegekasse die Kosten der notwendigen Ersatzpflege für längstens vier Wochen je Kalenderjahr, wenn eine Pflegeperson wegen Erholungsurlaubs, Krankheit oder aus anderen Gründen an der Pflege gehindert ist. Voraussetzung ist, daß die Pflegeperson den Pflegebedürftigen vor der erstmaligen Verhinderung mindestens zwölf Monate in seiner häuslichen Umgebung gepflegt hat. Dabei dürfen die Aufwendungen der Pflegekasse im Einzelfall 2.800 DM im Kalenderjahr nicht überschreiten.
Ein Vergleich beider Regelungen zeigt, daß die Leistungsansprüche der privaten Pflegeversicherung im Fall der Verhinderungspflege denen der sozialen Pflegeversicherung nach Art und Umfang gleichwertig sind.
2. Die Voraussetzungen des § 4 Abs 6 MB/PPV 1996 sind dem Grunde nach erfüllt.
a) Die Ehefrau des Klägers war als Pflegeperson in der Zeit vom 17. bis 27. Mai 1997 aufgrund einer eigenen Urlaubsreise gehindert, die Pflege ihrer schwerpflegebedürftigen Tochter, die sie seit deren Geburt durchgeführt hat, fortzusetzen. Die Beschaffung einer Ersatzpflege zur Urlaubsvertretung war daher notwendig. Die Pflege erfolgte in geeigneter Weise durch Mitarbeiter des Behindertenzentrums S. eV, die während der Ferienreise die Tochter des Klägers und die anderen pflegebedürftigen Reiseteilnehmer betreut und gepflegt haben.
b) Dem Anspruch steht nicht entgegen, daß die Verhinderungspflege nicht im Haushalt des Klägers, wo die „häusliche Pflege” der Tochter ansonsten stattfindet, sondern in einem Ferienheim einer Behinderteneinrichtung erfolgt ist. Nach § 39 SGB XI nF haben die Pflegebedürftigen grundsätzlich die freie Wahl zwischen geeigneten Pflegepersonen und Pflegeeinrichtungen einerseits und den in Betracht kommenden Orten der Verhinderungspflege andererseits.
Dieses weite Wahlrecht steht den Pflegebedürftigen allerdings erst seit dem 25. Juni 1996 zu. Bis dahin galten die Regelungen der §§ 36 und 39 SGB XI in der ursprünglichen Fassung (aF) des Pflege-Versicherungsgesetzes (PflegeVG) vom 26. Mai 1994 (BGBl I S 1014). Nach § 39 SGB XI aF übernahm die Pflegekasse die Kosten für eine „Ersatzpflegekraft” für längstens vier Wochen je Kalenderjahr, wenn die Pflegeperson wegen Erholungsurlaubs, Krankheit oder aus anderen Gründen an der Pflege gehindert war (so auch noch § 4 Abs 6 MB/PPV 1995). Dabei war die ersatzweise zu leistende Pflege grundsätzlich auf den Haushalt des Pflegebedürftigen oder einen anderen Haushalt, in den er aufgenommen war, beschränkt (§ 36 Abs 1 Satz 1 SGB XI aF). Der Begriff „Ersatzpflegekraft” umfaßte danach Personen, die während der Zeit der Verhinderung der sonst tätigen Pflegeperson (zu diesem Begriff vgl § 19 SGB XI) die Betreuung und Versorgung des Pflegebedürftigen in einem Haushalt iS des § 36 Abs 1 Satz 1 SGB XI aF gegen Zahlung einer Vergütung übernahmen. Der Kreis der „Ersatzpflegekräfte” iS des § 39 SGB XI aF war auf Pflegepersonen iS von § 19 SGB XI, selbständige ambulante Pflegekräfte oder Pflegedienste beschränkt, die einen eigenen Vergütungsanspruch gegen den Pflegebedürftigen geltend machen konnten, sofern nicht die Pflegekasse selbst die Ersatzkräfte besorgte und im Wege der Sachleistung zur Verfügung stellte. Mitarbeiter von Einrichtungen der Behindertenhilfe, um die es im vorliegenden Fall geht, erfüllten dieses Tatbestandsmerkmal nicht. Außerdem war die Verhinderungspflege grundsätzlich auf den Bereich privater Haushalte beschränkt. Soweit die Pflege bei Verhinderung der Pflegeperson im häuslichen Bereich nicht sichergestellt werden konnte, kam eine Leistungspflicht der Pflegekassen nur unter den Voraussetzungen der teilstationären Pflege nach § 41 SGB XI oder der Kurzzeitpflege nach § 42 SGB XI in zugelassenen Pflegeheimen (§ 71 Abs 2 SGB XI) in Betracht. Behinderteneinrichtungen waren davon also nicht erfaßt (vgl zu allem Urteil des erkennenden Senats vom 17. Juni 1999 – B 3 P 1/98 R – nicht veröffentlicht).
Die vorgenannten Einschränkungen bezüglich der die Verhinderungspflege leistenden Person („Ersatzpflegekraft”) und des Ortes der Verhinderungspflege (private Haushalte) sind zum 25. Juni 1996 weggefallen. Mit Wirkung ab 25. Juni 1996 ist durch das 1. SGB XI-ÄndG die Regelung des § 43a in das SGB XI eingefügt worden, wonach bei einem Aufenthalt eines Pflegebedürftigen in einer vollstationären Einrichtung der Behindertenhilfe nunmehr ein Aufwendungsersatz bis zu 500 DM monatlich geleistet wird. § 39 Satz 1 SGB XI erhielt folgende Fassung: „Ist eine Pflegeperson wegen Erholungsurlaubs, Krankheit oder aus anderen Gründen an der Pflege gehindert, übernimmt die Pflegekasse die Kosten der notwendigen Ersatzpflege für längstens vier Wochen je Kalenderjahr; § 34 Abs 2 Satz 1 gilt nicht”. Die damit von der Anwendung ausgenommene Bestimmung des § 34 Abs 2 Satz 1 SGB XI nF besagt, daß der Anspruch auf Leistungen bei häuslicher Pflege ua dann ruht, „soweit im Rahmen des Anspruchs auf häusliche Krankenpflege (§ 37 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch ≪SGB V≫) auch Anspruch auf Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung besteht, sowie für die Dauer des stationären Aufenthalts in einer Einrichtung im Sinne des § 71 Abs 4, soweit § 39 nichts Abweichendes bestimmt”. Mit der Ersetzung des Begriffs „Ersatzpflegekraft” durch die Formulierung „notwendige Ersatzpflege” und die Ausklammerung des § 34 Abs 2 Satz 1 SGB XI nF für den Bereich der Verhinderungspflege hat der Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht, daß die Kostenübernahme bei Verhinderung der Pflegeperson nunmehr unabhängig davon beansprucht werden kann, ob die Pflege in einem Privathaushalt oder auf – nicht von den Regelungen der §§ 41, 42 oder 43 SGB XI erfaßte – andere geeignete Weise, also zB auch in einer Behinderteneinrichtung (§§ 43a, 71 Abs 4 SGB XI), erfolgt (so ausdrücklich auch die Materialien zum 1. SGB XI-ÄndG, vgl BT-Drucks 13/3696 S 13). Verhinderungspflege kann somit auch in Feriencamps oder Ferienheimen erfolgen, die von einer Behinderteneinrichtung unterhalten werden (vgl Vogel in LPK-SGB XI, 1998, § 39 RdNr 8).
c) Der Anspruch nach § 39 SGB XI ist zwar auf Fälle beschränkt, in denen die Verhinderung ua darauf beruht, daß die Pflegeperson Erholungsurlaub benötigt. Dies bedeutet jedoch nicht, daß allein die Urlaubspläne der Pflegeperson die Notwendigkeit, sich um eine Verhinderungspflege zu kümmern, ausgelöst haben müssen. Maßgeblich ist vielmehr, daß die Vorschrift den Pflegepersonen die Möglichkeit zum „Urlaub von der Pflege” eröffnen will, ohne die Bedürfnisse des Pflegebedürftigen zu beeinträchtigen (Vogel, aaO, § 39 RdNr 2). Die Regelung trägt der Tatsache Rechnung, daß den Pflegepersonen ein hohes Maß an psychischer und physischer Anstrengung abverlangt wird und sich viele Pflegepersonen selbst schon in einem fortgeschrittenen Alter befinden, in dem es häufig zu gesundheitlichen Ausfällen der Pflegefähigkeit kommt oder jedenfalls regelmäßige Erholungsphasen erforderlich sind. Entscheidend ist daher allein, daß die Pflegeperson in einem bestimmten Zeitraum urlaubsbedingt die Pflege tatsächlich nicht durchführen kann. Es steht somit nicht entgegen, daß – wie es in der Praxis häufig der Fall sein dürfte – die Pflegeperson ihre Urlaubspläne zunächst nach den Bedürfnissen des Pflegebedürftigen ausgerichtet und nur deshalb in einer bestimmten Zeit Urlaub gemacht hat, weil auch der Pflegebedürftige in dieser Zeit nach Sicherstellung einer Ersatzpflege in Urlaub gefahren ist. In beiden Fällen geht es um die Sicherstellung der notwendigen Pflege des Pflegebedürftigen während der Zeit, in der die Pflegeperson „Urlaub von der Pflege” macht. Damit erübrigen sich – vielfach nur schwer zu treffende – Feststellungen dazu, ob im Einzelfall die Reisepläne des Pflegebedürftigen Folge der Reisepläne der Pflegeperson waren oder umgekehrt.
3. Zur Frage der Höhe des Anspruchs auf Kostenerstattung für die Verhinderungspflege bedarf es weiterer Ermittlungen durch das LSG.
a) Die Verhinderungspflege ist nicht, wie die Beklagte meint, auf einen Tagessatz von 100 DM begrenzt. Zwar sieht das Gesetz in § 39 SGB XI eine Beschränkung der Verhinderungspflege auf 28 Tage und 2.800 DM je Kalenderjahr vor (so auch § 4 Abs 6 MB/PPV 1996). Daraus kann jedoch nicht auf einen gesetzlichen Tageshöchstsatz von 100 DM (2.800 DM: 28 Tage) geschlossen werden (so auch Udsching, SGB XI, 2. Aufl 2000, § 39 RdNr 4, Meydam in: Wannagat, SGB XI, Stand Mai 1998, § 39 RdNr 7 und Vogel, aaO, § 39 RdNr 17). Die gesetzliche Regelung ist so zu verstehen, daß die Verhinderungspflege – ohne oder mit Unterbrechungen – für insgesamt höchstens 28 Tage jährlich in Anspruch genommen werden kann, die Pflegekasse dafür aber höchstens bis zum Werte von 2.800 DM einzustehen hat. Dies bedeutet, daß der zeitliche Rahmen von 28 Tagen sich ohne Kostenbeteiligung des Pflegebedürftigen nicht ausschöpfen läßt, wenn die Aufwendungen bereits den Betrag von 2.800 DM erreicht haben, und andererseits der wertmäßige Rahmen von 2.800 DM sich nicht ausschöpfen läßt, wenn bereits an 28 Tagen Verhinderungspflege stattgefunden hat, die Aufwendungen dafür aber den Höchstwert unterschritten haben. Die zusätzliche Begrenzung auf einen Tagessatz von 100 DM läßt sich weder dem Gesetz noch den Gesetzesmaterialien (BT-Drucks 12/5262 S 20 und 13/3696 S 13) entnehmen. Auch § 56 SGB V in seiner bis zum 31. März 1995 gültigen Fassung, dem § 39 SGB XI nachgebildet ist, enthielt einen zeitlichen (28 Tage) und wertmäßigen Rahmen (1.800 DM je Kalenderjahr), nicht aber einen Tageshöchstsatz. Ein Regelungsbedarf dafür ist nicht erkennbar geworden. Hätte der Gesetzgeber für die Verhinderungspflege erstmalig einen solchen Tagessatz vorsehen wollen, hätte er dies zusätzlich ausdrücklich in die Vorschrift des § 39 SGB XI aufgenommen, weil es sich nicht aus sonstigen Vorschriften konkludent ableiten läßt. Eine zeitanteilige Kürzung ist zwar beim Pflegegeld in § 37 Abs 2 SGB XI angeordnet; diese Regelung läßt sich aber nicht sinngemäß in der Weise auf die Verhinderungspflege übertragen, daß daraus ein Tageshöchstsatz folgt. Die anteilige Kürzung beim Pflegegeld ist Folge des Grundgedankens, daß nur solche Tage vergütet werden, an denen Pflege geleistet wird. Die Regelung ist hier erforderlich, weil das Pflegegeld im übrigen pauschal ohne Kostennachweis gezahlt wird. Die Verhinderungspflege verlangt demgegenüber einen Kostennachweis für die jeweils entstandenen Aufwendungen, so daß die Ausgangslage nicht vergleichbar ist.
b) Ein Tageshöchstsatz für die Verhinderungspflege von 100 DM oder in sonstiger Höhe läßt sich auch nicht aus dem Gebot der Wirtschaftlichkeit ableiten, dem die Pflegekassen, die Pflegebedürftigen und die Leistungserbringer gleichermaßen verpflichtet sind (§§ 4 Abs 3 und 29 Abs 1 SGB XI). Der Gesetzgeber ist möglicherweise davon ausgegangen, daß die Verhinderungspflege im Durchschnitt mit 100 DM pro Tag jedenfalls in der Regel sichergestellt werden kann. Er hat es aber jedem Pflegebedürftigen selbst überlassen (vgl auch § 2 Abs 2 SGB XI), in welcher Art und Weise und zu welchem Preis er seine Verhinderungspflege sicherstellt. Der Höchstbetrag von 2.800 DM ist ein ausreichender Schutz gegen wirtschaftlich unvernünftige Verhaltensweisen der Pflegebedürftigen oder überhöhte Forderungen der Pflegekräfte, zumal bei Inanspruchnahme der Dienste ehrenamtlich tätiger Pflegepersonen die Verhinderungspflege nach § 39 Satz 4 bis 6 SGB XI auf den Betrag des ansonsten gezahlten Pflegegeldes (täglich 13,33 DM in Pflegestufe I, 26,66 DM in Pflegestufe II und 43,33 DM in Pflegestufe III) – zuzüglich etwaiger Aufwendungen, die der Pflegeperson im Zusammenhang mit der Verhinderungspflege entstanden sind (zB Fahrkosten) – begrenzt ist.
c) Im vorliegenden Fall hat die Reise 2.298,46 DM gekostet, was täglichen Aufwendungen von 208,95 DM entspricht. Hiervon haben die Beteiligten nicht pflegebedingte Kosten abgezogen und diese pauschal mit 25 vH angesetzt, so daß ein berücksichtigungsfähiger Anteil von täglich 156,71 DM verblieb. Dies ist jedoch keine geeignete Grundlage für die Berechnung der Höhe des dem Kläger zustehenden Kostenerstattungsanspruchs. Weder der Rechnung des Behindertenzentrums S. eV vom 30. Mai 1997 noch den Feststellungen des LSG läßt sich entnehmen, wie sich der Reisepreis von 2.298,46 DM zusammensetzt. Es ist lediglich der Endbetrag genannt; eine Aufschlüsselung fehlt. Auf eine solche Aufschlüsselung kann aber nicht verzichtet werden. Denn bei einer Verhinderungspflege, die in einem Ferienheim einer Behinderteneinrichtung stattfindet, sind nur die Aufwendungen, die für die umfassende Betreuung des Pflegebedürftigen anfallen, erstattungsfähig. Nicht erstattungsfähig sind dagegen zB die Kosten der Hin- und Rückfahrt (Fahrkosten) sowie die Kosten für Unterkunft und Verpflegung (Hotelkosten). Das LSG wird daher festzustellen haben, in welcher Höhe die pflegebedingten Aufwendungen (einschließlich der allgemeinen Aufsicht) in den Reisepreis eingeflossen sind.
Für die Zukunft empfiehlt es sich, daß der Träger der Behinderteneinrichtung nicht nur – wie hier – den Endpreis nennt, sondern den Preis nach Einzelleistungen (Aufwendungen für die Betreuung, Kosten für Unterkunft und Verpflegung, Fahrkosten usw) aufschlüsselt. Dabei genügt es jedoch nicht, für die Betreuung nur die jeweiligen Beträge aufzuführen. Um dem Versicherungsträger die Nachprüfung der Einzelleistungen und der angesetzten Beträge im Sinne einer Plausibilitätskontrolle zu ermöglichen, ist es erforderlich, im einzelnen auch darzulegen, wie sich diese Aufwendungen zusammensetzen (bei Ferienreisen: Zahl der an der Reise teilnehmenden Pflegebedürftigen; Zahl der Betreuer und Pfleger; Aufwendungen des Trägers für die Gehälter, die Steuern und die Sozialabgaben der Mitarbeiter während der Reise).
Das LSG wird auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.
Fundstellen
Haufe-Index 743297 |
NZS 2001, 322 |
SozR 3-3300 § 39, Nr. 3 |
GesPol 2004, 44 |